Kapitel 44

Blaire und Wes stehen dicht hinter mir, als ich zuerst in mein Zimmer gehe, um nachzusehen, ob Ephraim vielleicht gleich dageblieben ist, nachdem er mich gesucht hat. Nun, die Hoffnung hält ungefähr fünf Sekunden, bis mir das Level an Destruktion auffällt, das dieser Raum erlitten hat. Meine Kleider liegen wild auf dem Boden zerstreut, zusammen mit dem Inhalt meines Tisches. Die Schubladen hängen lose herunter und ich schlucke tief. Die Drohbriefe sind nicht mehr da. Also wurden die Beweise zerstört, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob Cecilia sich überlegt hat, dass man irgendwie auch erklären muss, dass dieses Zimmer verunstaltet wurde. Aber es verrät mir noch etwas: Sie ist nicht zum Spaßen aufgesetzt. Mein Herz wird schwer, als ich inmitten der Trümmer ein Handy entdecke. Ephraims.

„Oh mein Gott", flüstert Blaire erstickt und greift blind nach der Hand meines Bruders. „Wir müssen von hier verschwinden und ihn suchen. Sofort", fügt Wes hinzu. Ich nicke. Obwohl ich das alles am liebsten sehr leise und unauffällig machen würde, beginne ich zu rennen, sobald wir im Gang sind. Meine Sohlen klatschen laut auf dem Fußboden, aber das kümmert mich nicht. Jede Sekunde zählt und ich werde keine mehr verschwenden. Mir fällt erst auf, dass ich noch nie in Ephraims Zimmer war, als ich vor seiner Türe stehe und wie eine Besessene klopfe. Ein entnervtes Stöhnen klingt von innen und ich schluchze beinahe erleichtert auf, verkneife es mir allerdings sofort, als ich sehe, dass Geoffrey die Tür öffnet. Ich habe vollkommen vergessen, dass er existiert, wenn ich ehrlich sein sollte. Ephraim hat sich in letzter Zeit nämlich kaum mit seinem besten Freund blicken lassen.

„Ah", meint dieser nur und verschränkt die Arme vor der Brust, als er mich sieht. Sein Blick fällt auf Wes und Blaire hinter mir. „Hast du dir Verstärkung geholt, um Ephraim abzuschleppen?" Geo war bisher immer nett zu mir und dass diese Zeiten mittlerweile vergangen sind, verrät mir, dass Ephraim ihm erzählt hat, was zwischen uns geschehen ist. „Ja, das habe ich. Sag mir bitte, dass er da ist." Geo rollt mit den Augen und versucht, mir die Türe vor der Nase zuzuknallen, aber ich stemme mich schnell mit den Schultern dagegen. Ein erstickter Schrei entfährt mir, weil das vermutlich das Letzte ist, was ich tun sollte. Aber es bewirkt, dass Wes sich neben mich stellt und die Tür öffnet, ehe er sich an Geo vorbeischiebt und sich im Zimmer umsieht. „Hör mal, wir wollen keinen Ärger. Ephraim könnte in Lebensgefahr sein und wir müssen wissen, wo er ist. Das hier ist kein Trick. Die Polizei ist schon auf dem Weg, aber bis sie hier sind, könnte Gott weiß was mit ihm geschehen."

Geoffrey dreht sich zu Wes um und verschränkt die Arme vor der Brust, während er meinen Bruder verwirrt ansieht. „Was willst du damit sagen? Was soll dieses Theater? Seid ihr immer so dramatisch?", verlangt er zu wissen. Endlich mischt sich auch Blaire ein, während sie beschwichtigend die Arme hebt. „Cecilia hat Mathilda ermordet. Helenas Zimmer ist verwüstet und Ephraims Handy war in der Mitte ihres ganzen Krames. Wir können ihn also nicht erreichen und hier ist er ebenfalls nicht. Das ist kein Witz, Geoffrey, also bitte reiß dich endlich zusammen und sag uns, wo er ist." Geo blinzelt. Sein Mund klappt auf. „Das ist ein Scherz. Oder etwa nicht?" Wir schweigen und sehen ihn erwartungsvoll an. Ich sehe ihm an, dass die Wut, die er mir gegenüber verspürt hat, verfliegt, während er erbleicht.

„Sie hat ihn zum Essen abgeholt", bringt er nach einigen Momenten hervor. Ich keuche erschrocken auf und Wes Gesichtszüge entgleisen. Geo braucht nicht zu sagen, wer sie ist. Der Schock, der einige Sekunden lang über uns hängt, ist Aussage genug. „Ich dachte, dass er dich danach gefunden hätte und bei dir geblieben ist, Helena." Geo reibt sich über seine Augen, die glasig werden. „Verdammt, ich hatte doch keine Ahnung!", brüllt er beinahe schon. „Das reicht!", geht Blaire wieder dazwischen. „Wir suchen ihn jetzt sofort. Und wir werden uns aufteilen. Wenn wir streiten, gewinnt Cecilia." Blaire sieht in der Gruppe hin und her und ich sehe ihr an, dass sie am liebsten mit Wes gehen würde, sich aber nicht traut, mich mit Geoffrey allein zu lassen. „Helena und ich werden gemeinsam suchen", kommt ihr dieser zuvor. Wir alle sehen ihn überrascht an, aber niemand kann mehr etwas sagen, weil plötzlich Sirenen zu hören sind. Nein, denke ich. Nein, verdammt, das ist der Feueralarm. Wes hechtet beinahe schon zum Fenster und ich realisiere, dass dort Rauch zu sehen ist. „Sie hat ein Feuer gelegt", stellt er fest. „Wir gehen dorthin, Blaire. Sofort."

„Wir auch. Sie muss da sein", bietet Geoffrey an, doch ich schüttle den Kopf. „Nein, sie ist zu klug für so etwas. Vielleicht ist dieses Feuer nur ein Ablenkungsmanöver, damit alle, die im Schulhaus sind, nach draußen gehen und sie hier machen kann, was sie möchte. Es muss einen zweiten Ort geben bei ihr. Wo ist sie sonst immer gewesen? Du weißt so etwas, Geoffrey. Welcher Platz ist typisch Cecilia?", will ich wissen und lenke die Aufmerksamkeit der anderen auf mich. Noch brennt es nicht im Gebäude selbst. Das hier ist vielleicht unsere letzte Möglichkeit, Ephraim zu finden. „Das Archiv. Sie hat da gearbeitet. Sie hat euch dort in eine Falle gelockt. Dort sind alle Geheimnisse. Nur sie hat die Schlüssel zu diesem Raum. Es ist der perfekte Ort für ein Verbrechen." Aber es ist nicht Geoffrey, der das sagt, sondern Wes. Ich beiße mir auf die Lippe, damit ich vor Verzweiflung nicht zu weinen beginne. „Nein, das stimmt nicht ganz. Ephraim hat sich eine Kopie des Archivschlüssels machen lassen, nachdem ihr beim zweiten Mal erwischt worden seid", hält Geo dagegen und stolpert zu Ephraims Schreibtisch, ehe er einen Schlüssel aus der Schublade kramt.

„Los geht's", murmelt Wes und packt Blaires Hand. „Seid vorsichtig und für alles bereit. Wir wissen nicht, wie lange sie das schon geplant hat. Himmel, wir wissen nicht einmal, was gerade los ist. Und wenn es nötig ist, dann müsst ihr euch mit Gewalt verteidigen." Wes nimmt einen von den Degen, die an Ephraims Wand wie Auszeichnungen hängen und überreicht ihn mir. „Ich weiß, dass du das wegen deiner Schulter nicht schwingen solltest. Aber du kannst nicht ohne jegliche Verteidigung gegen sie vorgehen." Ich nicke Wes zu und wir tauschen ein stilles Versprechen, dass das noch nicht vorbei ist. Vielleicht haben wir die Anzeichen zu lange ignoriert, aber wir geben den Kampf nicht auf, bis Ephraim sicher an unserer Seite steht. Ich kann ihn nicht verlieren und Wes weiß das.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis Geoffrey und ich es zum Archiv geschafft haben. Anders als erwartet ist die Tür allerdings nicht abgeschlossen, sondern steht einen Spalt breit offen. Der Feueralarm dröhnt mir unendlich laut in den Ohren und ich verfluche die Polizei dafür, dass sie so weit von dieser Schule entfernt sind. Wir brauchen jetzt Hilfe, nicht wenn es schon längst zu spät ist. Ich nicke Geoffrey zu und schiebe die Tür einen Spalt breit auf. Dass es so laut ist, macht es mir unmöglich, Schritte oder derartiges auszumachen. Nicht einmal mein rasender Herzschlag ist genug laut, um diesen Lärm zu übertreffen. Ich kann nicht fassen, dass ich unbeschützt in das Archiv gehe, aber daran lässt sich jetzt auch nichts mehr ändern. Ich bedeute Geoffrey Wache zu halten. Ich sage ihm nicht, dass ich ihn nicht noch tiefer in den Abgrund ziehen möchte. Ich will nicht riskieren, dass ihm etwas passiert. Zumindest jemand von uns muss der Polizei sagen sollen, wo Ephraim und ich sind, sobald sie ankommt. Ich umklammere den Degen leichter und drücke mich durch den Türspalt, damit ich mit der Öffnung der Tür nicht unnötig viel Aufmerksamkeit auf mich ziehe.

Ich bleibe hinter einem Gestell stehen und lausche angeregt, aber noch immer kann ich nichts anderes wahrnehmen als die Sirenen. Im Archiv brennt kein Licht und ich kann nur dank den riesigen Fenstern an der Decke erkennen, wo im Raum ich mich bewege. Ich zwinge Luft in meine Lungen und bete, dass das hier nicht blutig endet. Für keine der Parteien. Schweiß macht den Degen in meinen Händen beinahe unhaltbar, aber ich wage es nicht, den einzigen Schutz, den ich habe, loszulassen. Ich stelle mich an den Rand des Gestells und schiele darüber hinweg. Aber auch der Gang ist leer. Niemand ist hier. Egal wie langsam ich durch die Reihen schleiche und jedes Detail in mich aufnehme, jeden Gegenstand genau ansehe, um kein Detail zu übersehen. Da ist nichts oder niemand. Ich beschleunige meine Schritte ein wenig und ein kleiner Teil der Panik fällt von meinen Schultern, als ich beinahe ausrutsche. Ich beiße mir auf die Zunge, um einen Fluch zu unterdrücken und werfe einen bösen Blick auf die Wasserlache unter meinen Füssen.

Ich denke, dass in diesem Moment auch mein Herz stehen bleibt. Ich verliere das Gleichgewicht beinahe schon wieder, als ich erkenne, dass das nicht durchsichtig ist, sondern rot. Meine Hand fliegt über meinen Mund und ich muss den Schrei ersticken, der meiner Kehle zu entfliehen versucht. Das kann nicht wahr sein. Tränen schwellen in meinen Augen, aber ich zwinge meinen Blick auf den Boden. Es ist nicht viel Blut, aber trotzdem mehr, als auf einem Boden sein sollte. Das ist eine Schule, verdammt! Blut hat hier nichts verloren, wenn es nicht im Körper der Leute ist. Aber ich kann den winzigen Bluttropfen gut folgen, die eine Spur auf dem Boden hinterlassen haben.

Und dann bleibe ich vor dem riesigen Drehstuhl hinter der Theke stehen, von dem mir das Rückenteil entgegenstarrt. Ich zwinge mich zur Ruhe. Cecilia könnte da sein, aber das würde keinen Sinn machen. Nicht mit dem ganzen Blut. Ich zwinge mich, nicht zu hyperventillieren und umrunde die Tischplatte langsam, den Blick stets auf meine Umgebung gerichtet. Aber nichts bereitet mich darauf vor, dass Ephraim bewusstlos darauf sitzt. Ich keuche erschrocken auf und lege meine Finger vorsichtig an seinen Hals. Einige Momente lang spüre ich nichts, ehe ich dann die richtige Stelle finde und seinen Puls ertaste. Aber da ist nicht nur sein Herzschlag, auf seinem Hals sind auch rötliche Fingerabdrücke zu erkennen. Wut ergreift mich. Wieso musste ihm das alles geschehen? Wieso kann das Leben nicht einmal fair sein und die guten Menschen in Frieden lassen? Ich schüttle sanft an seiner Schulter, aber sein Bewusstsein scheint nicht zurückzukehren, was mich beunruhigt. Ich bin so fokussiert darauf, ihn wieder zum Funktionieren zu bringen, dass ich vergesse, aufzupassen. Ich höre die Schritte erst viel zu spät. Ich hebe meinen Kopf erst viel zu spät. Denn direkt vor der Theke, vor Ephraim und mir, steht Cecilia.

Okay, vielleicht hat es ja ein bisschen mehr Drama als nötig hier, aber es wird nur noch nächstes Wochenende 2 Kapitel + den Epilog als Auflösung geben 🤭🤭

Meinungen zum Kapitel?

Was wird wohl noch geschehen?

Und was wird Cecilia nun wohl mit Ephraim & Helena machen?

Ich hoffe, dass euch die Kapitel euch gefallen haben, bis zum nächsten mal 🤎

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