Kapitel 21

Wie kann das nur sein? Seit wann arbeitet er hier? Can legt mit Hass in den Augen die Teller ab und verschwindet danach. "Scheiße!", zische ich leise. Ich bin tot. "Alles okay?" Ich schüttele den Kopf. "Egal, lass uns nicht darüber reden", nuschele ich. Wieso zum Teufel arbeitet Can genau hier?! Seit wann arbeitet Can überhaupt? Deswegen haben wir auch kostenlos hier gegessen! Wieso bin ich nicht drauf gekommen? Ich kann mich nicht einmal richtig mit Aykan unterhalten, da ich die ganze Zeit Cans Blicke spüre und deswegen auch ab und zu zusammenzucke. Er bedient die ganzen anderen Kunden und ist deswegen in meiner unmittelbaren Nähe. "Shana, du siehst nicht gut aus. Sollen wir das einpacken lassen?" Ich schüttele den Kopf. Nur weil Can hier ist, heißt es noch lange nicht, dass ich mich deswegen einschüchtern lasse! Es ist nur ein Missverständnis. "Hast du schon für das Testat gelernt? Der Arm ist das Erste, was wir können müssen", nuschele ich und halte mir ein Taschentuch vor dem Mund. "Ich habe gestern angefangen, du?" "Vor einer Woche schon." Aykan zieht überrascht die Augenbraue hoch. "Aber du hast einen ganzen Monat Zeit?" Ich zucke mit meinen Schultern. "Ich will alles in Ruhe angehen. Das Eingeweiden-Testat wird das Schlimmste sein, glaube ich", kommt es seufzend von mir. Ich habe gar keine Lust die ganzen Funktionen aller inneren Organen zu lernen. Reicht es nicht, dass das Herz schlägt und die Lungen mit dem Zwerchfell das Atmen übernehmen?

Nach zwei Stunden hat mich Aykan auch wieder nach Hause gebracht. Es war schön, nur hat Cans Aura sehr gestört. Ich hätte nicht gedacht, dass ich seine Wut spüren kann. Seufzend liege ich in meinem Bett und möchte zu gerne wissen, was Can jetzt denkt. Wieso musste es ausgerechnet heute passieren? Wieso muss ich heute erfahren, dass Can in einem Burger-Restaurant arbeitet? Kann er nicht wo anders arbeiten? Konnte er heute nicht frei haben? Ich stöhne genervt auf und esse einen Butterkeks. Morgen wird es auf jeden Fall Stress geben, aber da ich es ja erklären kann, kann Can eigentlich nicht ausrasten. Und wenn, dann wird er dumm aus der Wäsche gucken, wenn ich ihm die Fakten auf den Tisch lege. Was willst du ihm sagen? Dass du plötzlich gut gelaunt warst und dann einfach Aykan zugesagt hast? Er wird es total falsch verstehen. Aber genau das ist ja der Grund! Was soll ich denn sonst sagen? Dass ich keine Lust auf ihn hatte, aber auf Aykan? Na toll! Jetzt bin ich in einer Sackgasse. Egal, wird schon schief gehen. Augen zu und durch.

Hibbelig warte ich darauf, dass der Professor den Seminarraum betritt und ich deswegen mich auf die Vorlesung konzentrieren muss und nicht auf Can, der jeden Moment hineinstürmen könnte. Ich male kleine Kreise an die Seite meines Collegeblocks und wippe mit meinem Bein auf und ab, bis sich eine tätowierte Hand sich auf meinen Knieansatz legt und ihn schon fast rabiat runterdruckt. Ich schlucke, schaue aber nicht hoch. Ich schiebe seine Hand weg und mache weiter. Zwar ist Can wütend und das spüre ich auch, aber trotz dessen, dass er total wütend auf mich ist, kann er mir das nicht verbieten. Bei den kleinsten Dingen, die mir verboten werden, kann ich schon ausrasten. "Mach mich nicht noch wütender, als ich schon bin", knurrt er und drückt meine Haut am Bein zusammen. Ja, er ist total wütend. Ich lasse es sein und schlage dafür mein Bein auf das andere, damit Can es nicht mehr anfassen kann. Ranja schreibe ich schon mal, dass sie mich um 15:00 Uhr abholen soll. Als dann auch endlich der Professor kommt, widme ich ihm das Dreiviertel meiner Aufmerksamkeit, da Can den Rest irgendwie an sich gekettet hat. Wie er es geschafft hat, weiß ich nicht. Seine Aura hat etwas Mächtiges an sich, aber zum Glück bin ich so stur und so stolz und ergebe mich ihr nicht. Darauf kann Can wirklich lange warten, egal wie viel er von meiner Aufmerksamkeit geklaut hat, ergeben werde ich mich nicht!

Zwei Stunden sind um und jetzt gerade, wo alle Kommilitonen ihre Sachen zusammenpacken und rausgehen, bin ich überrascht, dass Can mich noch nicht gepackt und entführt oder gar getötet hat. Ich laufe etwas erleichtert raus, doch die Erleichterung verfliegt, als Can von hinten mein Handgelenk packt und mich durch die Flure der Universität zieht. Natürlich liegen alle Blicke auf uns und das verstärkt den Glauben an das Gerücht, dass wir ein Paar wären. "Ich kann auch selber laufen", gebe ich kleinlaut von mir, was dazu führt, dass Cans Hand mehr Druck ausübt. Etwas abgeschattet von den ganzen schaulustigen Studenten lässt Can mich los und spannt direkt seinen Kiefer an. "Deine Tage also?", keift er. Ich kneife meine Augenlider zusammen und atme tief ein. "Ja", keife ich zurück. "Hat man ja gesehen, wie sehr du am leiden warst", zischt er und kommt mir näher. Seinen Kopf legt er leicht zur Seite und schaut mich abwertend an. "Schmerzen können gelindert werden. Kennst du das Morphin Endorphin, Can?", gebe ich ruhig, aber provozierend von mir und starre auf seine Brust, statt in seine Augen zu schauen, die schon vor Wut lodern. "Anscheinend hat eine bestimmte Person die Schmerzen schnell wegbekommen." Er schiebt schnell und aggressiv mit seinem Zeigefinger mein Kinn hervor, sodass ich ihn anschaue. "Ja, wenigstens einer, der nicht sofort ausrastet, wenn etwas passiert, was ihm nicht passt!", blaffe ich und schaue ihn wütend an. "Wie soll man bei so etwas ruhig bleiben?!" Seine Pupillen sind klein, was das Gelb seiner Augen leuchten lässt. "Ist das dieser Junge aus der Zeit von Früher?" Seine Stimme ist tief und monoton geworden. "Was für ein Junge?", frage ich genervt. "Du weißt, welchen ich meine! Du kennst Aykan schon länger! Grüne Augen, fällt es dir jetzt ein?", zischt er. Natürlich! Das Pseudonym! Der fiktive Azad! Oh mein Gott, das kann nur das Schicksal sein! "Scheinst ja endlich draufgekommen zu sein", kommt es zynisch von Can. "Wieso merkst du dir so etwas?", frage ich verwirrt und gleichzeitig zynisch. "Lenk ja nicht vom Thema ab! Du bist diejenige, die sich mit mehreren vergnügt und deswegen Lügen erfinden muss!" Meine Augen weiten sich. "Mit mehreren? Willst du mich verarschen?!", rufe ich und trete näher heran. "Nenn mir fünf Jungs, mit denen ich mich treffe, los!" Cans Kiefermuskeln stechen stark heraus. "Tja! Da sieht man, wie ignorant du bist. Keine Ahnung haben, aber darauf los reden. Pleonexie trifft wohl auf dich zu, Can", kommt es trocken von mir. "Außerdem bist du doch derjenige, der von den ganzen Weibern gekannt wird, nicht ich! Ich müsste dich verurteilen und nicht du mich!" "Habe ich dich angelogen, um mich mit anderen zu treffen oder du mich?!", herrscht er plötzlich. "Ich habe dich nicht angelogen!", schreie ich schon fast. "Rede ruhig!", kommt es im selben Ton von Can. "Du hast mir nichts vorzuschreiben! Gar nichts!", rufe ich beabsichtigt lauter und schlage ihm auf die Brust. "Was, wenn ich dir was vorschreibe? Was willst du dann machen? Mich schlagen?" Er lächelt mich süffisant an, was mich vor Wut zittern lässt. Ich hole aus, was Can anscheinend vorher gesehen hat, denn er hält meine Hand fest und schaut mich eindringlich an. Ich will meine Hand aus seiner entreißen, doch er lässt nicht los und lächelt wieder arrogant, was mich umso mehr provoziert. "Lass los!", schreie ich und schubse ihn. "Denkst du, nur weil du stärker und größer bist, bist du mir überlegen?!" Ich atme hektischer und zittere stärker. Dieser Junge schafft es immer wieder mich auf die Spitze der Emotionen zu bringen. "Denk bloß nicht, dass ich jemals nachgebe. Denk niemals, dass du mir überlegen bist, Can!", keife ich und entreiße meine Hand aus seiner Hand. "Aykan hat mich erst dann gefragt, als ich schon zu Hause war. Wieso sollte ich dich anlügen? Ich hätte dir auch die Wahrheit sagen können!", zische ich wieder. Er lässt einmal seinen Kopf kreisen und beißt kurz den Kiefer zusammen. "Wieso gehst du dann mit Aykan, aber nicht mit mir essen?" Er beugt sich zu mir runter und schaut mich missbilligend an. "Weil deine Schmerzen nicht mehr so stark waren, Kleines?!", zischt er und spuckt den Kosenamen voller Missachtung. Eigentlich mag ich den Kosenamen, doch jetzt kommt es voller Spott aus seinem Mund, dass es mich schaudern lässt. Wenn ich Ja sagen würde, würde ich nur auf seinen Spott mir gegenüber eingehen und das will ich nicht, auch wenn das ja einer der Gründe war. "Can, weißt du was? Nimm dir einfach Aleyna und reg mich nicht auf! Sie will dich sowieso wieder haben, also kannst du mit ihr all diese Dinge machen. Nimm einfach das, was dir zur Verfügung steht." Seine Augenbrauen ziehen sich verwirrt zusammen. "Was hat Aleyna damit zu tun?" Wenn ich ihm sagen würde, dass sie zu mir meinte, dass er mich fallenlassen wird, dann wird Can dies schamlos ausnutzen und gegen mich verwenden, da dieser Satz von Aleyna mich ja so negativ gestimmt hat. "Mach es einfach, dann bin ich dich los", gebe ich trocken und kleinlaut von mir, was Can gar nicht gefällt. Er leckt sich kurz über seine Unterlippe, die er dann mit seiner Oberlippe zusammenpresst und dabei die Luft einatmet "Du willst mich loswerden?", knurrt er und packt mein Kinn. "Mich loswerden willst du?" Ich greife nach seiner Hand, welche meinen Kiefer umschließt und übe Druck aus, auch wenn Can es womöglich gar nicht spürt. "Du willst mich loswerden?", ruft er schon und drückt mich gegen die Tür. Meinen beschleunigten Herzschlag spüre ich bis in den Hals, doch davon unterkriegen lasse ich mich nicht. Er tut mir nichts.

"Wieso regt es dich so auf, dass ich mit Aykan essen war?!", will ich wissen. "Weil es mich aufregt, dass du mich anlügst!", zischt er. "Ich habe dich nicht angelogen!" Dieser Junge macht mich immer wütender! "Es ist doch offensichtlich, was passiert ist, wen willst du hier verarschen, Kleines?", kommt es spöttisch von ihm. Er soll diesen Kosenamen nicht verwenden! Er zieht ihn in den Dreck. "Du siehst nur das Oberflächliche, nicht den Hintergrund", kommt es ruhig von mir, doch mein Blick sagt ihm, wie sehr ich ihn gerade verabscheue. "Dann erkläre es mir!", giftet er wieder, was mich zusammenzucken und die Wut in mir wieder steigen lässt. "Wie denn, wenn du die ganze Zeit deine Dummheit versprühst?!" Seine Ignoranz versperrt sein Wissen und genau das verschlimmert alles. Sein Kiefer spannt sich wieder an und seine Ader schimmert stark durch deine Haut. "Ich habe Nein zu dir gesagt, weil ich nun mal schlecht drauf war. Wieso sollte ich dann mit jemanden etwas Essen gehen, wenn wegen mir sowieso nur negative Stimmung herrscht? Zuhause war es dann nicht mehr so, da sich die Launen eines menschlichen Individuums ändern, Can. Dafür muss man nicht einmal Medizin studieren, um das zu wissen!" Ich schnaube und schaue ihn seine ausdruckslosen Augen. Sein gelb erscheint mir gerade sehr trist und matt. "Und dann hat mich irgendwann mal Aykan angeschrieben und dann habe ich Ja gesagt. Warum? Weil ich nicht noch einmal Nein sagen konnte und meine Schmerzen auch gelindert wurden!" Ich seufze resigniert. "Und das soll ich dir glauben?", kommt es spöttisch von Can, den ich leicht fassungslos anschaue. Leicht, da ich ihn nicht meine ganzen Gefühle und Gedanken offenbaren will. Deswegen habe ich ihm auch nicht gesagt, dass ich Schuldgefühle hatte, weil ich Nein zu ihm gesagt habe. Er würde es ausnutzen und mich damit runtermachen und das will ich vermeiden. "Weißt du was, Can? Denk einfach, was du willst. Leb in deiner Primitivität und in deiner sturen Ignoranz und lass mich einfach in Ruhe. Ich weiß es ja schließlich besser und muss mich nicht vor einer aggressiven Wand rechtfertigen!" Ich will gehen, doch Can zieht mich zurück. "Wie wäre es, wenn du mal nicht so ignorant wärst?!", zischt er, weswegen ich empört die Augenbrauen zusammenziehe. "Wieso sollte ich ignorant sein?", gebe ich schroff von mir. "Weil Aykan zufälligerweise weiß, dass ich dort arbeite!" Meine Augen weiten sich. Wie? "Aber-, aber was hat das damit zu tun?", will ich immer noch unfreundlich wissen. "Machst du das mit Absicht?", kommt es leicht lachend von ihm. Ich bin gerade etwas wirr im Kopf. Aykan weiß, dass Can in Dulf's Burger arbeitet. Hat er das mit Absicht gemacht? "Also hat Aykan mich dort hingebracht, um... dich zu reizen?", flüstere ich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Seine Augen weiten sich sarkastisch. "Schlaues Mädchen!" Er klatscht in seine großen Hände, was mich reizt. "Hast es auch einmal begriffen?" Ich schlage seinen Finger weg, mit der er meine Stirn antippen wollte. "Und woher sollte Aykan wissen, dass du mich davor gefragt hast? Hast du ihm Bescheid gegeben oder was?!", kommt es kleinlaut von mir, woraufhin er genervt aufstöhnt. "Er muss es nicht wissen, um mich zu reizen, Kleines", zischt er und kommt mir näher. "Wieso sollte es dich sonst reizen?!", rufe ich. Er regt mich so stark auf, dass ich ihn kaputtschlagen möchte, es aber nicht kann, da Can die Stärke eines Gorillas besitzt. Can antwortet nicht. Er schaut mich einfach nur eindringlich an. Es kommt mir so vor, als ob er nach etwas suchen würde. Irgendwie nach einer Antwort. "Los, Can. Antworte!", fordere ich, was dazu führt, dass sein Kiefer sich anspannt. "Es stört dich, dass ich etwas mit Aykan zu tun habe, nicht wahr?" Er schnaubt und lässt seine Fingergelenke knacken. Wissend ziehe ich meine Augenbraue hoch. "Dachte ich es mir doch", gebe ich trocken von mir und laufe den Flur runter. Ich schaue auf mein Handy und sehe, dass wir fast zwanzig Minuten geredet haben, was mich ziemlich überrascht, denn es kam mir viel kürzer vor. Zu Aykan will ich auch nicht, da ich erst einmal Abstand von beiden brauche. Ich laufe also freundelos - na ja, irgendwie sind die beiden ja nicht wirklich Freunde - durch die Flure. Aber Can meinte doch, dass wir jetzt Freunde sind. Can sollte ich einfach gar nicht mehr glauben!

Die Blicke der ganzen Idioten ignoriere ich so gut es geht, da ich mich darauf konzentrieren muss, sie nicht alle gleich zusammenzuscheißen. Ich sehe Ramazan, wie er lässig an der Wand angelehnt ist und mit einer Studentin redet. Na ja, er zieht sie mit seinen Blicken aus und bringt sie zum lachen. Ich laufe auf die beiden zu, was Ramazan bemerkt und das Mädchen links liegen lässt. "Du scheinst ja nicht so gut drauf zu sein", stellt er schmollend fest. "Ramazan, dein Freund ist echt nicht mehr normal", informiere ich ihn seufzend. "Was hat er jetzt schon wieder gemacht?", höre ich Maliks Stimme hinter mir, zu dem ich mich drehe. "Ich kriege Ärger für etwas, wofür ich nichts kann! Es war ein gottverdammtes Missverständnis, aber natürlich muss Can die ganze Schuld mir zu schieben, was denn sonst?" Ich seufze und schließe meine Augen. "Ich gehe dann mal mit ihm reden", sagt Malik dann schmunzelnd und sucht den Tyrann. "Ich habe nicht einmal Lust heute ins Krankenhaus zu gehen. Nö, ich gehe nicht", gebe ich bockig von mir, was Ramazan lachen lässt. "Bleib heute zu Hause und lass keinen Besuch zu dir." Ich schaue ihn misstrauisch an, während er mich angrinst. "Okay?" Er lächelt krankhaft und zieht mich Richtung Mensa, wo wieder die ganzen Blicke uns gelten. "Oh, nein! Jetzt geht ein weiteres Gerücht um!", kommt es zynisch von mir, weswegen Ramazan mich fragend anschaut. "Ach! Hast du es noch nicht mitbekommen?" Er schüttelt den Kopf. "Warte, lass uns erst einmal etwas zu Essen holen und dann. Mit Essen ist alles besser." Ich nicke schmunzelnd und hole mir mit Ramazan etwas, bevor wir uns irgendwo hinten hinsetzen. "Also, Shana. Erzähl mir deine Sorgen." Ramazan isst kurz etwas und fängt dann an zu trinken. "Can und ich sind zusammen." Sofort spuckt er sein trinken aus, was etwas die Studentin zwei Tische weiter getroffen hat. "Tschuldigung!", hustet er, weswegen ich ihm auf den Rücken haue, bis er sich beruhigt. "Oh Gott!", kommt es schluckend von ihm, als er dann seufzt. "Ihr seid-," "Laut seinem Gerücht schon." Seine Augen weiten sich. "Oh, ich dachte, dass ihr wirklich-," "Nein, sind wir nicht und werden wir nicht", kommt es abwertend von mir. "Na ja, jedenfalls hat sich das Ganze schnell verbreitet und deswegen schauen die ganzen Idioten so", erzähle ich Augen verdrehend. "Ich habe nur mitbekommen, wie du erzählt hast, dass Can schwul wäre. Hast du mich und Malik zufälligerweise indirekt mit der Augenfarbe erwähnt?", kommt es neckend von ihm, weswegen ich etwas verlegen nicke. "Ja und das war seine Rache", seufze ich. "Interessant, was war gerade eben der Grund für den Streit?" Ich erzähle Ramazan all das, was passiert ist, während er mir aufmerksam zuhört. "Und jetzt gucken die wieder alle!", zische ich leise. "Was?", blaffe ich einige Mädchen an, die dann abwertend wegschauen. Solche Reaktionen sind die schlimmsten: erst abwertend schauen und dann, wenn man sie darauf anspricht, nicht einmal den Mut haben zu reden. Nach dem Gespräch zwischen Ramazan und mir und der medizinischen Soziologie, fährt Saliha uns nach Hause. "Wo ist Ranja?", frage ich. "Sie bleibt heute sehr lange in der Bibliothek, wird aber später dann nach Hause gefahren", informiert sie mich, weswegen ich nicke. Zuhause stürze ich mich direkt auf meine Notizen für den Arm. "Musculus deltoideus, Musculus Trizeps brachii, Musculus Bizeps brachii und dazwischen liegt der Brachialis, Musculus extensor carpi radialis longus ist hier und darüber ist der Brachioradialis und-, oh Gott! Das Aconeus habe ich ja vollkommen vergessen!" Ich nenne noch die ganzen weiteren fünf Muskeln, bevor ich dann zu den Venen springe. "Vena radialis", sage ich zum Schluss, als dann die Schelle betätigt wird. "Saliha, hast du Malik eingeladen?", rufe ich, was sie verneint. Ich laufe zur Tür und fange direkt an zu schmunzeln, als ein ernster Ramazan mit einem Plüschtier, einer Tüte und zwei Getränken vor der Tür steht und dann niedlich grinst.

"Hey, beste Freundin." Er umarmt mich und zieht dann seine Schuhe aus, bevor er mir dann seinen Hintern zudreht. "Macht mir die Short einen dicken Arsch?", fragt er mich eingebildet, was ich bejahe. "Gut, dann weiß ich ja, was heute mit mir passiert." Er zwinkert mir zu und begrüßt Saliha. "Ist das dein Zimmer, Shana?" Ich laufe zu ihm und sehe, wie er sich vorsichtig auf Ranjas Bett setzt. "Nein, das ist Salihas und Ranjas Zimmer." Empört steht er wieder auf und schnaubt das Bett an. "Das Zimmer ist sowieso hässlich." Er watschelt aus dem Zimmer in meins, wo er dann staunt. "Gott, sind das fette Bücher." Er legt die Tüte und die Getränke ab und gibt mir das rosafarbene Einhorn. "Von wo hast du das denn her?", gebe ich belustigt von mir und nehme das Plüschtier an. "Aus Intertoys, war sogar im Angebot!", erzählt er mir aufgeregt und schaut sich meinen Ordner voller anatomischen Bilder an, bis er mich verstört anschaut. "Du hast Bilder von... Penissen." Ich verkneife mir ein Schmunzeln. "Ich liebe es!" Ich breche in ein Gelächter aus und schüttele den Kopf. "Aber das ist ja alles von innen, ich sehe ihn gar nicht in seiner vollen Pracht." Er blättert weiter und kichert dann. "Eine Mumu." Er hält sich die Hand vor die Augen und dreht sich zu mir. "Du bist pervers, Shana", beschuldigt er mich mit einem spitzbübischen Lächeln und hält mir die Getränke hin. "Schokoladenjoghurt oder Erdbeerjoghurt?", fragt er mich, woraufhin ich mich für den Erdbeershake entscheide. "Also, Shana! Da heute dein blöder Falschfreund dich beschuldigt hat, machen wir uns einen schönen Mädelsabend." Er nimmt die DM-Tüte, wo verschiedene Masken drinnen sind. Sowohl fürs Gesicht, als auch für die Haare. "Hast du morgen eine freiwillige Vorlesung?", fragt er mich, weswegen ich belustigt den Kopf schüttele. "So etwas existiert bis jetzt nicht in meinem Studiengang." Ramazan zieht die Schnute. "Egal! Trotzdem wird es ein netter Abend." Er kramt in der Tüte herum und holt zwei Plastiksektgläser raus. "Habt ihr Apfel- oder Traubensaft da?" Ich nicke. "Apfelsaft." "Gut, wenn wir uns dann vollkleistern, trinken wir und lästern über Can, hört sich doch gut an, nicht wahr?" Er zwinkert mir zu, was mich grinsen lässt. "Oder habe ich dich beim lernen gestört?" Nun kratzt er sich verlegen sein Kinn, an dem ein leichter Bart ist. "Du lässt dir ja einen Bart wachsen", stelle ich schmunzelnd fest und streichele sein Kinn. "Die Venen kann ich auch morgen lernen." Er schüttelt den Kopf. "Nö! Wir lernen die jetzt zusammen!" Er krempelt seine Ärmel hoch, wo ich seine Unterarme sehen kann, dessen Venen gut zu erkennen sind. "Ich glaube, du wirst mir sehr hilfreich sein." Ich laufe zu meinem Schrank und zücke ein weit und tief geschnittenes Tank-Top hervor und schmeiße es zu Ramazan. "Zieh das an." Mit einem schelmischen Grinsen zieht er sich seinen Pullover aus und lässt sich beim Anziehen sehr viel Zeit. Er rekelt und streckt sich. "Machst du den Frauen aus den Autowaschreklamen nach?", frage ich belustigt, während er sich lasziv das Top überstreift. "Ja, nur sehe ich dabei sexy aus und die nicht." Es liegt etwas eng an Ramazans Brust, aber das stört niemanden. "Okay, leg dich hin." Verdutzt schaut er mich an. "Shana, ich dachte, wir sind nur Freunde." Ein dreckiges Grinsen umspielt seine Lippen, weswegen ich ihn mit dem Einhorn haue. "Ja! Gib's mir!", ruft er, weswegen ich ihm lachend den Mund zuhalte. "Arm ausstrecken." Ich hole mir drei Stifte und versuche jedes hervorstechende Gefäß richtig zu markieren. "Bin ich dein lebendes Modell?" Ich bestätige dies mit einem Nicken. "So", murmele ich und lege die Stifte weg. "Also, Professor Shana! Was genau ist was?" Ich grübele kurz und lege dann los. "Das hier müsste die Vena brachialis sein und das hier die Vena cephallic, wow die sieht man ja wirklich gut." Ramazan grinst stolz. "Ist das etwas Gutes?" Ich zucke mit meinen Schultern. "Du hast an den Armen wenig Körperfett." Nun spannt er seinen Bizeps an, was mich die Augen verdrehen lässt.

"Und er hat dich einfach so angemeckert?", fragt Ramazan mich und isst einen M&M. "Ja, kaum zu glauben." Ich fasse mir an die Haut, auf der sich eine getrocknete Heilerdemaske befindet. "Das ist aber schon etwas komisch für Can." Ramazan winkelt die Beine an, als er sich auf den Bauch legt und an seinem Apfelsaft schlürft. Die Gurken, die sich gerade noch auf seinen Augen befanden, isst er. "Wieso? Ist doch ganz normal, dass er so aggressiv ist." Ich verdrehe meine Augen und könnte Can jetzt am liebsten die Augen auskratzen, aber Ramazan hat mir die Nägel so schön lackiert. Wären sie noch lang, dann würden sie noch schöner aussehen. "Schätzchen, er hat sogar eine Liste deiner ganzen Verseuchungen in der WG hängen." Beleidigt schaue ich ihn. "Er mag es halt nicht, wenn ich das zu mir nehme, was ich nicht vertrage", nuschele ich. "Und warum?" Sein Handy klingelt. "Zeit zum abwaschen! Danach ist die Haarmaske dran." Wir laufen ins Bad, wo wir uns gleichzeitig das Gesicht abwaschen und unsere Haare anfeuchten. "Mensch, hast du viele Ohrringe", stellt Ramazan fest, als er meine Haare mit der Maske einmassiert. "Wo waren wir stehengeblieben? Ach, ja: Can macht das ja nicht ohne einen bestimmten Grund. Er sorgt sich um dich", säuselt er. "Und deine ausfallenden Haare kleben an meinen Fingern, ist das ein Symptom für Krebs?" Ich lache kopfschüttelnd. "Das ist ganz normal, Ramazan. Auch deine Haare fallen täglich aus." Er schnaubt. "Besserwissende Mediziner. Jedenfalls sorgt sich Can nur um die, die ihn etwas bedeuten und das bist auch du." Er wuschelt mir durch meine maskierten Haare und verteilt es noch in den Längen und Spitzen. Danach fange ich bei ihm an. "Na ja, irgendwie schon, aber wenn er so dreckig im nächsten Moment ist, dann kommt es mir so vorgespielt vor", sage ich und ziehe kurz an Ramazans Haaren. "Can ist ein recht sturer Junge und ihr sturen Menschen verbergt doch eure Gefühle in solchen Situationen. Stimmts oder habe ich recht?" Ich verdrehe meine Augen. "Ja, irgendwie schon", murre ich. "Und da Can nun mal auch sehr reizbar und aggressiv und ein Junge ist, vergisst er sich manchmal, da die Wut ihn überhäuft." Ramazan hat recht. "Massierst du gerade irgendeinen Schädelnerv oder warum fühlst sich das so gut an?", schnurrt Ramazan. "Bestimmt", kommt es schmunzelnd von mir. "Hast du immer noch das Gefühl, dass es eine Bindung zwischen euch gibt?", fragt Ramazan plötzlich, weswegen ich leicht überrascht gucke. "Ich-, ähm..." Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung. Ich habe mir lange keine Gedanken mehr darüber gemacht. "Ich weiß es nicht so genau. Vielleicht?" Ramazan steht vom Wannenrand auf, woraufhin wir unsere Hände waschen und uns Turbane um die Köpfe wickeln, bevor wir wieder ins Zimmer gehen. "Und sonst so? Was läuft bei dir so?", frage ich Ramazan, der nur mit den Schultern zuckt. "Nichts besonderes. Weiber, lernen, schlafen." Ich nicke. "Keine besondere Frau?", hake ich nach, was er verneint. "Auch deine kleine Freundin." Ich ziehe böse die Augenbrauen zusammen. "Ach, Shana. Glaub mir, sowas ist nicht einfach." Ich nicke. "Das glaube ich dir. Liebe ist nichts einfaches, es ist total schwer." Ich lehne mich seufzend nach hinten. "Aber wenn man sie lernt, dann ist es halb so schwer", sagt dann Ramazan. "Wann denkst du, trifft man die Liebe seines Lebens?", frage ich und schaue ihn gespannt dabei zu, wie er sich grübelnd das Kinn hält. "Nicht während der Pubertät." Er lächelt verschmitzt. "Da ist alles nur die große Liebe. Man ist nicht reif genug. Zwar gibt es bestimmt einige Ausnahmen, aber die lassen wir jetzt vorweg." Ich höre ihm nickend zu und esse dabei noch etwas. "Wenn man sich vieles mit dieser Person vorstellen kann, lange Ausflüge, ohne dass ihm mit ihr langweilig wird zum Beispiel, denn es kann oft dazu kommen, dass sich dann diese Person sich bei neuen, aufregenden oder auch lächerlichen Dingen fragt, was sie wohl denken würde und wieso. Er vergleicht sie auch mit anderen, deren Meinung, Verhalten und so weiter und merkt immer wieder aufs Neuste, dass niemand an sie herankommt. Außerdem entsprechen all ihre Eigenschaften, die der Gewünschten des Partners. Deswegen will er sie dann küssen, weil sie hübsch ist und weil sie schlau und lustig ist." Verblüfft, dass sowas aus Ramazans Mund kommt, nicke ich halb bei der Sache. "Ich-, wow, Ramazan!" Ich klatsche in die Hände und trage ein überraschtes Lächeln. "Ich hätte niemals gedacht, dass du so etwas denken oder fühlen kannst", gestehe ich und habe mir die Sätze, die er gerade von sich gegeben hat, schon eingespeichert. "Tja, ich muss ja die Ladys auch mit meinen Wörtern und nicht nur mit meinem Aussehen beeindrucken." Er zwinkert, während ich die Augen verdrehe und ihm gegen den Oberarm haue.

Ob Can sich schon einmal solche Gedanken gemacht hat?

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