6. Kapitel: Verrat und Naivität
Juni 2130
Young New York City, Queens
Der Bunker des Pfaus
"Ich wäre sehr traurig, wenn Seraphim etwas geschehen würde. Man weiß nie, was hinter der nächsten Ecke lauert und selbst er muss irgendeine Schwäche haben", sprach der Pfau und drehte kleine Pirouetten in ihrem Bunker. Ihr großer Screen zeigte ein weites, verschneites Gebirge das aus tiefen Abgründen hochragte und Khorshid wusste, um welche Landschaft es sich handelte. "Ich kann Tsegmid nicht immer trauen, auch wenn sie hartnäckig ist. Sie kann sich nicht selbst erklären und agiert zu oft zu impulsiv. Ich brauche dich, eine viel ruhigere Gewalt", sagte Madeleine und umfasste sein Gesicht mit ihren Händen. Khorshid blickte in ihre großen, haselnussfarbenen Augen die flehend zu ihm heraufblickten, wie die Abgründe der Landschaft.
"Seraphim wäre dir auch dankbar, wenn du dich um ihn kümmerst. Er hat schlussendlich auch niemanden. Er tut mir so leid, er ist sicher immer so einsam", klagte sie und setzte sich wieder zurück auf ihren Stuhl, ließ den Kopf und die langen, roten Zöpfe zur Seite hängen. Aus der Ecke setzte sich ihr Hund auf und dackelte in ihre Richtung, um sich ausgiebig kraulen zu lassen.
"Ich denke nicht. Wynona aus dem Diner kümmert sich gut um ihn. Er lebt ja auch bei ihr", berichtete Khorshid, beobachte wie sich Neugier auf ihrem Gesicht formte und sie ihr Feuerzeug aus ihrer Hosentasche herauszog. "Wynona Warren? Die Bedienstete im Diner? Ich dachte, sie und Seraphim hätten kein Kontakt mehr", fragte sie nach und spielte mit dem Feuer in ihren Händen.
"Man könnte die beiden für Mutter und Sohn verwechseln. Er lässt sich im Dinner nur blicken, wenn er explizit hergeboten wurde oder Wynona Schicht hat. Es ist echt lustig anzusehen, wie er ihr am Rockzipfel hängt", fügte Khorshid weiter hinzu und observierte, wie Madeleine ihre Finger am Feuer schier ankokeln ließ. "Na gut, das freut mich für ihn. Trotzdem will ich nicht, dass du ihn allein lässt, Warren ist nicht imstande, ihn irgendwie zu schützen. Seraphim ist doch nicht unerträglich, oder?", wollte sie wissen und grinste sie.
"Nein, nicht so sehr wie ich dachte", erzählte er, "Manche Kommentare und Fragen könnte er sich sparen und er wirkt bisschen spießig, aber er hat sich nicht über mein Auto beschwert und er ist im Grunde genommen ganz aufrichtig"
Madeleines Lächeln wurde breiter und das Feuerzeug verschwand wieder in ihre Hosentasche. "Gut so. Er ist auch wichtig für dich, Khorshid. Er ist deine einzige Chance, deiner Familie ohne Reue wieder in die Augen schauen zu können"
Daraufhin erwiderte er nichts, ließ nur die Worte einsacken.
"Du hast deinen Dreizack ja reparieren lassen. Wieso ist mir das nicht vorher aufgefallen?"
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Seraphim konnte nicht erklären, wieso er zugelassen hatte, dass Dr. Karim mit einem Mundspiegel und einer Zahnsonde ihn seinem Mund herumwerkte. "Das tut nicht weh, oder?', fragte der Arzt und inspizierte sorgfältig, wie seine Zähne an seinem Zahnfleisch befestigt waren. Das Opfer der Untersuchung, Seraphim, schüttelte zaghaft den Kopf und starrte hilflos an die Decke. "Man kriegt dein Zahnfleisch gar nicht angehoben. Die Themsis hat einwandfreie Arbeit bei dir geleistet", bemerkte der Arzt. "Irgendwie auch schade, ich hätte dir gern was Lustiges reinmontiert. Ausfahrbare Fangzähne oder sowas", witzelte er und zwirbelte seinen Schnurrbart. Als Seraphims Mund wieder in Ruhe gelassen wurde, ließ Dr. Karim keinen Moment verstreichen und zog schon zum nächsten Gerät. "Denkst du, ich kann durch deine Augen durchleuchten?"
In dem Augenblick tauchte Khorshid in die Bar unter dem Diner auf und verschränkte die Arme. "Macht so 'nen Scheiß bitte woanders. Nicht wenn ich hier trinke und esse"
"Verzeihung, wirklich, du hast Recht, Seraphim und ich gehen schon weg-", setzte der kleine Arzt panisch an und packte seine Werkzeuge ein. Seraphim drückte sich vom Stuhl, wurde jedoch von Khorshid am Kragen gepackt. "Mohsen kann gehen, mit dir muss ich reden" Dr. Karim ließ sich das nicht zweimal sagen und verließ die Bar, seinen Koffer fest umschlossen. "Du jagst den öfters durch die Gegend, oder?", murmelte Seraphim und schmunzelte. Khorshid, der das definitiv mitbekommen hatte, hob eine Augenbraue und setzte sich an die Theke. "Der Pfau hat was Neues für uns. Wird eines deiner letzten Aufträge sein. Wir müssen direkt zum Hauptinstitut der Themsis Corporation und von dort aus mit einem Maulwurf in die Kugel von Emil Forecreek", berichtete er.
Das Themsis Institut war, wenn er den Erzählungen Glauben schenken konnte, der letzte Ort, an dem Seraphim sein wollte. Die Gemeinschaft, die Seraphims Körper in eine Maschine gewandelt hat, nur um ihn auf einem Schrottplatz zu entsorgen. Dr. Karim sprach öfters von "gefallener Engel" und Seraphim konnte sich mit jedem Tag mehr damit identifizieren. Madeleines Versprechen, dass sie alles in ihrer Macht Stehende nutzen würde, um Seraphims einstiges Leben wieder aufzubauen, war für ihn der Fels in der Brandung, der einzige Grund, wieso er nicht den sofortigen Freitod aufgesucht hatte.
"Wie soll das gehen? Im Institut werden wir doch sofort erkannt, jetzt, wo unser Gesicht in allen Medien aufzufinden ist", fragte er nach, in der Hoffnung, dass der Auftrag an jemand anderen gehen würde. Doch unterbewusst war ihm klar, dass Madeleine Aufträge gezielt an bestimmte Leute übergab. "Die Aufnahmen sind wackelig genug sodass es bei mir weniger ein Problem sein wird. Mit dir müssen wir aber definitiv was anstellen, deine Haare mit deiner Statur erkennt jeder", sagte Khorshid und stand auf, "Lass uns deine Haare schneiden"
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"Und wieso wohnt Emil Forecreek in einer Kugel?", wollte Seraphim wissen, während er sich in Khorshids roter Schrottkarre anschnallte und seine neue Frisur im Beifahrerspiegel beobachtete. Lange hatte es gedauert, bis die beiden Männer sich auf eine Haarlänge einigen konnten-
Und nun musste Seraphim sich mit einer schief geschnittenen Kurzhaarfrisur zufriedengeben. Er schüttelte seinen Kopf, sodass die Haarsträhnen in sein Gesicht flogen, und strich sich im Nacken über die weichen Stoppeln. Die langen Haare vermisste er jetzt schon. Khorshid startete das rappelnde Auto, "Keine Ahnung. Wieso reisen bald Leute auf dem Mond, wo sie von einem Casino aus einen Ausblick auf die Erde haben können? Menschen mögen Höhe und wenn sie es sich leisten können, dann kaufen sie sich Höhe", sagte er und fuhr auf die Straße. Der einzig gute Aspekt der Aufträge, die der Pfau ihnen übermittelte, war, dass Seraphim raus in die Welt durfte. Die fremde Außenwelt zu Fuß zu betreten war ihm nicht geheuer, sodass er sich isolierte. Beim Autofahren fühlte er sich sicherer, konnte das Leben und die Stadt um sich herum besser beobachten. Viel hatte sich seit seiner letzten Autofahrt aber nicht verändert, mit Ausnahme seiner Präsenz in den Nachrichtenboards.
"Wer ist Emil Forecreek? Auch ein Perverser wie Asmodeus oder wieso müssen wir ihn loswerden?", fragte Seraphim weiter nach. "Es ist ein bisschen komplizierter. Forecreek ist Trilliardär und hat die Themsis aufgekauft. Auch die chinesische Han Xin Produktion wird von ihm finanziert, das ist das Material, aus dem die modernsten Cyborgs und Androiden hergestellt werden", sprach Khorshid und drehte eine scharfe Kurve. "Sogar in die Yakamura investiert er und lässt momentan irgendwelche kinetische Bomben bauen. Der Kerl ist ganz vernarrt in kinetischer Energie", erzählte er weiter und drehte eine weitere scharfe Kurve. Seraphim hielt sich am Stoff des Sitzes fest, vollig verängstigt, dass das klappernde Auto zusammenbrechen könnte. "Wir töten ihn also, weil er Bomben bauen lässt?"
"Ja, nein. Er ist die erste Stimme, was das Programm der Androiden angeht. Sehr wahrscheinlich lässt er sie mit Absicht so designen, dass sie nach einer Weile ein "Selbstbewusstsein" entwickeln und in ihre Freiheit ausbrechen wollen. Das hat er einfach so entschieden, aus Langeweile. Außerdem hat er sein Bewusstsein in mehrere Clouds gespeichert, das gefällt dem Pfau nicht", berichtete Khorshid weiter, als würde er über das Wetter reden. Seraphim stutzte, "Ich dachte, die Androiden hätten wirklich ein Bewusstsein? Wieso befreien wir sie, wenn es doch nur ein Programmdesign ist?"
Khorshid zuckte mit den Schultern. "Sogar unter uns ist das ein umstrittenes Thema. Aber wirklich schaden kann es nicht, schließlich sind sie gute Streitkräfte und verfolgen hauptsächlich gleiche Ziele. Solange sie sich wie echte Menschen verhalten, können wir sie auch so behandeln und für unsere Zwecke nutzen. Frag dich am besten nicht so viel über den Sinn der Sachen, die wir tun sollen. Hört sich echt zwielichtig an, aber es ist wirklich besser so. Vertrau mir", sagte er und beendete er das Thema, als er auf eine Brücke über das Meer fuhr.
Von Queens zum Hafen von Brooklyn dauerte es eine Stunde. "Dort drüben ist ein Hafen", bemerkte Khorshid und zeigte mit den Finger auf ein Schiff. "Normalerweise hätten wir Boras Auto dafür ausleihen können, aber mit dem Auto darf man nicht über das Meer fliegen, sonst wird man runtergeballert. Tickets für die Fähre hat der Pfau besorgt, die sind da im Fach vor deiner Nase. Sind nur zwei Plastikkarten, die man auffüllen kann"
Vor Seraphims Nase war das Beifahrerfach, die kleine Tür mit Panzertape angeklebt. Bemüht, die Tür nicht vollständig aufzureißen, versuchte Seraphim nach den Tickets zu greifen. Überraschenderweise ergriff die Tickets auch direkt, gemeinsam mit einem kleinen Bilderrahmen, auf dem Khorshid und drei Kinder abgebildet waren. Sie sahen Khorshid wie aus dem Gesicht geschnitten aus und trugen bunte Gewänder und aufwendigen Kopfschmuck. Er erinnerte sich an die Nacht, als Khorshid beiläufig von seinen Geschwistern gesprochen hatte und brüsk ihn verließ, als er nach ihnen gefragt hatte. Hastig verstaute er das Bild wieder in die Tiefen des Faches, um nicht wieder in ein Fettnäpfchen zu treten.
"Ich parke kurz dahin und lass 'nen Androiden den Wagen wegfahren. Sieh zu, dass wir einen abgeschiedenen Platz auf dem Schiff finden"
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Sie folgten dem kleinen Strom der Menschen auf dem Weg in die Fähre, die ihre digitalen Tickets an einem Bildschirm einlösten. "Hier werden keine ID-Scans gemacht, dafür wird beim Ticketkauf gesorgt, zieh den Kopf ein und geh los", flüsterte Khorshid und schob Seraphim vor sich her. Als sie an der Reihe waren, lösten sie die Karten ein und liefen weiter. Seraphim bewegte sich schon in Richtung einer Treppe, um auf das Deck zu gelangen, als beide Männer von einem bewaffneten Androiden in eine weitere Schlange gestoßen. "Aufgrund der aktuellen Fahndung nach kriminellen Personen und Androiden, die verantwortlich für die Stürmung des Hochsicherheitsgefängnisses "Bastillian" und den Mord an Fergus Garber sind, bitte ich Sie, sich identifizieren zu lassen", sprach der Android durch seinen geschwärzten Panzerglashelm. Seraphim drehte sich um zu Khorshid, der damit nicht gerechnet hatte. "Der Plan ist gelaufen, wir müssen Bora kontaktieren", flüsterte er panisch, während Khorshid weiterhin mit offenem Mund den Androiden anstarrte. Immer gehetzter zog er an Khorshids Arm, versuchte ihn aus dem Schiff rauszuschieben, doch Khorshids Brustkorb hob und senkte sich mit jeder vergehenden Sekunde wilder und die wütenden Falten und Adern um seinen Mund und seinen Augenwinkeln glichen den Wurzeln eines Baumes, die bis zu seinem Hals schlugen und pulsierten.
Aus dem Nichts tauchte eine bekannte Frau auf. Ein kurzer, hellbrauner Zopf und ein Allerweltsgesicht, gekleidet in einer ähnlichen Uniform wie Bora, das große KI-Siegel auf der Brust angeprangert. Am Identifizierungsschalter präsentierte sie ihren Dienstausweis, bevor sie Seraphim und Khorshid grob an den Schultern packte und durch einen Verhörraum schubste. "War doch klar, dass Leutnantin Tsegmid mit Abschaum zusammenarbeitet", fauchte sie, als die Tür hinter ihnen zuknallte. "Du bist mir sowieso ein Dorn im Auge", spuckte sie in Khorshids Richtung und warf einen Blick auf Seraphim. Ihr Gesichtsausdruck wirkte bestürzt, und wenn sie dazu fähig wäre, zu stottern, hätte sie es wohl genau in diesem Moment gemacht. "Du bist nicht auf der polizeilichen Datenbank gespeichert", flüsterte sie, fuhr sich durch die Haare, soweit es ihr Zopf zuließ, beobachtete seine Kleidung, besonders die Stelle, wo früher sein Herz saß. "Du bist ein ausländischer Android", schnaubte sie und zeigte wieder gereizt auf Khorshid, ihre Stimme wieder an Ton gewinnend. "Ich wusste es! Ihr hält nicht nur Punks, sondern auch rebellische Androiden bei euch!", rufte sie erregt.
Hilfesuchend schaute Seraphim sich im Raum umher. Auf eine Konversation konnte man sich mit einem protokollfolgendem Androiden nicht einlassen, es hieß also Kampf oder Flucht. Wohl oder übel auch beides. "Sie machen da einen großen Fehler, er ist kein Android. Wir sind nur auf dem Weg nach Staten Island, ohne viel für den heutigen Tag geplant zu haben-"
"Mein Identifizierungssystem erkennt euch doch aus den Aufnahmen aus dem Talmund-Vorfall. Außerdem gehen keine menschlichen Temperaturwerte von ihm aus", gab sie unberührt wieder. Seraphim fiel wieder ein, dass sie ein Robocop war. Diese Tatsache war leicht zu vergessen, wenn man sie nur in seltenen Fällen mit Menschen unterscheiden konnte.
"Wenn dein Mensch nicht redet, muss ich es aus dir herausquetschen", sagte sie mit fester Stimme und näherte sich Seraphim auf unangenehme Weise. Aus der Nähe konnte er entdecken, dass sie sogar lebensechte Poren und Härchen auf der Haut hatte-
Aber auch dass diese, um die Ohren herum, ohne Übergang nicht mehr da waren. Er notierte sich das gedanklich.
"Ich muss wissen, mit wem Leutnantin Tsegmid sich trifft und was in diesem Diner geschieht. Wenn du nicht redest, muss ich deinen Speicher kontrollieren. Du weißt, was dann geschieht, richtig?" Seraphim nickte, wohl wissend, dass er nichts wusste. Nur wenige Sekunden später griff Khorshid von hinten den Kopf der Androidin und versuchte, das harte Material umzudrehen. Seraphim fragte sich für einen kurzen Moment, ob Khorshid lebensmüde war, dass er es mit einem Androiden aufnahm, doch er verstand, dass sein Komplize das nur tat, um mehr Zeit zu schinden. Sofort reagierte er und griff dem Robocop ebenso fest an den Hals, die dabei war, Khorshid einige Finger zu zertrümmern. Mit einer groben Bewegung beförderte er die Androidin auf den Boden und brachte, was Khorshid mühsam versucht hatte, zu einem Ende. Schnell und reibungslos verdrehte er ihren Kopf, fast wie bei einem Huhn, das geschlachtet werden sollte. Ihr Kopf lag regungslos auf den Boden, ihre Iris und ihre Pupille verloren an Farbe, während sich ihre Augenlider unkontrolliert schlossen und wieder öffneten. So ruhig ihr Kopf lag, so verkrampft zuckte und regte sich ihr restlicher Körper. Nach einigen Sekunden, in denen kein Laut erzeugt wurde, außer das Aufeinanderprallen der metallenen Gliedmaßen mit dem Boden, hörte sie auf und lag still und starr. In Seraphims Augen war sie für einen kurzen Moment eine Frau, die er aus einem Impuls heraus mühelos kaltgemacht hatte. Erleichterung und gleichzeitig Reue machten sich in seinem Gewissen breit, bevor Khorshid ihm an die Schulter zerrte. "Das ist 'ne Androidentante und ein teures Modell noch mit dazu. Sie wird in spätestens zwei Wochen wieder auf den Beinen sein", seufzte er und machte klar, dass sie langsam abhauen sollten. "Nur wird das mit dem Speicher schwierig. Wir können den nicht einfach rausschneiden, weil bei Robocops alles digital mitdokumentiert wird"
Seraphim antwortete nicht, starrte nur abwechselnd auf die "tote Frau" und seine Hände. Er war sich seiner Kraft bewusst und Morden war nichts Neues für ihn. 'Ich muss mich langsam daran gewöhnen'
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Egal, wo das Auge blickte, war es Grün. Überall an den Straßenseiten wuchsen die frischsten Grünpflanzen. Aus den gigantischen Wolkenkratzern und Zivilapartments, die alle in einem gewissenhaft sauberen Zustand standen, wuchsen verschiedene Blumen. Jegliche Gebäude waren kunstvoll von Blättern überwuchert, aus vielen, kleineren Läden wuchs in der Mitte ein ragender Baum heraus.
Seraphim erspähte über ihnen eine Bahn, die von oben von einer langen Leiste festgehalten wurde.
Generell schien viel zu schweben, nicht nur die Ampeln;
Viele Statuen, Andenken und Werbeplakate hingen in der Luft, bewegten sich sogar. Technologie und Natur spielten miteinander.
'Öko-Brutalismus. Haha', fiel Seraphim ein.
Doch etwas jagte ihm auch Angst ein, als Khorshid ihn durch die Unterführungen der Bahnen führte, dabei schien Staten Island ein viel friedlicherer, ruhigerer Ort als Queens. Vielleicht waren die Androiden Schuld daran, die ausgeschaltet und zusammengepfercht in einer Reihe an Straßenrändern standen, bereit, jeden Dienst anzunehmen. Vielleicht lag es auch an der geringen Anzahl an Senioren oder Kindern, die an Seraphim vorbeiliefen, oder die sterile Ästhetik der Stadt. Seraphim hatte noch nie solch statische Pflanzen gesehen. Wo sich Pflanzen eigentlich auf natürliche Weise der Sonne entgegenstrecken müssten, posierten die Blumen um die Gebäude herum wie auf einem Bild kompositioniert. Kein Baum ließ sich mit einem kargen Ast, einem zerrissenen, braunen Blatt oder einer verdrehten Wurzel erwischen. Staten Island war genauso artifiziell, wie es ideal war.
In einer Unterführung hielt Khorshid in einer dunklen Ecke an und hielt sein Display vor Seraphims Nase. "Um uns in das Institut reinzuschmuggeln brauchen wir einen Maulwurf. Bora hat hier eine Liste an Androiden zusammengestellt, die man in einem anderen Untergrund finden kann. Ist nicht so groß wie unseres in Queens, aber immerhin eine Verbindung zum Institut", sagte er und deutete auf die verschiedenen polizeilichen Profile auf dem Handy. "Wo finden wir sie?", fragte Seraphim nur und lies sich das Profil eines Laborassistent-Androiden durch. Das Handy steckte Khorshid ein und lief hastig weiter. "Hinter einem Internetcafé. Mit einer Bahn sollten wir es erreichen können", antwortete er und führte Seraphim aus der Unterführung wieder ins Tageslicht.
"Bora muss ihre Assistentin besser unter Kontrolle halten oder für die nächste Zeit stillliegen", kam es von Seraphim, dessen Atmung immernoch nicht regelmäßig ablief. "Hätte ihr kleiner Welpe seine Vorgesetzten gerufen, wäre es fertig mit uns", stimmte Khorshid ihm zu und suchte anhand der Straßenschilder nach einem Bahnhof, doch weit und breit sind nur Kraftwerke zu sehen. Beide Männer hatten nicht gemerkt, dass sich auf den Straßen immer weniger Menschen und Androiden tummelten und sie nun allein im Industriegebiet standen.
Seraphim ergriff schon nach Khorshids Handy, um eine Route zu finden, als dieser ihm zuvorkam und ihn wegdrückten zu versuchte. Ein ohrenbetäubender Schuss erklang und eine Straßenlaterne hinter ihnen zischte. Ein sauberes Loch durch die Stange der Laterne rauchte und schmolz, genau an der Stelle, an der Seraphim vor wenigen Sekunden noch stand. Über ihnen, auf einem der Dächer der Fabriken, lag eine breite, schwer ausgerüstete Gestalt, in den Händen trug sie eine Sniper Rifle, die wieder genau auf Seraphim gerichtet wurde. "Renn", hauchte Khorshid und Seraphim tat wie ihm geheißen. Er rannte und dankte dem Himmel, dass seine Beine beinahe so schnell waren, wie Boras Auto. Hinter ihm bohrten sich die Schüsse des Scharfschützen genau auf seinen Fußspuren, Khorshid dicht hinter ihnen. Mit den Augen signalisiert er auf eine weitere Unterführung, in die sich beide Männer flüchten und in die Anonymität der Menschenmenge verschwinden.
"Haben wir ihn abgehängt?", fragt Seraphim in bester Verfassung und streicht sich durch die kurzen Haare. Nach mehrmals tiefem Luftholen kam auch Khorshid zu Wort. "Ja, für den Moment. Wir dürfen nicht nachlassen", hauchte er und zeigte auf die Schienen. "Die nächste Bahn können wir nehmen".
"Wer denkst du war das? Vielleicht von einem Verbündeten von Asmodeus auf uns gehetzt?", überlegte Seraphim. Khorshid wollte sich eine Zigarette anzünden. "Möglicherweise. Das heißt, dass die Videoaufnahmen genauso gefährlich sind, wie befürchtet. Wir müssen dem Pfau darüber kontaktieren."
"Ihr seid nicht von hier, oder?", klang eine laute Stimme hinter ihnen und Khorshid steckte die Zigarette weg. Ein junges Mädchen tauchte aus der Menge auf,
Ein schwarzes Mädchen, vielleicht um die 16 Jahre, mit einem fröhlichen Grinsen auf den glänzend angemalten Lippen.
Weiße, grade Zähne strahlten aus ihrem runden Gesicht, ihre großen, sirupbrauen Rehaugen schauten die beiden Männer abwechselnd an. Ihr dickes Haar war zu einer makellosen, kunstvollen Hochsteckfrisur angerichtet, die Augenbrauen in kleine, runde Formen rasiert. Die Kleidung die sie trug, bestand aus einem sauberen weiß-grünen Zweiteiler aus einem knielangen Tennisrock und einem ärmellosen, engen Rollkragen. Lange Handschuhe waren an den fragwürdigsten Stellen ausgeschnitten und ihre sauberen Stiefel leuchteten an der Sohle.
Seraphim meinte, einen normalen, nervigen Teenie mit Bonzeneltern vor sich stehen zu haben. "Ihr seht aus, als kämet ihr aus der anderen Seite. Brooklyn oder Queens? Du hast tolle Haare, so schön weiß!", sprudelte das Mädchen und wippte unkontrolliert auf der Stelle. Khorshid ignorierte sie und richtete seinen Blick auf die Schienen, doch Seraphim konnte sich nicht so einfach losreißen wie er. "Seid ihr das erste Mal hier? Jeder guckt euch an, wieso seid ihr hergerannt? Wohin wollt ihr?", quasselte der Störenfried weiter und stieg mit den beiden Männern in dieselbe Bahn. Khorshid schenkte ihr schon lange keine Beachtung mehr, wie man es für gewöhnlich tat, wenn man öffentlich von Außenseitern der Gesellschaft angesprochen wurde. Seraphim hingegen war überfordert von der Energie der Jugendlichen. "Ich fahre ins Themsis Institut. Mein Vater arbeitet dort, deswegen kann ich immer rein und raus. Bis nächste Woche gibt es eine Ausstellung, wollt ihr sie mal anschauen? Sowas gibt es auf dem Festland nicht, oder? Ihr könnt euch sogar Sachen zum Fullborg angucken, glaube ich", hüpfte sie freudig, auf ihrem Gesicht stand hoffnungsvoller Ausdruck.
Khorshid ergriff das Wort und lächelte das junge Mädchen an. "Ich denke, das ist eine richtig schöne Idee"
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