Kapitel 13

Die Neuroanatomie ist, glaube ich, meine liebste Vorlesung. Vielleicht weil sie so interessant ist, aber vielleicht auch, weil Derek Shepherd Neurochirurg ist und ich immer an ihn denken muss, während der Vorlesung. Heute bin ich viel ausgeschlafener und auch nicht Hungrig. Ich glaube wirklich, dass wenn Can nicht bei mir wäre, ich sonst umgefallen wäre. Dieser Junge ist einfach meine Stütze und genau das muss ich akzeptieren. Schon komisch, dass er sich um mich kümmert, aber genau deswegen habe ich immer dieses Pochen in der Brust. Er sorgt sich um mich und schenkt mir Aufmerksamkeit, obwohl wir uns Streiten. Ich fühle mich so besonders und will es eigentlich nicht sein, da ich nicht will, dass dieser Gedanke vor meinen Augen zerstört wird. Das wäre vielleicht eines der schlimmsten Dinge für mich. Ich wüsste nicht, wie ich reagieren würde. Entweder ich würde es stumm hinnehmen und für eine Zeit lang nicht mehr reden oder ich würde... ich würde weinen? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber weinen würde ich nicht wollen. Es würde zu sehr an meinem Stolz kratzen, dass Can es geschafft hat, mich zu verletzen. Aber er hat sich irgendwie in meine Gedanken eingenistet. Mein Hippocampus wird Can nicht mehr los und erinnert mich immer wieder, wer er doch ist und was er alles schon getan hat. Von gut bis schlecht, ist alles dabei. Die Psycho- und Soziologie Vorlesung beginnt, weswegen ich mich kurz strecke und mir durch meine geglätteten Haare gehe. Ich habe sie wirklich lange nicht mehr geglättet. Wann war das letzte Mal? Nach dem Abschluss? "Wer war schon einmal richtig verliebt?", fragt der Professor, weswegen einige Kichern und wenige die Hände heben. Can versteift sich neben mir und auch ich bin nicht mehr so locker, wie vorhin. "Ich frage mal anders: wer einmal oder unendlich oftmals verliebt, verknallt und ist es wohlmöglich heute noch?", fragt der Professor schmunzelnd, woraufhin mehr Leute ihre Hand heben, unter anderem auch Can. Ich dagegen verkrampfe meine Hand und halte meinen Stift so stark es geht in meiner Hand fest. Das wird eine sehr interessante Vorlesung. "Ja, das sieht deutlich besser aus und das ist auch wunderbar. Tatsächlich und das können wir auch energetisch nachweisen: Wir können um die fünfundneunzig Prozent, die uns zustehende Energie im Körper nutzen, wenn wir verliebt sind. Wir brauchen weniger Schlaf und können Widerstände einfach aus dem Weg räumen. Wenn die Liebste sagt, dass sie etwas nicht ganz so toll fand, dann senkt sich diese Energie, je nach dem, wie sie es sagt. Wenn es ganz vorbei ist, kann es zur Krankheit führen, man weiß nicht mehr wohin, aber es kann auch sein, dass man komplett komplementär reagiert und sich für sich und den Partner freut, falls es vorbei ist." Das man wirklich krank werden kann, schockiert mich. Wie kann eine Person so stark in jemanden verweilen, nur durch Worte oder die Anwesenheit? "In Situation eins, haben wir, diejenigen, die jetzt so traurig sind, dieser Person eine Art Macht gegeben, dass wir depressiv werden, wenn sie etwas sagt, dass uns trifft." Es gab schon einige Dinge, die mich bedrückt haben. Auch bei Can. "Es gab mal eine Nonne, die nur durch das Übertragen von positiven Gefühlen: durchs Knuddeln, die Sterberate von achtzehn Prozent auf null reduziert hat." Nur durch das Umarmen? Setzt es Endorphine frei? Oxytocin? Heißt es dann, dass man durch negativ verbreitete Gefühle schneller stirbt, weil deswegen wenig positive Hormone, sondern sich zum Beispiel Parathormon ausbreitet? Kann man also an einem gebrochenem Herzen sterben, mental gesehen?

Aus dem Präpariersaal raus, laufe ich gedankentrunken durch die Flure. Diese Vorlesung über die Gefühle war mehr als interessant. Sie hat mir sehr vieles klar gemacht. Sie hat mir erklärt, wie etwas ist, wieso man so ist und oft habe ich an mich selber denken müssen, in den verschiedensten Situationen. "Shana, hörst du mich überhaupt?" Ich schrecke hoch, als Can sich vor mich stellt. "Ouh, nein", murmele ich und lächele leicht. "Du läufst in die falsche Richtung, komm." Er greift nach meinem Handgelenk, was meinen Bauch kribbeln lässt und zieht mich durch die Flure. Anscheinend kommt dieses Kribbeln durch den Darm, da er sehr viele Nerven hat und sozusagen ein zweites Gehirn ist. So habe ich es in den Anatomie Vorlesungen gelernt. Das sogenannte Bauchgehirn merkt sich verschiedene Stimmungen und Gefühle, die wir schon einmal hatten und ruft diese in den passenden Situationen ab, wodurch - unter anderem - das Bauchkribbeln bei der Liebe entsteht, aber wenn sich unsere Stimmung zu oft und schnell wechselt, dann kommt es zu einem Kollaps des Bauchgehirns, wodurch Magenverstimmungen hervorgerufen werden. Toll, dass du Liebe und Magenverstimmung vereinigst, Shana. Der Professor meinte auch, dass man das Glück im Bauch spüren kann, bin ich also glücklich, wenn Can mich berührt? Na ja, aber der Bauch ist einer der sensibelsten Teile unseres Körpers, er reagiert selbst auf unterbewusste Emotionen, wie ein Alarmsignal. Wenn man unbewusst unter andauerndem Stress steht, reagiert der Magen mit Durchfall, Bauchschmerzen, selbst Allergien und Unverträglichkeiten tauchen urplötzlich auf. Vielleicht ist es einfach nur meine Laktoseintoleranz oder einer meiner Lebensmittelallergien? Shana, halt's Maul. Verträumt lasse ich mich auf dem Beifahrersitz nieder und seufze. "Scheinst wohl echt gut gelaunt zu sein", stellt Can fest, als wir fahren. "Ja, irgendwie schon." Ich fahre mir über meine Haarspitzen. "Du solltest öfters deine Haare glätten, das steht dir." Ich schreie vor Freude auf, was Can zusammenzucken lässt. "Alles in Ordnung?", fragt er und schaut besorgt zu mir. "J-ja, alles bestens", nuschele ich und fahre mir peinlich berührt über meine Wangen. Was war das? "Can?" Er nickt. "Fahr zu mir." Er wechselt die Spur. "Hast du irgendetwas vergessen?", fragt Can mich, woraufhin ich kichernd den Kopf schüttele. Seit wann kichere ich?! "Nein, wir lernen bei mir." Habe ich Can jetzt ernsthaft zu mir eingeladen? Verdutzt hebt er seine Brauen. "Okay." Er sieht nicht wirklich misstrauisch aus, aber auch nicht ganz entspannt. Er fragt sich bestimmt, was mit mir los ist und ich möchte genau so sehr wissen, was in meinem Hormonsystem abgeht. Zu viel Dopamin. "Also, wenn das okay für dich ist", füge ich murmelnd hinzu, was ihn schmunzeln lässt. "Alles gut. Ich wurde schon lange nicht mehr zu einem Mädchen nach Hause eingeladen." Er grinst dreckig, woraufhin ich gegen seinen harten Oberarm haue. "Shana, das bringt nichts. Es wird mir niemals wehtun." Ich brumme unzufrieden, bin aber froh, dass ich nicht mehr so aufgedreht bin, wie gerade eben. "Diese Vorlesung über Gefühle hat dich anscheinend sehr fasziniert", stellt Can fest. "Ja! Diese Vorlesung hat mich total gefesselt. Ich hätte nicht gedacht, dass man diese Schmerzen oder Gefühle wirklich an diesen Stellen fühlen kann. Ich habe es immer in Büchern gelesen, es aber nie geglaubt, da ich dachte, dass die Autoren einfach bluffen, aber man kann bei der Trauer wirklich spüren, dass einem die Luft zugeschnürt wird oder dass das Herz schmerzt, bei der Liebe." Ich brauchte mir fast gar nichts aufzuschreiben, da ich alles an Informationen aufgesaugt habe. Der Professor hat es sehr gut erzählt.

'Seid ihr zuhause?', frage ich, kriege aber keine Antwort, also gehe ich davon aus, dass die beiden entweder mit ihren Lovern unterwegs sind oder lernen.

'Bücherei', schreibt mir Ranja.

Wenn keiner zu Hause ist, dann ist es besser für mich, da ich keine auffälligen Huster und Gesichtsausdrücke sehen muss. Wir kommen bei mir an und laufen schnell die Treppen hoch. Das ist das erste Mal, dass Can bei mir ist. Alleine. Ich schließe leicht nervös die Tür auf und ziehe meine Schuhe aus. "Willst du was essen? Trinken?", frage ich Can. "Später." Ich nicke und laufe in mein Zimmer und schließe die Tür, als auch Can hineintritt. Wir schauen uns still an, was mir aber dann etwas unbehaglich wird, also setze ich mich auf den Schreibtischstuhl und hole die Embryologie Unterlagen hervor. "Also, Herzschlauch: beginnt mit der Verdickung des viszeralen Mesoderms, zentral vor der Prächordalplatte. Diese Zellen bilden zwei Gefäßabschnitte: die Endokardschläuche", lese ich vor und schaue hoch zu Can, der nickt. "Erinnerst du dich noch an die Embryologie Vorlesungen?" Ich schwinge den Kopf leicht hin und her. "Na ja." "Weißt du, wo die Verdickung anfängt?" Ich nicke. "In der kardiogenen Zone." Er nickt. "Wieso bilden die Zellen zwei Gefäßabschnitte?" "Weil somit das Herz erstmals paarig angelegt ist?" Es ist eher eine Frage, als eine Antwort. "Richtig. Du kannst es doch." Ich schüttele entgeistert den Kopf. "Nur weil ich diese Fragen beantwortet habe, heißt es noch lange nicht, dass ich die Embryologie der Organsysteme kann." Er zieht seine rechte Augenbraue hoch und zieht seine Lederjacke aus. "Werden wir ja sehen."

"Shana, es reicht!" Ich schaue ihn bockig an. "Nö!" Ich will ihm die Notizen aus der Hand nehmen, doch er drückt mich mit seiner Hand gegen meine Stirn weg. "Das reicht für heute, du hast noch eine Woche Zeit und kannst es jetzt schon auswendig, überlaste dich nicht." Ich schmolle. "Noch einmal." "Nein, Shana." Can schaut mich verständnislos an. "Bitte." Ich setze meinen Hundeblick auf. "Nein, Shana. Das zieht bei mir nicht." Ich schnaube. "Gemeiner Junge." Aus meiner Hosentasche hole ich mein Handy raus und sehe, dass gerade mal erst eineinhalb Stunden vergangen sind. "Can, wir haben nicht einmal zwei Stunden gelernt!", gebe ich entsetzt von mir. "Sei doch froh! Du hast ein sehr gutes Gedächtnis und konntest es dementsprechend schnell und perfekt auswendig lernen." Eigentlich bin ich eine Person, die vieles vergisst. "Lernen wir jetzt wenigstens für Anatomie?", frage ich und lächele schüchtern, woraufhin er seufzt. "Seit wann bist du so besessen zu lernen?" Ich zucke mit meinen Schultern. "Wir essen erst einmal was", sagt Can, woraufhin ich in die Küche flitze und aus dem Tiefkühlschrank eine Pizza hervorziehe. "Isst du immer Pizza?", fragt Can mich, woraufhin ich den Kopf schüttele. "Ich ernähre mich schon gesund", erzähle ich ihm stolz und strecke danach verstohlen meine Zunge raus, was Can sieht. "Shana", ermahnt er mich. "Die Pizza ist nur ein Mitternachtssnack, mehr nicht", versichere ich ihm. "Und du nimmst nicht zu?", fragt er verblüfft. "Was soll das heißen?", frage ich und stemme meine Hand auf meine Hüfte. "Nichts, also-," "Schon gut, ich nehme sowas nicht persönlich", sage ich schmunzelnd, da Can etwas unsicher geworden ist. "Und nein, ich nehme nicht zu", ergänze ich und hole Paprika und Mais raus. Can heizt den Ofen vor und geht in mein Zimmer, woraufhin ich höre, wie er meine Schubladen öffnet und schließt, weswegen ich alles stehen und liegen lasse und ins Zimmer spurte. Er ist gerade dabei die Schublade zu öffnen, wo meine Unterwäsche ist. "Can!", kreische ich und schubse ihn zur Seite, weswegen er verstört schaut. "Was fällt dir ein, meine Unterwäsche anschauen zu wollen?", fahre ich ihn an, woraufhin er abwehrend seine Hände hebt. "Ich wollte nur nach deinen Medikamenten suchen, mehr nicht", kommt es unschuldig von Can, der danach anfängt schelmisch zu grinsen. "Aber jetzt weiß ich wenigstens Bescheid, wo du deine Unterwäsche aufbewahrst." Er zwinkert mir zu und kriegt einen Schlag gegen die Brust ab. "Shana, was habe ich dir gesagt?" Ich schaue schnaubend zur Seite. "Genau: es tut nicht weh." Can lacht leise und läuft zu meinem Nachttisch, wo er dann die Schublade öffnet. "Shana!", sagt er entsetzt. "Ja?" Can schaut mit zusammengezogenen Augenbrauen zu mir. "Wie viele Medikamente und Salben besitzt du?!" Er holt eine Handvoll Salben raus und tut sie dann wieder in die Schublade. "Viele", nuschele ich, woraufhin er mit der Zunge schnalzt und meine Laktoseintoleranz-Tabletten rausholt. Wir laufen wieder in die Küche, wo ich die rote Paprika kleinschneide, ihn mit dem Mais auf die Pizza tue und ihn dann mit etwas Käse noch in den Ofen schiebe. Can hält mir eine Tablette und ein Glas Wasser hin. "Die Packung ist noch ziemlich voll", sagt Can in einem mahnenden Ton. "Ja." Ich lege meinen Kopf in den Nacken und schlucke die Tablette runter. "Und wieso?" Ich schürze meine Lippen und lege das Glas ab, was er dann nimmt und austrinkt. Stimmt, er mag es ja nicht, wenn ein Glas nicht ausgetrunken wird. "Weil ich mir neue gekauft habe", gebe ich neutral von mir und versuche nicht unsicher zu werden, durch seine Blicke. "Lüg mich nicht an." Nun beiße ich mir auf die Innenseite meiner Wange. Can ist anscheinend nicht nur ein Medizinstudent, sondern auch ein Gedankenleser. Wir stehen schweigend in der Küche und mustern uns gegenseitig heimlich. Ich mag Cans Kleidungsstil. Er ist irgendwie schlicht, aber auch auffallend. Vielleicht, weil keiner so gut aussieht, wie er es tut? Er steht gerade in einem lockeren, schwarzen T-Shirt und einer schwarzen Hose vor mir und sieht total gut aus. Er trägt heute diese Patronenkette und mir ist aufgefallen, dass er sie vor allem dann trägt, wenn wir eine Prüfung haben. Ist er sein Glücksbringer? Ich setze mich hin, was Can mit gleichtut und nehme dann seinen tätowierten Arm, um mir die Tätowierungen genauer anzusehen. Ich fahre mit meinen Fingern über den Kopf von Zeus und dann über seinen Bart, bevor ich auf den Engel schaue. Ich finde seine Tattoos total schön und außerdem machen sie Can noch attraktiver. Ich greife nach Cans Hand und streiche mit meinem Daumen über den Löwen.

"Ich mag deine Tattoos", gestehe ich und schaue zu Can, der mich anlächelt. "Willst du selber Tattoos?", fragt Can mich. Als Antwort nicke ich. "Aber ich darf nicht", kommt es mürrisch von mir. "Deine Eltern?" Ich nicke. "Willst du noch mehr Tattoos?", frage ich, woraufhin Can nickt. "Am Oberarm ist noch etwas frei, das soll bedeckt werden." Er hebt den Ärmel des T-Shirts an, woraufhin ich nicke. "Und soll es ebenfalls etwas aus der griechischen Mythologie sein?" Er nickt. "Ich habe an Medusa gedacht oder Athene. Aber bei beiden muss eine Rose dabei sein." Ich werde später auf jeden Fall nach Tattoos googlen. "Wieso eine Rose?" Er zuckt mit seinen breiten Schultern. "Ich mag Rosen." Süß. Wenn man Can nicht kennen würde, würde man denken, er wäre einer der Personen, die Rosen anzündet. "Hast du schon Vorlagen?" Er schüttelt seinen Kopf. "Die sahen alle scheiße aus." Ich zücke mein Handy hervor, suche nach einem Medusatattoo und werde schnell fündig. "Das ist doch schön", nuschele ich und zeige ihm ein Bild von einem Frauenkopf, der Medusa repräsentieren soll. Sie besitzt weder Iris noch Pupillen und hat stark ausgeprägte Wangenknochen und natürlich hat sie Schlangen auf dem Kopf. "Schick mir das Bild." Ich lächele stolz. Ich habe seinen Geschmack getroffen. "Sie erinnert mich an dich." Empört ziehe ich die Luft ein. "Gar nicht!", gifte ich ihn an. "Doch, manchmal hat man das Gefühl, vor deinen Blicken fliehen zu müssen und außerdem hast du auch eine lange Zunge, Medusa." Ich haue ihn, was ihn lachen lässt. "Der linke Ventrikel besteht überwiegend aus dem primitiven Ventrikel." Can stöhnt genervt auf und schaut nach der Pizza. "Hol schon mal einen Teller raus, die ist gleich fertig."

"Der Unterarm stellt die Verbindung zu der rumpfferneren distalen Handwurzel - Carpus - und Hand - Manos - her. An den unteren Gliedmaßen beginnt die Orientierung dorsal an der Gesäßgegend - Regio gluteralis. Distal schließt sich die Oberschenkelgegend - Regio femoralis oder Fermur - an, die dann in die Kniegegend Genus übergeht. Der jetzt folgende Unterschenkel - Crus - reicht bis zum Fuß - Pes." Can nickt und legt die Blätter weg. "Jetzt die Muskelanatomie." Ich seufze. "Hier ist das Articulatio cubiti und hier das Glenohumeralgelenk." Can nickt, ich seufze. "Warte, ich habe hier doch irgendwo diese Prometheus-Poster vom Muskelaufbau." Ich suche in meinen Büchern und in der Verpackung, doch finde sie einfach nicht. "Can, schau mal-, oh mein Gott! Can!", kreische ich, als ich mich umgedreht habe und Can oberkörperfrei vor mir stehen habe. "Hier hast du die Anatomie der Muskeln", schmunzelt er, während ich rot werde. Seine Muskeln sind verdammt definiert geworden. "Can, zieh dich an!", zische ich und fahre mir über meine heißgewordene Stirn. "Musculus pectoralis major", sagt Can und zeigt auf seine Brust. "Can", knirsche ich und höre, wie jemand im Flur ist. "Can! Zieh dich an!", zische ich, woraufhin die Tür von Ranja aufgemacht wird, die uns verdutzt anschaut und langsam anfängt zu schmunzeln. "Ranja, nein", flehe ich. "Hallo, Ranja", begrüßt Can Ranja freundlich und gibt ihr die Hand, was Ranja kichern lässt. "Ach, deswegen hast du gefragt, wo wir sind. Du Schlingel." Can und sie lachen, während ich am liebsten heulen würde. "Nein", quengele ich. "Was macht ihr?", fragt sie und beißt sich auf ihre Lippen, um nicht loszulachen. "Wir lernen", sagt Can und schaut mich lächelnd an. "Ach so. Ist das eine neue Methode?" Er nickt. "Für die Anatomie der Muskeln." Nun gibt Ranja einen verstehenden Laut von dich. "Dann wird Shana ja ganz fleißig lernen. Viel Spaß, ich koche etwas", kichert sie und verlässt das Zimmer. "Nettes Mädchen", sagt Can, bevor ich ihn attackiere. "Shana, nicht so wild!", ruft Can lachend. "Ich bring dich um!" Ich schubse ihn gegen die Tür und schlage gegen seine nackte Brust. "Shana, das tut nicht weh." Ich höre nicht hin und kneife in seine Brustwarze, was ihn aufschreien lässt. "Das tut aber weh", gebe ich lachend von mir. "Die Mamilla ist sehr empfindlich", informiere ich Can, der seufzt und mich an meinen Oberarmen hochhebt. "Und der Bizeps und der Musculus deltoideus sind sehr kräftig." Er schmeißt mich auf mein Bett, weswegen ich aufschreie und zur Seite weiche. "Komm, wir fangen mit den ventralen Muskeln an", sagt Can, setzt sich vor mich hin und nimmt dann grinsend meine Hand. "Musculus pectoralis major." Er hält meine Hand auf seine Brust. "Musculus pectoralis minor." Er geht weiter lateral. "Aber der wird doch vom pecoralis Major überdeckt." "Psht." Ich seufze und genieße das Tasten seiner Muskeln heimlich. "Musculus serratus anterior." Er geht an die Seiten seiner Rippen, weswegen ich versuche ihn zu kitzeln. "Ich bin nicht kitzelig." Ich nicke halb bei der Sache, da ich gerade zu beschäftigt bin seinen Körper heimlich zu begaffen. "Musculus obliquus externus abdominis", sagt Can rau und fährt mit meiner Hand an die Seiten seines Bauches. Kurz schaue ich desinteressiert hoch, damit er nichts Falsches denkt und sehe ihn schmunzeln, schaue aber dann wieder auf meine dreidimensionale Abbildung. Nun fährt er über seine Bauchmuskeln, wo ich meine Lippen aufeinanderpressen muss. "Wie heißen diese Muskeln, Shana?", fragt er mich. Ich ignoriere die Gänsehaut und das Kribbeln im Bauch und schlucke. "Musculus rectus abdominis." Er nimmt meinen Zeigefinger und fährt einmal durch die Linie, die seine Bauchmuskeln senkrecht trennt. "Linea alba." Er summt ein Ja. Nun fährt er mit meinem Finger über die waagerechten Linien. Herrgott ist es warm hier. "Tendinous intersections." Can tätschelt meinen Kopf. "Schlaues Mädchen." Nun fährt er mit meiner Hand über seine V-Linie und langsam wird mir nicht mehr warm, sondern heiß - verdammt heiß. "Inguinal Ligament", flüstere ich schluckend. Er geht zu seinem Hüftknochen und zeigt auf einen bestimmten Punkt. "Der iliac crest gehört nicht zu den Muskeln, Can", gebe ich mit einer festeren Stimme von mir und räuspere mich. "Wir können ja auch einige Knochen abfragen. Ein Skelett hast du hier ja auch nicht." Seine Stimme ist so total ruhig und das heißt, dass er etwas im Schilde führt. "Umbilicus", sage ich, als er auf seinen Bauchnabel zeigt und lache kurz. "Dein Bauchnabel ist voll süß." Ich verstumme und räuspere mich, um wieder professionell rüberzukommen. "Danke." Er schaut mich kurz selbstsicher an, zieht seine rechte Augenbraue hoch und fährt langsam seinen Bauch ab, während ich versuche nicht zusammenzuzucken. Als er nach seinem Gürtel greifen will, schreie ich empört auf und haue ihn, was ihn lachen lässt. "Du musstest dich mal sehen, du hast wie jemand geguckt, der zum ersten Mal einen Mann gesehen hat", lacht er, während ich beleidigt meine Augenbrauen zusammenziehe. "Na und? Ist es auch", gebe ich trotzig von mir. "Oh, stimmt." Er lächelt mich an und zwinkert danach.

"Jetzt kommen die dorsalen Muskeln." Er lächelt und dreht sich um, weswegen mir sein prächtiger Rücken zur Verfügung steht. Was soll schon schief gehen? Ich entspanne mich etwas und fahre voller Absicht mit meinem Nagel über seine Wirbelsäule, was ihn leicht zischen lässt. "Columna vertebralis." Ich zeige auf seinen kräftigen Trapezmuskel. "Musculus trapezius und dahinter müsste der Musculus levator scapulae sein." Ich tippe auf sein Schultergelenk. "Musculus deltoideus. Überdeckt das Schultergelenk oder auch Articulatio humeroscapularis genannt." Ich nenne noch weitere Rückenmuskel und will den großen Rückenmuskel nennen und auf ihn tippen, bis mir Cans Narbe wieder ins Auge sticht. "Ein Muskel fehlt noch", weist Can mich hin. Ich will seine Narbe nicht anfassen, da er schon beim ersten Mal, als ich sie angefasst habe, sich verspannt hat. Ich möchte keine schlechten Erinnerungen hervorrufen. Die Narbe verläuft schräg über den Muskel. Zwar kann ich über die Narbe tippen, aber ich habe etwas Angst, dass er trotzdem zurückerinnert wird. "Shana, den Muskel kennst du." Ich nicke. "Ich weiß, Can. Nur will ich nicht drauf zeigen." Ich könnte auf die rechte Seite des Muskels zeigen, doch auch da verläuft die Narbe ein wenig. Ich will einfach nicht. "Wieso?" Can dreht seinen Kopf zu mir. "Deine Narbe", flüstere ich, woraufhin sich seine Rückenmuskulatur leicht anspannt, genau wie sein Kiefer. "Okay", flüstert er und nimmt meine Hand. "Du gehst jetzt ganz langsam über die Narbe, okay?" Er schaut mich leicht lächelnd an, während mein Mund sich leicht öffnet. Er lässt sie mich anfassen. In meinem Bauch und Brustbereich breitet sich eine wohlige Wärme aus. Ich schaue in den Spiegel gegenüber von uns und sehe, wie Can sich über die Lippen leckt und konzentriert zu Boden schaut. "Wenn du es nicht möchtest, dann muss ich es nicht tun", sage ich leise. "Mach es, Shana." Er schaut mich im Spiegel an und lächelt leicht. Ich lächele zurück und lege meine Finger auf den Ansatz der Narbe. Kurz schaue ich in den Spiegel und sehe, wie Can leicht sein Gesicht verzieht. "Wenn's nicht mehr geht, dann sag bescheid." Er nickt. Die Narbe ist ungefähr drei Nuancen heller, als seine eigentliche Hautfarbe und schimmert leicht. Sie fühlt sich glatt und straff an. Unter der Narbe erkenne ich leichte Einbuchtungen und über der Narbe auch, was mich die Augenbrauen zusammenziehen lässt. Die Narbe kommt mir jetzt auch viel länger vor. Das sind keine fünfzehn Zentimeter mehr, es sind mehr. Ich schaue noch einmal in den Spiegel und sehe, dass Cans Augen leicht zusammengekniffen und seine Augenbrauen zusammengezogen sind. Als ich auf seinen Hinterkopf schaue, sehe ich, dass seine Kiefermuskel zucken. Ungefähr bei der Mitte komme ich jetzt an und spüre eine große Einkerbung. Sofort entzieht sich Can der Berührung und dreht sich seufzend und mit einem etwas leidenden Blick zu mir. Ich presse meine Lippen aufeinander und gebe ihm seinen Pullover. Schweigend setzt er sich neben mich und fährt sich durch seine Haare. "Wie lang ist die Narbe?", frage ich und atme aus. Habe ich die ganze Zeit die Luft angehalten? "Achtundzwanzig Zentimeter." Wow. Ich habe ich ja anfangs total vertan. "Da waren... Einkerbungen." Er nickt. "Kam vom Unfall." Er kratzt sich am Nacken. Mir ist aufgefallen, dass er es immer mit der rechten Hand tut und nie mit der linken, auch in der Oberstufe war es so. "Wieso kratzt du dich immer mit der rechten Hand immer am Nacken?", frage ich vorsichtig. "Der Unfall hat meine Muskulatur beeinträchtigt", erklärt er mir. "Ouh." Ich beiße auf meine Unterlippe und nicke. "Können wir bitte ein anderes Mal darüber reden? Ich will dir alles genau erzählen", bittet er mich, woraufhin ich sofort nicke. "Ja, klar. Du kannst es auch sein lassen." Ich beiße mir auf die Zunge, da ich so sehr wissen will, was genau passiert ist. Er lächelt leicht. "Ich weiß doch, wie neugierig du bist." Er schenkt mir ein kleines Lächeln mit viel Bedeutung. Mir fällt auf, dass wir ganz nah aneinander sitzen und ich leicht angespannt bin. "Alles okay?", fragt er mich und kommt mir näher. "Ich habe Hunger." Ich presse meine Lippen aufeinander und sehe, wie er sich ein Lächeln verkneift. "Ich auch."

Wieso kommt es mir so vor, als ob er nicht vom Essen redet?

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