Abendsonne und Nebel II

Apio runzelte die Stirn und Hua Li hob die Hände. „Ich mache doch schon gar nichts mehr", sagte der Dämon, aber Apios Blick blieb verdunkelt. Er öffnete seinen Gürtel und legte die schwarze Robe ab, sodass er nun nur noch in dem weißen Untergewand bekleidet war.

Hua Li rutschte wieder zu ihm. „Darf ich mir die Wunden an deinem Bauch noch ansehen. Ich möchte nur sichergehen, dass alles verheilt ist."

Apio warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Er tat wie geheißen und schob sich auch die weiße Robe von den Schultern. Der einst weiße Verband war an einigen Stellen braun-rötlich durch das getrocknete Blut gefärbt, an anderen grau durch Staub und Schmutz. Seit er Hua Lis Residenz verlassen hatte, hatte er den Verband nicht gewechselt, obwohl er es eigentlich hätte tun müssen.

Er machte sich daran, auch die Bandage zu lösen, aber Hua Li meinte: „Lass mich das machen."

Apio ließ seine Hände in seinen Schoß fallen. Sein ganzer Körper war von einer Sekunde zur nächsten so schwer, dass er sich kaum mehr aufrecht halten konnte. Er kippte nach vorne, lehnte sich gegen den Dämon. Dieses ständige Aufschauen zu Hua Li hätte ihm ohnehin früher oder später Nackenschmerzen bereitet.

Hua Li kommentierte es nur mit einem belustigten Schnauben und wickelte ihm den Verband von dem Oberkörper.

Apio schluckte. Die kalten Finger, die seine Haut streiften, ließen ihn frösteln. Er bemerkte erst jetzt, dass es vielleicht nicht das Höflichste war, sich gegen Hua Li gelehnt zu haben, und richtete sich wieder auf. Er sah in die Augen des Dämons.

Hua Lis Gesicht war von der Abendsonne erhellt. Die Perlen in seinen Haaren schimmerten rot-orange. Wie kleine Rubine. Zarte Röte hatte sich über seine Wangen gelegt und ...

Moment? Röte?

Apio kniff die Augen zusammen, aber sein Sichtfeld verschwamm. Er schüttelte den Kopf und ließ den Blick sinken. Sicherlich nur eine Illusion, die durch die Strahlen der Abendsonne entstanden war. Was hatte der Dämon schon für einen Grund zu erröten?

Apios Blick ruhte auf Hua Lis Kragen. Das Rot war mit goldenen Ornamenten durchsetzt, die wie kleine Wellen in den Stoff flossen. Wieder einmal bemerkte er, wie weit das Gewand ausgeschnitten war und wie wenig es von Hua Lis Brust verbarg.

Apio ließ seinen Blick noch weiter sinken.

„Es ist gut verheilt", sagte Hua Li. „Kaum noch etwas von der Verletzung zu sehen." Täuschte es oder war seine Stimme einen Hauch rauer geworden?

Einbildung, redete sich Apio ein. Sicher nur Einbildung.

Sein Gesicht erhitzte sich weiter. Vor allem, da er bemerkte, dass er Hua Li in den letzten Sekunden in den Schritt gestarrt hatte. Er sah wieder auf, hoffte, dass der Dämon es nicht bemerkt hatte.

Aber wo er auch hinsah – ob nun in Hua Lis Augen, auf seinen Oberkörper –, nie konnte er seine Gedanken im Zaum halten. Und das Schlimmste in der Situation: Hua Li schien bei den Berührungen nichts im Sinn zu haben, während Apio sich ihm am liebsten um den Hals werfen würde, die Hände in den dunklen Haaren vergraben wollte und ... und ... und ...

Er ließ sich zur Seite fallen, versteckte sein Gesicht in seinen Händen. Vergib mir, Gott, für meine Gedanken.

„Xiaoge? Geht es dir gut?"

Apio gab ein leises Wimmern von sich.

„Ich habe dir doch nicht wehgetan, oder?" Das Bett knarzte leise, als Hua Li die Hände links und rechts von Apio abstützte und sich über ihn beugte.

Wehgetan nicht direkt. Nur in eine Krise gestürzt. Apio antwortete ihm nur mit einem Kopfschütteln. Die Spitzen von Hua Lis Haaren kitzelten auf seinen Handrücken und überzeugten ihn, die Hände definitiv nicht von seinem Gesicht sinken zu lassen.

„Was ist dann los?" Der Dämon ließ nicht ab. „Kann ich dir irgendwie helfen? Möchtest du etwas trinken? Ein warmes Bad nehmen? Kurz an die frische Luft gehen?"

Bei jeder Frage schüttelte Apio den Kopf, bis er am Ende sagte: „Kannst du dich einfach zwei Meter von mir entfernen?"

Hua Li stockte. „Wenn du das möchtest." Das Bett knarzte leise, als er sich aufrichtete und erhob. Schritte entfernten sich und Apio ließ die Hände sinken, um zu beobachten, wie Hua Li die rotgefärbte Robe ablegte, zusammenfaltete und auf die Kommode legte. Das Oberteil darunter war schwarz und die wenigen silbernen Knöpfe, die noch geschlossen waren, öffnete er nun.

Apio hielt sich schnell wieder die Augen zu, bevor der Dämon bemerken konnte, dass er gemustert wurde.

„Ich glaube, hier gibt es ein angrenzendes Bad", sagte Hua Li und deutete auf einen Türrahmen. „Wenn du nichts dagegen hast, dann würde ich es in Anspruch nehmen."

Apio lugte zwischen seinen Fingern hindurch und folgte Hua Lis Blick. Hinter dem Türrahmen lag ein dunkler Raum, den er von seinem Blickwinkel nur teilweise einsehen konnte.

„Warum sollte ich etwas ...?" Er sprach die Frage nicht zu Ende, denn er konnte sie sich selbst beantworten. Das Bad besaß keine Tür.

Er schluckte, schwieg einige Sekunden und ließ den Blick zwischen Hua Li und dem unbeleuchteten Raum hin und her schweifen. „Passt schon", sagte er letztlich. „Ich drehe mich einfach auf die andere Seite." Seinen Worten ließ er gleich Taten folgen und wandte sich um. Sicherheitshalber hielt er sich auch wieder die Augen zu.

Hua Lis Schritte entfernten sich. Kleidung raschelte und dann kehrte für einige Sekunden Stille ein. Nur eine Nachtigall sang und leitete die Nacht ein.

Wasser plätscherte.

Apio konnte nicht widerstehen und drehte sich zurück auf die andere Seite. In dem zuvor dunklen Raum hatte Hua Li eine Kerze entzündet. Die Flamme flackerte, warf tanzende Schatten an die Wände.

Und Apio hatte sich zuvor getäuscht. Es war nicht so, als könnte er gar nichts sehen. Je weiter er die Hände sinken ließ, desto bewusster wurde er sich, wie viel er betrachten konnte.

Er sah die unbekleideten Schultern Hua Lis. Die dunklen Haare hingen offen über den Rücken und lagen auf dem Rand der Wanne.

Und auf der Haut ... Apio rückte an den Rand des Bettes und kniff die Augen zusammen. Rötliche Verfärbungen. Weiße – noch weißer als die restliche Haut – Striche.

Narben?

Apio lehnte sich über den Bettrand, um einen besseren Blick auf den Dämon erhaschen zu können. Aber sein Gleichgewichtssinn machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Er fiel. Panisch wedelte er mit den Händen, versuchte sich irgendwo festzuhalten und fand nichts. Mit dem Gesicht voran landete er auf dem Holzboden.

„Aua", wimmerte er und rollte sich zur Seite. Irgendwie hatte er es verdient.

„Du kannst auch herkommen", hörte er den Dämon sagen. Er hob den Kopf und sah in das Bad. Hua Li hob eine Hand und winkte ihn zu sich. „Von so weit weg kannst du doch kaum etwas sehen."

Die Hitze kehrte in Apios Wangen zurück. Er hievte sich auf die Beine und richtete seine Unterrobe, ehe er auf nackten Füßen zu dem Dämon tapste.

Im Türrahmen stockte er. Einerseits, weil er sich fragte: Was zur Hölle mache ich hier? Andererseits, weil er nun einen besseren Blick auf die Narben bekam. Schnitte, einer tiefer als der nächste, und verbranntes Gewebe. Wüsste Apio es nicht besser, würde er glauben, Hua Li wäre einer Bombenexplosion zu nahe gewesen.

Hua Li drehte den Kopf zu Apio, winkte ihn ein zweites Mal zu sich. Und Apio holte tief Luft und betrat das Bad. Neben der Wanne sank er auf die Knie. Hauptsächlich, da seine Beine ihre Stärke verloren.

Auch auf Hua Lis Oberkörper zeichneten sich unzählige Narben ab. Seine Robe hatte sie zuvor verborgen.

„Was ist geschehen?", flüsterte Apio. Ihm war gar nicht bewusst, dass er die Worte aussprach.

Hua Li richtete den Oberkörper auf und beugte sich zu ihm. Er hob eine Hand aus dem Wasser und strich mit dem Zeigefinger über Apios Wange. Ein Tropfen rann über die Haut und fand seinen Weg zurück in das Badewasser.

„Du würdest es nicht verstehen", sagte Hua Li. „Selbst wenn ich es dir erklären würde."

Apio formte mit seinem Mund ein stummes ‚Oh'. Sein Blick ruhte auf Hua Lis Lippen. Sie waren so schön.

Was? Nein! Wie konnten Lippen überhaupt schön sein? Nein, nein, nein, nein! Apio, nein! Es brachte nichts. Ungeachtet, wie sehr er sich innerlich anschrie, dass das doch nicht sein Ernst sein konnte, sein Körper gehorchte ihm nicht. Er lehnte sich vor, stützte die Hände auf den Rand der Wanne. Und ...

... rutschte ab.

Eine Hand platschte ins Wasser. Nicht mit viel Wucht und eher seicht, aber sie berührte etwas. Etwas, von dem Apio wusste, dass er es besser nicht berühren sollte.

Apio entfuhr ein spitzer Schrei. Er fiel nach hinten, kroch rücklings von dem Dämon fort.

„Tut mir leid", sagte er hastig. „Tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid." Bei jedem ‚Tut mir leid' glich sich seine Gesichtsfarbe weiter einer Tomate an.

„Ich ... ich wollte das nicht." Ohne auf eine Antwort Hua Lis zu warten, sprang Apio auf die Füße und hastete aus dem Raum. Er machte einen Hechtsprung unter die Bettdecke, als könnte sie ihn vor allem bewahren. Vor seinen Fehlern, seiner Tollpatschigkeit, vor Hua Lis Reaktion, vor bösen Geistern und Monstern und ...

Wasser plätscherte, Kleidung raschelte und letztlich erklangen Schritte.

Apio blieb unter der Decke. Sie würde ihn schützen. Sie würde ihn hundertprozentig schützen.

Hua Li hob sie an.

Apio quietschte auf und riss dem Dämon die Decke aus der Hand. Er rollte sich zusammen. Sollte er sich doch zum Gespött machen, es kümmerte ihn nicht.

Stille.

Dann ertönten wieder Schritte. „Ich werde mir ein anderes Zimmer nehmen", sagte Hua Li. „Nur, falls du mich suchst. Gute Nacht."

Apio brauchte einige Sekunden, bis er die Worte verarbeitete. „Warte!", rief er und kroch unter der Decke hervor.

Hua Li hatte beinahe die Tür erreicht, drehte sich nun aber zu ihm um. Die Spitzen der dunklen Haare waren noch nass und Wasser tropfte in unregelmäßigen Abständen auf das schwarze Oberteil, das er ausnahmsweise mal vollständig zugeknöpft hatte.

„Du kannst hierbleiben", sagte Apio mit einer Sicherheit, von der er nicht wusste, woher sie auf einmal kam. „Hier ist genug Platz für uns beide." Er rückte ein Stück zur Seite und klopfte neben sich auf die Matratze.

...

Hier? Im Bett? Platz?

Apio schluckte. Was tat er nur?

„Bist du dir sicher?", fragte Hua Li. Er hatte sich noch nicht von der Tür wegbewegt.

Nein, nein, absolut nicht. Hör bloß nicht auf mich! Apio nickte.

Hua Li neigte den Kopf leicht, schritt dann vor das Bett. Er streifte seine Stiefel ab und legte sich unter die Decke, an den äußersten Rand, um möglichst weit von Apio entfernt zu sein.

Den dunklen Blick behielt er aber weiterhin auf Apio gerichtet, bis dieser ein leichtes Unwohlsein in seinem Magen spürte. Er flüsterte ein leises „Gute Nacht" und drehte sich auf die andere Seite.

„Schlaf gut", kam als Antwort zurück.

Apio atmete tief aus und schloss die Augen. Sein Herz trommelte weiterhin in seiner Brust und es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigte und er einschlief.


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