Kapitel 3

Mein zweiter Tag als Medizinstudentin beginnt. Bis jetzt läuft alles gut. Bis jetzt hattest du auch nur einen Tag studiert, du Idiotin. Ich habe mich schon von Saliha und Ranja verabschiedet und laufe zu meiner Propädeutik Vorlesung. Keine Ahnung, was das sein soll, aber es hört sich spannend an. HS Zimmer, lese ich und öffne die Tür, wo ich einige Kommilitonen schon auf ihren ausgewählten Plätzen sehe. Ich setze mich wieder in die erste Reihe und muss an die Realschulzeit denken, wo ich mich fast immer um die erste Reihe gekloppt habe, da ich nicht weiter hinten sitzen wollte. Wieder hole ich mir meinen Block und einen Kugelschreiber raus und genehmige mir ein Kaugummi, bevor ich mich nach vorne drehe und mit einer meiner Locken spiele. Die Tür geht auf, wo ich zwei Herrschaften erkenne. Can und Aykan. Aykan lächelt mich freundlich an, was ich erwidere, während ich Can kein Stück beachte. Erst als Can an mir vorbei läuft, kann ich ihn nicht ignorieren, da sein markanter Duft mir in die Nase steigt. Hör auf so gut zu riechen! "Alles gut?", fragt mich Aykan und setzt sich neben mich. "Ja und bei dir?", stelle ich die Gegenfrage und schaue in seine grünen Augen. "Alles bestens." Er lächelt wieder und holt dann seine Unterlagen raus. Scheiße! Ich muss Ranja schreiben! Ich hole schnell mein Handy raus und überrumpele Ranja mit Nachrichten. Ich habe heute wohlmöglich wieder früh Schluss und sie wahrscheinlich wieder um 13:00 Uhr. Hätte ich doch lieber meinen Führerschein gemacht! Ich stöhne genervt auf, was Aykan wohl bemerkt. "Was ist los?" Dafür, dass ich ihn gerade mal einen Tag kenne ist er ziemlich wissensdurstig, was mich anbelangt. Vielleicht sehe auch ich das nur so. "Meine Freundin hat eine Vorlesung, die heute bis 13:00 Uhr geht", murmele ich leicht verlegen. "Wenn du willst, dann fahre ich dich wieder. Ist kein Problem." Beschämt fahre ich mir über meine Wange, während Aykan mich lieb anlächelt. Er erinnert mich an Malik: dunkles Haar, stechende Augen und breit gebaut. Erinnert mich an Can. Okay, stopp! Can ist ein arrogantes Arschloch und Aykan ist super nett, das ist eine gravierende Differenz. Der Professor kommt rein und begrüßt uns alle freundlich. "Die Propädeutik dient zur Einführung in die Sprache und Methodik einer Wissenschaft. Als allgemeine Propädeutik wird die Logik angesehen. Die Propädeutik dient in der Medizin der Vorübung, dem Vorbereitungsunterricht im Sinne der Einführung in die Wissenschaft der klinischen Untersuchung am Menschen, Lehre von der Erkennung und Benennung von Krankheiten, also der allgemeinen Diagnostik", erzählt der ältere Professor uns und schaltet den Beamer an, woraufhin er anfängt uns über die Grundlagen der Anamnese aufzuklären, danach folgt der klinischer Untersuchungsgang und die Pro- und Diagnose. Ich hätte nicht gedacht, dass man auf so vieles achten muss.

Ich laufe aus dem Saal und spüre, wie mein Handy vibriert. Saliha hat mir geschrieben, dass ich in die Mensa kommen soll, die ich nach mehreren Suchereien finde. Seufzend lasse ich mich neben Saliha nieder. "Wie lange hast du heute?", frage ich sie. "Bis 12:45 Uhr, wieso?" Ich mache eine wegwerfende Bewegung. "Schon gut, ich hab noch eine zwei Stündige Vorlesung und dann frei, aber ich werde dann gefahren." Sie gluckst. "Wer fährt dich denn? Can?", neckt sie mich, woraufhin ich ihr gegen die Schulter haue. "Nein, Aykan." Ihre Augenbrauen ziehen sich fragend und verblüfft zusammen. "Erzähle ich dir später", sage ich, als ich einen lächelnden Ramazan sehe, der auf uns zuläuft. "Na, meine Ladys?" Er umarmt uns beide und legt seinen Rucksack ab, bevor er sich auf den Stuhl setzt. "Wie läuft das Studium?", fragt er. "Es hat erst gestern angefangen", gebe ich belustigt von mir und verdrehe meine Augen. "Na und? Ihr Mediziner sitzt doch bestimmt drei Stunden am Tag an euren Zetteln." Ich lächele und schüttele den Kopf. "Bis jetzt ist alles Prima und bei dir?" Ramazan lehnt sich stolz nach vorne, bevor er uns erzählt, wie es ist Biochemischesingenieurwesen zu studieren. "Ich wusste gar nicht, dass man das hier studieren kann", sagt Saliha. "Ich studiere es auch nicht hier. Ich komme nur her, wegen den Naturwissenschaftlichen Vorlesungen, sonst muss ich zur technischen Universität." Überrascht ziehe ich meine Augenbrauen hoch. "Nicht traurig sein, ich bin immer in eurem Herzen." Er zeigt demonstrativ auf seine rechte Brust, weswegen ich ihn korrigiere und seine Hand auf die linke Seite lege, aber eher mittig, woraufhin Saliha und ich lachen. "Immer diese besserwisserischen Mediziner, pff!", kommt es schnaubend von ihm. "Was macht Malik überhaupt?", fragt Saliha leicht schmunzelnd. Sie mag Malik. "Der ist gerade bestimmt in einer Physikvorlesung. Er studiert auch hier." Der Junge hat Mathe und Physik echt drauf, das muss ich ihm lassen. "Wirklich? Wieso habe ich ihn nie gesehen?", kommt es überrascht von mir. "Du bist doch gerade mal einen Tag hier", neckt Ramazan mich. "Seine Vorlesungen haben komische Zeiten. Morgen müsstest du ihn sehen können." Saliha drückt mein Bein unter dem Tisch, da sie sich freut. Das Ganze hat vor ungefähr vier Wochen oder so begonnen. Der Stuhl neben Ramazan wird nachhinten geschoben und an dem hellbeigen Trenchcoat erkenne ich, dass es Can ist, weswegen ich meine Augen verdrehe. Sein Duft nervt mich. "Heute ist eine Erstsemester-Party auf dem Campus", sagt Can mit seiner rauchigen Stimme zu Ramazan. "Dann werde ich dort fett prahlen", lacht Ramazan gehässig, dem ich einen genervten Blick schenke. "Tschuldigung", sagt Ramazan murmelnd, dem ich dann durch seine Haare fahre. "Deine Haare sind dunkler geworden und deine Haut auch", stelle ich fest. "Ja, ich war mit den beiden Idioten im Urlaub. Lloret de Mar, da waren viele Frauen, die etwas von mir wollten, wenn du verstehst." Er lacht leise und verstörend, räuspert sich danach und setzt einen ernsten Blick auf, den er nicht lange halten kann und anfängt mit mir zu lachen. Ranja kommt auf uns zu, die Ramazan und Can freundlich begrüßt und mir ein verstohlenes Grinsen schenkt, bevor sie sich hinsetzt. "Was war los? Du hast mir geschrieben." Ich schüttele den Kopf. "Schon gut, werde schon gefahren." Ich stehe auf, da meine nächste Vorlesung in zehn Minuten beginnt. "Von wem?", höre ich Can apathisch und kehlig fragen. "Aykan", säusele ich und laufe auf den Ausgang zu. Ich suche verzweifelt nach dem Hörsaal, finde ihn aber nicht. Ich drehe mich um, wo ich Aykan mit einem Jungen reden sehe und laufe langsam und schüchtern auf ihn zu, bis er mich bemerkt und ich dann sofort stehen bleibe. "Bis dann", verabschiedet er sich von seinem Kollegen und läuft auf mich zu. Er weiß direkt Bescheid und läuft mit mir zu Hörsaal, wo wir dann wieder Medizinische Soziologie haben.

Als mich Aykan abgesetzt hat, habe ich sofort angefangen zu lernen und gehe den Stoff ein viertes Mal durch, damit ich ihn auch wirklich im Kopf habe. Ich höre, wie die Tür aufgeschlossen wird, woraufhin beide in mein Zimmer stürmen und mich krankhaft angrinsen. "Was habt ihr gemacht?", frage ich direkt und lege meine Zettel weg. Ranja und Saliha kommen Arm in Arm auf mich zu und halten mir einen Flyer vor die Nase. "Nein", gebe ich sofort von mir. "Komm schon, Shana!", bettelt Saliha. "Nein", gebe ich stur von mir und will mir wieder meine Notizen angucken, die mir von Ranja entnommen werden. "Pass auf die Notizen auf!", zische ich schon fast. Meine Notizen sind mein Credo. "Stell dich doch nicht so an, Shana. Ein bisschen Spaß, was ist denn schon dabei?", fragt Ranja und setzt ein unschuldiges Lächeln auf. "Ranja, ich werde nicht auf diese scheiß Erstsemester-Party gehen, Punkt!" Ich hasse es zu feiern, während Ranja das komplette Gegenteil ist. Sie tanzt wo sie will und das gerne. Sie ist eine Tanzmaus und auch durch das Tanzen - was ich eine Zeit lang gemacht habe -, haben wir uns kennen und lieben gelernt. "Shana, bitte! Es ist doch scheiße zu Hause zu bleiben", versucht Saliha es wieder, woraufhin ich meine Augen verdrehe. "Shana, ich hole dir auch etwas von KFC." Meine Augen leuchten sofort bei Ranjas Versprechen, werden aber dann misstrauisch. "Du lügst." Ich lege mich auf mein Bett, was Ranja und Saliha mir nachtun. "Komm schon, Shana! Wir sind hier alleine in Hamburg. Keine Brüder, die uns beschatten können. Wir können Spaß haben!", kommt es wieder von Saliha, deren Stimme ich schon fast ausgeblendet habe. "Kann es sein, dass du dahin willst, weil Malik möglicherweise dort sein wird?" Ich schiele schelmisch zu Saliha, die ihren Kopf schüttelt. "Nein, ich schwöre! Ich will nur etwas Spaß haben." Ranja und ich schauen sie schmunzelnd an. "Okay, ein kleines bisschen!", murrt sie und verschränkt ihre Arme vor der Brust. "Aber das tut jetzt nichts zur Sache, du kommst!", sagt Saliha, die mich hochzieht. "Nein! Was soll ich da? Ich werde nur herumsitzen und andere Leute in meinen Gedanken fertig machen." Wieso will keiner verstehen, dass ich so etwas nicht wirklich mag? "Das ist doch gut! Komm schon, Shana. Es ist scheiße, wenn du zu Hause bist. Wir bleiben nur etwas, versprochen und du kriegst eine Runde KFC von mir spendiert." Ich stöhne genervt auf. "Na schön!" Ich werde es sowas von bereuen.

Ich bereue es jetzt schon. Wir sind zwar gerade erst auf dem Campus und laufen in eine riesige Halle, doch ich spüre, wie die Reue meinen Hals hinaufsteigt. "Ich geh dann mal", verabschiede ich mich, werde aber dann von den beiden zurückgezogen. "Du bleibst, Fräulein!", tadelt Saliha und zieht mich grob am Arm. Während die beiden sich Eyeliner gezogen haben und ihre Lippen dunkel bemalt haben, habe ich einfach die blaue Hose von heute - aufgezwungen - gegen eine weiße getauscht. Ich wollte eigentlich provokativ in einer Jogginghose kommen, aber dann haben die beiden Mädchen mich attackiert. Ich stehe genervt vor dem Eingang, wo Ranja mir aufmunternd zulächelt. "Siehst doch gut aus", sagt sie und zupft am dunkelblauen Hemd, welches mir aufgezwungen wurde. Ich lächele zynisch und öffne die Tür. Ich wünschte, ich hätte es sein gelassen: es ist total stickig da drinnen. Mit einem leidenden Gesichtsausdruck drehe ich mich zu Ranja und Saliha, die mich grinsend reinschubsen. Aus den Boxen dröhnt Fifth Harmonys - Work from home, zudem viele sich komisch und krumm bewegen. Ich steuere direkt auf die leere Bar zu, wo ich mich auf einen der Barhocker setze und den Barkeeper ignoriere. Ich hole mein Handy raus und stelle genervt fest, dass ich in diesem Scheißloch keinen Empfang habe. "Witz!", zische ich und würde am liebsten ausrasten. Diese Atmosphäre gefällt mir nicht. Wieso bin ich hier, wenn die beiden mich doch sowieso schon vergessen haben?! Verdammt! Das hätte ich heute als Argument nehmen können. Ich schaue ein letztes Mal genervt auf mein Handy, bevor ich es in meine Hosentasche packe und meine Ellenbogen auf dem Tisch abstelle, woraufhin ich meinen Kopf mit meinen Händen abstütze. Ich habe Hunger und Durst, obwohl ich vor wenigen Stunden etwas gegessen habe. Von hier hole ich mir ganz sicherlich nichts zu Trinken. Am Ende kriege ich statt Wasser, Wodka. Der Barkeeper legt ein Glas mit brauner Flüssigkeit vor mir ab. Entweder braun oder schwarz. Durch diese ständig wechselnden Farben kann ich es nicht erkennen. "Ich habe nichts bestellt", gebe ich genervt von mir und schaue mit zusammengezogenen Augenbrauen zum blonden Barkeeper. "Ist von Can." Was? "Wie? Was?" Wieso kennt man ihm beim Namen? Er zeigt nach links, wo Can entspannt und zu gleich auch elegant auf dem Sofa sitzt und ein fast leeres Glas in der Hand hält. Seine Augen mustern mich belustig. Ich schiebe das Glas zurück, weswegen etwas Flüssigkeit über das Glas schwappt. "Trink du es", sage ich zum Barkeeper, der verdutzt die Augenbraunen hebt. Ich schaue finster zu Can, der schmunzelt und dann kurz lacht, woraufhin er aufsteht, was ich auch tue und weggehe. Ich will nicht, dass man mir meine Laune noch mehr verschlechtert, als sie es schon ist. Gibt es hier kein Essen? Alkohol ohne Ende, aber das Lebenswichtige fehlt? Schande über alle! Könnte ich Auto fahren, dann wäre ich schon längst über alle Berge! Als eine warme Hand und ein etwas kühles Metall meine Hand anfasst, entziehe ich meine Hand und laufe weiter. Als ob ich mich umdrehe. Ich suche nach einer Küche, aber diese Idioten besitzen so etwas nicht. Alles, was ich sehe sind Menschen, zu viele. Schon wieder spüre ich dieses Metall und die warme Hand, die diesmal mein Handgelenk umschließt und mich dann umdreht. Ich atme tief durch, als ich meine Augen schließe. "Was?", blaffe ich und entziehe mein Handgelenk aus Cans Griff. "Da ist jemand schlecht gelaunt?" Er weiß es, stellt aber trotzdem diese unnötige Frage. "Nerv mich nicht", gebe ich desinteressiert von mir und will weiterlaufen, als er mich an meiner Schulter festhält. Ruhig, Shana. Alles ganz ruhig angehen. "Lässt mich mal los?", fauche ich und schaue kurz in seine Augen, bevor ich an ihm vorbeischaue. Aus dem Augenwinkel erkenne ich sein selbstsicheres Grinsen. "Wieso hast du meinen Drink nicht angenommen?", fragt er und lehnt sich weiter nach vorne, weswegen ich nach hinten trete. "Du hast Alkohol getrunken", stelle ich mit gerümpfter Nase fest, woraufhin er kehlig lacht. "Ein Glas." Er zeigt mir sein leeres Glas, wo sich nur noch schmelzende Eiswürfel befinden. Er legt das Glas auf seine Lippen und holt mit seiner Zunge einen der drei Eiswürfel raus, was sehr... nett aussieht. "Willst du auch?", fragt er mit einem Schmunzeln. "Ich passe", gebe ich gespielt freundlich von mir, gefolgt vom passenden Lächeln. "Wieso hast du nicht getrunken?" Ist das sein scheiß Ernst?! "Weil ich generell auf Alkohol verzichte?", zische ich. Er nervt mich! Can verkneift sich ein Lachen und atmet einmal tief durch. "Es war Cola, Kleines." Seine Augenbraue zieht sich nach oben, genau wie sein rechter Mundwinkel. "Na und? Am Ende war da trotzdem Alkohol drinnen." Ich laufe wieder weiter und steuere auf den Ausgang zu. Dann fahre ich halt mit dem Bus nach Hause, mir egal! Ich will hier weg.

"Wohin des Weges?" Muss dieser Junge mir folgen? Und muss seine Stimme so verdammt tief und rau sein? Ich ignoriere ihn und laufe einfach über den Campus, auch wenn ich mich hier wenig auskenne. "Shana", kommt es etwas ernster von Can, was mich dazu veranlagt ihn zu reizen. "Shana, du kennst dich hier nicht aus!" Ich drehe mich einmal provozierend um und laufe dann weiter. Ich höre Schritte hinter mir, weswegen ich schneller laufe, doch am Ende an den Oberarmen festgehalten werde. "Denkst du, du entkommst mir? Du warst einer der Langsamsten in Sport." Ich ignoriere diese Tatsache und winde mich, doch dieser Riese lässt einfach nicht locker. "Lass mich gehen!", fauche ich. "Wohin willst du?", fragt er mich rau, was meine Ohren kitzelt. "Nach Hause", murre ich und presse meine Lippen aufeinander. Can dreht mich um und schaut mich finster an. Was hat der denn jetzt? "Du willst nach Hause laufen?", kommt es leicht spottend, woraufhin ich stolz nicke. "In dieser Dunkelheit? Spinnst du?" Ich schüttele trotzig meinen Kopf und sehe dank den Campusleuchten, wie er seinen Kiefer zusammenbeißt. Wow, sein Gesicht ist es markant geworden. Mit einem festen Schulterzucker entferne ich seine Hände von meinen Oberarmen, die sich aber dann sofort wieder auf meine Arme legen. Ich schaue leicht arrogant auf seine rechte Hand, wo ich schwach einige Tattoos sehen kann, dann schaue ich zu seiner linken Hand, die von einer Uhr, einem Königsarmband und... ist das ein Haargummi? "Trägst du deine Haare in einem Zopf?", gebe ich entsetzt von mir, woraufhin sich seine Augenbrauen verwirrt zusammenziehen. "Was? Nein! Wieso zum Teufel sollte ich?!" Ich ziehe am schwarzen Haargummi, woraufhin er dann versteht und nichts sagt. "Verstehe, eine Eroberung", zische ich und lächele freundlich, bevor ich seine Hände entferne und schnell nach hinten schreite, sodass er mich nicht fangen kann. "Denkst du ernsthaft, du kannst mir entkommen?" Ich laufe rückwärts, damit ich Can gut im Auge habe, der langsam auf mich zuläuft, und das sieht total gruselig und gefährlich aus. "Einen Versuch ist es wert", kommt es neutral von mir, woraufhin Can einen festen Schritt nach vorne macht und ich deswegen erschrocken zusammenzucke und mir ein Quieken entkommt. "Komm jetzt hier her. Es ist dunkel und hier lauern Idioten rum." Er zeigt mit seiner rechten Hand, dass ich zu ihm kommen soll, doch ich schüttele den Kopf. "Vor mir steht doch einer." Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Gut gemacht, Schwester. Trotzdem sieht er heiß aus. Can schnalzt genervt mit seiner Zunge und schaut kurz zur Seite, bevor er seufzt. "Drei", sagt er in einer tiefen Tonlage. "Zwei", kommt es angriffslustig von mir. "Eins", zischt er und rennt auf mich zu, weswegen ich schreiend davonrenne und mich hinter eine Laterne stelle. Er greift nach meinem Oberarm, doch ich klammere mich an die Laterne. "Shana, jetzt stell dich nicht so an!" Ich schüttele meinen Kopf und umklammere das Metall mit einem Bein. "Das kannst du machen, wenn du bei mir alleine bist, aber nicht in der Öffentlichkeit." Ich schaue ihn empört an, woraufhin er dreckig grinst. "Deine Hoffnungen sind nie verschwunden, nicht wahr?", gebe ich zynisch von mir, woraufhin sein Grinsen verschwindet. Er schluckt und schnaubt, bevor seine Kiefermuskel zucken. "Komm, ich bring dich nach Hause!", zischt er und zieht mich schon fast rabiat von der Laterne zu seinem Auto. Was hat er? Gott, jetzt fangen seine Stimmungsschwankungen von vorne an.

Er lässt abschätzig meinen Arm los und wartet bis ich einsteige, was ich dann auch mürrisch tue. Ich will die Tür zumachen, doch das übernimmt Can - und zwar sehr aggressiv. Er steigt ebenfalls ein und das mit einer Wucht, sodass das Auto leicht wackelt, genauso ist es auch, als er die Tür feste schließt. "Schnall dich an", befiehlt er barsch, was ich aber nicht mache. Er soll sich nicht so aufspielen! Can dreht sich zu mir, doch ich schaue nur stur aus dem Fenster. "Shana, schnall dich an!", ruft er, doch ich ignoriere ihn. Er hat mir nichts zu sagen. Ich höre, wie schnell er atmet. "BEI GOTT, SCHNALL DICH AN, SHANA!" Ich zucke bei seinem Gebrüll zusammen und schließe feste meine Augen. Er packt meinen Kiefer und dreht mich zu seinem wutverzerrten Gesicht. "Provozierst du mich mit Absicht?!", zischt er und atmet hektisch, was gegen mein Gesicht prallt. Ich antworte nicht. "Du weißt ganz genau, was ich über Sicherheiten denke und reizt mich damit! Was denkst-,", brüllt er wieder, aber nicht so stark wie gerade, doch unterbreche ihn. "Ich hab's vergessen, verdammt!", rufe ich und schaue wütend zu ihm. "Ich habe es verdammt noch mal vergessen, Can, okay? In einem Jahr vergisst man vieles!" Er atmet krampfhaft, weswegen ich mir langsam Sorgen mache. "C-can, alles in-," "Sei leise und schnall dich einfach an!", befiehlt Can kalt und startet das Auto. Ich nicke mit aufeinandergepressten Lippen und schnalle mich an. Hat er vergessen, dass er getrunken hat? Wenn er so sehr auf die Maßnahmen achtet, würde es das doch nicht vergessen. Wir reden nicht auf der Fahrt, wir schauen uns nicht einmal an. Es liegt eine negative Spannung in der Luft, der ich schnell entkommen will. Sofort, am liebsten. "Wo wohnst du." Es sollte eigentlich eine Frage sein, doch seine tiefe Stimme ist so emotionslos, dass es als normale Aussage ankam. "Heimat 7", seufze ich und schreibe Ranja und Saliha, dass ich nach Hause gefahren bin. Ich schiele kurz auf Cans Hand, die den Schalterknüppel fest umschlossen hat. "Steig aus." Ich schaue auf die Straße und realisiere, dass wir angekommen sind. Ich schlucke und steige aus, höre aber kein wegfahrendes Auto. Ich lasse mich nicht davon beirren und laufe zur Tür, wo ich meinen Schlüssel raushole und die Tür aufschließe. Ich drehe mich um und sehe, dass Can noch an Ort und Stelle ist und sich nachdenklich über seinen Bart reibt. Seufzend drehe ich mich wieder um und laufe die Treppen hoch. Kaum reden wir mit einander, schon streiten wir uns. Wie hätte es dann wohl ausgesehen, wenn ich Can gesagt hätte, dass ich ebenfalls Gefühle für ihn habe.

Es wäre eine einzige Katastrophe.

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