Kapitel 39

Als ich aufwache, sind meine Schultern behutsam in Gaze eingewickelt und sie tun bedeutsam weniger weh als gestern, also weiß ich, dass Ephraim sich darum gekümmert hat, nachdem ich eingeschlafen bin. Er selbst liegt neben mir, die Augen noch immer geschlossen. Es ist friedlich, ihm zuzusehen, wie seine Brust sich regelmäßig hebt und sinkt, ein Rhythmus, der mich einlullt und den Schmerz ein wenig nimmt. In mir zieht alles und ich denke daran, wie Ephraim in mir war und sich so liebevoll bewegt hat. Ich zeichne Kreise auf seiner Haut, ehe ich aufstehe, um zu duschen und die Geschenke, die ich gekauft habe, unter den Baum zu legen. Ich habe Ephraim noch nichts davon erzählt und ich bin froh, dass er noch immer schläft, als ich zurückkomme und ihn mit sanften Küssen wecke, weil er sonst von dieser Überraschung erfahren hätte.

„Guten Morgen", murmle ich gegen seine Lippen. Ich bin mir nicht sicher, ob er die Worte hört, denn seine Haare vergraben sich in meinem nassen Haar und ziehen ihn fester gegen sich. „Ich denke, dass ich mich an eine solche Begrüßung gewöhnen könnte", gesteht er irgendwann, als er sich aufrichtet und die Augen aufschlägt. Seine Mundwinkel zucken und er greift nach seiner Brille, die auf dem Nachttisch liegt. „Gut geschlafen?", will er wissen, worauf ich nur nicke. Wir verlieren uns schon wieder in Küssen und ich denke nicht, dass wir jemals damit aufgehört hätten, wenn Janette nicht an der Tür geklopft und gesagt hätte, dass es Frühstück gibt.

Ich denke, dass sie weiß, was wir gestern Abend getan haben, denn ihr Blick bleibt ein bisschen zu lange an Ephraims geschwollenen Lippen und meinem verknitterten T-Shirt, welches ich aus seinem Kleiderschrank geholt habe, hängen, als wir schließlich die Küche betreten. Dann sieht sie ihren Sohn noch einmal lange und eindringlich an. Die beiden scheinen eine stille Kommunikation zu haben, denn während ich mir ein Marmeladenbrot mache, nickt sie irgendwann zufrieden. Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt interpretieren möchte, was da genau zwischen den beiden gesagt wurde, aber das muss ich auch gar nicht. Ephraims Arm ist über die Lehne meines Küchenstuhls gelegt und er spielt mit meinen Haarsträhnen, während er mir dabei zusieht wie ich esse und mir dann die Hälfte meines Marmeladenbrots stiehlt.

„Ich habe einen Gast dabei!", verkündet Maisie, als sie einige Minuten später in die Küche trabt, Austin dicht hinter ihr. Sie unterbricht dabei das Gespräch ihrer Eltern, während welchen sie besprochen haben, was sie heute alles machen wollen. Ich war ein bisschen zu abgelenkt, um richtig zuhören zu können, aber ich schätze, dass das alles weihnachtliche Traditionen sind, und ich ohnehin gleich sehen werde, wobei es sich darum handelt. „Guten Morgen, Janette. Und Bill. Oh, hey, Ephraim! Du bist wieder zurück, lange nicht mehr gesehen. Und schön dich zu sehen, Helena!", sagt er, während Ephraims und Maisies Eltern ihm bedeuten sich zu setzen, während Ephraim eine Augenbraue in die Höhe zieht. Die Leichtigkeit ist endgültig aus seinem Blick verschwunden. „Woher kennt ihr euch?", fragt er an mich gerichtet. Ich bin überrascht, dass seine Stimme so kalt klingt. „Maisie, Austin und ich haben gestern den Schneemann gebaut." Ich lächle Austin freundlich an und werfe Ephraim einen warnenden Blick zu. Austin und Maisie scheinen sich wirklich zu lieben und ich denke nicht, dass er das Recht hat, sich dazwischenzudrängen. Er presst nur die Lippen zusammen, aber der Rest des Frühstücks ist angespannt und ein wenig unangenehm. Janette verkündet nach einigen Minuten, dass wir uns anziehen sollten, weil wir uns den Weihnachtsmarkt ansehen und ich warte, bis die Zimmertür hinter uns geschlossen ist, ehe ich Ephraim darauf anspreche.

„Was ist dein Problem mit Austin?" Gut, vielleicht hätte ich die Frage nicht so direkt stellen müssen, aber er wird das schon verstehen. Ephraims Schultern spannen sich an. „Ich habe kein Problem mit ihm", lügt er. Ich unterdrücke ein Schnauben und stelle mich vor ihn hin, als er zu seinem Kleiderschrank geht, um meinem Blick auszuweichen. „Ephraim. Ich kann mich nicht auf deine Seite stellen und ihn hassen, wenn du mir nicht sagst, wieso er das verdient hat. Ich dachte, dass wir ehrlich zueinander wären." Ich verschränke die Arme vor der Brust und seine Augen bleiben ein wenig zu lange daran hängen, ehe er seufzt und den Kopf schüttelt. „Das ist eben die Sache. Ich habe kein Problem mit ihm. Aber ich möchte nicht, dass er Maisie verletzt. Austin ist schon immer ein aufgedrehter Junge gewesen. Und ich möchte auch nicht, dass er nicht gut zu ihr ist oder etwas Dummes tut und sie dann wegen ihm in Schwierigkeiten gerät." Er reibt sich übers Gesicht, aber ich sehe, wie schwierig es ihm fällt, das zuzugeben. Vielleicht, weil er glaubt, dass es eine übertriebene Reaktion, aber gleichzeitig auch nicht weiß, wie er diese Gedanken verhindern soll.

„Maisie ist eine kluge Frau, Ephraim. Du musst ihr vertrauen, dass sie diese Entscheidungen selbst treffen kann. Sie lieben sich, weißt du? Ich habe sie gestern gesehen und das war schön. Ich denke, dass Maisie sich ihm öffnen kann wie sonst nur wenigen Menschen, vielleicht gerade weil er genauso aufgedreht ist und genauso viel Energie hat wie sie." Ich kenne die beiden vielleicht erst seit einem Tag, aber das was sie haben, ist so real und so knisternd, dass ich es noch immer spüren kann. „Ich habe Angst, Helena", gesteht Ephraim irgendwann, während er sich meine Worte durch den Kopf gehen lässt. „Dass etwas geschieht und ich nicht da bin. Dass ich ihr nicht helfen kann. Sie...sie hat schon so viel, um das sie sich kümmern muss, und ich möchte sie dabei nicht alleinlassen." Ich bin mir sicher, dass es noch mehr gibt, was er mir nicht erzählt, aber ich bin froh, dass er sich überhaupt so weit geöffnet hat. „Sie ist nicht allein. Deine Eltern sind da. Austin ist auch für sie da. Ich glaube nicht, dass er sie jemals im Stich lassen würde." Ephraim seufzt resigniert, als er mein sanftes Lächeln sieht, aber er sagt schließlich nichts mehr, sondern nickt nur.

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In den letzten beiden Tagen habe ich gelernt, wie sehr ich Weihnachtstraditionen liebe. Angefangen mit dem Weihnachtsmarkt, auf dem mir Ephraim ein Armband aus Muscheln und silbrigen Schneeflöckchen gekauft hat. Dort hat er sich endlich auch ein wenig mit Austin vertragen und die beiden haben viel miteinander geredet, während Ephraims Mutter Janette mir gesagt hat, wie sehr sie sich freut, dass ich da bin. Dass ich den kleinen Jungen in ihrem Sohn wieder zum Vorschein gebracht habe und dass sie ihn schon lange nicht mehr so glücklich erlebt hat. Sie hat nicht gefragt, wieso ich dieses Familienfest bei ihnen verbringe, obwohl die Frage deutlich in ihren Augen gestanden ist. Als wir nach Hause gekommen sind, hat Bill uns allen einen heißen Kakao mit viel Schlagsahne oben drauf gemacht, was sich ebenfalls als eine Tradition herausgestellt hat. Ich habe die Familie am Abend zur Weihnachts-Messe begleitet, auch wenn ich nicht wusste, dass sie so gläubig sind und sonntags in die Kirche gehen. Aber danach wurde es erst richtig gut, als wir nach Mitternacht nach Hause gekommen sind und das Weihnachtsessen begonnen hat. Ephraim hat es nur mit einem intensiven Kuss geschafft, mich von den Tränen abzubringen, als ich hausgemachte Sandwiches und billigen Wein, statt ein fünf-Sterne-Koch-Menu und teuren Champagner gesehen habe. Es war schon beinahe ein Uhr nachts, als wir begonnen haben, die Geschenke zu öffnen.

„Der Schal steht dir hervorragend, Helena", sagt Maisie zu mir, als sie sieht, dass Ephraim und ich durch die Haustür kommen. Wie es scheint, war ich nämlich nicht die einzige, die noch in der letzten Minute Geschenke eingekauft hat. Ich habe von Janette und Bill einen Schal erhalten, von Maisie ein selbstgebasteltes, kleines Scrapbook, in welchem sie die Familientraditionen verewigt hat. Es hat noch einige Plätze frei und sie hat mir versprochen, dass sie dort noch die aktuellen Bilder dieser Weihnachten einkleben wird, damit ich ein schönes Denkmal an diese Weihnacht habe. Selbst wenn Ephraim mit dem Armband vom Weihnachtsmarkt einen besonderen Platz in meinem Herzen eingenommen hat, denke ich nicht, dass Maisies Geschenk übertreffbar war.

„Danke", entgegne ich, während Ephraim mir die Jacke abnimmt und seinen alten Schlitten neben der Tür abstellt. Er ist voller Schnee und ich fahre ihm durch die Haare, um ihm die Flocken aus dem Haar zu schütteln. Er drückt mir einen Kuss auf die Wange und ich beiße mir auf die Lippen, um nicht ständig zu grinsen. „Worüber denkst du nach?", fragt er leise. Ein aufmerksamer Ausdruck liegt in seinen Augen und er mustert mich, ehe er mich in die Arme nimmt und seinen Kopf auf meinem abstellt. „Darüber, dass es merkwürdig ist, einfach wieder glücklich zu sein", entgegne ich leise. Denn egal wie traurig das klingt, in den letzten Monaten hatte ich manchmal das Gefühl, verlernt zu haben, wie das geht. Es ist so viel einfacher, sich in die Trauer zu stürzen und jedes andere Gefühl zu vergessen, als wieder mit dem Leben weiterzumachen und richtig zu atmen und klar zu denken, wenn man weiß, dass diese eine Person es niemals mehr tun wird.

„Ich denke, dass Mathilda stolz auf dich wäre", murmelt Ephraim so leise, dass ich es beinahe überhört hätte. „Du hast einen von den wichtigsten Menschen in deinem Leben verloren, Helena. Weiterzumachen ist nicht selbstverständlich. Und ich weiß, dass du glaubst, dass du dich hängen lassen hast, aber eigentlich hast du nur ein bisschen Zeit gebraucht, um deine Orientierung wiederzufinden. Damit du herausfindest, welchen Weg du in der Zukunft gehen sollst. Und du hast es geschafft." Wenn er die Dinge so sagt, kann ich gar nicht anders, als ihm zu glauben. Gleichzeitig spürt ein kleiner Teil von mir aber auch, dass ich es eben doch noch nicht ganz geschafft habe. Ich habe noch nicht herausgefunden, was genau mit ihr geschehen ist. Ich weiß bisher nur, dass es mir jetzt viel besser geht als vor drei Monaten noch und das habe ich allein dem Jungen vor mir zu verdanken. Es ist vielleicht nicht immer leicht zwischen uns, aber irgendwie ist er doch immer da, vor allem, wenn die Dinge schieflaufen.

Wir haben es geschafft", korrigiere ich deshalb sanft und schließe meine Arme fester um ihn. Ich glaube, dass er die Gabe hat, Menschen mit Magie umarmen zu können, denn genau so fühlt es sich an, als ich seinen Herzschlag an meiner Wange spüre und er mich hält, während wir sprechen, obwohl er das eigentlich gar nicht tun müsste. Ich denke, dass er spürt, wie wichtig mir das alles ist. Wie viel er mit solchen Gesten erreichen kann. „Ja, das haben wir."



Ein bisschen ein kürzeres Kapitel, aber bald geht es wieder spannender weiter, versprochen 🤞

Was ist das beste Weihnachtsgeschenk, das ihr je bekommen/gemacht habt?

Sind Helena & Ephraim süß, wenn sie glücklich sind 🤭?

Undddd haben wir Vermutungen, wer für Mathildas Tod verantwortlich sein könnte?

Kapitel 2 für heute kommt gleich, bis dann 🫶🏻

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