Aller Anfang ist schwer I

Wieder ein Knacken. Apio sah es rötlich im Unterholz aufblitzen, aber ehe er einen besseren Blick darauf werfen konnte, verschwand es in einem Busch.

Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder ab. Vermutlich war es nichts, nur ein wildes Tier, das einen scheuen Blick auf ihn geworfen hatte, sich aber nicht traute, näher zu kommen. Oder aber das System erweckte Paranoia in ihm. Wenn er es sich recht überlegte, dann war es vermutlich Letzteres und in beiden Fällen kein Grund, sich weiter damit zu beschäftigen.

Er ließ sich wieder auf die Knie fallen und tauchte die Hände ins Wasser, um auch die letzten Staubreste unter den Fingernägeln hervorzukratzen. Wenn er sie nun so genau betrachtete, bemerkte er, dass sie für seinen Geschmack viel zu lang waren, sodass der Schmutz sich darunter festsetzen konnte.

Sein Blick verdunkelte sich. Selbst mit diesen Kleinigkeiten konnte das System ihn mobben.

Ein Schatten huschte in seinem Augenwinkel.

Apio schreckte zurück und wollte auf die Beine springen, doch er rutschte auf dem Gras aus und fiel nach hinten.

Nein, dachte er. Die eine Sekunde zog sich in die Länge und ließ zu, dass er sich gänzlich bewusst werden konnte, was geschehen würde. Dann traf sein Körper mit dem Rücken voran die Wasseroberfläche.

Seine Schulter schlug gegen einen Stein und in diesem Moment war er nur froh, dass er nicht mit dem Kopf dagegen gestoßen war.

Doch die Strömung zog ihn nicht mit sich. Das Ufer war flach und er tauchte nicht unter.

Merkwürdig, dachte er, doch er zog es vor, sich nicht zu beschweren. Ein Tod weniger würde ihm schließlich nicht schaden.

Er stand aus dem Wasser auf. Die Robe war nun fast vollständig durchnässt und hatte sich so vollgesogen, dass er das Gefühl hatte, sie wäre mit Zement gefüllt.

„Wah!", machte er und schüttelte sich. Grundsätzlich badete er gerne, doch nicht angezogen und nicht unfreiwillig.

Erst jetzt richtete er die Aufmerksamkeit auf das, was ihn erschrocken hatte und scheinbar aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht war.

Rötlich-orange schimmerte das dichte Fell in der Sonne. Weiß zog sich durch die untere Hälfte seines Kopfes und die Brust. Die Pfoten hingegen und die aufmerksam aufgerichteten Ohren waren schwarz gefärbt. Spitz war die Schnauze und zuckte, als einer der Wassertropfen, den Apio von sich geschüttelt hatte, sie traf.

Ein Fuchs.

Apio wich einen Schritt zurück, doch er rutschte fast aus und zwang sich, nicht noch weiter rückwärts zu gehen.

Was machte ein Fuchs hier? Zwar gab es Wildtiere innerhalb der Mauern, aber meistens waren es Vögel, hier und da vielleicht ein Kaninchen oder Mäuse, aber doch kein Fuchs. Und dieser schien nicht einmal Angst vor Menschen zu haben. Zurückhaltung schon, aber keine Furcht.

Das Ohr zuckte in Apios Richtung. Vorsichtig machte der Fuchs einen Schritt auf ihn zu. Dann noch einen. Zögerlich, als würde er ihm zwar nahekommen wollen, doch bei jedem Schritt erneut überlegen, ob dies wahrhaft eine gute Idee war. Am Ufer, kaum einen Meter von Apio entfernt, setzte er sich. Er legte den Kopf schräg und betrachtete ihn neugierig durch die dunklen Augen.

Apios Blick hingegen spiegelte weiterhin pure Furcht wider. Füchse waren ihm schon immer suspekt gewesen. Schöne Wesen, keine Frage, doch er sah in ihnen etwas Hinterhältiges, als würden sie stets etwas im Schilde führen. Von allen Arten fand er gerade in Rotfüchsen diese List.

Er watete einige Meter am Ufer entlang – den Fuchs stets im Blick – ehe er eine geeignete Stelle fand, an der er sich aus dem Wasser ziehen konnte.

Wieder an sicherem Land wrang er seine Kleidung aus, so gut es ging, aber nach wie vor, blieb er durchnässt.

Der Fuchs neigte seinen Kopf in die andere Richtung und stand auf. Er kam wieder auf Apio zu, doch diesmal setzte er die Schritte weniger zögerlich. In den wenigen Sekunden, die er den Menschen einer Beobachtung unterzogen hatte, hatte er festgestellt, dass von diesem keine Gefahr ausging.

Im Gegenteil zu Apio. Er erstarrte, als er den Fuchs näherkommen sah, wagte es kaum zu atmen. Das Tier ging ihm nicht einmal bis zu den Knien, doch Angst kroch ihm den Rücken hinab. Er hoffte nur, dass der Fuchs von ihm ablassen würde, wenn er sich nicht bewegte. Sicherlich würde er dann das Interesse verlieren und sich etwas anderes als Beute suchen. Etwas, das auch versuchen würde, ihm zu entfliehen, denn nur so machte dem Raubtier das Jagen doch Spaß. Oder?

Der Fuchs blieb. Nun gar nicht mehr zurückhaltend schnupperte er an Apios durchnässtem Stiefel, dann an dem Hosenbein.

Apio schluckte die lähmende Angst hinunter. Er öffnete den Mund und flüsterte ein leises „Hey?" Nur ein kläglicher Versuch, die natürliche Scheu in dem Tier hervorzurufen.

Der Fuchs zuckte ein Stück zurück, als hätte er nicht erwartet, dass Apio sich überhaupt noch rührte, und schon geglaubt, er wäre ein Stein. Doch der kurze Schrecken wich Neugierde und er streckte die Schnauze erneut nach dem Menschen aus.

Apio beobachtete ihn und er konnte nicht anders, als ihn niedlich zu finden. Die großen Knopfaugen, die zurückhaltende Neugier. In beidem ging die Hinterlist unter.

Gehört er vielleicht jemandem?, fragte er sich. Das würde erklären, weshalb er so zahm und wenig menschenscheu war. Er sah sich um, aber fand niemanden in der Nähe. Nur die Vögel zwitscherten erfreut in den Bäumen und beobachteten das Spektakel, das sich am Fluss abspielte.

Apio fasste seinen Mut und ging langsam, um das Tier nicht zu erschrecken, in die Hocke. Der Fuchs wich einen Schritt zurück, doch betrachtete ihn eindringlich und setzte sich wieder vor ihn.

„Wer bist du denn?", flüsterte Apio. Die Stimme so leise, dass sie über das Plätschern des Flusses hinweg kaum zu hören war. Er nahm all seinen Mut zusammen und hob die Hand, um sie dem Fuchs entgegenzuhalten.

Dieser schnupperte an ihr, berührte mit der feuchten Nase kaum die Haut, als würde er fürchten, nun doch zu aufdringlich zu sein.

In Apios Herz regte sich gleichermaßen Interesse wie Misstrauen. Dieses Tier schien aus Gründen, die er nicht kannte, Gefallen an ihm gefunden zu haben, aber zugleich erwartete er, dass jede Sekunde etwas Schreckliches geschehen würde.

Und kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, öffnete der Fuchs sein Maul und biss in die Hand, die ihm mit so viel Vertrauen gereicht wurde.

Apio sog erschrocken Luft ein, doch er verharrte wie gelähmt. Es schmerzte nicht, denn die Haut war nicht eingerissen, und Biss konnte man es kaum nennen. Der Fuchs behielt einfach nur die Hand in seinem Maul und kaute fast liebevoll auf ihr herum.

Doch damit hielt er Apio gefangen. Seine Hand konnte er nicht einfach wegziehen, denn dann würden die Zähne sie beschädigen und er wollte sich auf keinen Fall irgendeine Krankheit einfangen. Wer wusste schon, was für Bakterien der Fuchs in seinem Maul mit sich herumschleppte?

Aber nun stand er vor einem Problem: Wie sollte er freikommen? Er hob die andere Hand und wollte sie dem Tier zwischen die Ohren legen, um dessen Kopf sanft von sich zu schieben.

Der Fuchs plante allerdings nicht, sich von ihm berühren zu lassen – auch wenn er mit viel Vergnügen auf der Hand kaute. Er ließ von ihm ab, stieß ein Geräusch aus, das einer Mischung aus Keifen und Quietschen ähnelte, und schnappte nach den Fingern der anderen Hand.

Diesmal war Apio aber vorbereitet und sprang auf die Füße, damit das Tier ihn nicht erreichen konnte. Es mochte zwar aufdringlich sein und ihn gebissen haben, doch er selbst war größer und konnte sich – so glaubte er in diesem Augenblick zumindest – auch bedrohlich aufbauen.

Und so gab der Fuchs sich geschlagen. Er stieß erneut ein Keifen aus, ehe er sich abwandte und mit zwei weiten Sprüngen im Unterholz verschwand.

Apio wartete noch einige Sekunden, bis er sicher war, dass der Fuchs nicht zurückkehren würde, und ließ sich dann in das Gras plumpsen. Die schmerzende Hand hielt er ins Wasser, um sie zu kühlen.

Die Bissspuren hoben sich rötlich von der hellen Haut ab. Viel hätte nicht gefehlt und Blut wäre geflossen.

Ein erneutes Rascheln ließ ihn hochfahren und auf die Beine springen. Er wirbelte in Richtung des Waldes, denn die Ahnung stieg in ihm auf, dass der Fuchs ihn aus dem Dickicht beobachtete und nur darauf wartete, dass er seine Verteidigung fallen ließ. Aber als er dorthin sah, strich nur der Wind durch die Blätter.

Er schüttelte den Kopf, hob die Gießkanne auf und machte sich auf den Weg zu Shulang. Den Wald wollte er so schnell wie möglich verlassen und auch nicht noch einmal zurückkehren.

Diese seltsame Begegnung wollte er auf keinen Fall wiederholen. Er schüttelte erneut den Kopf, diesmal in Ungläubigkeit, und sah dann auf seine Hand. Die Spuren des Bisses verblassten nicht.

Apio biss die Zähne aufeinander und stapfte weiter. Ob das Gefühl, das in seiner Brust aufstieg, Wut war, konnte er nicht sagen. Viel mehr fühlte es sich an wie die Realisation, dass er den Wirrungen des Systems gänzlich ausgeliefert war. Ungeachtet, wie wirr es auch sein mochte, er musste damit zurechtkommen.

Und nun versuchte es ihn nicht nur umzubringen, nein, es hatte ihm auch einen Fuchs geschickt, um sein Leben zu erschweren.

„System?", fragte er in das Nichts neben sich.

Das türkise Fenster öffnete sich. [Welches Problem haben Sie?] Die Stimme hallte in Apios Ohren noch blecherner als gewöhnlich.

„Kein direktes Problem", sagte er. „Ich würde mir nur wünschen, dass du den Fuchs nicht noch einmal zu mir schickst. Meiner Meinung nach leide ich schon genug."

[....... search.data.fox ......]

Apio rollte mit den Augen, wartete aber, bis das System fertig war. Auf ihn wirkte es wie der Versuch einer Lüge, doch eine leise Stimme flüsterte ihm ein, dass die KI doch gar nicht lügen konnte.

[...... data.not.found ......]

„Was?", fragte Apio. Er hatte sich den Fuchs doch nicht eingebildet. Sicher nicht ... oder? Nein, nein, ganz bestimmt nicht.

[Die gewünschte Datei konnte nicht gefunden werden], setzte das System ihn über den Ausgang der Suche in Kenntnis. [Falls Ihre Frage nicht beantwortet werden konnte, wenden Sie sich bitte an den Support. Wie bewerten Sie diese Antwort? Die Ergebnisse dieser Umfrage sind anonym und werden selbstverständlich vertraulich behandelt. Es dient lediglich der Verbesserung Ihres Spielerlebnisses.]

Apio seufzte und sah dabei zu, wie sich in dem Systemfenster fünf Sterne aufbauten. „Abbrechen", sagte er, weil er sich damit nicht weiter herumschlagen wollte. Auf das Wort hin füllten sich alle Sterne aus.

[Vielen Dank für Ihre Bewertung. Wir freuen uns, Ihnen weitergeholfen zu haben.]

Und damit schloss sich das Fenster und ließ ihn allein.

Gott sei Dank, dachte er nur und machte sich wieder auf den Weg. Zurück zu dem Tempelgelände und zu Shulang, der sicherlich so tun würde, als hätte er nicht vollkommen vergessen, dass er Apio losgeschickt hatte.

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