~nineteen~

Jocelyns Sicht:

23. Dezember 2019

Seit einer ganzen Weile lagen Harry und ich nebeneinander auf dem Küchenboden. Einzig und allein unser schwerer Atem war zu hören. Ich hatte die Augen geschlossen und grinste einfach nur.

   ,,Wie spät ist es eigentlich?“, fragte Harry irgendwann.

Ich drehte meinen Kopf zu ihm und sah ihn an. Wie ich eben lag er mit geschlossenen Augen dort. Dann drehte er sich auch zu mir und schaute mich an.

   ,,Keine Ahnung“, meinte ich nur schulterzuckend.

Ein breites Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Ich konnte nicht anders, als ihn zu beobachten.

   ,,Du starrst schon wieder“, stellte er fest, den Arm noch immer über dem Gesicht liegend.

   ,,Nein!“, stieß ich etwas voreilig aus. ,,Tu ich nicht.“

Harrys Körper erbebte unter seinem Lachen.

   ,,Oh doch. Versuch es gar nicht erst abzustreiten. Ich merke, wenn man mich beobachtet.“

   ,,Ab-“, setzte ich an, doch da legte sich auch schon ein Finger auf meine Lippen.

   ,,Sei leise“, hauchte er und dann spürte ich auch schon seine Lippen auf meinen.

In meinem Bauch begann es, zu kribbeln. Langsam und liebevoll bewegten wir unsere Lippen zueinander. Ich platzierte meine Hände auf Harrys Brust und krallte die Finger in seinen Pulli.

   ,,Hmmm“, machte er an meinem Mund.

   ,,Hm?“

   ,,Ich weiß nicht, ob ich jemals genug hiervon haben kann“, meinte er und deutete auf mich.

   ,,Also ich hätte nichts dagegen“, kicherte ich und strich ihm eine Strähne aus der Stirn.

   ,,Du wirst mir so fehlen, wenn ich wieder weg muss.“

   ,,Du mir auch“, seufzte ich und vereinte unsere Lippen erneut zu einem zarten Kuss.

   ,,Ich mag dich, Joey“, raunte er und sah mir in die Augen.

   ,,Ich dich auch.“

   ,,Sag nicht ,auch‘.“

Fragend sah ich ihn an.

   ,,Das hört sich so an, als würdest du mir nur zustimmen“, erklärte er seine Gedanken.

   ,,Ich mag dich, Harry“, flüsterte ich an seinen Lippen, die sich unverzüglich zu einem Grinsen formten.

   ,,Besser?“

Er nickte. ,,Besser.“

   ,,Also jetzt mal Klartext“, fing Harry plötzlich an, als wir an der Küchentheke standen.

Gerade hatten wir den Auflauf in den Ofen geschoben und genehmigten uns schonmal ein Gläschen des Weines, den Harry von seiner Einkaufstour mitgenommen hatte.

Mein Blick löste sich vom Ofen und wanderte zu ihm. ,,Ja?“

   ,,Morgen kommt deine Familie, richtig?“

Ich nickte. ,,Meine Eltern und meine jüngeren Geschwister, ja.“

   ,,Und wie machen wir das? Ich meine ja nur, wenn ich Weihnachten hier bei dir verbringe, wird das dann nicht ein wenig seltsam?“ Er runzelte die Stirn und nippte an seinem Glas.

   ,,Nö, ich denke nicht. Sie werden dich sicher mögen“, versicherte ich ihm und trank ebenfalls einen Schluck.

   ,,Bist du dir da sicher? Was, wenn sie denken, dass du nur ein Zeitvertreib für mich bist? Mein Ruf eilt mir ja schließlich recht eilig voraus.“

Ich atmete einmal tief durch und stellte mein Glas neben mir auf die Arbeitsfläche. Dann stellte ich mich vor Harry und sah ihn ernst an. Mit verunsichertem Gesichtsausdruck stand er da. Zwischen der Theke und mir.

   ,,Harold“, sagte ich so ernst ich konnte, was gar nicht so einfach war. ,,Meine Eltern mögen vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig sein und so ziemlich alles in meinem Leben durchgeplant haben. Darunter natürlich auch der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens zusammen sein, ihn heiraten und mit ihm Kinder bekommen werde.“

Harrys Gesicht wirkte noch nervöser, als gerade eben.

   ,,Und sie werden anfangs nicht wirklich davon begeistert sein, dass du ihre Tochter um den Finger gewickelt hast. Sie werden natürlich denken, dass ich nur ein Zeitvertreib für dich bin. Und sie werden mich für ein hormongesteuertes Flittchen halten, dass ich mich auf dich eingelassen habe…“, fuhr ich fort und musste den anbrausenden Lachkrampf mächtig in die Schranken weisen, um meine Vorstellung so glaubwürdig wie möglich aussehen zu lassen.

Ich legte meine Hände an seine Oberarme und sah ihn eindringlich an.

   ,,Aber wenn sie dich erstmal besser kennenlernen und das sehen, was zwischen uns ist, dann werden sie dich schneller ins Herz schließen, als du deinen Namen sagen kannst. Du bist freundlich, zuvorkommend, süß und so herzensgut, wie kein anderer Mensch, den ich in meinem ganzen Leben bisher getroffen habe. Und ich habe viele getroffen. Glaub mir, Harry. Wenn sie dich kennenlernen, werden sie dich so sehr lieben, wie ich es tue.“

Pause. Stille. Meine Worte hingen schwer in der Luft und mir schnürte es fast die Kehle zu, als ich begriff, was ich gerade gesagt hatte. Ich hatte Harry gesagt, dass ich ihn liebte.

Mit großen Augen starrte er mich an. ,,D-du… was? D-du…“, stotterte er.

   ,,Ich…“, ich räusperte mich. Mensch, war das jetzt peinlich. ,,Vergiss es einfach.“

Gerade als ich mich zum Gehen umdrehen wollte, packte Harry mich am Arm und drehte mich wieder zu sich. Ich hielt den Blick gesenkt, wollte ihm nicht in die Augen sehen.

   ,,Du liebst mich?“, fragte er so leise, dass ich es kaum verstehen konnte.

Ich wich ihm aus, spielte an meinen Fingern rum, um ihm nicht antworten zu müssen.

   ,,Joey?“

Wieder reagierte ich nicht.

   ,,Liebst du mich?“ Als ob er das jetzt nicht schon wüsste!

Ungewollt entkam meinem Körper ein leises Schluchzen, das ich sofort versuchte zu unterdrücken, indem ich mir auf die Unterlippe biss. So stark, dass es beinahe blutete.

   ,,Sieh mich an“, forderte er.

Verdammt, warum musste ich das auch sagen? Ich wusste es doch selbst nicht mal. Jedenfalls bis eben, als ich es sagte.

   ,,Sieh mich an, Joey.“ Harry legte mir zwei Finger unters Kinn, damit ich ihn ansehen musste.

Widerwillig hob ich den Blick, wobei ich das Schluchzen dann doch nicht mehr unterdrücken konnte. Der Damm brach und die Tränen benetzten meine Wangen.

Harrys grüne Augen waren weich und so ehrlich, dass es mich fast umbrachte.

   ,,Liebst du mich?“, fragte er erneut.

Es dauerte einen Moment, bis ich reagieren konnte. Eigentlich wollte ich den Kopf schütteln, alles verneinen, aber dazu war es zu spät. Mein verräterischer Kopf hatte sich selbstständig gemacht und nickte kaum merklich.

   ,,Sag es“, hauchte Harry, Tränen standen in seinen Augen. ,,Bitte.“

Ich zog einmal die Nase hoch und wischte die Tränen mit dem Ärmel ab.

   ,,Ja. I-ich liebe dich, Harry“, sagte ich leise.

Plötzlich wurde ich von seinen starken Armen an seine warme Brust gezogen. Er presste mich an sich so fest er konnte. Und es kam mir vor, als würde er mich nie wieder gehen lassen.

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