Kapitel 17
Meine Augen schweben durch den Raum. Aidan hat mir vorhin getextet, dass er in zehn Minuten hier sein wird. Also habe ich zehn Minuten, um Ephraim zu finden und mir die Liste mit den Personen besorgen, die ich befragen muss. Unser Plan ist jetzt schon dezent schiefgegangen, weil es Cecilia strikt verboten wurde, bei dieser Party Alkohol auszuschenken. Dann werde ich wohl mit meinem Engelscharme die Herzen meiner Opfer erobern müssen. Ich habe bisher noch niemanden erkennt, denn es haben sich alle so herausgeputzt, dass der Ballsaal nun mit Zombies, Totenköpfen, Skeletten oder Filmfiguren gefüllt ist. Ich selbst habe ein weißes Minikleid angezogen, das im Licht wegen der bestickten Edelsteine und mini-Diamanten glitzert. Daran sind kleine, silbrige Flügel befestigt und ich trage beflügelte, silbrig leuchtende Schuhe, deren Bändel sich um meine Füße und Unterschenkel ziehen. Prudence hat mir vorher schon gesagt, dass meine Beine dadurch unendlich lange wirken und mich vorgewarnt, dass ich so attraktiv aussehe, dass vermutlich den ganzen Abend über Blicke und männliche Wesen an mir kleben würden. Hoffentlich auch diejenigen, die auf meiner Liste sind. Mein Haar liegt gelockt über meinen Schultern – ich habe es mit Glitzerspray besprüht, den ich vermutlich für den Rest meines Lebens nicht auswaschen kann.
Endlich erblicke ich Ephraim. Der Schwerverbrecher steht tatsächlich neben den Cocktail-Bowles und kippt Schnaps in die großen Bowles. Er scheint kein Risiko eingehen zu wollen, was seine Pläne für diesen Abend betrifft. Ich weiß nicht einmal, ob er allein hergekommen ist. Er dreht seinen Kopf zu mir, allerdings erkenne ich kaum mehr als seine ebenholzfarbigen Augen. Er hat sich als Dämon verkleidet. Seine Haut ist grau und kohle-schwarz bemalt, sodass sie alt und runzlig aussieht, beinahe so, als wäre er wirklich ein Monster. Sein Kostüm besteht aus dunklen Lumpen, die seine Haut nicht ganz bedecken, aber bestätigen, dass er ein Ganzkörper-Make-Over erhalten hat. Oh Gott, ich möchte gar nicht wissen, wie lange er für diesen Look bei einem Make-Up-Artist gebraucht hat. Sein Kostüm sieht so echt aus, dass mein Herz für einige Sekunden tatsächlich stehen bleibt. Ephraim kommt langsam auf mich zu. Seine Augen fliegen über meinen Körper und sie flackern auf, obwohl ich nicht genau erkenne, welche Emotion in ihnen stehen. Einmal mehr mutiert er zu einem Buch mit sieben Siegeln.
„Birkshire", grüßt er mich. Seine Stimme jagt eine Gänsehaut über meinen Körper. Immerhin klingt er nicht wie das Monster, als das er sich verkleidet hat. Er sieht aus wie mein Gegenteil und ich frage mich, ob es vielleicht nicht sinnvoller gewesen wäre, diese Outfits zu kombinieren, statt wie zwei Engel zu gehen, so wie Aidan und ich es tun. „Deine Liste", sagt er und hält mir den kleinen Zettel hin. Ich habe schon so lange auf diesen Moment gewartet, dass ich das Papier beinahe auseinanderreiße, als ich es auffalte. „Sechs Namen? Bist du sicher, dass du die Personen gerecht aufgeteilt hast?", meine ich etwas verwirrt und suche seinen Blick. „Ich habe sieben Leute. Es ist ein kleiner Kochkurs, was unsere Liste durch die Teilnehmerzahl etwas verringert. Allerdings waren noch alle Eltern anwesend, was ein Problem darstellen könnte, wenn jemand von ihnen die Schuld an der Sache trägt."
Ich nicke langsam. Daran habe ich gar nicht gedacht. Aber natürlich – Mathilda hat mir sogar von dem Besuchstag erzählt, und wie sehr sie sich gefreut hat, dass ihre Eltern endlich vorbeikommen würden. Es ist verrückt, wie stark meine Erinnerungen zurückkommen, wenn ich an einen Bruchteil zurückdenke.
1. Blaire Harding
2. Wesley Birkshire
3. Casper May
4. Dayna Foreman
5. Kristian Kavanagh
6. Prudence Rockefeller
„Prudence?", lese ich verwirrt vor. „Das ist nicht möglich, sie war damals noch gar nicht an der Schule. Außerdem hat sie das Stipendium von Mathilda übernommen. Was hätte sie in diesem Kurs verloren?" Ephraim verzieht sein Gesicht, was ihn noch furchteinflößender aussehen lässt. „Das ist es doch gerade. Hätte sie nicht davon profitiert, Mathildas Essen – ausgerechnet nur ihr Essen – zu vergiften? Und ich habe herausgefunden, dass das ihr Schnuppertag an der Schule war. Vielleicht hätte sie ohne den Vorfall ein eigenes Stipendium erhalten, wäre einfach ein wenig später gekommen? Ich bin mir nicht sicher, aber alle Anwesenden gehören zu den Verdächtigen. Denn weißt du, was ich auch noch herausgefunden habe? Sie mussten alle verwendeten Lebensmittel selbst besorgen. Wir können die Schuld nicht einfach jemandem geben, der hier angestellt ist." Ich nicke langsam und ignoriere das Unwohlsein in meinem Magen. Ich weigere mich zu glauben, dass Prudence etwas mit Mathildas Tod zu tun hat. Ausgerechnet Prudence, die süß und zuvorkommend ist. Die mich tröstet, die an manchen Abenden stundenlang mit mir spricht. Es passt nicht zu ihr. Aber gleichzeitig...hat sie nicht das beste Motiv gehabt? Wäre es nicht die perfekte Gelegenheit gewesen? Und der Schein trügt. „Zeig mir mal deine Liste", fordere ich Ephraim auf, während ich mir mein Papier in den Ausschnitt schiebe. Glücklicherweise kenne ich alle Personen auf meiner Liste – zumindest vom Sehen – sodass ich mir eine Menge Peinlichkeit ersparen kann. Ephraim drückt mir ein weiteres kleines Papier in die Hand, diesmal ungefaltet.
7. Chadwick Richford
8. Cecilia Richford
9. Millicent Remington
10. Tristan Remington
11. Patricia Mclean
12. Ayana Corbett
13. Deon Faulkner
Ich pfeife anerkennend. „Auf der Liste sind so viele Leute, die entweder mit dir oder mir befreundet sind", stelle ich fest. Auf seiner Liste praktisch sein ganzer Freundeskreis. Nur Geoffrey, sein mit Abstand bester Freund, fehlt. „Deswegen sind wir auch so ein gutes Team, Birkshire." Ephraim zwinkert mir zu, so wie er es am Samstag in meinem Auto getan hat, ehe er die leeren Flaschen unter den Tisch schiebt. Er versucht nicht einmal, subtil zu sein. „Der beste Weg, die eigenen Spuren zu verwischen, ist es, so offensichtlich zu sein, wie es nur geht", belehrt er mich. Dann nickt er mir zu und legt eine Hand auf meine Schulter. „Sei vorsichtig und zieh keine ungewollte Aufmerksamkeit auf dich, Tinkerbell. Das ist der bisher riskanteste Schritt unserer Untersuchung. Ich will nicht bei Mr. und Mrs. Abbot vorbeigehen und mir einen Verweis abholen müssen." Ich schnaube. „Den holst du dir durch deine Alkohol-Aktion auch selbst, Thornbury", informiere ich ihn trocken, doch er grinst mich nur an und zwinkert mir schon wieder zu. Es ist so attraktiv und so unpassend, dass ich ihn nur anstarren kann. Er sollte definitiv damit aufhören. „Mach dir keine Sorgen um mich, Süße. Außerdem kommt dein Prinz Nicht-Charming schon, also solltest du zumindest so tun, als würdest du die Zeit mit ihm genießen. Sonst wird er noch neidisch auf mich."
Er nickt mir zu und ich drehe mich um, um Aidan zu entdecken. Er trägt weiße Hosen und Flügel, während sein Oberkörper mit Glitzer bestreut ist. Es ist so eine unnatürliche Menge davon, dass er beinahe so aussieht wie Edward Cullen, nur ist er dabei sein harmloser, unbeholfener Bruder. Oder vielleicht sind das auch nur meine unbeholfenen Gedanken, die ihn so sehen, denn er zieht die Blicke vieler Vampirinnen auf sich. Ich unterdrücke mein Lachen, weil es auf eine ironische Art und Weise passend ist. Ich bin so mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, dass ich beinahe gar nicht mitbekomme, dass er mir sagt, wie wundervoll ich aussehe. Ich gebe das Kompliment halbherzig zurück und lasse mich von Aidan auf die Tanzfläche ziehen. Ephraim steht an der Bar und unterhält sich dort mit den ersten Kandidaten seiner Liste – seinen Freunden. Dabei ist er derjenige, der am meisten des Alkohols trinkt. Er wird vermutlich auch derjenige sein, der deshalb seine Liste nicht abarbeitet, was dann an mir hängenbleiben wird.
Aidan wirbelt mich durch den Raum und ich bin dankbar, dass das Licht nur von Scheinwerfern kommt, die alles zu einer wilden Party machen, und dafür sorgen, dass alles unpersönlich wird. Ich spüre, dass es Dinge gibt, die er mir gerne sagen würde. Die Panik in mir wird mit jedem Schritt grösser, denn mir ist bewusst, dass er damit nur auf einen Song wartet, der ein wenig ruhiger ist. Ich nehme mir vor, schneller zu sein als er und eine Ausflucht zu suchen, aber ich scheitere kläglich. „Helena", beginnt Aidan und ich fluche innerlich. Sein Tonfall ist viel zu sanft und liebevoll für eine Halloween-Party. „Ja?", hake ich in einem fröhlichen Ton nach. Ich bete, dass er mir jetzt nichts sagen wird, was ich nicht hören kann. Was ich nicht hören möchte.
„Ich muss dir etwas Wichtiges sagen", fährt er fort. Aidan ist ein guter Mensch und er ist schon seit Ewigkeiten mein Nachbar und mein einziger Kindheitsfreund. Aber das war es dann auch schon, denn er hätte so viel mehr verdient als meine Wenigkeit und meine inexistenten Gefühle. „Gott, ich kenne dich schon so lange, aber in der letzten Zeit habe ich dich erst richtig kennengelernt. Die Wahrheit ist nämlich, dass du mich um alles bitten könntest und ich eigentlich gar nichts im Gegenzug möchte. Unser Deal? Damit habe ich uns beiden einen Gefallen getan. Ich wollte nämlich, dass wir ein für alle Mal klären, was zwischen uns ist, denn ich bin unmöglich der Einzige, der es spürt. Nur schon, dass wir zusammen Schwimmen gehen, so wie in den guten alten Zeiten...das ist unser Ding."
Er sagt noch weitere Dinge, während meine Seele meinen Körper für einige Momente verlässt. Er hat das Schwimmen so persönlich genommen? Ich bin nur mit ihm gegangen, weil er ohnehin gerne schwimmt und ich nicht allein sein wollte. Und die guten alten Zeiten? Die existieren bei mir nicht. Das Schwimmen ist schon immer ein Bewältigungsmechanismus für mich gewesen. Eine Art, meinen Verstand nicht zu verlieren, wenn ich das Gefühl habe, komplett auseinanderzubrechen. Ich dachte immer, dass er das versteht, aber scheinbar habe ich mich da getäuscht. Scheinbar haben wir ein komplett anderes Bild von unserer Kindheit.
„Willst du meine Freundin sein?", beendet er seine Rede, als ich wieder zuhöre. Trotz meinen Ahnungen bin ich so geschockt, dass ich zu einer Salzsäule erstarre. Genau das wollte ich vermeiden. Ich dachte immer, dass er so wie ein Bruder für mich ist. „Oh Aidan", bringe ich nur erstickt hervor. Es ist so schwierig, mein Mitleid herunterzuschlucken und so zu tun, als würde mein Herz nicht für ihn brechen. „Es tut mir wirklich leid", beginne ich, aber er nickt nur langsam und unterbricht mich, indem er die Hände vor das Gesicht schlägt. „Gott, ich bin so ein Idiot. Ab jetzt werden die Dinge zwischen uns bestimmt merkwürdig. Mir tut es leid, Helena. Ich hätte dir das alles niemals erzählen dürfen."
Aidan macht sich auf den Weg zur Bar, noch bevor ich ihm versichern kann, dass es nicht komisch wird zwischen uns. Aber damit würde ich mich wohl nur selbst anlügen. Damit würde ich ihm nicht gerecht werden, denn ich habe ihm nun das Herz gebrochen, obwohl ich nicht viel gesagt habe. Tatsachen sind manchmal so viel schlimmer als Worte und Aidan hat das gerade am eigenen Körper erleben müssen. Ich atme einige Male tief durch und zwänge mich dann durch die Menge zu den Frauentoiletten, um dem Getümmel für einige Momente entkommen zu können.
Als ich aus der Kabine komme und mir meine Hände wasche, bleibt ein Mädchen neben mir stehen. Zumindest, wenn man ihr Schwanken als Stehen bezeichnen kann. Ich brauche einige Momente, ehe ich die Vampirin mit den leuchtend roten Haaren richtig einordnen kann. „Ich hab' gesehn, was mit dem Kerl gesch'n is'", informiert sie mich. Sie lallt so stark, dass ich mich frage, ob Ephraim so viel in die Bowles gekippt hat oder ob sie selbst einfach viel zu viel davon genossen hat. Dayna Foreman – Nummer Vier auf meiner Liste – sieht mich mitleidig an und klopft mir dann auf die Schulter. „Fass' so peinlich wie beim Kochen vor zwei Monaten", kichert sie. Meine Augenbrauen schießen in die Höhe. Das Schicksal legt mir gerade ein Geschenk in die Wiege und ich kichere ebenfalls, um mich Daynas Haltung anzupassen. Menschen sind eher bereit, etwas zu erzählen, wenn sie sich verstanden fühlen.
„Was war denn vor einem Monat – ich habe so viel getrunken, dass ich mich gar nicht daran erinnern kann", heuchle ich und gebe mein bestes gefälschtes Lachen von mir. Dayna gluckst ebenfalls und schlägt sich dann eine Hand vor den Mund. „'s hat 'ne Menge Drama mit Mathilda gegeben, ne? So mit ihrem Vater und sssso. Und dann noch die Geschichte mit deinem Bruder und Blaire. Die saß echt tief." Wieder kichert sie. Doch sie gibt mir keine Gelegenheit mehr, sie weiter darüber auszufragen, weil sie in eine Kabine eilt und ihren gesamten Mageninhalt entleert. Ich verziehe das Gesicht, aber glücklicherweise eilt eine von ihren Freundinnen direkt zur Stelle und hält ihr die Haare zurück, sodass ich mich nicht einmischen muss.
Casper May und Kristian Kavanagh – Nummer Drei und Fünf auf meiner Liste – finde ich ebenfalls auf dem Gang und sie bringen ungefähr dasselbe hervor, ehe sie auf die Männertoilette fliehen und sich vermutlich übergeben – so wie Dayna es auch gemacht hat. Als ich zurück in den Ballsaal gehe, ist das Herz in meiner Brust schon ein wenig leichter. Es ist einfach, Aidan und sein Geständnis zu verdrängen, wenn ich einen Haufen neuer Hinweise gekriegt habe. Erstens verheimlichen Wes und Blaire mir etwas – vielleicht ist es das, was sie auch vor mir versteckt haben, als ich neulich in ihr Zimmer geplatzt bin. Und zweitens hat es ein Drama mit Henry, Mathildas Vater, gegeben. Also bleiben mir nur noch Blaire, Wes und Prudence, die ich von meiner Liste heute befragen muss.
Und damit beginnt die Halloween-Party auch 🔥😍
Wen mögt ihr bisher am meisten?
Irgendwelche Vermutungen, was mit Mathilda passiert ist?
Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat & wir lesen uns bald wieder 💙
PS: Ich habe die Geschichte gerade fertiggeschrieben und ich freue mich so, sie weiterhin mit euch zu teilen ✨
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