Kapitel 41

Das einzig Glückliche an dieser Situation ist, dass ich meine Sachen aus Ephraims Zimmer holen kann, während er duscht. Ich schiebe Maisie sogar eine Nachricht unter den Türspalt, weil sie eine wundervolle Frau ist. Vielleicht sollte ich bleiben und mir Ephraims Seite der Geschichte anhören. Vielleicht sollte ich ihm glauben, weil er meine Geschichte gehört hat und dann trotzdem nicht angeekelt von mir war, sondern mir das Gefühl gegeben hat, dass auch meine Gefühle wertvoll sind und ich mich nicht verstecken muss. Vielleicht sollte ich ihm glauben, dass er mich liebt. Aber ich kann nicht verhindern, dass sich die Angst und Scham in mir ausbreiten. Mein ganzes Leben besteht aus diesen zwei Emotionen und ich bin mittlerweile nur noch müde. Es ist immer dasselbe und ich lerne dennoch nie dazu. Ich begehe immer und immer wieder dieselben Fehler. Ich vertraue Menschen, die nicht ehrlich zu mir sind und das tut verdammt weh. Bill sieht mich entschuldigend an, als er sieht, dass ich gehe. Aber Gott sei Dank hält er mich nicht auf. Er verspricht sogar, es Janette zu erklären. „Sei vorsichtig. Und wenn du bereit bist, solltest du dir vielleicht auch seine Seite der Geschichte anhören." Ich nicke, auch wenn ich mir im Moment nichts anhören kann oder möchte. Ich möchte einfach Ruhe. Frieden. Ich möchte, dass die Realität mich einmal nicht verletzt oder niederschlägt. Ich möchte leben können, ohne ständig wieder fertiggemacht zu werden.

Ich bringe es nicht einmal über mich, Musik zu hören, als ich schon zwei Stunden im Auto sitze. Der Regen, der hier vom Himmel trommelt, macht es beinahe unmöglich, die Straße zu erkennen. Aber vielleicht sind das auch nur meine Tränen und der dilettantische Versuch, mein Herz zu ignorieren, das eine frische Wunde hat. Ich sollte nicht so naiv sein und glauben, dass mich das alles nicht betrifft. Wenn das so wäre, dann würde ich nicht versuchen, mir die Gedanken aus dem Kopf zu wischen, nur weil ich Angst vor diesem altbekannten Schmerz habe. Ich umklammere das Lenkrad, als hinge mein Leben davon ab. Es ist merkwürdig, dass ich ausgerechnet an den Sachen festhalte, die mich schon so viel gekostet haben. Schon wieder sitze ich bei diesem grottenhaften Wetter in einem Auto, das für normale Menschen unendlich teuer ist, aber für mich nicht einmal eine winzige Kerbe in meinem Bankkonto. Was nur dazu führt, dass ich mich viel schlechter fühle als ohnehin schon. Menschen wie Ephraim und seine Familie versinken in Schulden und ich werfe Geld aus dem Fester, ohne dabei mit dem Auge zu zucken. Einfach weil es da ist. Weil ich es kann. Weil ich ohnehin nichts Besseres mit meiner Zeit anzufangen habe.

Mein Handy klingelt und ich zucke zusammen. Dann schüttle ich den Kopf. Das ist nicht das erste Mal, dass er anruft. Wie ich Ephraim kenne, wird es auch nicht das letzte Mal sein. Und wie ich mich kenne, wird es nicht das letzte Mal sein, dass ich ihn ignoriere. Als ich ihn angerufen habe, hat er sofort abgenommen. Also ist vielleicht gar nicht er, sondern vielleicht bin ich das Problem in dieser Beziehung. Aber er war damals auch nicht im Auto, als ich seine Hilfe gebraucht habe. Verdammt, das alles bringt mich aus dem Konzept. Ich zupfe am Kragen meines T-Shirts, weil ich das Gefühl habe, nicht mehr atmen zu können. Und verdammt, dann sehe ich es. Das ist sein T-Shirt. Ich habe ihm ein T-Shirt gestohlen. Der Kerl hat einen Schuldenberg zuhause und ich stehle ihm noch ein T-Shirt. Gibt es überhaupt einen Menschen auf diesem Planeten, der schlimmer ist als ich? Deshalb muss ich auch ständig an ihn denken, wenn sein Geruch permanent in meiner Nase hängt. Meine Atmung wird noch flacher und ich reiße wieder am Stoff, diesmal viel gewaltvoller und härter.

Ich bringe das T-Shirt allerdings nicht über meinen Kopf, wenn ich das Lenkrad nicht für eine Sekunde loslasse. Schmerz schießt durch meine Schulter, als ich es schnell auszuziehen versuche und ich bin so darauf fokussiert, dass ich für einige Momente vergesse, wo ich eigentlich bin und was ich tue. Ich passe nicht auf und ich ignoriere die Gefahr, weil mir einfach alles zu viel ist. Die Panik, weil ich zum ersten Mal seit ich überfallen wurde allein in einem Auto bin. Die Reue und Scham, weil ich aus Ephraims Haus verschwunden bin, ohne ihm eine Möglichkeit zu geben, all das zu erklären. Die Angst, dass ich schon wieder in eine ewige Phase von Schmerz, Selbsthass und Tränen gerate, weil das alles ist, was ich in meinem Leben kenne.

Aber ich hätte es besser wissen müssen. Solche Kunststücke macht man nicht in einem Auto. Nicht wenn es regnet. Denn dieser kurze Moment der Unachtsamkeit kostet mich die Kontrolle über den Wagen. Ich schlittere über die regennasse Straße und fluche laut auf. Aber ich kann nicht verhindern, dass ich von der Straße abkomme und im Schlamm stecken bleibe.

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„Helena, du musst mir sagen, was mit dir los ist." Wes sitzt gegenüber mir auf der Couch unseres Ferienhauses. Blaire ist ebenfalls hier, aber sie ist erst hergekommen, als Wes sie angerufen hat. Ich denke nicht, dass die beiden sonst besonders viel miteinander gesprochen haben, seit er Schluss gemacht hat. „Hier, das wird dich aufwärmen", sagt Blaire. Sie legt eine Wolldecke über mich. Auch wenn ich ziemlich rasch von einem Taxi abgeholt wurde, möchte sie auf jeden Fall verhindern, dass ich mich erkälte. Ich sage ihr nicht, dass die heiße Dusche vorhin mich schon genug aufgewärmt hat. Oder warum mein Handy regelmäßig im fünfzehn-Minuten-Takt klingelt.

„Helena, ich meine das ernst." Wes sieht verärgert aus, aber ich zucke nur mit den Schultern. Vielleicht hätte ich ihn nicht anrufen sollen. Aber dann hätte ich die Panikattacke nicht mehr verhindern können. Nun bin ich hier und die beiden sehen mich erwartungsvoll an. „Was ist mit Ephraim geschehen?" Ich könnte lügen und ein großer Teil von mir würde sehr gerne lügen. Aber damit kann ich auch nichts mehr erreichen oder verhindern. Eine Lüge rettet meine Lage nicht mehr. Also erzähle ich Blaire und meinem Bruder alles, was es über Ephraim und mich zu sagen gibt – von Mathildas Fall bis zu unseren Erkenntnissen und Geheimnissen. Und vor allem, dass ich mich endlos in diesen Kerl verliebt habe, mir das Angst macht und ich deshalb weggelaufen bin. Als ich fertig bin, sehen die beiden mich lange nur sprachlos an. Ja, so hätte ich an ihrer Stelle auch geschaut, wenn ich ehrlich sein soll. „Und wann nimmst du endlich einen seiner Anrufe an?", bricht Blaire irgendwann schließlich die Stille und streicht sich ihre dunklen Haare hinters Ohr. Wes wirft ihr einen scharfen Blick zu, ehe er mich viel sanfter ansieht. Ich glaube, dass er verstanden hat, wie wichtig mir Ephraim ist, als ich vage erwähnt habe, dass ich ihm von unserer Kindheit erzählt habe. Wes weiß, dass ich diese Information sonst nie mit jemandem teile. Nicht einmal Blaire oder Aidan wissen genau, was geschehen ist.

„Es ist okay, wenn du ein Bisschen Zeit brauchst, Helena. Wir alle wissen, dass er dich liebt und dass du ihn mindestens genauso liebst. Dass er dir das verschwiegen hat, ist nicht in Ordnung und du darfst wütend auf ihn sein. Wenn du einen Tag zum Nachdenken brauchst, dann ist das auch okay. Vielleicht sagst du dem armen Kerl einfach kurz, dass du lebst, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass sein Dad erfahren hat, wo dein Auto ist, wenn er ein Detektiv ist und diese Informationen ihm zur Verfügung stehen. Ihr werdet eine Lösung finden, da bin ich mir sicher. Aber du musst dich jetzt nicht noch weiter damit belasten, wenn das offensichtlich nicht einfach für dich ist."

Blaires Mund klappt auf und auch ich bin überrascht, als ich diese Worte aus Wesleys Mund höre. Denn das da ist nicht der Wes der vergangenen Monate. Das ist der Wes von früher, der meine zweite Hälfte ist, egal wie lange wir nicht miteinander reden oder voneinander getrennt sind. Es ist der Wes, der erkennen konnte, wie kurz ich vor einer Panikattacke stehe und wie dringend ich mich beruhigen muss, um die Nerven nicht vollkommen zu verlieren. „Danke, Wes", bringe ich hervor, während ich auf seinen Schoss klettere und meine Arme um seine Schultern schlinge. „Kein Ding, Hellie."

„Also, was machen wir jetzt?", will Blaire wissen, nachdem ich Ephraim kurz getextet habe, dass bei mir alles in Ordnung ist, wir bald über alles reden können und ich einfach ein wenig Zeit brauche, um diese Dinge zu verarbeiten und nicht die Nerven zu verlieren. Ich sage ihm nicht, dass es mir leidtut, dass ich seine Familie in ein Drama verwickelt habe. Ich denke, dass das die falsche Nachricht vermitteln würde, auch wenn es mir eben leidtut. „Wollen wir einen Film schauen? Oder Gemeinschaftsspiele spielen?", schlägt sie vor, doch ich schüttle den Kopf. Die Art von Filmen, die ich schaue, würden mich an Ephraim erinnern und die anderen machen mir einfach zu viel Angst. Und Gemeinschaftsspiele habe ich mit den Thornburys gespielt, also müsste ich dann auch ständig an ihn denken. Aber auch an seine Familie und das ist viel schlimmer, weil ich das Gefühl habe, ihre Ruhe der Weihnachtszeit zerstört zu haben.

„Denkt ihr nicht, dass wir diesen Fall ein für alle Mal auflösen sollten?", bringt Wes leise hervor. Er starrt auf seine Hände und schiebt den alten Siegelring unserer Großeltern an seinem Finger hoch und wieder herunter. Mein Herz klopft so wild in meiner Brust, dass ich meine Gedanken kaum hören kann. „Du meinst...Mathildas Fall?" Mein Bruder zuckt mit den Schultern. „Sie war unsere Freundin. Wir haben vielleicht nicht immer alles richtig gemacht, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht für sie da sind, wenn sie uns braucht. Und sie braucht uns jetzt. Je weniger lang da draußen ein Mörder frei herumläuft, desto besser. Außerdem hast du gesagt, dass du in letzter Zeit nicht wirklich Fortschritte gemacht hast, Hellie. Dann wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn du eine neue Perspektive auf die Geschehnisse erhalten würdest."

Blaire seufzt und nickt schließlich zustimmend. „Hast du noch die Liste von den Verdächtigten? Am besten beginnen wir da." Ich hole mein Notizbuch. „Das sind alles Leute aus eurem Kochkurs, aber richtig verfeindet war sie davon nur mit Cecilia Richford, Millicent Remington und Tristan Remington. Die übrigen Verdächtigten sind Patricia Mclean, Ayana Corbett, Deon Faulkner und Henry Windsor." Wes holt einen alten Einkaufszettel und setzt sich dann wieder auf die Couch. „Also beginnen wir am besten mit Cecilia, Millicent und Tristan", beschließt er. Blaire nickt zustimmend und kramt einen Laptop aus ihrer Umhängetasche. „Schauen wir mal, was für Beweise wir im Internet haben", sagt sie mit einem freudigen Lächeln auf ihren Lippen. Wes grinst ebenfalls und holt seinen eigenen Laptop, während ich verwirrt bin. „Was wird das hier?", frage ich. Die Brünette mir gegenüber klatscht sich begeistert in die Hände. „Wir suchen im Internet nach Bildern vom Kochkurs." „Aber das habe ich schon gemacht", halte ich dagegen. Blay zuckt mit den Schultern. „Ja, aber vielleicht hast du nicht am richtigen Ort gesucht. Wieso würde der Mörder Beweise hochladen? Wir schauen auch mal beim Kochkurs selbst vorbei und bei der Elternkommission. Die machen an Besuchstagen immer Bilder, die dort gesammelt, aber nicht immer veröffentlicht werden. Und rein zufällig habe ich als Schulsprecherin Zugriff auf all diese Datenbanken."

Ich nicke langsam. „Meinst du nicht, dass Ephraim und sein Dad das schon gemacht haben?", frage ich vorsichtig, worauf Blaire wieder die Augenbrauen hebt. „Möglich. Aber doppelt genäht hält besser. Und vielleicht finden wir etwas, was nicht per se ein Beweis ist, sondern uns auf die richtige Fährte bringt." Wes stupst mich sanft mit seinem Knie an. „Mach dir keine Sorgen, Hellie. Die Wahrheit kommt immer ans Licht. Irgendetwas wird es schon zu finden haben. Vor allem, wenn beinahe aus jedem Winkel Bilder gemacht wurden."



Die Suche geht weiterrrrrr 👀🔍

Und soll ich euch etwas verraten? Wir. Sind. Nah. An. Der. Auflösung 🤭🤭🤭🤭

Was halten wir von der Ephraim-Helena-Situation?

Hat Helena nachvollziehbar reagiert?

Und was halten wir davon, dass wir wieder etwas von Wes und Blaire zu sehen bekommen?

Bis später 💘

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