Kapitel 1
Montag, 5. Oktober
Okay! Heute ist es also soweit. Mein erster, richtiger Tag an der Universität Hamburg, als Medizinstudentin. Ich habe es wirklich geschafft. Ich musste zwar ein Jahr warten, doch habe vor Freude geweint, als ich einen Brief der Universität erhalten habe, wo stand, dass ich nächstes Jahr Medizin studieren darf und hier stehe ich gerade: in Hamburg. Zwar bin ich gerade noch nicht in der Universität, doch stehe gerade aus dem Bett auf. Nach der kleinen Einführung an der Uni beginnt endlich meine aller erste und richtige Vorlesung. Ich wohne seit einigen Monaten in einer WG mit Saliha und Ranja und teile mit ihnen einen Job. Hört sich komisch an, ist aber machbar, da Ranjas Onkel uns gewährt hat einen Job in seinem Restaurant zu haben. Wir wechseln uns dann immer ab, wer die nächste Schicht übernehmen soll.
Mit einem Grinsen stehe ich auf und greife nach meinen Sachen, die ich schon einen Tag davor bereit gelegt habe. Leider muss ich mich wärmer anziehen, da es in Hamburg kälter ist, als in Nordrhein-Westfahlen, aber diesen Preis musste ich fürs Herziehen eingehen. Ich greife nach meiner dunklen, high-waisted Jeans und nach meinem weißen Rollkragen-Body. Meine Haare binde ich mir zu einem Dutt und ziehe ihn etwas locker, bevor ich mich einsprühe und ins Bad laufe. "Ach! Du bist schon wach?", kommt es überrascht von Ranja, die gerade das Frühstück macht. "Natürlich. Ich will meinen ersten Tag, als Medizinstudentin nicht verschlafen." Ich laufe in die Küche, die wir in dunklen Brauntönen gestaltet haben und die auch mit dem Wohnzimmer verbunden ist und setze mich auf den schwarzen Holzbarhocker. "Saliha! Beeil dich.", rufe ich, woraufhin eine geschminkte Saliha aus dem Badezimmer kommt. Saliha wollte anfangs eigentlich Geschichts- und Politikwissenschaften studieren, was sie auch anfangs durchgezogen hat, doch es hat ihr einfach nicht mehr gefallen, weswegen sie Geschichten, Sprachen und Kulturen des vorderen Orient studiert. Dabei hat sie sich für den Schwerpunkt Islamwissenschaft entschieden und ist deswegen mit Ranja und mir hier in Hamburg. "Oh, Schafskäse!", kommt es voller Elan von Saliha, woraufhin wir uns aufs Frühstück stürzen. Mein erster Tag als Medizinstudentin. Das hört sich so schön an, dass ich verträumt lächeln muss. Cans drittes Semester im Studium. Mein Lächeln verfliegt und ich verschlucke mich an meinem Happen, weswegen mir Ranja auf den Rücken haut. "Ruhig essen, du hast noch Zeit." Ich nicke und trinke einen Schluck. Vergessen habe ich diesen Jungen nie, aber ich bin über ihn hinweggekommen, auch wenn mich seine Beichte nächtelang verfolgt hat. Er sah so niedergeschmettert aus, aber ich wusste einfach nicht, was ich für diesen Jungen fühle. Ich mochte ihn, ich habe mich wohlgefühlt, aber ich konnte ja nicht wissen, ob meine Gefühle für etwas Festes reichen. Über ihn bin ich aber schnell hinweg gekommen, was also heißt, dass es doch keine Liebe war, die ich für ihn empfunden habe. Er lebt sein Leben und ich meins. Zu Ramazan und Malik stehe ich immer noch gut im Kontakt, was mich sehr glücklich macht. Die beiden sind wahre Goldschätze, die ich nicht verlieren will.
Ich frühstücke zu Ende und gehe wieder zurück in mein Zimmer. Die WG besteht nur aus zwei Schlafzimmer und wir haben uns geeinigt, dass ich das Einzelzimmer bekomme, da mein Studiengang das anspruchsvollste ist. Trotzdem verbringe ich die meiste Zeit im Zimmer der beiden, was sich ab heute doch ändern könnte, da ich mich ab heute in meiner Freizeit mit dem Lernen beschäftigen werde. Ich schaue, ob ich alles in meine Tasche gepackt habe und laufe dann ins Badezimmer, wo ich mir meine Zähne putze und mir das Gesicht wasche. Ich zupfe noch etwas an meinen Haaren herum und seufze zufrieden. Danach laufe ich wieder ins Zimmer, wo ich mir meine Socken anziehe, da ich vergessen habe, welche anzuziehen und parfümiere mich noch einmal mit meinem liebsten Hollister Duft ein, bevor ich mir dann meine Jacke über ziehe und dann meine Tasche schultere, in der zukünftig viele, fette Anatomiebücher stecken werden. "Können wir los?", frage ich aufgeregt und komme bestimmt wie ein kleines Kind rüber, aber ich kann nicht ruhig bleiben, wenn ich ungefähr zwanzig Minuten von meinem Traum entfernt bin. "Ja, nimm die Schlüssel." Apropos Schlüssel: einen Führerschein besitze ich immer noch nicht, wieso? Weil ich zu faul war. Ich habe einige Monate im Snipes gearbeitet und auch gut verdient, aber den Führerschein zu machen, kam mir nie in den Sinn. Egal, irgendwann nach sechs Jahren mache ich es. Ich ziehe mir schnell meine Schuhe an und laufe zurück ins Zimmer, wo ich mir meine goldene Kette umbinde und dann runter zu unserem kleinen, schwarzen BMW renne, denn wir uns durch Arbeit und unsere Eltern gekauft haben. Ich schließe das Auto auf und lasse mich auf dem Beifahrersitz nieder, warte geduldig auf Saliha, die sich dann auf den Fahrersitz und Ranja auf den Rücksitz setzt und gebe einen Freudenschrei von mir, als wir endlich losfahren.
Lady Marmelade von Christina Aguilera dröhnt aus den Boxen, zudem wir alle drei singen und tanzen. "Voulez vous coucher avec moi ce soir", singe ich und werde von den beiden anderen unterbrochen. "Shana, gib es auf. Du wirst Ärztin, keine Sängerin", kommt es von Ranja, für die ich extra lauter singe. Wir fahren fünfzehn Minuten, da auf der Autobahn fast niemand ist und parken dann auf einen der tausend Parkplätze der Universität. Ich steige aus dem noch langsam fahrenden Auto und kriege von Saliha Beleidigungen an den Kopf geschmissen, doch das interessiert mich gerade gar nicht. "Ich studiere Medizin!", quietsche ich und laufe auf das riesige Komplex zu, wo ich sechs Jahre hingehen werde - wenn ich es schaffe. Ich warte, bis Saliha und Ranja kommen, da ich nicht alleine verloren gehen will. Ich war zwar drinne, doch weiß, dass ich eine Karte brauche, da ich sonst nie wieder da rauskomme. Es ist wirklich gewaltig. Überall sind Studenten, die alleine sind oder in Gruppen, während ich wie ein Neuling - der ich auch bin - vor dem Eingang warte und vom weiten Salihas langen, dunkelbraunen Haare und Ranjas lockigen Busch sehe, die beide tadelnd ihren Köpfen schütteln. Man könnte meinen, dass eine emanzipierte, 20-Jährige Frau sich anständig und reif benehmen sollte. Die Betonung liegt auf sollte, denn ich werde mich ganz sicherlich nicht für einen Haufen von Kommilitonen anständig benehmen. Ich werde so sein, wie ich bin, pff. "Mal sehen, wer hier so hübsch ist", säuselt Saliha, die dann gluckst. Wir schauen uns alles genau an und finden den einen oder anderen hübschen Jungen. "Ja, ich glaube hier werde ich fündig", kommt es dann grinsend von Ranja, woraufhin wir anfangen zu lachen. "Wie lange haben wir noch?", frage ich. "Zehn Minuten." Ich sehe vom weiten den Saal für die Medizin Vorlesungen und laufe sofort dahin. "Man kann sich auf verabschieden!", höre ich Ranja hinter mir sagen, die bestimmt ihren Kopf schüttelt und lächelt. Ich öffne die Tür, wo mir über hundert dunkelblaue Stühle, chronologisch angeordnet ins Auge fallen. Es sind zehn lange Reihen, die sich durch den ganzen Saal erstrecken. "Wow", hauche ich und laufe auf die Sitze in der ersten Reihe zu, wo ich meine Jacke und Tasche ablege und dann auf die Treppe zulaufe. Ich bleibe auf den Treppen stehen und schaue mir den blassgelben Raum noch einmal an. Ich inspiziere ihn, obwohl es nichts zu inspizieren gibt, außer die über hundert grellen Leuchten an den Decken und den großen Beamer, die mir ein großes Lächeln ins Gesicht zaubern. Ich höre, wie jemand die Tür öffnet und sie dann wieder schließt, lass mich aber nicht davon beirren und fahre mir fasziniert über meine Unterlippe.
Als sich dann eine Hand auf meine Taille legt, ziehe ich die Augenbrauen zusammen, verspanne mich aber dann direkt, als ich den Geruch registriere. "Man sieht sich immer zweimal im Leben", haucht mir seine altbekannte Stimme zu, die nach einem Jahr tiefer und rauer geworden ist und eine starke Gänsehaut verursacht.
Nein, das kann nicht sein.
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