Weiß wie Lotus III
Der Ausdruck in den Augen des Dämons änderte sich, der Blick wurde weicher. In der Düsternis entzündete sich ein Funke Licht, der zumindest die frostigste Kälte vertrieb.
„Du wolltest fortlaufen?", fragte er. Keine Anklage, keine Härte. Nur eine nüchterne Feststellung mit einem Hauch Enttäuschung.
Apio schluckte. Er witterte eine Falle, doch eine Lüge wollte ihm nicht über die Lippen kommen. Und daher nickte er nur, denn er vermutete, dass seine Stimme ihm in diesem Augenblick den Dienst versagen würde.
„Verstehe" antwortete Hua Li und trat zu Apio heran. Sein Blick wanderte zu dem Köfferchen mit dem Verbandszeug und er neigte den Kopf leicht, bis er sich auf das Bett setzte. „Darf ich?", fragte er, wartete aber nicht, bis Apio antwortete oder gar wusste, worum es ging, und zog ihm stattdessen gleich die Decke weg, damit er die Wunden betrachten konnte.
Apio gelang es nicht rechtzeitig, den Griff zu verstärken, und der Stoff glitt ihm einfach aus den Händen. Wieder ging ein Luftzug durch den Raum und wieder fröstelte er. Doch gleichzeitig trommelte das Herz gegen seine Rippen und Hitze stieg ihm in die Wangen.
„Das sieht nicht gut aus", sagte Hua Li. „Du hättest wirklich liegen bleiben sollen." Er nahm sich die Schere und trennte geschickt den Verband auf und wickelte ihn von dem Oberkörper, ehe Apio auch nur ein Wort des Protestes herausbrachte.
„Ich weiß", murmelte er stattdessen nur. „Aber ..." Er brach ab. Weshalb wollte er dem Dämon denn die Gründe beichten? Weshalb sprach er überhaupt mit ihm? Er blickte sich auf den Oberkörper. Tief waren Schnitte in die Haut gefurcht. Blutig, denn kaum hatten die Wunden angefangen zu heilen, waren sie schon wieder eingerissen.
Doch zu seiner Überraschung wirkte es nicht wie etwas Lebensbedrohliches. Nichts, das ihn unweigerlich umbringen würde, doch ihm wurde nach und nach bewusster, dass er – gerade er – diesen Sturz nie überlebt hätte.
Eigentlich.
Denn irgendwie war es ihm doch gelungen.
„Aber?", hakte Hua Li nach und riss ihn aus seinen Gedanken.
„Nichts." Apios Stimme wurde leiser. „Nur ..." Erneut brach er ab. Was wollte er überhaupt sagen und was wollte Hua Li hören?
„Nur?"
Apios Blick flackerte nach oben. Obwohl das dunkle Braun der Augen sanft sein sollte, sah er nur Kälte. Obwohl der Ton der Stimme warm war, fror er.
Hua Li erhob sich, sagte: „Ich bin gleich zurück", und verschwand aus dem Zimmer.
Apio sah ihm nach, wagte es aber nicht, sich zu entspannen und nur wenige Minuten später, öffnete sich die Tür und Hua Li war zurück. Diesmal mit einer Schüssel Wasser und einem Lappen, der darin schwamm. Er setzte sich wieder auf das Bett und stellte die Schüssel zu seinen Füßen hin.
Den Stofffetzen nahm er aus dem Wasser, wrang ihn einmal aus und wandte sich Apio zu. „Du wolltest etwas sagen", meinte er und tupfte vorsichtig das frische und das getrocknete Blut von Apios Oberkörper.
Doch Apio betrachtete die Hände nur stumm bei ihrem Werk. Lang und feingliedrig waren die Finger. Die Nägel kurz, aber gepflegt. Keine raue Haut, keine Aufschürfungen. Einfach perfekte Hände.
Er riss sich von dem Anblick los und räusperte sich. „Als ... als du mich gefunden hast, war dort noch jemand bei mir?"
Hua Lis Blick flackerte kurz auf, aber der Dämon konzentrierte sich lieber wieder auf die Reinigung der Wunde. „Nein, du warst allein", antwortete er. „Warum fragst du?"
„Mich würde nur interessieren, ob jemand überlebt hat", sagte Apio und knetete die Hände in seinem Schoß.
„Meines Wissens nicht", antwortete Hua Li. Der Ton ruhig, nahezu gleichgültig. „Aber ich war während des Angriffes nicht zugegen. Erst als sich der Staub gelegt hat, kam ich zurück, um Liu Shijia zu suchen."
Apio zuckte bei dem Namen zusammen. „Könnte er nicht auch bei dem Angriff gestorben sein?", fragte er.
„Ich denke nicht", sagte Hua Li. „Um genau zu sein, weiß ich, dass er noch lebt. Und genau deshalb darfst du mir dabei helfen, ihn zu finden." Das war kein Vorschlag, nein, der Dämon hatte ihn nur deswegen bei sich aufgenommen.
„Weshalb glaubst du nicht, dass er gestorben ist?", hakte Apio nach. Darüber zu sprechen, schien ihm riskant und könnte Hua Li auf die falschen – oder eher die richtigen – Gedanken bringen, doch er konnte seine Neugier nicht besiegen.
An die Namen in dieser Welt hatte er sich lange gewöhnen müssen. Jeder besaß Titel und Geburtsnamen und Hofnamen und er hatte stets das System gebraucht, um sich alle merken zu können. Über die ersten Spielstände hatte er sich stets gewundert, wer gemeint war, als von einem Jiang Danshi gesprochen wurde, der die Welt von allem Übel befreite, bis ihm das System erzählte, dass dies Makiros Hofname sei. Ein Name, mit dem die Figur von denjenigen außerhalb der Familie oder den engsten Vertrauten angesprochen wurde.
Apio hatte es jedoch immer bevorzugt, ‚Apio' genannt zu werden. An seinen Hofnamen hatte er sich nie gewöhnen können und ihn nun so oft zu hören, bereitete ihm Gänsehaut.
„Ich habe meine Informanten", sagte Hua Li. Er ließ den Lappen zurück in das Wasser fallen und nahm sich stattdessen einen sauberen Verband, mit dem er sogleich Apios Oberkörper umwickelte. Jedes Mal, wenn die kalten Finger die Haut streiften, zuckte Apio zusammen, aber er schwieg und hakte auch nicht weiter nach, wer diese Informanten waren. Denn eigentlich waren er und Hua Li doch Feinde und wer würde dem Feind schon jeden Plan verraten?
„Aber die Dämonen sind nicht verantwortlich für das, was geschehen ist, oder?", fragte Apio, hätte sich keinen Augenblick später aber am liebsten die Zunge deswegen abgebissen. Wenn er weiterhin am Leben bleiben wollte, dann sollte er den Dämon nicht erzürnen.
„Ich weiß es nicht", antwortete Hua Li. „Ich war es nicht und niemand aus Jiaoji tat es. Aber weißt du, was jeder Mensch macht? Weißt du, was in den anderen Sekten vor sich geht und welche Pläne jede einzelne verfolgt?"
„Nein", murmelte Apio. „Das hatte ich nicht bedacht."
„Ein typischer Fehler der Menschen", sprach Hua Li weiter. „Wollen nicht, dass man sie alle über einen Kamm schert, doch tun dasselbe mit uns."
„Tut mir leid" sagte Apio immer noch leise. „Das war nicht meine Absicht." Den Funken Zorn in seinem Gegenüber wollte er löschen, ehe er noch die halbe Welt in Brand steckte.
„Es ist doch nie die Absicht von irgendwem." Hua Li schnaubte, ging aber nicht weiter darauf ein. Er machte einen Knoten in den Verband, blieb aber noch sitzen, holte tief Luft und meinte: „Es ist besser verheilt, als ich erwartet hatte. Du hast dein Qi sicherlich stark kultiviert, damit du so eine Verletzung so einfach überstehen konntest."
Apio schluckte. Was?
„Und du warst bestimmt auch sehr angesehen in der Sekte", fuhr Hua Li fort. „Darf ich?" Die schlanken Finger strichen an seinem Arm entlang und ließen Apio schauern. Sie legten sich auf das Handgelenk. Ungeübte Augen mochten denken, er wollte Apios Puls erfühlen, doch genau dort, direkt unter der dünnen Haut, befand sich ein Meridian und in diesem Meridian floss das Qi.
„Mhm", machte Apio. Es würde sicherlich kein Nachteil daraus entstehen, Hua Li nach seinem Qi schauen zu lassen. Doch bei diesem Gedanken zuckte er zurück und entriss ihm seinen Arm. Der Dämon sollte nicht erfahren, dass Apio keinerlei Umgang mit seinen Fähigkeiten hatte, dass seine Kultivierungsbasis vielleicht irgendwie da war, aber lange nicht so ausgereift, wie es für jemanden mit seinem Status sein sollte.
„Bemerkenswert", sagte Hua Li, denn er hatte gesehen, was er sehen wollte. „Es ist in der Tat bemerkenswert."
Über Apios Kopf bildete sich ein Fragezeichen. Noch nie hatte irgendwer irgendetwas an ihm ‚bemerkenswert' genannt. Hitze stieg in seine Wangen. Er hatte nie gut mit Komplimenten umgehen können – errötete entweder oder brach sogar in Tränen aus –, aber er hatte nie befürchtet, dass es ihm in dieser Welt zur Last fallen würde.
„Ist es das?", fragte er und betrachtete seine Hände.
„Das ist es", sagte Hua Li und rückte von ihm ab. „Aber ich möchte dich nun nicht länger stören." Er stand auf und sammelte sowohl das Köfferchen als auch die Schüssel wieder ein. Und mit dieser einfachen Geste war das Gespräch beendet. „Du solltest dich lieber wieder ausruhen. Ich werde in einigen Stunden nach dir schauen, aber wenn du vorher noch etwas brauchst oder etwas essen möchtest, dann kannst du mich gerne rufen." Er nickte zum Abschied und verschwand dann aus der Tür.
Apio sah ihm noch kurz nach, machte sich aber nur einige Augenblicke Gedanken darüber, ob dieser abrupte Abbruch des Gespräches seltsam war, entschied sich dann aber für: Nein, bestimmt nicht.
Er ließ sich zurückfallen. Schmerz zog durch seinen Oberkörper, aber er gab keinen Ton von sich. Er griff nur nach der Decke und rollte sich unter ihr zusammen. Wenigstens war es auf diese Art warm und gemütlich. Das einzige Gute, das er dieser Situation abfand.
Aber einschlafen konnte er nicht mehr. Im Gegensatz sogar, Energie durchflutete ihn und er würde lieber einen Marathon laufen, als untätig in dem Bett zu liegen.
Aber der Schmerz, der bei jeder Bewegung durch ihn zuckte, erinnerte ihn daran, dass es wohl keine gute Idee war, durch das Zimmer zu joggen. Also blieb er liegen und wartete bis die ersten Strahlen der Sonne hinter dem Horizont hervorkrochen.
Dann drehte er sich auf die andere Seite und schloss die Augen, aber es dauerte weitere Stunden, ehe er einschlief.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top