Aller Anfang ist schwer III

Natürlich handelte es sich um Makiro. Mit wem wollte das System Apio auch sonst noch quälen?

Mit dem Schwert in der Hand drosch er auf eine der zwei Übungspuppen ein. An mehreren Stellen war das Holz bereits abgesplittert und enthüllte den Kern aus Metall.

Apio trat näher. Er verschränkte die Arme vor der Brust und fragte: „Shidi, was machst du hier?" So sehr er sich auch bemühte, die Erschöpfung von seiner Stimme fern zu halten, der Tag forderte seinen Tribut. Shulang hatte ihm schon alle Geduld abverlangt und nun wollte er sich nicht auch noch mit dem Wunderkind beschäftigen müssen.

Makiro zuckte zusammen und wirbelte herum. Einige Strähnen hatten sich aus dem Haarknoten gelöst und standen ab. Mehrere Falten hatten sich in die Kleidung geschlichen, aber neben Apio blieb sein Äußeres herausragend und ordentlich.

„Schwertkampf üben, Shifu", antwortete er. Er steckte sein Schwert zurück, drehte sich ganz zu ihm und machte eine höfliche Verbeugung.

Apio hielt sich zurück, verärgert mit der Zunge zu schnalzen. „Das sehe ich", sagte er. Der Ton härter, als er es beabsichtigt hatte, aber da das System ihn nicht warnte, dass er höflicher sein sollte, fuhr er fort: „Aber was machst du genau hier?"

„Ich hatte nicht erwartet, dass Ihr so früh zurückkehrt, aber wenn Euch meine Anwesenheit stört, dann werde ich sofort gehen", sagte er. Er senkte seinen Kopf und machte schon Anstalten, das Gelände zu verlassen, doch Apio hielt ihn auf. Der Ausstrahlung des Protagonisten konnte er nicht widerstehen und ihn nicht einmal fortschicken.

„Du kannst hier bleiben", sagte er. Das Nerv mich nur nicht schluckte er herunter und wandte sich ab, um in das Innere seiner Hütte zu gehen. Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, setzte das Geräusch von Metall auf Metall wieder ein.

Apio presste die Lippen zusammen und schloss das Fenster, das ihm Überblick über den Platz verschaffte, in der Hoffnung, dass es auch die Klänge aussperren würde, doch dumpf schnitten sie sich trotzdem in seine Ohren.

Ihn beschlich das Gefühl, dass den Jungen etwas zornig gemacht hatte und er sich deshalb an den Holzpuppen abreagierte. Doch es war eine Aufgabe der Unmöglichkeit, den Protagonisten aus der Ruhe zu bringen und ihn zur Wut zu reizen. Schließlich war er unfehlbar und tugendhaft.

Apio öffnete das Fenster einen Spaltbreit und linste hinaus.

Makiro schlug zwar auf die Übungspuppe ein, doch die Schläge präzise ausgeführt, nutzte er weiterhin Strategie und folgte den Kampfbewegungen, die ihn hier gelehrt wurden. Kein falscher Schritt, kein blindwütiges Eindreschen, aber irgendetwas war anders.

Apio kniff die Augen zusammen und schob das Fenster einen Millimeter weiter auf, um einen besseren Blick auf den Jungen werfen zu können.

Die Haltung leicht nach vorne gebeugt, der Ausdruck im Gesicht nicht so entspannt, wie er sein sollte. Ihn beschäftigte tatsächlich etwas.

Apio überlegte, ob er etwas vergessen hatte, einen Grund, weshalb Makiro so aufgebracht war, doch ihm wollte nichts einfallen. Der Protagonist war eigentlich nicht so gestaltet, dass er Wut empfinden konnte. Verzweiflung und Enttäuschung vielleicht, aber keine Wut. Stets höflich und wohlgesittet ging er durch die Welt, überschritt nie die unausgesprochenen Grenzen und glänzte mit seinem Gerechtigkeitsempfinden.

Nun ... außer natürlich er rammte Apio ein Schwert durch die Brust, doch das geschah schließlich nicht alle Tage und wenn er ehrlich war, dann trug er selbst die Schuld daran. Denn er hatte den Fehler begangen, sich mit Dämonen zusammengeschlossen und im Hintergrund Kämpfe gegen die Kultivatoren geleitet.

Nicht freiwillig, gewiss nicht. Welchen Weg er auch immer gegangen war, jeder hatte ihn zu diesem Punkt geführt. Welche Entscheidung er auch immer gefällt hatte, dort liefen sie alle zusammen. Und sobald er dem Dämonenkönig Jun Renyi einmal begegnet war, hatte das System ihn gezwungen, auf dem eingeschlagenen Pfad zu bleiben. Es ließ ihn stets spüren, dass er nur eine Nebenfigur war, zu nichts zu gebrauchen, außer der Entwicklung Makiros zu verhelfen.

Doch was beschäftigte diesen unfehlbaren Protagonisten nun? War er einem der Lehrer auf die Füße getreten?

Nein, unwahrscheinlich. Schließlich war er das Wunderkind. Niemandem gab er einen Grund zum Tadel.

Hatte ihn ein Mädchen so aufgewühlt?

Noch unwahrscheinlicher. Die Sekte Bai Tian, in der sie sich befanden, nahm keine Frauen auf und es war Makiro zwar manchmal möglich, in die Stadt zu gehen, doch diese Chance bekam er nur selten. Undenkbar, wie er unter diesen Bedingungen eine Beziehung aufrecht erhalten wollte.

Ganz im Gegensatz dazu, was im späteren Verlauf der Geschichte auf ihn wartete. Mehr als eine Frau würde sich ihm an den Hals werfen und mehr als eine würde er auch ...

Apio schüttelte den Kopf und schloss das Fenster. Dies war nicht die rechte Zeit für derartige Gedanken.

Statt den Jungen weiterhin zu beobachten, schloss er das Fenster, schälte sich aus der zwar nicht mehr durchnässten, aber immer noch klammen Robe und kleidete sich stattdessen in eine neue. Schwarz war der Stoff und mit goldenen Fäden an den weiten Ärmeln verziert.

Er verzog das Gesicht, als er erkannte, dass es sich dabei um einen Fuchs handelte, der die Nase in die Luft reckte und seine nächste Beute witterte. Doch er behielt die Robe an. Wegen einer solchen Nichtigkeit wollte er sie nicht wechseln.

Sein Blick fiel auf das Schwert, das in dem Regal ausgestellt war. Es juckte ihn in den Fingern, herauszufinden, wie viel an Kampfkunst er noch besaß oder ob das System ihm diese Fähigkeit geraubt hatte. Aber noch befand sich Makiro draußen und da er sich vor dem Jungen nicht blamieren wollte, hielt er sich zurück.

Ein hohes Pfeifen riss ihn aus seinen Gedanken. Panisch sah er sich im Raum um und erkannte dann, dass das Geräusch von der Teekanne ausging, die er auf dem Ofen – einem großen schwarzen Gebilde, das in einer Ecke gequetscht stand – fand.

Er schob die Brauen zusammen, überbrückte mit weiten Schritten die Distanz dorthin und hob die Kanne von der heißen Platte.

„System?", fragte er. „So sehr ich mich auch über Tee freue, aber womit habe ich diese Ehre verdient?"

[Als Ausgleich für einen Fehler, der zuvor gemeldet nun aber behoben wurde.]

„Ein Fehler also." Er bemühte sich, nicht verstimmt zu klingen und obwohl er schon geahnt hatte, dass es ihm nicht gelingen würde, überraschte es ihn, wie wenig es ihm glückte.

Auf dem Tisch, der sich in der Mitte des Raumes befand, sammelten sich türkise Pixel und formten sich zu einem Teller zusammen. Aus weißem Porzellan und ein Blumenmuster rankte sich den Rand entlang.

Und auf diesem Teller bildeten die Pixel Kekse mit Schokosplittern, die aus dem hellen Teig herausragten.

„Und das ist die Entschuldigung?", fragte er. Seine Verstimmung verfloss langsam, denn diese Tat des Systems empfand er fast sogar als süß. Wäre es nur nicht das System. So erwartete er, dass es ihm jeden Moment ein Messer in den Rücken stach.

[Weitere Probleme sollten nicht auftreten. Wir hoffen, dass Sie diese Entschuldigung annehmen Q.Q]

„Versuchst du jetzt schon wieder mit den Smileys anzufangen?", fragte Apio. Er brach einen der Kekse entzwei und schob ihn sich in den Mund. Noch so warm, dass die Schokolade leicht flüssig war und sich auf seiner Zunge auflöste.

Und nun konnte er nicht anders, als die Entschuldigung zu akzeptieren. Mit diesem Ausgleich verzieh er ihm jeden Fehler.

[Uns tut es wirklich leid und wir wollten die Abwesenheit von menschlichen Zügen mit dem Smiley kompensieren. Wir hoffen, Sie können uns verzeihen, dass wir deshalb Ihre Abneigung gegen Emoticons missachtet haben.]

„Schon gut, System", sagte Apio, als er den Keks hinuntergeschluckt hatte, und winkte ab. „Ich nehme die Entschuldigung ja an."

[Vielen Dank. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit.]

Und mit dieser Nachricht schloss sich das Fenster und ließ ihn in der Leere seiner Hütte zurück. Nur das Klirren als Metall auf Metall traf, störte die Ruhe.

Apio seufzte leise. Er holte eine Teekanne aus Porzellan aus seinem Schrank und goss den Tee aus der heißen Kanne in das neue Gefäß. Die nun leere Kanne stellte er auf die kalte Platte des Ofens, die gefüllte hingegen auf ein Tablett, das sich zufälligerweise natürlich – und keinesfalls, weil das System ihn dieses eine Mal in seinem Vorhaben unterstützte – auf dem Tisch befand. Dazu gesellte sich erst eine, mit einem Gedanken an Makiro dann aber zwei Tassen und letztlich auch der Teller mit dem Gebäck.

Er nahm das Tablett und brachte es nach draußen auf eine kleine überdachte Veranda, von der er den Übungsplatz einsehen konnte. Zwei gepolsterte Stühle, aus Weidenzweigen geflochten, boten Sitzmöglichkeiten und dazwischen stand ein Tisch, auf den Apio sogleich den Tee und das Gebäck stellte.

„Shidi", rief er und winkte den Jungen zu sich.

Makiro hörte auf, die Holzpuppe zu malträtieren, und wandte sich ihm zu. Er steckte das Schwert zurück und deutete eine Verbeugung an.

„Komm her", wies Apio ihn an und machte erneut eine Handbewegung, die das Gesagte untermalen sollte. „Und setze dich. Du kannst dir ruhig eine Pause gönnen."

Makiro blickte verzweifelt zurück zu der Puppe, als würde er in ihr Hilfe suchen und hoffen, dass sie ihn festhielte und nicht zu Apio gehen ließe. Doch sie rührte sich nicht und damit fehlte dem Jungen eine Ausrede, um dem Gespräch aus dem Weg zu gehen.

Mit aufrechter Haltung schritt er zu Apio, aber der Lehrmeister erkannte die Unsicherheit in den dunklen Augen, den Drang, die Schultern hängen zu lassen und den Kopf einzuziehen.

Apio deutete auf einen Stuhl und der Junge ließ sich sogleich darauf nieder. Er selbst setzte sich auf den anderen und stellte Makiro eine der beiden Tassen hin. „Es entspannt und beruhigt die Gemüter", sagte er und schob auch noch die Kekse vor dessen Nase.

Der Schüler beäugte zunächst beides mit einem Hauch von Misstrauen, das in Unsicherheit überging, doch nach wenigen Sekunden stieß er einen lautlosen Seufzer aus und nahm sich einen der Kekse.

Apio überschlug die Beine und griff nach seiner Tasse. Zwar war der Tee noch zu heiß, um ihn trinken zu können, ohne sich dabei die Zunge zu verbrennen, aber er genoss die Wärme in seinen Handflächen. Den Blick ließ er über die Fläche vor sich schweifen. Die beiden Trainingspuppen befanden sich in einigen Metern Entfernung vor ihm. Bäume formten einen schützenden Kreis um das Gelände herum und sorgten für die Abgeschiedenheit, die er an diesem Ort so liebte. Kein Lärm der Stadt, keine neugierigen Blicke. Nur Ruhe und selten ein Rekrut, der sich hierher verirrte.

Nur einmal im Jahr wurde das Gras auf dieser Lichtung zertrampelt. Nämlich dann, wenn die Sekte die neuen Schüler aufnahm und sie überall vorgestellt wurden.

„Möchtest du mir erzählen, was dir auf dem Herzen liegt, Shidi?", fragte Apio, ohne seinen Blick von der Landschaft zu nehmen.

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