Blutroter Regen III
Hua Li legte eine Hand an den Griff seines Dolches. Einerseits, um ihn zu beruhigen und andererseits, um ihn zu ziehen, sollte die Situation noch weiter eskalieren. Unter der Berührung entspannte sich Hong-er.
„Ich habe mich gefreut, als ich hörte, dass jemand Jiaoji unter seinen Schutz genommen hat", sprach Jun Renyi. „Doch ich fürchte, ich muss den Bewohnern ihren Patron nun nehmen."
Etwas blitzte hinter Jun Renyis Gestalt auf. Hua Li sprang zur Seite, zückte seinen Dolch.
Doch das Schwert des Dämonenkönigs raste nicht auf ihn zu. Jun Renyi fing es am Griff ab, hielt es von dem Angriff zurück.
Er drehte das Schwert in seiner Hand. Die Klinge fing das Licht der Kerzen auf und funkelte in dem seichten Schimmer.
Instinktiv wich Hua Li einen Schritt zurück.
Die Sanftheit war aus Jun Renyis Augen gewichen. Er hatte versucht, Hua Li abzubringen, hatte versucht, mit ihm zu sprechen. Und nun, da der Dämon diese Güte nicht erkannt hatte, sah er davon ab, sich weiter mit ihm zu beschäftigen.
Und Hua Li war dies nur recht. Er warf Hong-er auf Jun Renyi. Metall schlug auf Metall, als der Dämonenkönig ihn abwehrte.
Aber Hua Li hatte es schon erwartet. Von selbst schlug der Dolch aus einer anderen Richtung zu und wieder parierte Jun Renyi. Der Mann war zwar groß, bewegte sich aber zugleich mit einer Schnelligkeit, die Hua Li ihm nicht zugetraut hatte.
Ohne eine überragende Macht hätte sich Jun Renyi nie gegen die anderen Dämonen durchsetzen können. Bei Menschen kam man vielleicht mit Freundlichkeit und Güte an die Spitze, aber die Dämonen würden jemandem mit solchen Charakterzügen einen Stein an den Fuß binden und im nächsten See versenken.
Hua Li duckte sich unter dem Schwert hinweg und streckte die Hand aus, um Hong-er zurückzurufen. Fast augenblicklich legte sich der kalte Griff in seine Hand.
Lange konnte er aber nicht verweilen. Eine Druckwelle riss ihn von den Füßen, schleuderte ihn durch den Saal. Er drehte sich in der Luft und kam elegant wieder auf.
Jun Renyi setzte nach. Goldene Funken stoben um ihn herum und schossen auf Hua Li zu.
Hua Li sprang zur Seite. Gerade rechtzeitig. Die Funken krachten auf den Boden – dort, wo er gerade noch gestanden hatte – und ließen den Stein splittern.
Er warf Hong-er ein zweites Mal. In der Luft kreiste der Dolch. Rote Blitze stoben um die Klinge herum.
Und wieder wehrte Jun Renyi den Dolch mit einem Schlag ab. Fast glaubte Hua Li ein leises Wimmern von Hong-er zu hören, als er auf dem Boden aufkam und noch einige Meter weiter schlitterte. Dort blieb er regungslos liegen.
Jun Renyi ließ sein Schwert sinken. „Ich gebe dir noch eine Chance, zu gehen", sagte er. „Aber wenn du sie nicht nutzt, dann werde ich dich nicht verschonen."
Hua Lis Blick schweifte zu seinem Dolch. Dieser richtete sich langsam auf und schwebte zu ihm hinüber. Ohne einen weiteren Laut von sich zugeben, versteckte er sich in Hua Lis Robe und zitterte nur. Diesmal furchtsam.
Hua Li seufzte. Eine großartige Waffe hatte er da. Mutig und definitiv nicht vollkommen nutzlos. Doch obwohl sich Hong-er so heldenhaft verabschiedet hatte, gab Hua Li nicht nach.
Er sammelte Energie in seiner Handfläche. Rote Blitze sammelten sich um seinen Arm herum, zuckten bis zu seinem Ellenbogen hoch. Hitze prickelte auf seiner Haut, dort, wo die Energie auf sie traf.
„Das wird dir nichts nutzen, mein Kind", sagte Jun Renyi und hob sein Schwert an.
Hua Li atmete tief durch, griff nach der Energie. Jun Renyi mochte zwar über die Dämonen herrschen, aber eines hatte Hua Li ihm voraus: Er war ein Spieler.
Er riss die Hand hoch und entließ die Energie. Gebündeltes rotes Licht schoss auf den Dämonenkönig los.
Kurz bevor sie auftraf, weiteten sich seine Augen. Er riss das Schwert hoch, aber die Energie sprengte den Stahl und fraß sich mitten durch seinen Oberkörper. Sie warf ihn zurück und er landete auf dem kalten Steinboden.
Alles hatte nicht länger als einen Wimpernschlag gedauert. Hatte er das System gebeten, Late-Game-Fähigkeiten freizuschalten und ihn im Grunde vollkommen overpowered zu machen? Möglich. Aber wer wollte ihn schon aufhalten?
Hong-er lugte aus Hua Lis Robe hervor.
„Jetzt tu nicht so mutig", sagte Hua Li. Er atmete schwer. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und eine von ihnen rann ihm über die Schläfe. Die dämonische Energie brodelte in ihm, erhitzte seinen Körper. Sie verlangte es, hinausgelassen zu werden, aber er hielt sie zurück. Wenn nämlich Dämonen die Kontrolle verloren, dann folgte nur Tod und Verwüstung. Kein Wunder also, dass die Kultivatoren sich gegen sie verschworen hatten. Dass ein Kultivator ebenso einer Qi-Deviation unterliegen kann, vergaßen sie dabei gern.
Hua Li ging auf Jun Renyi zu. Regungslos lag er am Boden und rührte sich nicht einmal, als Hua Li direkt vor ihm stand. Die Energie hatte ein kreisrundes Loch in seinem Oberkörper hinterlassen, wenige Zentimeter unter dem Herzen. Unter ihm sammelte sich Blut und bald erreichte es auch Hua Lis Stiefel.
„Hey." Hua Li stupste ihn mit seinem Fuß an. Er hatte ihn doch nicht umgebracht, oder? So ein Loch im Oberkörper zu überleben, war doch ein Leichtes.
Jun Renyi bewegte sich.
Ein Lächeln legte sich auf Hua Lis Lippen. Er beugte sich über ihn, packte ihn am Kragen und hob ihn an. „Wo ist Liu Shijia?", fragte er, die Stimme erhoben.
Jun Renyi spuckte Blut. Seine Augen fokussierten sich auf die Gestalt in Rot. „Ich verrate es ... dir ..." Seine Stimme wurde leiser, sein Blick schweifte ab und er gab sich alle Mühe, ihn immer wieder auf Hua Li zu richten. „... nicht."
Hua Li knurrte auf. Er schlug Jun Renyis Kopf gegen den Boden. „Sag es mir!"
Irgendetwas knackte.
Jun Renyi öffnete den Mund, aber sein Kopf donnerte ein weiteres Mal gegen den Stein, ehe er etwas antworten konnte.
„Sag es mir!"
Jun Renyi legte eine Hand auf Hua Lis Arm. Dessen Augen glühten rot. So sehr er auch versuchte, die dämonische Energie zu unterdrücken, sie kam hervor.
„SAG ES MIR!"
Immer wieder schlug er Jun Renyis Kopf gegen den Stein, bis dessen Hand erschlaffte und zu Boden fiel.
Erst da zog sich das Feuer aus ihm zurück und er stockte.
Jun Renyis Lippen bewegten sich, flüsterten Worte, die Hua Li nicht hören konnte. Er beugte sich zu ihm und hielt das Ohr kurz über dessen Mund.
„Der Tag ..." Jun Renyi hustete. „... wird ihn beschützen." Seine Augen ermatteten und in einem letzten Atemzug entwich sein Leben.
Hua Li setzte sich auf. „Der Tag wird ihn beschützen?", murmelte er. Ein Rätsel?
Er sah auf die Leiche des Dämonenkönigs hinab, als hoffte er, dass dieser noch einmal sprechen würde. Vergeblich.
Während er ihn aber betrachtete, erkannte er, was seine letzten Worte bedeuteten. Kein Rätsel, nur ein Übersetzungsfehler. Er machte sich eine mentale Notiz, dass er den Fehler melden würde, sobald das System wieder mit ihm sprach.
Bai Tian – der Tag – war der Name einer Kultivierungssekte mitten im Nirgendwo. Der richtige Ort, wenn man sich verstecken wollte.
Dort würde er mit der Suche beginnen. Er konnte nur hoffen, dass er Jun Renyis Worte richtig interpretiert hatte und es sich wirklich nur um einen Fehler handelte. Ein zweites Mal würde er den Dämonenkönig nicht nach Informationen fragen können.
Er wandte sich von der Leiche ab und verließ den Palast. Früher oder später würde man Jun Renyi finden und seinen letzten Besucher mit dem Umkommen in Verbindung setzen. Und wenn es so weit war, dann wollte er schon lange fort sein.
Die Wolken hatten sich noch nicht gelichtet und der Regen klatschte rot auf seine Kleidung, vermischte sich mit Jun Renyis Blut.
Hong-er legte sich wieder an Hua Lis Gürtel, als wäre er nicht zuvor geflohen und hätte seinen Herren die ganze Arbeit allein machen lassen.
„Dann auf nach Bai Tian", sagte Hua Li und nickte Hong-er zu. Nur einen Moment später rollte er aber mit den Augen. Jetzt sprach er schon mit einem Dolch.
An seinem Vorhaben änderte dieser anfängliche Wahnsinn aber nichts. Er brach auf und verließ die Stadt. In der Ferne erklangen Glocken. Das Zeichen, dass Jun Renyis Anhänger die grausame Entdeckung gemacht hatten.
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