Kapitel 48

Sonntag, 4. Dezember

Nachdem mich Saliha schon fast genötigt hat, mit der Sprache rauszurücken und mich fassungslos angeschaut hat, nachdem ich ihr einfach nur erzählt habe, dass mich die Sorgen wegen den ganzen Klausuren psychisch mitgenommen haben, wollte sie mich fast schlagen. Sie ist der Meinung, dass ich mich zu sehr in das Studium hineinsteigere und vielleicht hat sie recht, vielleicht auch nicht. Ich konnte ihr nicht sagen, dass auch Can ein sehr ausschlaggebender Faktor dafür war. Es hätte sich einfach so falsch angefühlt, wenn ich es erzählt hätte. Ich will nicht schwach rüberkommen, auch wenn Saliha so etwas niemals behaupten würde. Ich will es selber nicht einsehen. Nur bei Ramazan kann ich das. Jedenfalls ist sie jetzt bei Malik, und ich mache mich auf in Ranjas Zimmer. "Ranja?" Sie sieht mich abwartend an. Laut der Schminke zu Urteilen, wird sie weggehen. "Macht es dir was aus, wenn Ramazan hier hin kommt?" Sie schüttelt ihren Kopf. "Sicher?", hake ich nach. "Ja, Shana. Ich bin eh gleich weg." Sie lächelt mich an, was ich erwidere und mich dann wieder in mein Zimmer mache, um Ramazan zu schreiben.

'Wenn du nicht faul bist, dann komm hier hin. Ich erzähle es dir dann.'

'Für dich renne ich um die ganze Welt, meine Habibti.' Ich schmunzele und sende ihm einen Kussmund-Emoji.

Ich wälze mich im Bett und schließe meine Augen. Ich weiß gar nicht, wie ich gleich anfangen soll. Ich wollte Abstand und bin dann zusammengebrochen? Nein, zu ungenau. Ich wollte Abstand und bin wegen Can-Mangel zusammengebrochen? Ist genau dasselbe. Ich habe ihn vermisst und das sehr stark? Das kann ich nicht sagen. Irgendwie werde ich es wohl erklären können! Ich kann komplizierte Abgänge, Begriffe und Krankheiten erklären, aber nicht, was damals mit mir passiert ist? Das kann doch nicht sein. Na ja, irgendwie kriege ich es schon hin. Als Ranja nach zehn Minuten das Haus verlässt, klingelt es schon, weswegen ich zur Tür hüpfe und Ramazan umarme. "Mein Schokohase hat mich vermisst", schnurrt er und zieht seine Schuhe aus. Wir laufen in mein Zimmer, wo Ramazan sich auf mein Bett schmeißt und mich lasziv beäugt. "Raus mit der Sprache", fordert er, weswegen ich mir etwas verlegen eine Haarsträhne hinter mein Ohr streiche. "Na ja, ich bin halt zusammengebrochen." Unbeeindruckt sieht er mich an. "Das habe ich schon mitbekommen, du Blitz." Ich schmunzele und setze mich neben ihn hin. "Mir ging es nicht gut?" Gott, ich bin ja total schlecht, wenn es um meine Probleme geht. "Dann machen wir das Ganze zu einem Psychologenbesuch." Ramazan setzt sich auf den Schreibtischstuhl und schlägt das eine Bein auf das Andere. "Oder lieber nicht", sagt er dann und legt das Bein wieder ab. "Wieso ging es dir schlecht?" Ich zucke mit meinen Schultern. "Warte." Er greift nach meinem Zeichenblock und meinem Stift und sieht mich fragend an. Ich nicke belustigt und warte, bis er fertig ist. "So, beantworte meine Frage." Wieder zucke ich mit meinen Schultern. "Ich war schlecht drauf. Hab viel gelernt, weniger als sonst gegessen und irgendwie nie genügend Schlaf bekommen, egal wie lange ich im Bett lag." Er nickt und schreibt sich was auf. "Gibt es einen medizinischen Fachbegriff für Schlafstörung?" Ich schmunzele. "Schreib Insomnie hin." Er nickt dankend und schreibt sich etwas auf. "Hattest du Albträume?" Ich schüttele meinen Kopf. "Nur Erinnerungen. Doch! Ich hatte einen komischen Traum." Er sieht mich aufmerksam an. "Ich habe geträumt, dass ich schwanger war." Er lächelt mich spitzbübisch an. "Wer war der Vater?" Ich zucke mit meinen Schultern. "War noch jemand in den Träumen? Kannst du dich daran erinnern?" Ich nicke verlegen. "Can", flüstere ich. "Auch in dem Traum, wo du schwanger warst?" Ich nicke. "War er der Vater?" Meine Stirn wird warm, weswegen ich über sie streiche. "Nein, Can war verheiratet. Wir haben uns wie zwei Fremde verhalten und auch so kommuniziert." Er nickt und schreibt sich wieder etwas auf. "Kann es sein, dass es durch etwas, was dir fehlt, was du gesucht hast, dieser Träume entstanden sind?" Verblüfft nicke ich. "Daran habe ich auch schon gedacht." Dass Ramazan einen Psychologen mimen kann, wusste ich gar nicht. "Und das war während der Abstands-Phase zwischen dir und Can?" Ich nicke. "Okay, ich glaube, ich habe etwas." Aufmerksam richte ich mich auf und sehe Ramazan gespannt an. "Du hast ihn vermisst." Mein aufmerksamer Blick fällt langsam. "Du hast zwar gesagt, dass du Abstand willst, kanntest die Folgen jedoch nicht. Du und Can wart das ganze Semester fast über zusammen, da bildet sich eine Verbindung, die ihr auch davor hattet, nur ist sie stärker geworden." Interessiert lausche ich Ramazans Worten, die meinen Gedanken im Oktober ähneln. "Bei Can war es auch so. Er war die ganze Zeit aggressiv. Er hat seine Wut und seine Trauer raus gelassen, du nicht. Du bist um einiges sturer." Er hat recht. Ich lasse die Trauer immer in mir und versuche sie zu einen Teil von mir zu machen. Ich bin alexithymisch und zu gleich ein emotionales Etwas. Meine Seele wäre das emotionale Stück und mein Verstand das alexithymische Stück. Dazu zählt mein Stolz und mein Nachtragen. Gefühlsblind und dabei steht es direkt vor meinen Augen. "Zu deinen Träumen: wie gesagt, du hast ihn vermisst. Bei dem Traum, wo du schwanger warst und Can verheiratet-," Er räuspert sich. "vielleicht willst du genau das." Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. "Es kann ja symbolisieren, dass ein Neuanfang kommt und aus Fremde werden Freunde... und auch mehr." Schelmisch grinst er mich an. "Das kann man schon als Liebeskummer sehen." Empört sehe ich Ramazan an. "Ich liebe ihn aber nicht", murre ich, was ihn schmunzeln lässt. "Du hast Sturismus." Ich ziehe meine Augenbrauen hoch. "Und das Kuh-Syndrom." Ich presse meine Lippen aufeinander, um nicht zu schmunzeln. "Du bist ein Arsch." Er zwinkert. "Und ich habe einen Arsch. Einen dicken, fetten."

"Aber du bist echt gut in sowas. Kam es dir nie in den Sinn, Psychologie zu studieren?" Er schüttelt seinen Kopf. "Chemie ist geiler." Ich verdrehe belustigt meine Augen. "Dann kannst du mir ja in meinen Biochemie Klausuren helfen." Mit einem stolzen Blick legt er seine Hand auf seine Brust. "Ich helfe einer Ärztin", kichert er. "Zeig mal, was du geschrieben hast." Schmunzelnd gibt er mir den Block. Ich dachte, dass hier nur Wörter stehen, aber anscheinend hat Ramazan auch gezeichnet. Unter anderem sich und Can in der 69-Stellung. "Ähm, gibst du Can einen Blow-Job oder er dir?" Ich zeige auf die zweite Zeichnung. Er zwinkert. "Deine Entscheidung", schnurrt er. Ich schaue weiter hoch, wo wirklich Wörter stehen und auch wirklich das, was er auch gerade erzählt hat. Habe bei Shana Insomnie diagnostiziert, steht da, weswegen ich belustigt meine Augen verdrehe. "Soll ich das sein?", gebe ich empört von mir und zeige auf die Kuh mit Bart und Locken. "Ja, schön, nicht wahr?" Ich schmeiße den Stift nach ihm und lege den Block zurück. "Was hältst du denn davon?", fragt Ramazan mich. "Du hast wahrscheinlich recht." Skeptisch beäugt er mich. "Okay, du hast recht. Nur kann ein Teil in mir das Ganze nicht so akzeptieren." Er spitzt seine Lippen. "Kann es sein, dass dieser Teil sich Stolz nennt?" Ich hebe langsam meine Schultern an. "Wohl möglich?", gebe ich mit einem verstohlenem Lächeln von mir. "Irgendwann musst du ihn auch einmal ignorieren." Fragend ziehe ich meine Augenbrauen zusammen. "Na deinen Stolz. Dieser Stolz trägt doch deine Sturheit in sich und dann noch dein Nachtragen. Das steht dir im Weg, irgendwann wirst du es schon erkennen und es wegschmeißen!" Er macht eine starke wegwerfende Bewegung. "Wie in der Oberstufe, weißt du noch? Als Can sich entschuldigt hat?" Der Tag war etwas besonderes. "Can hat seinen Stolz abgeworfen", murmele ich. Das war ein großer Schritt, auch wenn es ein Jahr gebraucht hat. "Ja und du dein Nachtragen, auch, wenn du am Ende etwas rennen musstest." Er lächelt mich an. "Das schaffst du noch einmal." Er setzt sich zu mir aufs Bett und legt einen Arm um mich. "Und wann soll ich meinen Stolz ablegen?", frage ich ihn und lehne mich gegen seine Schulter. "Das wirst du schon wissen." Er drückt mich und quietscht dabei. "Du Kuh." Ich schaue verärgert, aber auch belustigt hoch. "Hast du Hunger?", frage ich, was er mir mit einem Nicken beantwortet. Gemeinsam laufen wir in die Küche, wo auf dem Herd schon die Nudeln im Topf bereitliegen. Wir tun uns jeweils zwei große Löffel in unsere Teller. "Hab gehört, dass du an Silvester nicht da bist", murrt Ramazan und funkelt mich finster an. "Bin bei meinen Eltern. Meine Cousinen kommen." Ich zucke entschuldigend mit meinen Schultern, doch er schnaubt nur. "Sei mir nicht böse, du Dödel." Ich rutsche an ihn heran und esse meine Nudeln. "Was ist das überhaupt zwischen dir und Ranja?" Er zuckt mit seinen Schultern. "Nichts besonderes." Finster sehe ich ihn an. "Ich glaube, es war eine Art Training für mich, damit ich mir wirklich bei der Richtigen sicher bin." Meine Augenbraue hebt sich arrogant. "Du hast meine Freundin also ausgenutz-," "Nein, ich wusste es ja nicht. Es wurde mir im Nachhinein erst klar." Er senkt meine Hand und winkelt die Gabel wieder normal an. "Mit der Gabel isst man. Man sticht seinen besten, hübschen, sexy, intelligenten und süßen Freund nicht damit ab, Shana." Ich hebe entschuldigend meine Hände. "Und da ist jetzt keiner in deinem Blickfeld?" Ramazans Gabel bewegt sich nicht mehr, weswegen ich langsam und mit einem wachsenden Grinsen hochschaue. Ramazan lächelt verlegen und fährt sich durch sein Haar. "Nein", gebe ich freudig von mir, während er verlegen mit seinen Schultern zuckt. "Wer?", quietsche ich, was ihn rot werden lässt. Gott, ist das süß, wenn Jungs verliebt und so schüchtern sind! "Sie heißt Meryem. Sie ist ebenfalls Libanesin und eine der einzigen Mädchen in meinem Studiengang." Er seufzt. "Sie ist so hübsch!" Mein Grinsen vergrößert sich. "Oh Gott!", quietsche ich. "Hast du ein Foto?" Er nickt. "Ich habe sie gestalkt. Ich musste mir einen weiblichen Fake-Account machen." Er zeigt mir Meryem, die dunkles, glattes, schulterlanges Haar hat. "Sie ist süß." Er lächelt verträumt. "Gott, Ramazan. Sie hat es dir echt angetan." Er nickt. "Ja, sie redet auch mit mir. Nur ist sie schüchtern und misstrauisch. Sie hatte einen Hund als Freund, der ihr das Herz gebrochen hat." Frustriert isst Ramazan die Nudeln. "Das hat sie dir anvertraut?" Er schwingt seinen Kopf hin und her. "Na ja, sie und ich haben uns einige Male getroffen - in der Bibliothek. Und sie hat sich immer so distanziert verhalten und ich habe sie dann darauf angesprochen. Sie meinte, dass sie nicht so gute Erfahrungen hat. Der Bastard", knurrt er am Ende, was mich überrascht. Ramazan so zu sehen ist etwas besonderes. Ich hoffe, dass die beiden zusammen kommen werden. Das wird so süß sein. Ramazan wird herumhüpfen und Blumen kotzen. "Ich will jetzt unbedingt, dass ihr zusammenkommt! Ist sie sympathisch?" Er nickt. "Ich habe sie mal mit ihren Freundinnen reden sehen, also nicht, dass ich sie gestalkt habe." Er grinst düster. "Meryem ist sehr sympathisch. Sie ist fast so krank, wie du." Ich haue ihn gespielt beleidigt. "Na dann wird ja alles gut." Wenn sie unsympathisch wäre, dann wäre das Ganze nicht so prickelnd für sie. Und Ramazan würde mir leid tun, da er eine falsche Schlange, als Freundin hat. "Ihr habt meinen Segen." Ramazan lächelt verlegen, woraufhin ich ihm durch sein Haar fahre. "Ihr habt auch meinen Segen." Ich ziehe verwirrt meine Augenbrauen zusammen. "Du und Can." Sofort verdrehen sich meine Augen. "Du weißt, dass da-," "Etwas ist? Ja, ich bin ja nicht umsonst euer beider Psychologe." Ich spitze meine Lippen. "Ich bin auch ein bisschen eine Psychologin!" Beeindruckt sieht er mich an, doch anhand seines Lächeln erkenne ich, dass er mich gerade nicht ernst nimmt. "Wirklich! Ich habe immer noch Psychologie und Soziologie Vorlesungen", gebe ich an und verschränke meine Arme vor meiner Brust. "Das weiß ich, nur hattet ihr das Thema mit den fünf Buchstaben noch nicht, anscheinend." Schnaubend sehe ich ihn an. "Das würde nicht gut gehen zwischen uns", nuschele ich und esse meine Nudeln. "Vielleicht wird ja alles besser, wenn ihr zusammen seid. Dann seid ihr euch mit euren Gefühlen im Klaren, es kommt zu weniger Missverständnissen." Ich zucke mit meinen Schultern. Ich habe keine Ahnung. Wenn es passiert, dann kann ich es eh nicht mehr ändern.

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