fourteen
Harry
Die »Musikecke« war definitiv größer, als ich es erwartet hatte. Rechts an der Wand stand ein Klavier, darüber an der Wand hingen eingerahmte Urkunden. Mir gegenüber befand sich ein Ledersofa, wie man es aus fast jedem Tonstudio kannte. Daran lehnte eine Gitarre, zwei weitere standen daneben. Links war eine kleine Ecke mit einem ziemlich professionell aussehenden Mikrofon, einem Hocker und einem Mischpult aufgebaut.
»Wow«, meinte ich anerkennend nickend und pfiff leise. Dieser Raum konnte fast mit meinem eigenen Tonstudio bei mir Zuhause mithalten. Überrascht, weil ich etwas anderes erwartet hatte, stand ich am Fuß der Treppe.
»Spielst du alle Instrumente hier?«, fragte ich irgendwann und trat auch die letzte Stufe hinunter auf den Teppichboden. Mit dem Finger deutet ich auf die Instrumente.
»Jein«, antwortete Louis, nachdem er sich auf dem Sofa niedergelassen hatte und die Beine überschlug. »Gitarre und Bass kann ich besser als Klavier. Aber die Grundlagen kriege ich schon hin. Komm mir aber nicht mit schwierigen Stücken, da kannst du Lottie fragen. Die hat Unterricht, seit sie fünf war.«
Ich nickte und strich über das dunkle Holz des Klaviers. »Beeindruckend.«
»Was spielst du für Instrumente?« Louis blickte mich mit schiefgelegtem Kopf an, ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen.
»Ich spiele sehr gern Klavier, aber auf Konzerten ist das einfach ein Riesenaufwand. Deshalb beschränkt es sich auf die Gitarre«, sagte ich. Ich war froh, dass Niall mir damals beibrachte, wie man Gitarre spielte. Denn sonst wäre ich auf meinen Konzerten manchmal ziemlich aufgeschmissen.
Ich setzte mich auf den Hocker vor dem Klavier, um die Abdeckung hochzuklappen. Mit den Fingern fuhr ich über die alt aussehenden Tasten.
»Es ist von meinem Großvater«, erzählte der Wuschelkopf, der nun hinter mir stand. »Er hat es bekommen, als er klein war. Hier und da hat es einige Macken, aber es funktioniert einwandfrei.«
»Ein wahrer Schatz«, lächelte ich ihn an. Mein Bauch prickelte, als ich seine Hand auf meiner Schulter liegen spürte. »Singst du auch?«
Louis seufzte leise. »Ja…«, sagte er in die Länge gezogen. »Aber nicht sonderlich gut. Ich hatte nie Unterricht oder so.«
Wissend, dass er los, drehte ich den Kopf und grinste ihn an. Ich wusste, dass er singen konnte. Schließlich hatte ich ihn durch das Fenster seiner Küche hören können, als ich joggen war. »Ach was«, winkte ich ab. »Lass uns etwas zusammen machen. Singen, Gitarre oder Klavier spielen. Wie du willst. Ich bin offen für alles.«
»I-ich kann versuchen, dich mit der Gitarre zu begleiten, wenn du singst? Aber selbst singen… ich weiß noch nicht. Was willst du den singen? Also welchen Song?« Louis setzte sich zurück auf das alte Ledersofa und griff nach der Gitarre, die daran lehnte.
Während ich überlegte, setzte ich mich ihm gegenüber an die Wand auf den Boden. Ich war mir unsicher. Ich hatte schon so einige Songs geschrieben, aber so langsam hatte ich keine Lust mehr auf immer die gleichen Lieder.
Ohne weiter darüber nachzudenken, sagte ich: »If I Could Fly.«
Louis hob verwundert den Kopf. »Einer deiner alten Songs?«
Ich nickte nur und schluckte. Nicht sicher, ob das so eine gute Idee gewesen war.
»Okay, gib mir einen Augenblick«, murmelte er und holte sein Handy aus der Tasche.
Mir war bewusst, dass er den Song wahrscheinlich nicht kannte. Er war eher unbekannt geblieben. Mein heimlicher Favorit. Leise probierte Louis verschiedene Griffe aus, bis eine Melodie entstand. Die Melodie. Zweifel stiegen in mir hoch und pflanzten sich in meinen Kopf. Es war keine gute Idee, diesen Song vorgeschlagen zu haben.
Ich schluckte, denn allein die Melodie beförderte viele Erinnerungen in mir zu Tage. Der Song bedeutete mir viel und war in der Zeit entstanden, als ich IHN kennengelernt habe. Beim X-Factor und dann viele Jahre später erst veröffentlicht. Und keiner hatte eine Ahnung, für wen er letztendlich gewesen war.
Immer wieder spielte Louis die Anfangstakte, bis ich mich schließlich dazu durchringen konnte, zu beginnen. Ich schluckte also den Kloß in meinem Hals herunter und räusperte mich kurz, bevor ich leise zu singen begann.
»If I could fly
I’d be comin’ right back home to you
I think I might
Give up everything, just ask me to…« Die Wörter gingen mir schwer von den Lippen und es kostete mich einiges an Überwindung, nicht aufzuhören. Seit Jahren hatte ich dieses Lied weder gehört noch gesungen. Und trotzdem kannte ich jede einzelne Zeile und spürte die Schwere der Worte tief auf meinem Herzen.
Schluckend lauschte ich Louis, der die Melodie immer wieder wiederholte. Wartete, bis ich bereit war. Ob er sah, wie schwer es mir fiel?
»Pay attention, I hope that you listen
'Cause I let my guard down
Right now I’m completely defenceless.«
Unruhig spielte ich mit meinen Fingern, die in meinem Schoß lagen. Während ich die Zeilen sang, flackerten Bilder von damals vor meinem inneren Auge auf. Wie wir ausgelassen über die Bühne sprangen und dabei alles gaben, um das Publikum zu entertainen. Ich vermisste diese Zeit. Diese Unbeschwertheit.
Dass man sich über nichts Gedanken machen musste, weil das Management alle verantwortungsvollen Aufgaben übernahm. Die Songs, die so tief verankert waren, dass man nicht mehr darüber nachdenken musste, wann man dran war. Das Selbstbewusstsein, das wir mit der Zeit in dem erlangen, was wir taten. Es wurde zum Alltag, zur Selbstverständlichkeit.
Früher war es so einfach gewesen. Vollgepumpt mit Adrenalin verließ man die Bühne, um anschließend mit einigen Securityleuten um die Häuser zu ziehen und sich bis zum Abwinken volllaufen zu lassen, bis man uns dann huckepack ins Bett tragen musste.
Bei dem Gedanken an die Abende musste ich leise lachen. Wir hatten keinen Plan, was wir alles aufs Spiel setzten. Wobei, innerlich wusste es jeder von uns nur allzu gut. Aber es war uns egal gewesen. Das Management behandelte uns nicht gut, also zahlten wir es ihnen zehnmal zurück.
Damals dachten wir aber auch, dass wir für immer zusammenbleiben würden.
»Schwört ihr, Jungs von der erfolgreichsten Boyband seit den Beatles, für immer euern Bandkollegen treu zu bleiben? Schwört ihr, für immer Spaß bei der Arbeit zu haben? Schwört ihr, für immer Teil von One Direction zu bleiben, egal, was passiert? Und dass diese Band, diese Zeit für immer ein Teil von euch bleiben wird? Dass ihr die Zeit eures Lebens niemals vergessen werdet, egal wie alt ihr werdet oder wo euer Weg euch hinführt?«, hatte Liam eines Abends stockbesoffen einen Schwur aufgelegt.
Er hatte sein Handy rausgezogen und von jedem seinen Schwur aufgezeichnet. Zu Hause, auf meinem Handy, hatte ich das Video sogar noch. Das Video, in dem wir alle etwas schoren, das wir nicht einhalten würde. Das Video, in dem ich IHM schwor, für immer an seiner Seite zu sein und ihn zum ersten Mal küsste. Damals waren wir gerade neunzehn Jahre alt gewesen.
Immer, wenn es mir nicht gut ging und ich meinen Gedanken erlag, sah ich mir das Video an. Erinnerte mich an sein erschrockenes und geschocktes Gesicht, als wir uns das Video am nächsten Morgen angesehen hatten. Mit Kater und Filmriss. Die Erinnerung an sein Gesicht versetzte meinem Herz noch immer einen Stich und die sorgsam gepflegten Narben, die er hineingerissen hatte, schmerzten.
Es war eine wunderbare Zeit in der Band gewesen. Nie hatte ich mich lebendiger gefühlt. Bis er mich hintergangen hatte.
»Harry? Alles okay?«, drang Louis‘ sanfte Stimme in meine Gedanken und holte mich damit zurück in die Realität. Auf den Teppichboden in seinem Musikzimmer.
Nach einem tiefen Atemzug nickte ich. »Ich denke schon.«
Er spielte nach wie vor die Takte. Lächelnd sah ich ihn an und sang leise den Refrain:
»For your eyes only
I show you my heart
For when you’re lonely
And forget who you are
I’m missing half of me
When we’re apart
Now you know me
For your eyes only, For your eyes only.«
Jetzt kam SEIN Part, den ich nicht wagte zu singen. Auch auf meinen Konzerten, wenn ich für die Fans einige der alten Songs sang, brachte ich es nicht über mich, seine Solos zu singen. Dafür tat es einfach zu sehr weh.
Während ich versuchte, die Tränen nicht entkommen zu lassen, spielte Louis weiter. Ich schloss die Augen, lauschte den ruhigen Gitarrenklängen. Doch als ich dann eine engelsgleiche Stimme hörte, riss ich sie überrascht wieder auf.
//Und hier geht's natürlich auch weiter :)
Lasst mir gerne eure Meinung da.
Bis dann,
Lea
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