Kapitel 2.1
~Xanadoo - Bibliothek der Schicksalsbücher~
Die Schicksals-Göttin Kirara blickte in ihre Kristallkugel, während sie durch die Schwärzer der magischen Archive lief. Kein Boden war zu sehen und die Regale schienen wild in der Luft herumzufliegen. Keine Ordnung und kein Licht. Nur ab und an, wenn eines der Bücher in den Regalen plötzlich begann zu schimmern, wurde etwas erkennbar. Und alles, was sich in dem Schein von Kirara selbst befand, war zu erkennen.
Ihre langen braunen Haare fielen ihr in Wellen über die Schultern und die ungewöhlichen, regenbogenarbenen Augen waren stur auf die schimmernde, seifenblasenähnliche Kristallkugel gerichtet.
Sie hatte sich für eine menschenähnliche Gestalt entschieden, doch im grunde war sie in der Lage jede mögliche Gestalt anzunehmen. Als Schicksals-Göttin hatte sie keine feste Form. Oder vielleicht hatte sie es einmal gehabt, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern. Sie war schon so lange Göttin des Schicksals, dass es sie auch nicht mehr interessierte. Viel mehr interessierte sie sich dafür, was ihr Schützling anstellte.
Sezuna war nicht so geworden, wie sie gehofft hatte. Zwillinge waren nie geplant gewesen und so war ihr eigentlicher Plan nicht ganz aufgegangen.
Wahrscheinlich lag es daran, dass ihre Seelen von ihr und den Seelenwächtern erschaffen worden war. Sogar der Höllenfürst hatte seinen Teil dazu beigetragen. Das gesamte Dreieck der Macht hatte ihr seine Macht geliehen und somit war sie für einen einzigen Teil dieses Dreiecks nicht mehr kontrollierbar. Wenn Kirara darüber nachgedacht hätte, hätte sie das wissen müssen. Doch sie war in einer Lage, in der sie bereits nicht mehr soweit dachte. Deshalb hatte sie sich auch dazu entschlossen dem Ganzen ein Ende zu setzen, bevor es noch schlimmer wurde. Sie spürte ihren Verfall und musste sich beeilen.
Doch Sezuna war noch immer nicht bereit dazu.
Ihr Körper wuchs einfach nicht schnell genug, um der Menge an Kraft, die in ihr ruhte, gerecht zu werden. Und Shioni, die eigentlich dafür sorgen sollte, dass Sezuna eine ordentliche Ausbildung in Magie und Kampfsport erhielt, projizierte diesen Befehl auf Yuna und vernachlässigte die Rothaarige. Ein Zeichen dafür, dass Sezuna gegen den Einfluss der Schicksals-Göttin immun war. Yuna hingegen schien zumindest bis zu einem gewissen Grad beeinflussbar zu sein.
Was nur ein kleiner Lichtblick war.
Kirira grübelte schon eine Weile über dieses Problem nach. Shioni schien von Sezuna beeinflusst zu werden. Wahrscheinlich, weil sie vom gleichen Blut waren. Außerdem beeinflusste Shioni als Königin Mikoto und auch Lucien so stark, dass es auch nichts brachte, wenn Kirara diesen beiden den Befehl für Sezunas Ausbildung gab. Also musste jemand anderes her.
Allan war eine gute Wahl als Beschützer gewesen, doch da er so oft in Sezunas Nähe war und diese beiden ein starkes Band verband, war es nicht so einfach überhaupt an ihn heran zu kommen. Wenn sie dann noch bedachte, welcher Rasse der Blonde angehörte, war es kein Wunder, dass Kirara nicht weiter kam. Noch ein Zeichen für ihren Verfall.
Sie musste die Sache also anders angehen, als sie es sonst getan hätte.
Zumindest einen kleinen Lichtblick gab es an dem heutigen Tag. Sezuna hatte den Tunnel gefunden, den sie für sie im See hinterlassen hatte. Und sie war schlau genug gewesen, ihn niemanden zu zeigen und sich auch nicht zu verraten. Auch wenn sie kurz davor gewesen war.
Kirira betrachtete die Rothaarige in der Glaskugel. Es wurde Zeit dafür zu sorgen, dass sie eine Lehrerin erhielt. Doch die Person, die ihr im Kopf herumschwirrte und die eine Verbindung zu ihr eingehen würde, war nicht so, wie es sich Kirara wünschte.
Yui Mimura war eine fantastische Magierin mit einem unglaublichen Talent. Doch das war jetzt noch nicht gefragt. Außerdem würde sie mit diesem Talent neben Sezuna ein zu starkes Gegengewicht bilden. Stattdessen war es die kriegerische Seite in ihr, die Kirara interessierte. Diese lieg tief in ihr versteckt und ihre Entwicklung hatte sie noch gedämpft. Kirara würde sich also in die Vergangenheit begeben und ihr magisches Talent entfernen, damit Yui in der Lage war ihre eigentliche Stärke zu entfalten.
Kirara betrachtete die grünhaarige Hexe in der Kristallkugel. Sie war in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten und führte ein kleines Dorf an. Sie war die Hohepriesterin und das passte so überhaupt nicht zu ihr. Yui war zu Größerem bestimmt.
Doch ein Problem blieb. Was sollte sie mit dem magischen Talent tun? Sie konnte es nicht einfach vernichten. Sie brauchte eine Person, die dieses aufnehmen konnte.
Aber da würde sich schon jemand finden. Kirara war zuversichtlich. Wahrscheinlich konnte ihr auch Nadeschda weiterhelfen. Die junge Höllendämonin und Nicht des Höllenfürsten war zuweilen eine sehr hilfreiche Partnerin. Trotz ihrer Abstammung und ihrem kleinen Problem mit der Nacht, mochte Kirara sie ganz gern.
Vielleicht sollte sie die Dämonin mitnehmen, damit diese ihr helfen konnte. Vielleicht würde Nadeschda sie darauf hinweisen, wenn sie etwas vergaß zu bedenken. Etwas, was für eine Schicksals-Göttin gar nicht gut war. Sie musste an alles denken!
Kirara fuhr sich über das Gesicht. Sie hatte sich noch nie so menschlich gefühlt und das störte sie. Sie war nicht menschlich. Vielleicht war sie es einmal gewesen, doch das war schon Millionen von Jahren her. Außerdem war es ein schreckliches Gefühl!
Die Schicksals-Göttin strich über ihre Kristallkugel und diese begann in den unterschiedlichsten Farben zu schimmern, welche auch für kurze Zeit Kirara in ein Farbenspiel tauchte. Dann entstand plötzlich das Bild einer blonden Frau in der Kugel. Ihre silbernen Hörner waren noch klein, zeichneten sie aber schon deutlich als Dämon aus. Die schwarzen Muster auf ihrer Haut, die ihr halbes Gesicht in faszinierenden Schnörkeln bedeckten, waren die Schuppen. Die Schuppen, die Nadeschda nicht mehr zurückhalten konnte, obwohl sie sich so viel Mühe damit gab, menschlich zu wirken. Kirara wusste, dass es für ihren Auftrag wichtig war, menschlich zu wirken, doch sie verstand nicht, warum Nadeschda es so sehr hasste, ihre Dämonenform zu zeigen. Dabei fand sie diese sehr schön. Aber die meisten würden wahrscheinlich vor Angst erstarren. Ein typisches Problem, dem sich die meisten Höllendämonen ausgesetzt fühlten, wenn sie in ihrer wahren Form auftreten.
Wahrscheinlich lag es daran, dass sie zu den ersten der erschaffenen Rassen zählten und die Altdrachen damals noch sehr viel Macht in ihre Entwicklung gesteckt hatten. Ähnlich, wie es bei den Engeln der Fall gewesen war. Doch diese beiden Rassen wurden gern vergessen. Die Höllendämonen lebten in der Hölle und die Engel in Luth Amar. Einer Stadt, die im Himmel flog. Somit waren beide Rassen sehr abgegrenzt, auch wenn die Engel schon seit vielen Jahren versuchten mit anderen Rassen in Kontakt zu treten.
Kirara tippte mit einem grünen Fingernagel auf die Kristallkugel und gab Nadeschda den Befehl zu ihr zu kommen.
Der Schein der Kugel erlosch und Kirara wandte sich um. Während sie das tat, flackerte der Raum und wurde zu einem Wirbel aus Farben, bis sich ein anderer, fast komplett weißer Raum bildete. Es gab eine Art Sofa in Weiß und einen Tisch, auf dem sich sogar eine Kanne und eine Tasse befanden. Extra für Nadeschda, denn Kirara brauchte so etwas nicht. Sie brauchte keine Nahrung und auch keinen Sternenstaub. Nicht, solange sie hier in Xanadoo lebte. Dem Reich der Schicksals-Engel, das aus purem Sternenstaub bestand, der sich nach ihrem Willen formen konnte.
Kirara ließ sich auf dem Sofa nieder und legte die Beine übereinander, als eine schwarze Flamme vor ihr erschien. Ihre regenbogenfarbenen Augen lagen abwartend darauf und sahen zu, wie die Flamme immer größer und größer wurde, bis sie plötzlich eine Person mit blondem Haar und Hörnern bildete.
Nadeschda war kleiner, als es Kirara war und auch ein wenig rundlicher. Auf eine Art weiblicher, die Kirara bisher nie interessiert hatte. Sie trug zwar den Körper einer Frau, doch sie fühlte sich nicht zu einem Geschlecht zugehörig. Dennoch mochte sie ihren Körper und auf eine gewisse Art und Weise, war er schön und praktisch. Mit diesem war es meist sehr viel leichter die Wesen zu verführen.
Nadeschda vollführte eine elegante Verbeugung. "Ihr habt nach mir gerufen?", fragte sie und richtete ihre violetten Augen auf Kirara. Diese starrte für einen kurzen Moment zurück und kam nicht umhin wieder einmal festzustellen, wie sehr ihre Augen doch denen von Nemesis ähnelten. Einen Mann, an den sie in den letzten Wochen wieder zu oft gedacht hatte. Dabei sollte Zeit und vor allem auch Gefühle für sie bedeutungslos sein.
"Ich möchte, dass du mich begleitest. In die Vergangenheit", erklärte Kirara ohne Umschweife und beobachtete die Reaktion der Dämonin. Nadeschda war wahrscheinlich gar nicht klar, dass Kirara sie als Anwärterin auf einen Schicksals-Engels-Posten ansah, doch das war auch gut so.
"Die Vergangenheit?", fragte die Blonde mit erhobener Augenbraue. "Seit wann nehmt Ihr mich mit?"
Kirara machte eine abwinkende Handbewegung. "Vielleicht demnächst vermehrt", sagte sie, ging aber nicht direkt auf Nadeschdas Frage ein.
"Und was machen wir dort?", wollte die Dämonin wissen.
"Das wirst du dann schon sehen."
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