Herz aus Gold III

Apio ließ sich von Hua Li am Arm nehmen und folgte ihm zu dem freien Platz, an dem beide sich setzten.

Vor ihnen – so wie auch an allen anderen Tischen – standen Schüsseln mit Reis, Gemüse und Fleisch und Tassen. Einige dampften und in anderen war eine klare Flüssigkeit, die Apio als Alkohol erkannte.

Die anderen Anwesenden tuschelten, starrten zu ihnen. Apio lief ein leiser Schauer über den Rücken und er wandte sich Hua Li zu, um die Anwesenheit der anderen Kultivatoren ausblenden zu können.

Und wieder fiel ihm auf: Der Dämon saß wirklich anders. Ein Bein angezogen, den Ellenbogen darauf gelegt und das Kinn in seine Hand gestützt.

Die Brünette hatte die Haltung ‚ungesittet' genannt, aber Apio dachte nur: Irgendwie cool.

Sein Blick verfinsterte sich, als er bemerkte, dass er offenbar nicht Herr seiner Gedanken war und er ließ den Blick zu seinen Händen sinken, die er in seinem Schoß zusammenfaltete.

Hua Li beugte sich zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. Ein Raunen ging durch die Menge und so sehr Apio auch versuchte, es zu ignorieren, es gelang nicht.

„Möchtest du etwas essen?", fragte der Dämon, die Stimme gesenkt, damit niemand mithören konnte.

Apios Nackenhärchen stellten sich auf, sein Herz trommelte gegen seine Rippen, aber er hob den Blick, um wenigstens so zu tun, als würde er nicht vor Nervosität sterben.

„Geht schon", flüsterte er und sah in Hua Lis düstere Augen. Sein Mund wurde trocken. Er schluckte, doch der Kloß in seinem Hals blieb.

„Sicher?", fragte Hua Li. „Ich denke nicht, dass du gegessen hast, seit wir uns das letzte Mal begegnet sind." Er beugte sich noch ein Stück vor. „Und ich möchte, dass du bereit für das bist, was heute Nacht auf dich wartet."

Apio erstarrte. Er musterte Hua Li, wollte herausfinden, ob er tatsächlich meinte, was er soeben gesagt hatte.

Der Dämon schenkte ihm ein Lächeln, beugte sich noch ein wenig zu ihm und öffnete die Lippen, um noch etwas zu sagen. Apio hob seine Hände und legte sie an Hua Lis Brust.

Oh, muskulös, dachte er und war anschließend abgelenkt und vergaß, dass er seine Hände in erster Linie dorthin gelegt hatte, um den Dämon von sich zu schieben.

„Und du solltest in meiner Nähe bleiben", raunte Hua Li ihm zu. „Hier würde dich wohl jeder gern tot sehen und wir wollen doch nicht, dass dir etwas zustößt." Er zog Apio zu sich. „Und ...", begann er, aber eine Stimme unterbrach ihn.

„Hua Li, wenn Ihr mir eine Frage gestattet", sprach Hai Tun und holte Apio zurück in die Wirklichkeit. Er saß immer noch inmitten der höchsten Kultivatoren, alle Blicke ruhten auf ihm, und er – man mag es kaum aussprechen – kuschelte mit einem Dämon.

Seine Hand zuckte vor Anspannung, aber er brachte es nicht über sich, sie sinken zu lassen.

„Was sind Eure Pläne mit Liu-Shixiong?", fragte Hai Tun.

Hua Li riss seinen Blick von Apio los. „Ist das nicht offensichtlich?", fragte er zurück und zog den Kultivator an sich, bis dessen Kopf an seiner Brust lag, um seine Intentionen zu verdeutlichen.

Ein weiteres Raunen ging durch die Menge, aber Apio hatte sich schon so sehr daran gewöhnt und es als Hintergrundgeräusch abgespeichert. Er sah zu Hai Tun, hoffte, dass er nun, da Hua Li seine Absichten so deutlich gemacht hatte, etwas dagegen unternehmen würde. Aber er hoffte vergebens.

„Verstehe, verstehe", sagte Hai Tun. „Ihr habt ihn ehrlich gewonnen, also steht von meiner Seite aus nichts dagegen." Das Zucken seiner Mundwinkel verriet, dass er nicht nur nichts dagegen hatte, nein, es freute ihn sogar, Apio leiden zu sehen.

Apio seufzte leise und schloss die Augen, blendete nur für einen kurzen Moment das Umfeld aus. Und da bemerkte er etwas, das ihm zuvor entgangen war. Der Herzschlag, der an seinen Ohren pulsierte, gehörte nicht zu ihm, sondern zu Hua Li. Er hätte nicht gedacht, dass dieser Dämon überhaupt ein Herz besaß.

Bei Hai Tun hatte er Hilfe gesucht und war letztlich aber genau dort gelandet, woher er in erster Linie entflohen war. In Hua Lis Armen.

Wortwörtlicher als er es sich wünschte. Und nun, da er die abwehrende Haltung abgelegt hatte und sich Stück für Stück weiter seinem Schicksal ergab, strich der Dämon über seine Schulter.

„Ich beschütze dich", flüsterte er ihm zu.

Beschützen heißt es nun also. Apios Blick verfinsterte sich und er hob seinen Kopf wieder an, wand sich aus Hua Lis Griff und der Dämon ließ ihn zu seiner Überraschung gewähren.

Die anderen Kultivatoren hatten sich zwar wieder ihren Gesprächen gewidmet, aber Apio wurde das Gefühl nicht los, dass immer noch alle Augen auf ihn und Hua Li gerichtet waren.

„Du solltest wirklich etwas essen", riss Hua Li ihn aus seinen Gedanken.

Apio murrte und schnappte sich statt der Stäbchen eine Tasse, die mit klarer Flüssigkeit gefüllt war. Alkohol war genau das, was er gerade brauchte. Aber ehe er die Tasse an seine Lippen setzte, nahm Hua Li sie ihm aus der Hand und stellte sie zurück auf den Tisch.

„Und ich hätte dich gern nüchtern", sagte er und schob ihm stattdessen eine Schale mit Reis entgegen.

Wieder grummelte Apio. „Du willst ..." Er wedelte mit den Händen, um nicht aussprechen zu müssen, was er dachte. „... mit mir machen und ich darf mich vorher nicht einmal betrinken?", fragte er, die Stimme erhoben, sodass einige der Kultivatoren scharf Luft einsogen und Apio sich erinnerte, leise sprechen zu müssen. „In meinen Ohren klingt das mehr als nur ungerecht."

Er zuckte zusammen, erwartete schon, dass das System ihn mit Stromschlägen bombardierte und ihm Punkte abzog, aber nichts geschah. Und da erinnerte er sich: Das System war nicht länger sein Problem. Nun hatte er ganz andere Schwierigkeiten.

Hua Li beugte sich zu ihm hinunter, flüsterte ihm ins Ohr: „Ich würde dich nie zu so etwas zwingen." Der kalte Atem kitzelte auf Apios Haut und Wärme strömte in seine Wangen.

„Aber wir müssen ihnen etwas geben, an dem sie sich erfreuen können", fuhr Hua Li fort. „Sonst hätten sie uns doch schon lange vor die Tür gesetzt und das ist nicht in meinem Interesse. Heute Nacht habe ich etwas anderes mit dir vor und dafür brauche ich dich gestärkt und nüchtern. In Ordnung?"

Er richtete sich wieder auf, wartete auf eine Antwort. Apio nickte nur und ließ den Blick sinken. Was auch immer es war, für das der Dämon ihn brauchte, diesmal würde er nicht entkommen können.

„Sehr schön", sagte Hua Li und legte die Hand auf Apios Oberschenkel, kurz über das Knie.

Apio erstarrte. Er sah auf Hua Lis Hand, dann in dessen Augen und wieder zu dessen Hand. Und der Dämon verstand das Zeichen und hob seine Hand wieder an. Stattdessen nahm er seine Stäbchen und füllte Apios Reisschüssel mit Gemüse und Fleischstücken.

„Das reicht", sagte Apio. Seine Finger schmerzten, als er die Schüssel aufnahm. Lange lag es noch nicht zurück, dass er sich die Hand eingeklemmt hatte und nun da er sie wieder belastete, protestierte sie.

Langsam begann er zu essen. Eine leise Angst, dass es vergiftet sein könnte, kam in ihm hoch, doch er schob sie beiseite. Dann hätte Hai Tun doch im Vorfeld wissen müssen, dass er zu ihm käme und sich genau an diesen Tisch setzen würde. Ein absurder Gedanke.

Schon beim ersten Bissen bemerkte er, wie hungrig er war, aber weiterhin fiel ihm das Schlucken schwer.

„Hua Li", ergriff Hai Tun erneut das Wort. Die Augenbraue des Dämons zuckte, aber er wandte sich trotzdem dem obersten Kultivator zu.

„Wie lerntet Liu-Shixiong und Ihr Euch kennen?", fragte Hai Tun. Er setzte einen seiner Steine auf das Go-Feld, beachtete seinen Mitspieler aber kaum. Der Dämon war ihm ein weit interessanterer Gesprächspartner.

„Wir trafen uns zuerst in Bai Tian", sagte Hua Li. „Noch vor dem Angriff. Ein flüchtiger Besuch meinerseits, der die Türen für Weiteres öffnete."

Apio schluckte. Die Formulierung klang nicht vorteilhaft. Ganz und gar nicht vorteilhaft. Die hier Versammelten glaubten ohnehin schon, er wäre ein Verräter. Diese Verbindung zu dem Dämon bestätigte ihr Bild nur.

Er sah zu Hua Li, wollte ihn mit seinem Blick bitten, einfach still zu sein, aber der Dämon achtete nicht auf ihn.

„Dann wart Ihr schon intim miteinander?"

Apio verschluckte sich an dem Essen und hustete. Hua Li klopfte ihm vorsichtig auf den Rücken, bis er sich wieder gefangen hatte.

Erst dann wandte er sich wieder Hai Tun zu. „So kann man es nennen."

Apios Gesicht hatte mittlerweile die Farbe von Hua Lis Gewand angenommen. Entsetzt sah er zu dem Dämon, doch dieser schenkte ihm nur ein leichtes Anheben der Mundwinkel. Und in diesem Augenblick wurde ihm eines bewusst: Hua Li zerstörte gerade sein gesamtes Leben und jedes Ansehen, dass er vielleicht noch besessen hatte.

Apio vergrub das erhitzte Gesicht in den Händen. Er wollte einfach verschwinden, sich in Luft auflösen oder vom Erdboden verschlungen werden. Oder alles drei gleichzeitig. In die Weiten des Weltalles geschossen werden und dort elendig vergehen.

„Oh, wenn Ihr einander schon derart vertraut seid, dann spricht doch nichts dagegen, uns eine Kostprobe zu geben", schlug Hai Tun vor. „Wir sind hier schließlich unter uns."

Apios Kopf schoss in die Höhe. Das meinte er doch hoffentlich nicht ernst. Das konnte er doch gar nicht ernst meinen.

Ihm war nach Weinen zu Mute, denn Hua Li würde nicht ablehnen. Was auch immer diese wichtige Mission war, die er hier verfolgte, er würde sie nicht wegen solcher Nichtigkeiten riskieren. Er würde Apios Leben weiter zertreten, obwohl es schon in Scherben lag.

„Derartiges geschieht nur hinter verschlossenen Türen", sagte Hua Li.

Apio blickte zu ihm. Das hatte er von dem Dämon nicht erwartet. Nein, er hatte gedacht, dass Hua Li alles täte, was Hai Tun von ihm wollte. Aber der Fuchs ließ sich kein Halsband anlegen und folgte nicht wie ein Hund.

Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf Hua Lis Lippen, während Hai Tuns Miene sich verfinsterte.

„Versteht mich nicht falsch, Hua Li", begann der oberste Kultivator. „Es ist nicht so, dass ich ..." Er suchte nach einem passenden Wort und gestikulierte in Hua Lis und Apios Richtung. „... Derartiges gern ansehe, doch Eurem Wort traue ich noch weniger als dem Liu-Shixiongs. Und Ihr zwei wirkt auf mich nicht so, als hättet Ihr eine solche Beziehung, wie Ihr sie meint, zu haben. Liu-Shixiong sieht nicht sonderlich erfreut aus, in Eurer Nähe zu sein."

Apio schwieg. In diese Unterhaltung griff er nicht ein, so sehr es ihn auch in den Fingern juckte, richtig zu stellen, was Hua Li so verdreht hatte. Aber er wollte sich nicht in noch mehr Schwierigkeiten bringen. Sich aus dem, was der Dämon angerichtet hat, wieder hinauszuschaufeln, würde schon schwer genug sein.

„Wir hatten einen Streit", sagte Hua Li. „Das ist der Grund, weshalb ich ihm überhaupt gefolgt bin. Der Rest," er ließ den Blick durch den Raum schweifen, sah zu jedem einzelnen Kultivator, bis er wieder bei Hai Tun hängen blieb, „ist nur ein angenehmer Nebeneffekt."

Hua Lis Lächeln ließ Apio frösteln. Er rief sich zur Ordnung. Diesmal war die kühle Miene nicht gegen ihn gerichtet, diesmal konnte er sich in Sicherheit wiegen.

Hai Tuns Aufmerksamkeit wurde von dem Spiel in Anspruch genommen, sodass der Dämon sich ungestört Apio zuwandte.

„Ist alles in Ordnung?", fragte er. „Du siehst blass aus."

Apio wollte abwinken, sagen, dass es ihm gut ging, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken.

Hua Li beugte sich zu ihm, seine Lippen berührten beinahe sein Ohr. „Möchtest du gehen?", fragte er.

Apio konnte sich nicht zum Nicken bringen. Dieses Gehen hieß, mit Hua Li den Raum zu verlassen, und bei dem Gedanken kroch es ihm kalt den Rücken hinab.

Er schluckte und fragte sich erneut, wer das größere Übel war. Hua Li oder Hai Tun. Und letztlich entschied er sich, zu nicken. Bei dem Dämon wäre er zumindest sicher vor den abertausenden Blicken, die in diesem Saal auf ihm ruhten.

„Das freut mich", raunte Hua Li und auf Apios gesamten Körper breitete sich eine Gänsehaut aus. Eine seltsam warme Gänsehaut.

Der Dämon stand auf und deutete Apio mit einer Handbewegung an, es ihm gleichzutun.

„Hai Tun", sagte Hua Li und richtete damit die Aufmerksamkeit des obersten Kultivators auf sich. „Wir werden uns nun entfernen. Wenn Ihr so freundlich wärt, uns den Weg in unser Gemach zu zeigen."

Hai Tun runzelte finster die Stirn. Er hatte gehofft, noch mehr Informationen aus dem Dämon herauszuquetschen.

„Sicher", sagte er nur. Er wandte sich einer der Frauen an seiner Seite zu – Gott sei Dank nicht der Brünetten – und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie nickte, erhob sich und kam zu Hua Li und Apio.

Sie deutete eine Verbeugung an und sagte: „Wenn die jungen Herren mir folgen würden."

Und damit führte sie die beiden aus der Eingangshalle und in einen schmalen Flur. Wände und Boden waren aus Marmor und mit Gold verziert. Hai Tun ließ es sich nicht schlecht gehen und das stellte er jedem zur Schau.

Sie blieb vor einer Tür stehen. „Wenn Ihr noch Weiteres benötigt, dann zögert nicht, nach mir zu schicken", sagte sie. „Mein Name ist Fen Mian."

Hua Li öffnete die Tür und schob Apio hinein. Das Zimmer war ebenfalls aus Marmor erbaut und mit Gold geschmückt. Gegenüber der Tür ließ eine Glasfront die Strahlen der Sonne hinein. Die Einrichtung bestand nur aus einem Bett, einer Kommode und einem Tisch, an dem zwei Stühle standen. Alles aus dunklem Ebenholz gefertigt.

„Wärt Ihr so freundlich und würdet uns Tee und Speisen bringen", hörte er Hua Li zu dem Mädchen sagen.

Fen Mian nickte. „Natürlich. Ich bin sofort zurück." Sie verbeugte sich und eilte den Korridor entlang, zurück in die Eingangshalle.

Der Dämon betrat nun ebenfalls das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Apio zuckte bei dem Geräusch zusammen und wirbelte herum.

Hua Li lehnte sich gegen die Wand und verschränkte langsam die Arme vor der Brust. Und damit bereute Apio schon, dass er zugestimmt hatte, die Eingangshalle zu verlassen.

„Er nannte dich ‚Liu'", sagte Hua Li, neigte den Kopf und sah gespannt, wie sich Apios Augen weiteten.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top