Die Heimat in Trümmern I

Apios Augen weiteten sich. „Er ... er hat was?"

Jun Renyi, der Dämonenkönig, tot? So richtig tot? Das konnte doch nicht wahr sein!

Shulang wiederholte. „Er tötete Jun Renyi."

Apio sah ihn erstarrt an, wollte ihm aber immer noch nicht glauben. „Warum?", brachte er hervor. Er konnte kaum ausreichend Atem für dieses eine Wort sammeln.

„Frag ihn doch selbst", gab Shulang zurück und rümpfte die Nase. „Du siehst so aus, als hättest du nicht erwartet, dass er jemals jemanden getötet hätte, Shidi. Aber eines solltest du nicht vergessen: Er ist ein Dämon und bei den Dämonen herrschen andere Gesetze, andere moralische Vorstellungen. Wer nicht stark genug ist, stirbt. Wer Gnade erweist, stirbt. Wer versucht mit Freundlichkeit ans Ziel zu kommen, stirbt. Wer nicht tötet, stirbt. Wer ..."

„Ich habe es verstanden", unterbrach Apio ihn, ehe es in einen stundenlangen Monolog ausartete. Und er hatte wirklich verstanden. Hua Li war ein Dämon und hatte doch sogar bei dem ersten Treffen gemeint, er würde Apio lebendig kochen wollen. Da musste er nun nicht so überrascht sein, dass Hua Li auch andere Seiten hatte und anderen nicht mit der Freundlichkeit entgegenkam, die er für Apio aufbrachte.

Nur ... Jun Renyi? Niemals hätte Apio gedacht, dass es jemanden gab, der dem Dämonenkönig das Wasser reichte, geschweige denn ihn besiegte.

Apio schüttelte den Kopf und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf Shulang. „Shiye, wisst Ihr etwas über den Vorfall?" Den Mord.

Shulang hob das Kinn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nur Weniges."

„Weniges reicht mir", sagte Apio. Ein Nun rück schon raus mit der Sprache konnte er sich in letzter Sekunde noch verkneifen.

„Wenn Shidi es so gerne wissen möchte."

Apio rollte mit den Augen. Warum sprach Shulang denn jetzt auf einmal in der dritten Person. Niemand kaufte ihm mehr ab, dass er um Höflichkeit bemüht war.

„So wie ich es gehört habe", sagte Shulang, „war er auf der Suche nach dir, Shidi."

Wieder weiteten sich Apios Augen. „Nach mir?" Er deutete mit dem Finger auf sich selbst. Im nächsten Augenblick stockte er. Er wusste doch schon längst, dass Hua Li ihn suchte.

Shulang nickte.

„Warum?"

„Das musst du ihn fragen."

Richtig. Woher sollte Shulang es auch wissen?

„Aber sei vorsichtig", fuhr er fort. „Ich traue ihm nicht. Er erinnert mich an einen Fuchs."

Bruder, wenn du wüsstest, dass er gestern Ähnliches über dich gesagt hat.

Apios Miene blieb nüchtern. „Mir hat er zumindest noch nichts getan."

Shulang hob eine Augenbraue und dann erinnerte sich Apio, dass dämonische Energie in seinem Körper zirkulierte und offensichtlich doch irgendetwas vorgefallen sein musste.

„Dann vertraust du ihm?"

„Ich ...", setzte Apio an, brach dann aber ab. Er versuchte sich Worte parat zu legen, doch sie verließen nie seinen Mund, wollten sich noch nicht einmal in seinem Kopf formen.

Shulang seufzte und stand auf. Er lief im Raum auf und ab und drückte dabei sanft den Knauf seines Schwertes, das schon wieder angefangen hatte, zu zittern.

„Ich werde heute eine Audienz bei Hai Tun suchen", sagte Shulang, wechselte aus dem Nichts das Thema. Keiner der beiden wollte noch länger über Hua Li sprechen. Ansonsten würde er noch aufwachen und hereinspaziert kommen, nur weil zu oft sein Name gefallen war.

„Er muss erfahren, was sich in Bai Tian zugetragen hat", fuhr er fort. „Möchtest du mich begleiten?"

„Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist", sagte Apio. Die letzte Begegnung mit dem obersten Kultivator war ihm noch deutlich vor Augen und sicherlich hatte Hai Tun ihn auch noch nicht vergessen. „Ich versuchte gestern bereits ein Wort mit ihm zu wechseln, doch er hörte mich nicht an. Vermutlich werdet Ihr mehr Erfolg haben, wenn Ihr allein geht."

Shulang war vielleicht nicht der beste Kultivator, nicht der beste Redner, nicht bescheiden oder demütig oder auch nur halbwegs für den Hof geeignet, aber wenigstens war er nicht die Zielscheibe des Spottes sämtlicher Kultivatoren.

„Verstehe", sagte Shulang. „Werden wir uns wiedersehen, wenn ich zurückkehre?" Er blieb stehen und wandte sich Apio zu. „Oder planst du, mit dem Fuchs fortzugehen."

Nennst du ihn jetzt immer so?

Apio räusperte sich. „Ich möchte nach Bai Tian zurückkehren und Qiufeng suchen. Was Hua Li tut, liegt nicht in meiner Macht." Er bemühte sich um einen höflichen Ton, doch ein Funke Missfallen hatte sich in seine Stimme geschlichen. Was ging es den Großmeister schon an, was Apio in seiner Freizeit tat?

Shulang bemerkte den Unmut und seine Augenbraue zuckte. „Du solltest jetzt besser gehen. Der Fuchs ist gerade aufgewacht und ich möchte nicht, dass er durch die Wand bricht."

Ja, du nennst ihn ab sofort wohl wirklich immer so.

Apio nickte. Es wäre nicht gut, wenn Shulang und Hua Li miteinander kämpfen würden. Und nun, da Apio wusste, dass der Dämon Jun Renyi umgebracht hatte, war auch deutlich, wer bei einem Kampf die Oberhand hätte.

Er verbeugte sich. „Vielen Dank für das Gespräch, Shiye. Ich hoffe, wir werden uns wiedersehen."

Shulang machte nur eine Handbewegung, um ihn fortzuschicken.

Apio schluckte. Es war offensichtlich, was sein Großmeister von ihm hielt. Er schwieg und tat seinen Unmut nicht erneut kund. Stattdessen verließ er den Raum und betrat eine Tür weiter ein anderes Zimmer.

Shulang sollte recht behalten. Hua Li war aus dem Bett aufgesprungen und sah aus, als wäre er kurz davor gewesen, das Zimmer auf der Suche nach Apio auf den Kopf zu stellen. Seine Haare standen ab und seine Kleidung war ungeordnet. Auf seinem Gesicht zeichneten sich runde Abdrücke ab, die von den Perlen in seinen Haaren hinterlassen worden waren, als er ungünstig auf ihnen gelegen hatte.

Apio rollte mit den Augen und widerstand dem Drang, einfach wieder hinauszugehen. „Ich bin wieder da", sagte er und schloss die Tür hinter sich.

„Oh, ich ..." Hua Li schüttelte die angespannte Haltung ab, aber die Augen blieben verdunkelt. Er räusperte sich und schluckte die Worte, die ihm auf der Zunge gelegen hatten, wieder hinunter.

Apio verengte die Augen. Irgendetwas war seltsam an ihm, aber was es genau war, vermochte er nicht zu sagen. Es war nur eine Ahnung, die ihm leises Misstrauen einflüsterte; etwas, nicht gänzlich Greifbares.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und kam direkt zum Punkt. „Da ist dämonische Energie in meinem Körper."

Hua Li fuhr sich durch die Haare und wich seinem Blick aus. „Das ..." Er brach ab. „Also ..."

Apios Augen weiteten sich. Er wich einen Schritt zurück. „Zwischen uns ist doch nichts vorgefallen, während ich ... nicht ganz zurechnungsfähig war, oder?" Nach allem hatten sie doch im selben Bett geschlafen und vielleicht erinnerte er sich einfach nur nicht. Vielleicht hatte Hua Li seinen verletzlichen Zustand ausgenutzt und ...

„Nein, nein, nein, das nicht." Hua Li erkannte offenbar, was in Apios Kopf vor sich ging. Er hob beruhigend die Hände. „Nachdem du dein Bewusstsein verloren hattest, wusste ich nicht, was ich tun sollte und deshalb habe ich dir erstmal etwas von meiner dämonischen Energie gegeben. Damit ... damit du überlebst, weil ..."

Apio seufzte und löste seine Arme aus der Verschränkung. „Schon okay", sagte er. „Es ist ja alles gut gegangen." Solange nur Shulang davon wusste, sollte es keine weitreichenden Konsequenzen haben. Andere Kultivatoren hingegen könnten darauf ganz anders reagieren.

„Dann hast du mit Shulang gesprochen." Hua Li war anzusehen, wie schwer es ihm fiel, ihn nicht wieder das Wiesel zu nennen.

Apio nickte. „Er möchte heute, ebenso wie ich gestern, Hai Tun davon berichten, was in Bai Tian vorgefallen ist." Weshalb er es erklärte? Das wusste er selbst nicht so genau. Vielleicht war es nur der kleine Hoffnungsschimmer, dass Hua Li sich an Shulangs Fersen heften und ihn selbst in Ruhe lassen würde.

„Und du willst ihn begleiten?"

Apio rollte mit den Augen. „Nein", sagte er. „Ich möchte nach Bai Tian zurückkehren, schauen, was davon noch übrig geblieben ist und mein Schwert suchen." Er fühlte sich, als hätte er es schon tausendmal erklärt.

„Macht es dir etwas aus, wenn ich dich begleite?"

„Huh?", kam von Apio. „Wolltest du nicht eigentlich zu Hai Tun? Und dieses seltsame Buch finden, damit du weißt, wer Liu Shijia ist?"

Auf Hua Lis Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, das sicherlich freundlich sein sollte, Apio aber an einen Fuchs erinnerte. Auf einmal erkannte er, weshalb Shulang ihm diesen Spitznamen gegeben hatte.

„Ich weiß alles, was ich wissen muss", sagte Hua Li.

„Huh?", machte Apio erneut, ehe er bemerkte, dass er dringend an seiner Reaktionsvielfalt arbeiten musste und sich räusperte.

„Mach dir darüber keine Gedanken", sagte Hua Li. „Meine Begleitung kann dir nur von Vorteil sein. Gerade da dein Qi noch blockiert ist. Ich kann für deinen Schutz sorgen. Wer weiß schon, was in Bai Tian vor sich geht und der Angreifer kann jederzeit zurückkehren. Und ..."

„Passt schon", sagte Apio, um Hua Lis Erklärungsversuche zu unterbrechen. Wenn der Dämon ihn wirklich begleiten wollte, dann könnte er ihn ohnehin durch nichts aufhalten. Also stimmte er lieber sofort zu.

„Du kannst mitkommen. Vielen Dank, dass du dir die Umstände machst." Er brachte die Hände vor seinem Körper zusammen, aber Hua Li griff nach seinen Armen, ehe er sich verbeugen konnte.

„Nicht", sagte er und schüttelte den Kopf, ehe er ihn wieder losließ. „Es macht mir keine Umstände und du musst dich nicht vor mir verbeugen."

„Oh." Apio ließ die Hände sinken. Irgendetwas an dieser Situation löste ein Unwohlsein in ihm aus. Ähnlich auch wie der Umstand, dass Hua Li nicht wollte, dass Apio sich bei ihm bedankte. Der Dämonen warf alles über den Haufen, was das System ihm gelehrt hatte.

„In Ordnung", murmelte Apio. Eine Person weniger, vor der er im Staub kriechen musste, schadete schließlich nicht. Er musste sich nur daran erinnern, wieder jedem mit übertriebener Höflichkeit zu begegnen, wenn das System wieder zurückkehrte.

Falls ..., berichtigte er sich in Gedanken. Falls das System je zurückkehrte.

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