Kapitel 7

Montag, 14. März

Vom 15. Dezember bis heute hatte ich Semesterferien, die mir wirklich gut taten. Natürlich war es zu schön um wahr zu werden, dass ich komplett lern-frei sein konnte, aber es war durchaus entspannter für mich und ich hatte viel mehr Zeit. Drei Monate für die mündlichen Testate hatte ich Zeit und bald ist schon die Erste und einige andere Prüfungen. Jeden Tag habe ich diese Seiten in mich hineingefressen, aber mit viel mehr Entspannung. Außerdem konnte ich so von den Butterkeksen wegkommen. Von Can hatte ich dank den Ferien auch Abstand. Blödes Arschloch. Wie kann man nur so ein riesiges Ego haben? Es kann vielleicht etwas mit seiner Größe zu tun haben. Vielleicht nehme ich ja das als Thema für die Doktorarbeit. Wenigstens inspiriert er mich. Jetzt mal ehrlich: ich bin nett - oder versuche es - und dann ist er so arrogant, ignorant, ein brutales Arschloch und wieso? Weil es Can ist, was sonst? Pff, Freunde. Hat man ja gesehen, wie gut dieser Neuanfang läuft. Ich glaube, je hübscher er wird, umso arschlochförmiger wird er. Okay, das ist, glaube ich, nicht der richtige Begriff für sein Verhalten, aber er wird ein immer größeres Arschloch. Zum Glück ist Aykan nicht so: er ist nett, charismatisch, hilfsbereit und einfach Aykan. Und Can? Ein Arschloch, ignorant, Arschloch, arrogant, aggressiv. Ist ja eine perfekte Alliteration: Arrogantes Aggro-Arschloch, das sollte er sich ebenfalls auf seinen Arm tätowieren. Aber Can hat auch all die Attribute, wie Aykan. Das mag vielleicht stimmen, aber er ist trotzdem ein Arschloch! Mein zweites Semester beginnt jetzt und ich finde, dass ging viel zu schnell. Aber vielleicht ist es ja ein Zeichen. In der Oberstufe war es ja auch ein Zeichen dafür, dass Can Gefühle für mich hatte. Ich sage hatte, da er vor dem Abschluss so lieb und zart war und jetzt nicht mehr. Na ja, vielleicht heißt es auch, dass ich die Prüfingen nicht bestehe - Gott bewahre mich davor. Montag ist zu meinem Lieblingstag geworden, da ich im Sommersemester nur fünf Stunden meinen heißbegehrten, anatomischen Präparationskurs habe und das erst um 13:00 Uhr. Ich kann ausschlafen, mich voll fressen und fahre entspannt mit der U-Bahn zur Uni, da Saliha und Ranja immer noch um acht an der Uni sein müssen. Mein Stundenplan besteht nur noch aus Anatomie und Sozio- und Physiologie, also muss ich immer noch sehr viel lernen, aber dank den Ferien habe ich einigermaßen alles im Griff. Ich steige aus der U-Bahn aus und laufe auf das Universitätsgebäude zu, welches man schon von mehreren hundert Metern erkennen kann. Den einzigen Saal, den ich kenne ist der Präpariersaal. Ich bin echt süchtig danach, mir Menschen von innen anzuschauen und sie zu zerschneiden. Man könnte denken, ich bin ein Psychopath und wer weiß? Vielleicht bin ich oder werde ich es, wenn Can mich weiter so aufregt. Ich mache mich für den Präp-Kurs bereit und laufe in den Saal, wo ich Aykan finde, Can aber nicht. Der Kurs ist freiwillig und dient zur Vertiefung, vielleicht hält er sich für so schlau, dass er heute nicht kommen muss oder vielleicht schleicht er sich gerade aus der Wohnung eines One-Night-Stands.

Okay, zwar ist der Kurs spannend, aber fünf Stunden sind auch zu viel für mich. Na ja, egal. Gerade setze ich mich ins Auto, woraufhin Saliha losfährt. "Und? Hat es dir Spaß gemacht, Menschen aufzuschneiden?", fragt sie und schnalzt tadelnd mit der Zunge. "Ja, hat es." Saliha würgt. "Shana, wie hältst du das aus? Ich würde kotzen und weinen zugleich." Ich lache, da ich mir Saliha in dieser Situation vorstelle. "Dort sind Lüftungsanlagen und wir tragen Schutzmasken, alles gut." Mein Handy klingelt, weswegen ich meine Erzählung nicht weiterführen kann.

"Ja?"

"Shana?" Ramazan klingt ernst und wenn er ernst ist, heißt es nichts Gutes.

"Was ist?", frage ich mit einem kleinen und mulmigen Gefühl.

"Kannst du zu uns?", seufzt er. Ich tippe direkt Saliha an und deute ihr, dass sie langsamer fahren soll.

"Was ist passiert?"

"Cans Vater hatte nach Mitternacht zu Hause einen Herzinfarkt, dann ist Can direkt in die Herzklinik gefahren. Er ist total fertig. Ich will nicht, dass er alleine ist, sonst baut er noch Scheiße. Malik ist bei einer wichtigen Vorlesung und ich schreibe gleich eine Prüfung. Kannst du bitte kommen?" Sofort halte ich mir die Hand vor den Mund.

"Sag mir die Adresse", hauche ich. Ich mag Cans Vater sehr, er ist so goldig. Er hat so etwas nicht verdient!

"Mendelssohnstraße 75." Ich sage Saliha die Adresse und verabschiede mich von Ramazan.

"Was ist passiert?", fragt Saliha, während ich mir seufzend durch die Haare fahre. "Can geht es nicht gut", murmele ich. Und ich hatte ihm noch vor einigen Stunden Vorwürfe gegen den Kopf geschmissen, verdammt! Ich fühle mich gerade so schlecht! Obwohl ich Can eigentlich nicht sehen wollte, kann ich ihn nicht alleine lassen. Er war so kaputt, als Malik, wegen dem Autounfall, im OP lag. Can verträgt es nicht, wenn Leute, die er liebt, verletzt werden. Das ist seine Schwäche. Ungeduldig schaue ich auf mein Handy und dann auf die Straße. Es sollen so wenige Minuten vergehen, wie es nur geht, damit Can nicht lange alleine ist. "Dauert es noch lange?", frage ich und rutsche auf dem Beifahrersitz herum. "Nein, noch sieben Minuten. Wann soll ich dich dann wieder abholen?" Ich zucke mit meinen Schultern. "Ich sage dir schon Bescheid." Wir kommen der Straße immer näher, weswegen ich mich schon abschnalle und nach meiner Tasche greife. "Danke." Ich steige schnell aus dem Auto und laufe zur Tür, die offen steht. Schnell laufe ich die Treppen hoch und komme völlig außer Atem oben an. Ich hätte auch den Aufzug nehmen können, aber er hätte mir zu lange gedauert. Auch oben ist die Tür offen, also ziehe ich langsam meine Schuhe aus und lege meine Tasche ab. Vorsichtig laufe ich und bleibe mitten im Flur stehen. Eins der Türen führt zu Cans Zimmer, doch ich weiß nicht welche. Erst, als Ramazan aus der zweiten Tür tritt weiß ich, wo Can ist. "Du bist da", seufzt er und umarmt mich. "Er ist gerade total launisch, nimm nichts persönlich, okay?" Ich nicke und presse meine Lippen aufeinander. "Viel Glück bei deiner Prüfung." "Danke, Shana." Ramazan lächelt aufmunternd und verlässt die Wohnung. Jetzt sind nur noch Can und ich da. Etwas zögernd und mit einem beschleunigtem Herzschlag drücke ich die Klinke runter und sehe, wie Can auf dem Bett sitzt. Seine Ellenbogen sind auf seinen Knien abgestützt und sein Blick ist trist. Als ich die Tür schließe, bemerkt er meine Anwesenheit und schnaubt. "Geh", kommt es kalt von ihm. Vorsichtig laufe ich einen Schritt auf das dunkle Bett zu. "Shana, geh." Einfach ignorieren. Wie soll ich ihm bloß helfen? "Ich habe gesagt, du sollst gehen!", sagt Can harsch und zeigt mit einer barschen Handgeste zur Tür, was mich zusammenzucken lässt. Seine Augen sind etwas blutunterlaufen und es zieren Augenringe sein Gesicht. Er muss wohl die ganze Zeit wach geblieben sein. Ich schlucke und laufe einen weiteren, kleinen Schritt auf ihn zu, weswegen er aufsteht und sich anspannt. Mein Herz schlägt vor Angst schneller. Can könnte jetzt alles machen und sagen, so aufgebracht ist er. Aber er meinte doch selber, dass er mir nie wehtun könnte. Mit festen Schritten stelle ich mich vor ihn hin, werde aber bei jedem seiner Blicke unsicherer. "Du sollst gehen, verstehst du das nicht?", faucht er. Seine Präsens verängstigt mich etwas. Das weiß ich, weil mein Herz schneller schlägt. Was, wenn ich alles verschlimmere? Nachdenklich fahre ich mir über meine Unterlippe und will vorsichtig nach seiner Hand greifen, die er dann wegzieht. "Was willst du hier?", faucht er mich an, woraufhin ich einfach nur auf den Boden schaue. Ich darf jetzt nicht ausrasten, Can ist gerade einfach ein emotionales Wrack. Er packt mich an meinen Oberarmen und zieht mich rabiat nach vorne. Ich keuche erschrocken auf. "Du sollst gehen, dich brauche ich nicht", kommt es kalt, schon fast unterkühlt von ihm, was mich zusammenzucken lässt. Ich presse meine Lippen aufeinander und nicke einfach nur. Ich muss mich zügeln und seine scharfe Zunge einfach passieren lassen, egal wie sehr es mich gerade auch trifft. Grob greift Can nach meinem Kiefer und hebt ihn schnell an, weswegen ich schon wehmütig in seine gelben Augen schaue und meine Hand um seine schließe. Er spannt seinen Kiefer an und lässt meinen dann los. Als ich realisiere, dass er aus dem Zimmer gehen will, renne ich zur Tür und schließe sie ab. "Shana, hör auf mich zu reizen!", zischt er und will nach dem Schlüssel greifen, den ich demonstrativ in meinen Ausschnitt tue. Er schaut mich entsetzt an und fährt sich dann genervt durch seine Haare. "Hol den Schlüssel raus!", befiehlt er und hält meinen Oberarm fest. "Shana, du nervst mich gerade so stark, dass ich am liebsten alles kaputt machen würde, jetzt schließ diese gottverdammte Tür auf und geh!", brüllt er zu Letzt. Nimm nichts persönlich, Shana.

Ich schließe ganz fest meine Arme um ihn und hoffe, dass der Griff so stark ist, dass er mich nicht wegschubsen kann. "Es wird schon wieder", flüstere ich und schließe meine Augen, lausche seinem Herzschlag. Er macht nichts dagegen, er rührt sich nicht. Nur sein Brustkorb, der sich hebt und senkt und sein Herzschlag, der sich langsam beruhigt - er beruhigt auch mich. Meinem Stolz kommt das Ganze so falsch vor. Er hat mich doch angeschrien, er will mich eigentlich nicht hier haben und trotzdem bin ich nicht gegangen. Ich bin mir sogar zu hundert, nein, zu tausend Prozent sicher, dass, wenn es nicht Can wäre, ich schon längst gegangen wäre. Bei Can kann ich einfach nicht anders. Ich fühle so anders bei ihm, ich handele so anders bei ihm. "Shana", flüstert Can. Er beruhigt sich wieder. Meine Stirn lehne ich gegen seine Brust und schmiege dann ich meine Wange wieder gegen sie. Diese Wärme lässt mich entspannen, mich wohlfühlen. "Oh Gott", flüstert er und legt eine Hand auf meinen Rücken und die andere auf meinen Kopf, wo er langsam auf und ab streicht. "Ihm wird es wieder gut gehen", flüstere ich und atme seinen Eigenduft ein. Beruhigend fahre ich seinen breiten Rücken auf und ab, bevor ich mich langsam von ihm löse und ihm ein kleines Lächeln schenke. "Setz dich." Mit einer Hand, die noch auf seinem Rücken liegt, bewege ich ihn auf sein Bett und fahre ihm durch seine leicht zerzausten Haare. "Willst du etwas trinken?", frage ich, woraufhin er leicht nickt. "Wasser, bitte." Ich nicke und laufe dann zur Tür, die ich aufmachen will, aber vergessen habe, dass ich sie abgeschlossen habe. Langsam hole ich den warmen Schlüssel wieder raus und schließe die Tür auf, gehe in die kleine Küche und hole aus dem Kühlschrank eine offene Wasserflasche raus, gefolgt von einem Glas, woraufhin ich schnell wieder in sein Zimmer gehe. Ich stelle Glas und Flasche auf den kleinen Tisch neben sein Bett und knie mich hin. "Danke", kommt es rau von Can, als ich ihm das Glas gebe und er es fast austrinkt. "Trink den Rest bitte aus." Ich schaue etwas verwirrt zu ihm. "Ich mag es nicht, wenn da noch etwas drinnen ist." Ich nicke kurz und trinke den Rest aus. Ich bleibe immer noch auf dem Boden sitzen und schaue mir Cans müdes Gesicht an. "Wann bist du in die Klinik gefahren?", frage ich ihn vorsichtig, woraufhin er seufzt. "Das war um 02:27 Uhr. Ich bin kurz vor vier dort angekommen, meine Mutter war total verweint-," Er redet nicht weiter, sondert atmet tief aus und fährt sich über sein Gesicht. Ich lege meine Hand auf seinem Knie ab und fahre sanft darüber. Can streicht sich über sein linkes Auge und hält sich dann sein Nasenbein. "Sie hatte totale Angst. Er soll wohl mitten in der Nacht aufgestanden sein, gezittert und geschwitzt haben." Typisches Symptom bei einem Myokardinfarkt. "Hast du ihn sehen können?", frage ich heiser und schlucke. Ich mag es nicht, wenn Can melancholisch ist. "Nein." Er schaut mich erschöpft an und fährt mir durch meine Haare. "Meine Mutter meinte, ich sollte nach Hause und schlafen. Sie wollte nicht, dass ich ihn sehe, da ich es nicht gut vertragen würde." Sie hat Recht. "Ist er noch in der Klinik?" Can nickt. "Er wird dort vorerst bleiben und steht unter Beobachtung." Er schaut müde auf den Boden und schließt kurz seine Augen. Meinen Kopf lege ich auf sein Knie und fahre wieder beruhigend sein Bein auf und ab. Es ist still und gegen diese Stille kann man nicht vieles ausrichten. Sie ist voller negativer Gedanken und Hoffnungen, aber irgendwie fühle ich mich gerade auch geborgen. Wir sind beisammen - etwas harmonisch, wenn man die schlechte Nachricht vorweg lässt. "Geht es dir etwas besser? Liegt dir noch etwas auf dem Herzen?", frage ich und hebe meinen Kopf an. Can lächelt mich müde an, was ich erwidere. "Nein, danke", seufzt er und fährt mir durch mein Haar, weswegen ich mein Kopf wieder aus sein Knie ablege.

Ich höre, wie jemand die Tür aufschließt und leise Schritte ansetzt, bis dieser Jemand die Tür langsam öffnet und sich als Malik entpuppt. Ich schenke ihm ein Lächeln, was er erwidert. "Ich mache dann mal was zu Essen", gibt er Bescheid und schließt wieder die Tür. "Setz dich lieber aufs Bett, der Boden ist kalt." Can zieht mich hoch und setzt mich neben sich aufs Bett. "Shana?", flüstert er rau, weswegen ich zu ihm schaue. "Danke." Er lehnt seine Stirn gegen meine und zieht mich näher an sich. "Danke." Er legt seinen Kopf in meine Halsbeuge, weswegen mich ein wohliger Schauer übermannt. "Ich war so scheiße zu dir und du bist nicht gegangen." Ich weiß ehrlich nicht, was ich sagen soll. Ich finde es faszinierend, dass jemand mit einem so großen Ego sich entschuldigt, denn ich weiß, dass solche Menschen sich nicht gerne oder immer entschuldigen. "Es ist okay, du warst so aufgebracht." Ich fahre ihm über seinen Rücken und genieße heimlich seine Berührungen. "Trotzdem, auch davor. Wegen mir haben wir mehrere Monate über nicht geredet, weil ich mich nicht unter Kontrolle halten konnte. Verzeih mir ein weiteres Mal." Die Tatsache, dass Can wieder um meine Vergebung bittet, lässt meinen Brustkorb vibrieren. Es fühlt sich so gut an, dass er mir seine verborgene Seite zeigt. "Ich verzeihe dir, keine Sorge", wispere ich und halte den Kragen seines Pullovers fest. Kaum zu glauben, dass ich einmal gesagt habe, dass ich niemals verzeihe, aber da habe ich Can noch nicht kennengelernt. Ich spüre, wie seine Gesichtsmuskeln sich bewegen: er lächelt. Ich winde mich etwas, da seine Bartstoppel mich kitzeln. Langsam lösen wir uns voneinander und schauen uns lächelnd an. Sein Blick wird ernster, weswegen ich schlucke. "Alles okay?", hauche ich, woraufhin er nickt. "Alles bestens", flüstert er und lehnt seine Stirn gegen meine. Das beruhigt ihn immer. Ich hebe meinen Kopf etwas an, um ihn in seine Augen zu schauen. Die Augen, die ich seit einigen Monaten wieder sehen kann und die eine Art Nostalgie hervorrufen. Seine Augen bohren sich in meine und führen dazu, dass ich in einen Bann falle. Ich will nirgendwo anders hinschauen, als in das Gelb seiner Augen. "Kennst du das Gefühl der Sehnsucht, Shana?", haucht er. Ich nicke zögernd und lecke mir über meine Lippen, da sie plötzlich wie ausgetrocknet sind. "Ich auch", flüstert er gegen meine Wange, über die er sachte mit seinem Daumen streicht. Meine Hände liegen auf meinem Schoß und regen sich nicht, genau wie der Rest meines Körpers. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um sie irgendwie nicht austrocknen zulassen; ein Zeichen, dass ich mich immer noch bewegen kann. Ruhig, Shana. Ich schlucke und bewege leicht meinen Kopf. Unter Kontrolle habe ich mich also doch noch. Diese Spannung erinnert mich an früher. Sie war sehr oft und stark zu spüren. Sie war nie erloschen. Can senkt seinen Blick auf meine Lippen, die einen spalt weit geöffnet sind und nähert sich mir langsam. Mit einem etwas zittrigen Atem lege ich meine Hände neben meinem Körper an, lehne mich aber nicht nach hinten, was ich sonst doch immer getan habe. Was ist los mit mir?! Er presst kurz seine Lippen aufeinander, bevor er sich wieder einige Millimeter auf mich zubewegt.

Es klopft an der Tür, weswegen ich mich wieder bewegen kann und sofort aufstehe. "Alles in Ordnung?", fragt Malik, der seinen Kopf durch die Tür steckt. "Ja. Ja, alles bestens." Ich atme kaum vernehmbar aus. "Gut, kommt essen." Ich gehe sofort mit Malik in die Küche und setze mich. "Wann kommt Ramazan?" Ich bräuchte jetzt wirklich jemanden, der mich auflockert. "Er müsste in einer Stunde kommen." Ich nicke und stehe auf, um Malik zu helfen. Wir richten alles an, woraufhin Can dann ebenfalls in die Küche kommt und sich neben mich setzt. Ja, das hat mir noch gefehlt. Ich habe es einfach zugelassen, dass er mich geküsst hätte. Bin ich völlig irre geworden? Tief im inneren wolltest du es. Ich kann es mir nicht erklären. Es waren die Erinnerungen, die in meinen Gedanken waren, die alles verschönert haben. Mag sein, dass ich es teilweise wollte, doch ich weiß ganz genau, dass ich es beim nächsten Streit bereuen werde. Er hätte mir nämlich meinen ersten Kuss genommen. "Shana, iss doch etwas", kommt es von Malik, der mich etwas fragend anschaut. Mir wurde schon etwas auf den Teller gegeben und außerdem steht ein Glas, gefüllt mit Cola neben mir. Langsam beginne ich zu essen, doch kann nicht bei der Sache bleiben. Ich muss immer wieder an gerade eben denken. Hätte Malik bloß nicht geklopft, dann wäre es passiert. Hätte er nur Sekunden später geklopft, hätte ich meinen ersten Kuss gehabt. Es war gut, dass Malik geklopft hat. Wir räumen ab, woraufhin ich mich bereiterkläre, das Abspülen zu übernehmen. "Shana, du bist unser Gast. Das kommt nicht in die Tüte." Finster schaue ich zu Malik. "Malik, ich will spülen und wenn ich etwas will, dann sollte man sich nicht in meine Quere stellen. Ich kenne mich nämlich ziemlich gut mit dem menschlichen Körper aus." Ich nicke bekräftigend, was Malik schmunzeln lässt. "Okay, falls etwas ist: ich bin in meinem Zimmer am lernen." Er geht in sein Zimmer, sodass nur noch Can und ich wieder alleine sind. Ich spüle die Teller ab und mir fließen dadurch einige Wassertropfen den Arm hinab, was wenig später anfängt zu jucken. "Wo sind die Küchentücher?, frage ich und schalte die Spüle ab. "Warte." Can steht auf und holt aus dem Schrank - an dem ich sowieso nicht rangekommen wäre - eine Rolle raus und reicht sie mir. "Danke." Ich trockne meine Hände und meine Unterarme ab und kratze mir dann die betroffene Stelle. "Was ist los?", fragt Can und inspiziert mein Handgelenk. "Schon wieder? Lass das Spülen sein, ich übernehme den Rest." Ich will widersprechen, als Can seine Hand auf meinen Mund legt. "Ich spüle, du sitzt. Haben wir uns verstanden?" Ich schüttele stur meinen Kopf. "Dann musst du es lernen." Meine Augenbrauen ziehen sich verwirrt zusammen. Erst als er loslässt und nach meinen Beinen greifen will, verstehe ich. "Okay, okay! Hab's verstanden", murmele ich und setze mich hin. Can krempelt die Ärmel seines dunkelblauen Pullovers hoch, der ihm ausgezeichnet steht und betätigt die Spüle. Bevor er seine Hände unter das Wasser hält, hält er mir seine linke Hand hin. "Kannst du mir die Uhr abmachen?" Ich nicke und öffne seine schwarzmatte Uhr. "Hugo Boss." Ich ziehe verblüfft die Augenbrauen hoch und schaue auf das schwarze Haargummi. "Das auch?" Ich tippe auf das schwarze Band, woraufhin er seinen Kopf schüttelt. "Schiebe es nur etwas hoch." Ich tue was er sagt und frage mich, wieso er es nicht abnehmen will. Mit der Uhr in der Hand setze ich mich und fahre das glatte Leder des Uhrenarmbandes nach. "Wie war der Präp-Kurs?", fragt Can mich. "Gut, ich durfte heute an den Eingeweiden arbeiten. Ich wusste sogar weswegen die Frau gestorben ist. Es war eine sehr ausgeprägte Peritonitis, das hättest du sehen müssen." Das Letzte hätte ich mir sparen können. "Entschuldige." Ich presse meine Lippen aufeinander. "Macht nichts. Hast du es einem Dozenten erzählt?", fragt er mich. "Ja, er war beeindruckt." Ein stolzes Lächeln ziert, wie heute Mittag, meine Lippen. Mein Blick fällt auf Cans Unterarme, an denen Adern herausstechen, was wirklich gut aussieht. "Gut." Can schaltet das Wasser ab und trocknet seine Hände ab. "Sollen wir ins Zimmer?" Ich nicke und laufe ins Zimmer zurück. "Ist die Heizung an?", frage ich, da es mir kühler, als vorhin vorkommt. "Warte, ich mach sie an." Ich nicke und gehe an seine Kommode, wo Parfüms, anderes Zeugs und vor allem sein Schmuck liegt. Seine Uhr lege ich hin zu seiner anderen Uhr und stütze meinen rechten Ellenbogen ab. Ich fahre mit meiner Hand über das geflochtene, dunkelbraune Lederarmband, gefolgt von einer silbernen Stahlkette, an der eine Patrone hängt. Ich schaue zu seinen Ringen und sehe wieder den silbernen Ring, den er schon einmal getragen hat. Daneben ist einer, der in der Mitte von einer kleinen Stahlkette umrundet ist. Sie ist zwar schlicht, dennoch maskulin. "Der ist schön", sage ich und nehme den silbernen Ring, der einen Löwenkopf an sich trägt, in die Hand. "Und schwer", stelle ich fest, aber bin mir sicher, dass Cans Ringfinger genau so stark ist, wie all meine Finger zusammen. Der Löwe erinnert mich an sein Tattoo, nur dass bei diesem Löwen keine Blüten, sondern Federn das Haupt verzieren. "Shana?" Ich nicke kurz und revidiere den Ring weiter. "Ich weiß, dass du gerade sehr mit dem Schmuck beschäftig bist, nur ist das Zimmer sehr klein und ich will dich nicht in eine missliche Lage bringen, also könntest du bitte kurz deinen Hintern zur Seite nehmen, damit ich durch kann?" Mir steigt sofort die Röte ins Gesicht. "Natürlich", flüstere ich und stelle mich steif hin. "Danke", säuselt er belustigt und läuft an mir vorbei zu seinem Schrank. "Dein Schmuck ist ja nur silberfarbig, abgesehen vom Leder", stelle ich fest. "Wer als Mann Gold trägt, ist für mich schwul." Ich muss schmunzeln. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Silber eher zu Männern passt, als Gold. Ich muss immer an Zuhälter denken, schmierige Bosse oder Mafiosos.

Ich drehe mich zu Can, der mit dem Rücken zu mir steht und den Schrank geöffnet hat. Er greift nach dem Saum und zieht sich den Pullover über den Kopf, weswegen ich meine Lippen aufeinander presse und mir diese ausgeprägte Rückenmuskulatur anschaue, die er auflockert. Die Linie der Wirbelsäule ist gut erkennbar, genau wie seine Trapezmuskel. Dieser Junge hat viel an Masse zugenommen, was ein göttlicher Anblick ist. Mein Blick fällt zu Letzt auf seine Narbe, bis sein weißes T-Shirt mir die Sicht verdeckt. Ich schaue in sein schelmisches Gesicht und versuche nicht zu erröten. "Und? Was hast du dir den so angeschaut?", fragt er neckend und gähnt. "Einen Musculus trapezius und einen Muculus latissimus dorsi." Ich setze mich auf sein Bett und schaue ihn lächelnd an. "Und wie sahen sie aus?", fragt er schmunzelnd und stellt sich vor mich. "Ganz okay." "Ach, ist das so?" Ich nicke bekräftigend. Can verdreht belustigt seine Augen und setzt sich neben mich. "Wo bleibt Ramazan?", frage ich. "Er ist nach der Prüfung mit einen Kollegen essen gegangen. Er albert bestimmt noch herum." Ich kann mir gerade nur zu gut vorstellen, wie Ramazan durch die Straßen Hamburgs hampelt und dabei anzüglich mit seinen Augenbrauen wackelt. Es klopft an der Tür, wo sich ein brauner Haarschopf zeigt. "Wenn man vom Teufel spricht", gebe ich schmunzelnd von mir. "Alles okay bei euch?", fragt er vorsichtig, woraufhin ich nicke. "Gut, soll ich dich jetzt nach Hause fahren?", fragt Ramazan mich. "Okay." Ich stehe auf uns spüre, wie sich Cans Hand um mein Handgelenk schlingt. Er möchte nicht, dass ich gehe. "Ich würde noch etwas bleiben wollen, wenn es euch nichts ausmacht", sage ich und räuspere mich leise. Ramazans Blick huscht kurz zu unseren Händen, woraufhin er lächelt. "Okay." Er zwinkert mir zu und schließt die Tür. "Bleib." Ich schaue zu Can, dessen Blick zu Boden gerichtet ist. "Bleib heute bei mir." Ein wohliger Schauer läuft meinen Rücken hinunter. Ich müsste ihm eigentlich den Vogel zeigen, ihm sagen, dass er sich nichts erhoffen soll, aber ich kann es nicht. Ich will ihn selber nicht alleine lassen, nach der Sache. "Kann man das Sofa ausklappen?", frage ich, woraufhin sich seine Augenbrauen zusammenziehen. "Du willst auf dem Sofa schlafen? Dein Rücken wird schmerzen." Ich kratze mir meinen Kopf. "Wo den sonst?", flüstere ich. Can zeigt auf sein großes Bett. "Da schläfst doch du?" Er nickt. "Das Bett ist über zwei Meter groß. Da passen ein Großer und eine Kleine drauf", nuschelt er am Ende. Wir sollen in einem Bett schlafen? Okay, wir haben schon eins, zwei Mal gemeinsam nebeneinander geschlafen, aber das war mehr oder weniger freiwillig. "Can, was werden dann Malik und Ramazan denken und außerdem-," Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich weiß, dass wir nichts Verkehrtes machen werden, aber es gehört eigentlich nicht zu meinen Moralen, im Bett eines Studenten zu schlafen. Der Student hat dich nach Paris gefahren und dir die schönsten Nackenküsse gegeben, die du jemals bekommen könntest. Okay, meine innere Stimme hat nicht ganz unrecht: wir waren schon oft intim für meine Verhältnisse, aber irgendwie bin ich trotzdem zu prüde dafür. Ich meine, hallo? Keine Erfahrung in diesem Bereich, ich habe mich sehr oft mit ihm gestritten und werde es wahrscheinlich wieder tun und trotzdem will ich hier bleiben. Ja, ich bin der Antagonismus in Person. "Ramazan und Malik werden rein gar nichts denken", versichert er mir. "Aber, was wenn sie-," "Shana, wir alle wissen, wie du bist." Ich presse meine Lippen aufeinander und nicke. Ich mache etwas, wofür mein früheres Ich mich umgebracht hätte, genau wie meine Mutter, aber weder sie noch mein früheres Ich sind hier. "Du bleibst also?", fragt er, woraufhin ich zögernd nicke. In seinen Augen leuchtet Freude auf.

Can steht auf und geht zu seinem Schrank. "Meine Jogginghosen wären viel zu lang für dich. Geht eine Short?", fragt er und hält mir eine graue Short hin. "Ja, passt schon." Ich bin innerlich erleichtert, dass meine Beine rasiert sind. Er gibt mir die Short, gefolgt von einem schwarzen T-Shirt. "Ich lege dir im Bad eine Zahnbürste hin." Ich laufe direkt mit ihm ins Bad, da ich nicht unbedingt will, dass Malik und Ramazan mich in Cans Kleidung sehen. "Für dich extra in pink." Schmunzelnd nehme ich die Zahnbürste und fange an, mir die Zähne zu putzen. Das Bad ist echt niedlich; es ist klein, aber dennoch einladend. Die Jungs haben Geschmack. "Hast du eine Feuchtigkeitskreme? Meine Haut und vor allem meine Lippen neigen dazu auszutrocknen." Er nickt und gibt mir ein Yves Rocher Tiegel. "Die ist echt gut", stelle ich fest, als ich sie auf meinem ganzen Gesicht und auf meinen Lippen auftrage. "Wenn du dich fertig angezogen hast, schließt du einfach die Tür auf, okay?" Ich nicke und husche aus dem Bad, wo ich Malik begegne und schüchtern lächele. "Wir haben einen Übernachtungsgast?", fragt er in einem neckenden Ton. "Möglicherweise." Ich tapse in Cans Zimmer und höre Malik leise lachen. Schnell schreibe ich Saliha, dass ich bleibe und schalte mein Handy aus, da sie mich sonst konsultieren wird und schließe dann die Tür ab, um mich umzuziehen. Die Kleidung lege ich neben das Bett und schließe die Tür auf, bevor ich mich unter die Decke schmeiße. Das Bett ist wirklich groß und seine Kleidung liegt sehr locker. Can kommt ins Zimmer und will die Tür abschließen. "Wieso? Schließt du sie immer ab?", frage ich etwas nervös. Can schaut mich überrascht an. "Nein, ich dachte, dass es dir sonst unangenehm wäre." Er lässt den Schlüssel los und läuft ans Bett. "Es wäre mir unangenehmer, wenn sie abgeschlossen wäre", kommt es heiser von mir. "Okay", seufzt Can und öffnet seinen Gürtel, weswegen ich erschrocken aufschreie. "Was ist los?" Ich drehe mich sofort weg von ihm. "Du schläfst nur in Unterhose?", flüstere ich und spüre, wie mir die Hitze in den Kopf steigt. "Eigentlich schon, diesmal lasse ich mein T-Shirt an." Es ist echt warm hier, verdammt warm! Ich mache sofort die Heizung aus und seufze. Wieso müssen Jungs immer in Unterhosen schlafen? Wegen der ausgeprägten Fettschicht und Muskulatur? Wofür studierst du Medizin? Na ja, bei mir ist es nicht anders, nur werde ich neben Can ganz sicherlich nicht in Unterwäsche schlafen. "Ich mache dann mal das Licht aus", kommt es piepsig von mir. Wenn das Licht aus ist, sehe ich weniger Can in Unterhose und mehr Dunkelheit, ein guter Ausgleich. Für mich wäre es anders herum besser, hehe. Mit einem mulmigen Gefühl lasse ich mich aufs Kissen fallen und lege die kühle Decke auf mich. Auch Can kriecht unter die Decke, was ein komisches Gefühl in meinem Bauch hochkommen lässt. "Shana, entspann dich bitte. Alles ist gut." Ich nicke, doch das mit dem Entspannen klappt nicht so gut. Er nimmt meine Hand und hält sie sich an seine Brust. "Ich schätze es wirklich sehr, dass du hier bist." Mit seinem Daumen fährt er über meinen Zeigefinger. "Ich tue dir nichts. Wir haben doch schon einmal so etwas erlebt, weißt du noch?", fragt er und zieht mich etwas näher, weswegen ich die Luft anhalte. "Im Krankenhaus?" Ich nicke und erkenne ein Lächeln. "Aber da hast du mich ins Bett gelegt." Er zuckt mit seinen Schultern. "Wir waren trotzdem zusammen bei aneinander. Das vergesse ich nie", gesteht er. Glaub mir, Can. Ich auch nicht. "Das war ein schlimmer Tag." Ich erinnere mich, als ich ins Krankenhaus gerannt bin und Can völlig am Ende gesehen habe. "Hoffentlich passiert es nie wieder", flüstere ich und ziehe meine Beine etwas an. "Komm näher, sonst fällst du noch aus dem Bett." An meinen Händen zieht er mich langsam näher, sodass ich schon seine Beine an meinen spüren kann. "Wärst du nicht hier, würde ich nicht schlafen können", murmelt er in mein Haar, was mir eine Gänsehaut bereichert. Meine Hand, die er an seine Brust gezogen hat, lasse ich dort, auch wenn seine Hand schon lange nicht mehr dort ist. "Ich habe dich so schlecht behandelt, dich abgewiesen. Wieso bist du nicht gegangen?", fragt Can und spielt mit meinen Haaren. "Ich weiß es nicht", setze ich an. "Ich konnte dich nicht alleine lassen." Ich schaue in sein Gesicht, dass nur leicht von dem Mond beleuchtet wird. Ein Lächeln breitet sich bei ihm aus und seine Hand, die gerade noch mit meinen Haaren beschäftig war rutscht zu meiner Wange. Seine Lippen legen sich auf meine Stirn, was mir einen kaum vernehmbaren Seufzer entfliehen lässt. Diese besondere Art von Kuss habe ich vermisst. Es hat und fühlt sich immer noch so gut an. Ironie des Schicksals. Immer wieder kommen wir zusammen, egal wie stark der Streit ist, wie lange wir nicht mehr mit einander reden, das Schicksal hat immer einen Plan, wie wir wieder zusammen kommen. Ich kann ihn also doch so stark hassen, wie ich will, doch am Ende hat mir mein Verstand diesen Hass nur eingeredet. Tief im inneren sehne ich mich doch wieder nach ihn. Gerade jetzt hoffe ich, dass er immer noch diese Gefühle für mich hegt, denn langsam muss auch ich einsehen, dass er mich nicht ganz unberührt lässt. Ich rutsche näher an ihn heran und lege meinen Kopf auf seiner Brust ab und schließe seufzend meine Augen.

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