Kreativitätswerkstatt I - Der Saal der verlorenen Bücher

Die ersten Tage auf dem Schloss waren für Dich sehr aufregend. So viele neue Leute, unzählige fremde Gänge, Gerüche und Stimmen.  Wie oft hast Du dich zu Tode erschreckt, als kleine Bücherfeen mirnichtsdirnichts durch die Luft gerauscht sind und Dich fast "umgeflogen" hätten - was eigentlich nicht möglich ist bei ihrer geringen Größe. Stets höflich wie sie sind haben sie Deinen Schreck bemerkt und sich mit großen Augen entschuldigt.

Ihre Stimmen sind ziemlich hoch - daran hast Du dich aber gewöhnt, wie auch an die anderen Teilnehmer*innen. Irgendwie sind sie schon Konkurrenz aber sie benehmen sich ganz anders - nett, zuvorkommend und hilfsbereit. Du kennst einige Menschen, die nicht so sind. Leider. Aber hier kannst Du sie gut vergessen.

Vor einer Stunde ist Pamphletia aufgetaucht. Sie hat hier das Sagen und alle Fäden in der Hand und hat Dir leicht wirsch aufgetragen, zackig und direkt nach dem Frühstück  im Saal der verlorenen Bücher aufzutauchen. "Komischer Name für einen Saal" dachtest Du dir und hast Dich auf den Weg gemacht.

Die Kellergewölbe erreicht man über einen Seiteneingang auf dem Innenhof des Anwesens. Ein grimmiger Gnom mit einer schartigen Axt steht vor einem Treppenabgang. Als er Dein Teilnehmerarmband sieht, hüpft er zur Seite und fixiert die Burgmauern so konzentriert, als müsste er einen Drachen in die Flucht schlagen.

Die Treppenstufen führen etwa zehn Schritte in die Tiefe. Hier sind die Wände dunkel und so gar nicht kunstvoll verziehrt, wie oben in den Wohn- und Schreibbereichen. Dir fällt direkt auf, dass es modrig riecht. Je weiter Du gehst (und der Gang führt nur geradeaus!) merkst Du, dass Du schon lange keine Feen mehr gesehen hast. "Komisch. Die sind eigentlich fast überall." 

Du erreichst eine sperrangelweit offene Doppeltür, die in einen gigantischen Saal mündet. Überall stehen Tische, auf denen Bücher teils meterhoch gestapelt sind, manche scheinen sehr alt zu sein. Dutzende Eichenregale, an die kleine Leitern gelehnt sind, stauben vor sich hin. Hier hat schon lange niemand mehr Staub gewischt, geschweigen denn Ordnung in das Bücherchaos gebracht. Pamphletia denkt doch wohl nicht...

Madeleine, eine sehr quirlige Teilnehmerin spaziert zu Dir herüber. Sie hat eine Schreibfeder hinter ihr Ohr geklemmt und lächelt breit. Etwas zu breit. Immerhin wirkt sie glücklich inmitten dieser Millionen von Seiten. Irgendwie steckt Dich ihr Lächeln an.

"Hi. Schön, dass Du hier bist. Pamphletia hat mir aufgetragen, dafür zu sorgen, dass jeder weiß, was er zu tun hat. Feen trauen sich hier nicht hin - der Raum sei irgendwie verhext und unnatürlich. Blabla... Zumindest sagen sie das. Vielleicht haben sie einfach keine Lust, sich um den Kram zu kümmern."

Sie reicht Dir eine Schiefertafel von einem Stapel, dazu ein hartes Stück Kreide.

"Siehst Du den Bücherstapel dahinten? Stöbere mal ein wenig und suche Dir die Geschichte aus, die am schlechtesten geschrieben ist. Schreibe einen Absatz daraus ab und mache Dich an die Arbeit - verbessere den Text so gut Du kannst, bis er Dir besser gefällt, als das Original. Wenn Du fertig bist - ab zu mir. Denk daran: Miss P. schaut sich an, was Du geschrieben hast. Gib Dir also Mühe."

(Kpw: Ab an euer Bücherregal. :) Schnappt euch ein Machwerk und schreibt einen grausigen Absatz um. Beispiele (vorher/nachher) könnt ihr gern posten.)

Etwas verdutzt kämpfst Du dich durch die Tischreihen, vorbei an anderen Teilnehmern, die teils versunken, teils verschlafen ihren Aufgaben nachgehen. Du machst Dich ans Werk und liest und liest und liest - teilweise sind die Geschichten wirklich mies und schwer zu ertragen. Du pickst Dir eine heraus, schreibst einen Absatz daraus neu. Als Du das nächste Mal auf die kleine Standuhr blickst, zeigt sie drei Stunden später an. Wow. Du schnappst Dir Buch und Tafel und suchst Madeleine.

Sie erwartet Dich bereits und strahlt Dich an, als Du ihr die Sachen übergibst. "Wenn doch nur alle so motiviert wären wie Du. Da wird Miss P. sich freuen. Gut gemacht."

Ohne eine Antwort abzuwarten zieht sie Dich in einen Seitengang, der besonders schmal ist. Auf einem der Schilder die ankündigen, in welcher Abteilung man gerade ist steht "Rätsel" - ein gutes Zeichen, oder ein schlechtes?

"Die Bücher hier sind sehr alt und vergilbt. Nicht alles kann man noch lesen. Darüber hinaus sind es Rätselbücher - schon die Urahnen des Lords of Fiction waren begeisterte Schreiber und haben mit diesen Aufgaben geübt. Wenn man sie noch lesen könnte. Fang am besten mit dem Buch ganz oben links an. Schreibe ab, was Du entziffern kannst und suche Dir eines der Rätsel aus, um es zu lösen." 

Sie reicht Dir eine wunderschön geschwungene Schreibfeder und ein leeres Buch. "Du weißt, wo Du mich findest. Sei pünktlich, um vier ist Tea-Time. 

Du greifst nach besagtem Buch und hast Mühe, es vom Staub und Gilb zu befreien. Zwischendurch hustet Du heftig und fragst Dich, was Du da eigentlich tust bis Du etwas entziffern kannst. Merkwürdig. Dort steht:

"Ein Fremder betritt einen Baumarkt. Er kauft ein Seil, eine Harke, einen Hammer und Vanilleeis. Was hat er vor?"

Du überlegst kurz und Dir kommt eine Idee, die Dich gefangen nimmt. Hastig schreibst Du sie auf und kannst Dir ein Grinsen nicht verkneifen. Der Einfall ist einfach zu gut.

(Kpw: Werde kreativ! Überlege, was der Fremde mit diesen Dingen vorhat und schreibe es auf. Lass uns daran teilhaben, wenn Du magst.)

Madeleine strahlt, als Du ihr voller Euphorie Deine Ideen präsentierst. "Das ist fantastisch! Und sooo lustig." Sie strahlt und verleiht diesem muffigen Ort einen besonderen Glanz. "Komm mit, es gibt noch einen Raum, den Du nicht kennst. Nur Ausgewählte dürfen ihn betreten.
Du schaust sie ungläubig an: "Bist Du etwa ausgewählt?"
"Äh. Ich habe einen Schlüssel." Sie lächelt verlegen und errötet. Ehe Du nachhaken kannst, eilt sie in eine dunkle Ecke des Lesesaals, nestelt in ihrer Hosentasche und zieht einen glitzernden Gegenstand hervor. Um was es sich handelt, kannst Du nicht erkennen. Dann schiebt sie einen schwarzen schmalen Vorhang zur Seite, der eine winzige Tür verbirgt.
Sie besitzt keinen Türgriff, aber das scheint gar nicht nötig, denn ohne einen Laut schwingt sie auf.
"Tob Dich aus," flüstert Madeleine, zwinkert Dir zu und macht sich vergnügt von dannen.

Neugierig wirfst Du einen Blick in den winzigen Raum. Ungeschickt stößt Du an ein tiefes Regal, auf dem staubige, dicke Wälzer gestapelt sind. Kein Wunder, dass niemand hier freiwillig saubermacht. Hier gibt es nur alte Enzyklopädien und Wörterbücher mit so lustigen Namen wie "Neralds niegenutzte Wörter".
Ob Madeleine Dich auf den Arm nehmen wollte? Lustlos blätterst Du mal hier, mal dort. Ohne es zu merken, kriecht ein Grinsen auf Dein Gesicht, als Du diese ulkigen Wörter liest. Eines merkwürdiger als das andere:

haselieren

entopisch

honett

intrikat

Korollarium

Petrichor

Quisquilie

Somnolenz

Trope

Zoonose

In einer klobigen Schachtel findest Du Tinte und Kiel und schreibst und lachst, während Du dir die absurdesten Bedeutungen für diese Wörter ausdenkst, die Dir einfallen.
Die Zeit vergeht, aber Du merkst fast zu spät, dass es Abends ist. Ein leises Klopfen lässt Dich hochschrecken.

Madeleine winkt ganz hektisch. Sie hat sich einen Mantel übergeworfen. Da fiel es Dir wieder ein. Der Vortrag!

"Komm schon, Du wolltest doch auch hin. Das dürfen wir nicht verpassen."

Nein, verpassen darfst Du das nicht. Heute würde der bekannteste Dichter des Landes James Blake auf das Schloß kommen und seine Waldelegien vortragen. Du liebst diese sprachlichen Kleinode, packst zusammen und machst Dich aus dem Staub.

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