VI.II Kane
Ein kühler Wind jagte mir einen Schauer über den Rücken und frühmorgendlicher Tau befeuchtete meine Kleidung. Die Vögel begannen, sich gegenseitig aufzuwecken und rissen auch mich aus einem tiefen Schlaf, den ich so lange nötig gehabt hatte.
Ich öffnete die Augen, es war noch nicht mal richtig hell. Die Sonne versteckte sich noch zaghaft hinter der Bergkette und würde das Tal erst in wenigen Stunden mit erbarmungsloser HItze heimsuchen. Nias regungsloser Körper lag zu meiner Rechten. Tiefe Atemzüge hoben und senkten ihren Brustkorb.
Ich hob mich mühselig in einen Schneidersitz und streckte meine Wirbelsäule. Als ich mich dann nach links drehte, rutschte mir das Herz in die Magengegend. Eugene war verschwunden. Nicht schon wieder. Ich warf meinen Kopf in den Nacken und verdrehte die Augen. Eugene war seit jeher ein unruhiger Japshase gewesen. Stürzte sich blindlings - haha - in ungeahnte Gefahren, nur weil er keine halbe Stunde still sitzen konnte. Wie oft hatten wir ihn gerade so an der Grenze der Oase einsammeln können, bevor er uns auf seinem Erkundungstrip alle verraten hätte. Oder wie oft hatte ich ihn am Kragen zurück zum Rebellenstützpunkt zerren müssen, weil er meinte, ohne ihn seien wir alle besser dran. Dummkopf.
Ich raufte also meine Haare, schlug den Staub von Hose und Hemd ab und verließ so leise wie möglich den kleinen Unterschlupf. Mit den Fingern schrieb ich einen kurzen Satz in den Sand vor der Feuerstelle. Bereite Grabor vor. Nia wüsste schon etwas damit anzufangen. Und dank ihrer Sturheit, so hoffte ich, würde sie nicht auf den hirnrissigen Gedanken kommen, uns zu folgen.
Was waren nun wieder deine Gedanken, Eu?! In der Dämmerung konnte ich kaum etwas erkennen, also riskierte ich es, die Gegend mit einer kleinen Flamme auf der Handfläche auszuleuchten. Er war nicht alleine ohne uns nach Grabor gegangen, das stand fest. Und aus dem Kanton war er gerade erst entkommen. In Aedas war niemand. Und ein anderes mögliches Ziel kam mir nicht in den Sinn. Er musste in der Nähe sein. Also hielt ich nach Fußspuren, zertretenem Gras und abgeknickten Ästen und Büschen Ausschau. Keine 10 Meter entfernt wurde ich fündig. Eugenes Fußspuren waren auf Stein und Sand kaum zu erkennen, dafür fiel es ihm ziemlich schwer, herunterhängenden Ästen auszuweichen. Ich musste schmunzeln. So bedacht er mit seinen Füßen war, so unbedacht war er mit seinem Kopf.
Der Wald wurde dichter und bald zerkratzten mir Dornen Beine und Arme. Beinahe hätte ich aufgehört, seinen Spuren zu folgen, weil es mir sinnlos erschien, den Aufpasser für einen eigenständigen, erwachsenen Ausreißer zu spielen. Doch als ich an einen kleinen Bachlauf gelangte und seine Hose fand, wurde ich stutzig. Hier stimmte etwas nicht. Eu ging zwar gerne Baden, aber nicht lange. Ohne den festen Boden unter den Füßen war er tatsächlich blind. Außerdem, so erklärte er mir einst, würde seine mühselig herangezüchtete Hornhaut vom Wasser zu sehr aufgeweicht, was seine Orientierungsfähigkeit einschränkte.
Ich folgte also dem Bachlauf und gelangte an einen Teich. Frösche quakten gesellig der Dämmerung entgegen und vereinzelt küssten Vögel die schwarze Wasseroberfläche, um ihren Durst zu stillen. Ich löschte die Flamme in meiner Hand, der Wald bot mir nun keinen Schutz mehr.
In geduckter Haltung umrundete ich das Wasser. Sollte Eugene hier sein, würde er mich spüren können und wusste längst, dass ich da war. Warum also gab er keinen Laut von sich? Oder war er gar nicht hier? Ich richtete mich auf. Das war sinnlos. Vielleicht hatte er nur eine ruhige Minute und ein "stilles Örtchen" gebraucht und ich steigerte mich nur wieder in irgendetwas hinein. Sollte er in Schwierigkeiten gesteckt haben, hätte ich Anzeichen für einen Kampf gefunden. Ich beschloss also, meine Suche aufzugeben, wieder zurück nach Grabor zu gehen und mich mit den Verteidigungsplänen zu widmen.
Erste Sonnenstrahlen lugten hinter den Bergen hervor und tauchten den Wald in ein schummriges Licht, als ich die Quelle des Bachlaufes erreichte. Hier stimmte doch schon wieder etwas nicht. Eugenes Hose fehlte. Verdammt, wenn das so ein blöder, kindischer Streich von dir ist, Eu... Doch dann sah ich die glänzenden, regenbogenfarbenen Schuppen von Riesenechsen durch das Dickicht ziehen.
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