Kapitel 54

Samstag, 25. März

Voller Aufregung stehe ich auf, frühstücke und lerne etwas, bevor ich mich duschen und rasieren gehe. Ich bin total aufgeregt. Verdammt, meine Knie zittern schon vor Angst. Verdammt! Was, wenn Can es bemerkt? Er weiß doch, wie sich benommene benehmen! Und bestimmt auch, wie sie riechen. Was soll ich machen?! Verdammt! Egal, das kriege ich schon irgendwie hin. Hoffentlich. Wir haben gerade erst 14:10 Uhr. Ich habe also genügend Zeit, um mir ganz viele Monologe und Dialoge zu erstellen. Unter der Dusche geht sowas immer am besten. Ich nehme eine etwas komische Haltung ein und lache schon von alleine, da ich mir so dumm vorkomme. "Hi", kichere ich. Gott, bist du gestört. Ich beiße mir kopfschüttelnd auf die Unterlippe und bringe mich ins Schwanken. Ich muss mich perfekt als Betrunkene benehmen! Ich kann also so rücksichtslos und unverschämt sein, wie ich will, da ich ja nicht ganz bei Sinnen bin. Unverschämt kann ich sein, hemmungslos auch. Das kann ja nicht schief gehen, wenn ich mich schief benehme! Ich habe mir sogar Videos von Betrunkenen und Leuten nach einer Operation angeschaut. Ich habe sie analysiert, damit ich weiß, wie ich mich zu benehmen habe. Als ich die Patienten nach ihrer Weisheitszahn-OP gesehen habe, habe ich mich geschämt. Und da Can mir erzählt hat, was ich gemacht habe, schäme ich mich umso mehr. Nur muss ich jetzt aufpassen, dass ich mich genau so wie damals oder schlimmer benehme, da Can jetzt weiß, wie ich drauf bin, wenn ich benommen bin. Um 15:05 Uhr steige ich verschrumpelt aus der Dusche, da ich gefühlte hundertmal nachrasiert habe. Im Zimmer hocke ich nun mit einem riesigen Knoten im Magen, einem oversize T-Shirt und einer Unterhose. "Und jetzt?", frage ich mich selber. Ich husche in das Zimmer der Mädchen, die mich überrascht ansehen. "Heute auch was vor?" Schmunzelnd zucke ich mit meinen Schultern. "Ihr geht also auf die Party?" Beide bestätigen es und schauen mich hoffnungsvoll an. "Du auch?", sagt Saliha, was ich jedoch verneine. "Aber ich bräuchte eins deiner süßen Kleider. Dein Kleid hast du dir ja schon rausgesucht." Ich bediene mich an Salihas Kleiderschrank, wo ich jedoch nicht fündig werde. "Ach! Ich habe ja noch meins!" Ich renne in mein Zimmer, obwohl ich noch total viel Zeit habe und hole mein knielanges, schwarzes Kleid raus. Das Kleid hat es mir angetan, da es über der Brust ein schwarzen Netzstreifen hat, genau wie über den Knien. Außerdem liegt der Stoff ab der Taille locker und es ist langärmlig. Es ist verdammt süß! "Okay!" Ich hole unter meinem Bett meine Boxen hervor. Zwar bin ich nicht der Mensch, der gerne Feiern geht, aber da meine Mutter mich gerne immer irgendwo hingeschleppt hat, musste ich mir leider Gottes High-Heels kaufen. Außerdem habe ich manchmal einfach so welche gekauft, da sie einfach wunderschön aussehen, also hat sich schon eine kleine Sammlung angesammelt. Meine roségoldenen Wedges hole ich raus und seufze, als ich sie sehe. Ich musste sie haben. Als ich sie gesehen habe, war es mir egal, ob ich sie je anziehen werde oder nicht. Ich mochte schon immer ausgefallene Kleidung oder Schmuck, da ich so heraussteche.

Da mich die Lust greift, ziehe ich die Schuhe sofort an und stolziere mit ihnen durch die Wohnung. "Ihr müsst mich schminken." Beide schauen sich pervers grinsend an. "Heute wird es wohl richtig zur Sache gehen", gluckst Saliha, was ich ihr innerlich bestätige. Ich setze mich zu Ranja aufs Bett, woraufhin sie mir auf meinen Oberschenkel klatscht. "Sexy." Sie grinst mich an und wackelt mit ihren Augenbrauen. "Geht es heute zu einem Medizinstudenten?" Saliha fängt auffällig an zu husten. "Doktorspiele." Gemeinsam fangen wir an zu lachen. Allein, wenn ich an ihn denken muss, werde ich nervös und bekomme Herzrasen. Tachykardie nur wegen Can. "Und geht ihr in Begleitung?", wechsele ich schnell das Thema. Saliha lächelt verträumt, also gehe ich davon aus, dass sie und Malik ihren Spaß haben werden. "Und du? Doch wieder Nadim?" Ranja wird rot. Schafft es wirklich jeder eine Beziehung zu führen, außer ich?! "Wenn Can euch irgendwie fragt oder die Jungs, dann sagt ihr, dass ich da gewesen war und gegangen bin. Ihr sagt auch, dass ich getrunken habe." Beide sehen mich verwirrt an. Ich werde ihnen nicht sagen, dass ich in Can verliebt bin, da mein Nachtragen wieder zurück ist. Sie haben mir erst später von ihren Beziehungen und der Anfangsgeschichte erzählt, also tue ich es auch. "Was hast du vor?" Ich zucke mit meinen Schultern. "Macht es einfach." Ich lächele vor mich hin und versuche meinen Herzschlag zu regulieren. Das wird das wohl dümmste sein, das ich je gemacht habe. Aber man muss auch mal etwas riskieren. "Geht es zu Aykan oder doch zu Can?" Ich zucke wieder mit meinen Schultern. "Das tut nichts zur Sache", summe ich und sehe mir die Schminke der beiden an. Ich habe mit meinen zweiundzwanzig Jahren immer noch keine Schmink Ausstattung, beziehungsweise Mascara, Concealer oder Lippenstift. Dementsprechend kann ich mich auch nicht wirklich schminken. Ich kann mir zwar Lippenstift und Mascara auftragen, aber allein wenn ich mir den Eyeliner ansetze sieht es schon katastrophal aus. Also lasse ich einfach Saliha und Ranja ran, auch wenn es nur der Eyeliner, Lippenstift und vielleicht noch die Mascara ist. Dieses Konturieren brauche ich dank meiner Mutter nicht, da ich ihre Wangenknochen abgekommen habe. Und diese Lidschatten würde ich eh nur verschmieren, da ich mir meine Augen reiben müsste. Wenigstens kann ich mir meine Nägel lackieren und das sehr gut. Das ist das Einzige, was für mich zählt. "Und wie lange bleibt ihr?", frage ich die beiden. "Weiß ich nicht, aber bis nach Mitternacht bestimmt." Ich seufze augenverdrehend auf Ranjas Antwort. "Was ist so spaßig daran mit hundert anderen in einem Raum zu sein, voll geschwitzt und betrunken. Was macht ihr, wenn euch einer ankotzt?" Ein kurzes Lachen entkommt mir. "Also, da ich mit Malik bin, werde ich mich an ihn kuscheln, mich an ihn ranmachen, mit ihm tanzen. Ich habe Malik und wenn Malik mich ankotzt, dann werde ich zurückkotzen", erzählt mir Saliha, woraufhin wir anfangen zu lachen. "Also Ranja wird schön tanzen", sagt Ranja, von der ich schon erwartet habe, dass sie nicht still sitzen wird. Sie liebt es zu tanzen. "Mit Nadim", huste ich. "Eng aneinander", hustet Saliha nun. "Ramazan kommt auch?" Saliha nickt. "Mit Meryem. Ich gucke mal, ob sie nett ist", sagt Saliha. "Sie ist nett, meinte Ramazan. Er meinte, sie sei fast so aufgedreht, wie ich." Beide Mädchen heben ihre Augenbrauen. "Na dann", sagt Ranja und steht auf. "Tun dir nicht die Füße weh?" Ich habe meine High-Heels schon längst vergessen. "Ouh, nein." Ich lächele. "Ich gehe dann mal was zu Essen machen." Sie hüpft in die Küche, während ich Saliha grinsend ansehe. "Warte!" Schnell laufe ich in mein Zimmer und komme mit meinen roségoldfarbenen Nagellack und dem Unterlack zurück. "Erzähl mir mehr von dir und Malik." Ich fange an mir meine Nägel mit dem Unterlack zu lackieren und höre Saliha aufmerksam zu. "Was soll ich schon sagen?", gibt sie mit einem schüchternen Lächeln von sich. "Na, was habt ihr schon so getrieben?" Ich huste einmal auffällig und sehe sie schelmisch an. "Wir gehen halt raus, essen, spazieren. Gott, Shana, er ist so süß!" Sie schnappt sich ihr Kissen und umklammert es. "Einfach seine Art! Er nimmt sich so viel Zeit für mich und ist so lieb und so ruhig und ich könnte ihn aufessen!" Sie schreit freudig in ihr Kissen, was mich lachen lässt. Sie hat so Glück, dass sie jemanden hat, der sie liebt. Wieder hakt der Fakt auf mir herum, doch ich will Saliha zuhören und mich für sie freuen. "Immer wenn ich in seine Augen sehe, dann bin ich weg. Sie sind so schön! Sie sind blau-grün und machen ihn noch hübscher, als er schon ist", seufzt sie. Bei Can ist es genau so. "Es ist wunderbar, Shana. Wenn du dich verliebst, dann wirst du auf Wolken schweben." Leider bin ich auf einer sehr dünnen und grauen Wolke. Ich schlucke und setze ein Lächeln auf, bevor ich mich meinen Nägeln wieder widme. "Hast du bis jetzt wirklich keinen im Blick?", fragt Saliha mich und schmollt leicht. "Nein", flüstere ich und lächele wieder kurz. Ich habe zwar jemanden, doch er empfindet nicht gleich. "Es dauert halt bei mir. Außerdem ist es wegen dem Studium sehr stressig." Ich hoffe so sehr, dass ein Wunder geschieht. Ich wünsche mir nichts sehnlicheres, als dass Can meine Gefühle erwidert. Wie wunderbar es doch wäre. Der Gedanke lässt meinen Bauch kribbeln und beben. In meinem Gesicht zeichnet sich ein zufriedener Ausdruck ab. Es wäre perfekt. "Ich will unbedingt, dass du mit Can zusammenkommst." Ich muss sofort anfangen zu lächeln. Ich auch, Saliha. Ich will es auch. "Komm schon, als ob da nichts läuft! Wie lange geht das denn so? Fünf verdammte Jahre!", faucht sie. "Wir brauchen halt sehr viel Zeit." Ich zucke mit meinen Schultern. "Sieh es doch als etwas besonderes. Sowas erlebt man nicht alle Tage." Sie nickt. "Da hast du wirklich recht. So viele kommen schon nach eins, zwei Wochen oder Monaten zusammen. Und das hält nicht einmal lange an! Ihr aber nicht. Ihr geht alles sehr intensiv an. Das macht sich zu einer schönen Liebesgeschichte." Ich schmunzele. Wie schön wäre es, wenn es wirklich so wäre.

Nachdem wir gegessen haben und irgendwie die Zeit totgeschlagen haben, mache ich mich fertig und lasse mir von Ranja den Eyeliner ziehen. Ich hätte auch einfach ohne hingehen können, aber ich mag es, wenn ich Eyeliner trage. Außerdem... keine Ahnung, ich habe den Drang mich für ihn zurechtzumachen. Kaum zu glauben, dass mich das interessiert. Meine Nervosität steigt immer mehr, sodass ich schon anfange zu schwitzen und mich mit Antitranspirant einsprühe. "Du siehst verdammt sexy aus", schnurrt Ranja und wackelt wieder mit ihren Augenbrauen. "Wäre ich ein Junge, hätte ich dir das Kleid ausgezogen." Wir beide fangen an zu lachen, woraufhin ich den Kopf schüttele. "Würde ich auch machen." Ich schaue mich im Spiegel an und fahre mir durch meine geglätteten Haare. Kaum zu glauben, dass ich so verrückt bin und mich für ein Experiment so aufbrezele. Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb und meine Finger zittern. Ich darf nicht kneifen! Ich werde einfach wie eine Betrunkene sein. Ich war zwar noch nie in meinem Leben betrunken, aber heute werde ich mal so tun und es Can niemals sagen. Was ist denn schon dabei? Ich habe schon viel Schlimmeres gemacht, glaube ich. Ich war zwar noch nie in so einer Lage, aber es gab schon bestimmt Schlimmeres, wie das in der Grundschule zum Beispiel! Als ich mich ausgezogen habe. Das war auch peinlich. Ich schaffst das! Ich straffe meine Schultern und verfalle danach in ein Gelächter. Wie gut, dass ich jetzt schon so hibbelig bin. Als wir ins Auto steigen, gebe ich einen schrillen Schrei von mir und lache dann wieder. Ich bin total aufgedreht, da meine Hormone spinnen. Mein Dopamin ist erweitert, genau wie mein Adrenalin. Ich muss tief durchatmen. "Wo soll ich dich raus lassen?", fragt Ranja mich. Zum Glück fährt Saliha nicht, denn sie kennt den Weg zu Can besser, als Ranja und ist gerade beschäftigt Malik zu schreiben, der sich schon auf der Party befindet. "Ich sage dir schon Bescheid." Ich werde eine Straße früher aussteigen und dann laufen, damit nichts auffällt. Bei jedem Meter, den wir fahren, schlägt mein Herz kräftiger. Ich bin total angespannt und aufgeregt. Ich weiß gar nicht, was ich tun soll, falls Can es auffällt. Oh Gott! Es soll ihm bloß nicht auffallen! Ich habe mir zehn Minzpastillen in den Mund geworfen mit dem Vorwand, ich habe etwas getrunken, was sehr viel Minze getrunken zuhaben. Mojito - das ist mit Minze. Hoffentlich hat es Can noch nicht probiert. Hoffentlich riecht man deswegen stark nach Minze. Wenn nicht, dann behaupte ich einfach, die Minze gefressen zu haben. "Halte hier an." Wieder schreie ich, damit ich lockerer werde und verabschiede mich von den beiden, die dann abbiegen und außer Sichtweite sind. Hibbelig nehme als Probe den betrunkenen Gang ein, der gut funktioniert und finde zu meinem Glück eine leere Alkohol Flasche an der Ecke, die ich mir nehme und freudig auf die WG zulaufe. Mein Herz pocht. Meine Gedanken kreisen sich nur um das, was gleich geschehen wird. Ich darf das nicht verhauen! Wie soll man so etwas überhaupt verhauen? Geht das? Wenn ja, dann bin ich wirklich zu dumm dafür. Aber diesmal darf ich nicht pessimistisch sein. Ich muss voller Freude sein. Da ich schon die Einen oder anderen Glücksausbrüche in Cans Nähe hatte und das wegen meiner Hormone, bin ich mir ziemlich sicher, dass es auch diesmal so sein wird, denn das spüre ich. Ich kriege mein Grinsen gar nicht mehr weg, obwohl ich eher panisch werden sollte oder mir denken sollte, dass das, was ich hier gerade tue, womöglich das Dümmste ist, was man tun kann. Aber wenigstens kann ich dann mal meiner Tochter irgendwann mal erzählen, wie viel Mut ich hatte. Ich betätige die Schelle eines Nachbars und behaupte, dass ich meinen Schlüssel vergessen hätte, damit er die Tür öffnet. Ich dachte, dass sich mein Herzschlag nicht weiter beschleunigen kann, doch da habe ich mich geirrt. Ich stehe jetzt vor der Tür und weiß nicht, ob ich klingeln soll. Ich kann jetzt noch abbrechen. Jetzt kann ich noch abhauen und mir einen neuen Plan einfallen lassen, wie ich Can vielleicht testen könnte. Ich würde aber kneifen. Ich würde vor der Wahrheit wegrennen und das will ich nicht. Mein Finger drückt drei Sekunden lang die Schelle, bevor ich realisiert habe, was ich da gerade gemacht habe. "Scheiße!", zische ich. Als Can dann die Tür auf macht, gibt es kein zurück mehr.

Augen zu und durch!

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