Kapitel 11 - Kontrollfreak

Ich würde durchrasseln, so oder so. Kläglich, mit wehenden, weißen Fahnen, wie ein gefallener Krieger in der Schlacht. Wenn ich Mr. Johnson nur noch einen unschuldigen Dackelblick anstelle einer vernünftigen Hausarbeit präsentierte, könnte ich mir auch gleich selbst einen dieser hübschen, gelben Briefchen schreiben, die in die Briefkästen derer wandern, die sich mental auf eine Ehrenrunde vorbereiten sollten. Einmal mit den Wimpern klimpern ließ er  noch durchgehen, beim zweiten Mal zog er schon pikiert die Stirn in Falten und sollte ich ihm noch ein drittes Mal schöne Augen machen wollen, musste ich wohl oder übel mit seiner geballten Faust auf meinem Tisch rechnen, mitsamt einer dicken, fetten, alles entscheidenden sechs. Wozu machte ich mir überhaupt die Mühe?

Die leeren Seiten meines Collegeblocks glotzten mich vorwurfsvoll an, als ich sie schwungvoll mit der flachen Hand vom Bett fegte und sich die losen Blätter quer auf dem Plüschteppich verteilten. Ich drehte die Anlage über meinem Bett lauter und ließ mich rückwärts in die Federkissen fallen.

»Klopf, klopf?«, unterbrach eine Stimme meinen Lieblingssong.

»Komm rein, Gen.« Meine beste Freundin schob sich durch die Tür und baute sich mit verschränkten Armen vor mir auf. »An die Farbe muss ich mich noch gewöhnen«, murmelte ich in das Kissen, das ich mir demonstrativ aufs Gesicht drückte und nur einen kleinen Spalt frei ließ, um meinem Gegenüber neckisch zuzuzwinkern.

»Hör auf zu heulen«, sagte sie barsch, bohrte ihre Finger in den schmuddeligen Kissenbezug und rupfte es mir unsanft von den Augen. »Elli sagt, du verzweifelst an Geschichte?« Gen seufzte auf, packte mich an den Schultern und zog mich in eine aufrechte Position zurück.

»Musste es denn unbedingt blau sein?«, prustete ich los, als ich die Augen wieder öffnete und in ihr amüsiertes Gesicht sah.

»Passt super zu meinem Kleid.« Sie bewegte ihren Kopf übertrieben im Takt der Musik, sodass ihre glänzenden Haare wie in einer Shampoo-Werbung hin und her wippten. »Außerdem war das lange überfällig, Ex-Doppelgänger.«

»Ach, auf einmal machst du einen auf individuell?«

»Na, ich mach zumindest nicht einen auf Weltuntergangsstimmung«, sagte sie trocken bei dem Anblick der losen Blättersammlung auf dem Schlafzimmerboden.

Ich zuckte mit den Schultern.
»Kein Abschlussball«, seufzte ich entmutigt. »Keine Verwechslungsgefahr.«

»Keine Chance!«, blaffte sie mich mit großen Augen an, ging in die Knie und fing an das heillose Durcheinander zu sortieren. »Du bist mein Date, schon vergessen?«

»Sag das Mr. Johnson.« Ich schlug die Beine übereinander. »Der macht mir n' Strich durch die Rechnung.«

»Unsere angehende Meister-Chirurgin scheitert an dem bisschen preußischer Geschichte?«, gab sie zurück und platzierte die Hefte und Lehrbücher fein säuberlich gestapelt auf meinem Schreibtisch.

Ich rümpfte nur abfällig die Nase. »Du verarscht mich.«

»Nein, ich sporne dich an!« Sie ließ sich so energisch neben mir fallen, dass der Lattenrost quietschte. »Das ist ein Unterschied. Und jetzt zeig mir dein Kleid.«

Oh oh.

»Bambi?« Ihre Augen weiteten sich bedrohlich und auf meinem Gesicht breitete sich ein übertriebenes Grinsen aus. »Ich bring dich um!« Mit diesen Worten stieß sie sich von der Bettkante ab und rang mich mit vollem Körpereinsatz und einem ohrenbetäubenden Knall zu Boden. »Hörst du das, Elli?«, quiekte sie zwischen den wummernden Bässen aus der Stereoanlage und meinem erstickten Lachen, als sich ihre Finger in meine Achseln bohrten. »Ich drehe ihr den Hals um!«

»Lass mich los!«, prustete ich, atemlos zappelnd unter ihrem Gewicht. »Das ist unfair!«

»Was? Dass ich die Stärkere bin?« Triumphierend grinsend richtete sie sich auf und betrachtete meinen vor Anstrengung auf und ab bebenden Körper zufrieden. »Oder dass du allen Ernstes glaubst, du könntest dich vor unserem gemeinsamen Abschluss drücken?«

Obwohl sie schon längst aufgehört hatte, mich wie als Folter zu kitzeln, schaffte ich es bloß noch erschöpft zu lachen. Ich lag wie ein Käfer auf dem Rücken, reglos schnaufend, als die Schritte im Flur immer lauter wurden, sich langsam meinem Zimmer nährten und durch die angelehnte Tür hinein schlüpften. »Alles gut, Grandma«, sagte ich beschwichtigend, drehte meinen Kopf in ihre Richtung und erstarrte bei dem Anblick der streng dreinblickenden Gestalt im Türrahmen. »Enzo?«
     

◇ ◇ ◇
    

Ich schlug die Augen auf, starrte an die Decke und blinzelte. So lang, bis die Bilder aus vergangener Zeit verblassten und letztlich wie trübes Wasser in einem Strudel verschwanden.

Das letzte Mal, dass ich willentlich an mein Abschlussjahr dachte, war so lange her, dass mir die Erinnerungen an diese Zeit auf einmal völlig fremd vorkamen. Vor acht Jahren waren eine lächerliche Hausarbeit und eine hysterische Punk-Prinzessin, die es kaum abwarten konnte zur Ballkönigin gekürt zu werden, meine beiden größten Sorgen.

2012 kam mir ewig weit weg vor, losgelöst vom Rest der Geschichte, wie aus einem anderen Leben. Als hätte diese frühere Version von mir nichts mit der Person gemeinsam, die ich heute war. Je länger ich darüber nachdachte, desto stärker wurde mir bewusst, dass das ja irgendwie auch stimmte.

Ich richtete mich nur widerwillig auf, strich mir die Decke von den Beinen und lauschte in mich hinein. Da war mein Puls, leicht erhöht, quietschende Reifen auf der Straße vor meinem Fenster und sonst nichts. Kein Rascheln im Wohnzimmer, keine Schritte im Flur, kein verheißungsvolles Klirren und Brutzeln aus der Küche. Die rechte Seite meines Betts war leer, so wie ich sie vor ein paar Stunden vorfand.

Ein flüchtiger Blick aufs Handy verriet mir, wie lange ich geschlafen hatte. Seufzend kämpfte ich mich hoch, band mir den Gürtel meines Morgenmantels um die Hüfte und entschied, lauthals gähnend, dass das unmöglich genug war.
    

◇ ◇ ◇
    

»Hey Enzo, ich hab keine Ahnung, ob du das hier überhaupt abhörst. Ich glaube, ich habe noch nie jemandem auf die Mailbox gequatscht, jetzt wo ich so darüber nachdenke. Aber naja, da du nicht zurückrufst und dich nicht blicken lässt, selber schuld.«

Noch während der Filterkaffee durchkochte, goss ich mir einen großzügigen Schluck in eine Tasse, setzte mich auf den Hocker an die kleine Kücheninsel und drückte mir mein Handy fest ans Ohr.

»Ich hab echt mies geschlafen und komisches Zeug geträumt, über die High School, total bescheuert. Du kamst auch darin vor. Und Gen natürlich, Geneviev, du weißt schon. Naja, wie gesagt, total bescheuert. Irgendwie kann ich nicht mehr richtig geradeaus denken. Fühlt sich das so an, wenn man den Verstand verliert?«

Der Kaffee verbrannte mir die Zunge und eigentlich trank ich ihn nie ohne Milch, nicht einmal in Eile. Heute starrte ich die schwarze Brühe teilnahmslos an und rümpfte die Nase bei dem bitteren Nachgeschmack, die sie auf meiner pelzigen Zunge hinterließ. Ich nahm noch einen Schluck, als wollte ich mich bestrafen.

»Ich meine, ich gehe morgen früh wieder arbeiten. Kommt dir dieses Wochenende auch wie das längste der Welt vor? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich das hinkriege. Ich muss wieder funktionieren, weißt du? Ich muss wieder ordentlich Schlaf kriegen, mich konzentrieren können, anderen zuhören, den ganzen Tag, und ich darf es niemandem sagen, wie-« Ich brach ab und wischte mir mit der Hand durchs Gesicht, bevor ich gefasster fortfuhr: »Ich weiß nicht, wie das gehen soll, Enzo. Alles was hier gerade passiert ist schon verwirrend genug, auch ohne dein Verschwinden, hörst du? Ich brauch dich.«

Meine Finger malten Kreise auf die Granitplatte.

»Bitte lass uns reden, ich drehe sonst durch. Komm einfach nach Hause und bring ein bisschen Normalität mit, okay? Nur ein bisschen.« Ich biss mir auf die Unterlippe. »Melde dich bitte. Ich liebe dich.«

Bevor ich den runden, roten Button berührte, starrte ich wie gelähmt auf die Minutenanzeige auf dem Display. Die Sekunden verstrichen und ich sah buchstäblich dabei zu.

»Hey, Eric.« Ich räusperte mich und versuchte möglichst beherrscht zu klingen, als ich die nächste Nummer, die mir in den Sinn kam, wählte. »Bist du im Grill?«

»Nein, noch nicht«, überging er seine Begrüßung und gab sich keine große Mühe, die Besorgnis in seiner Stimme zu verstecken. »Ist alles in Ordnung, Bambi?«

Ganz offensichtlich gelang mir das auch nicht besonders gut. »Ja, sicher. Ich wollte fragen, ob du was von Enzo gehört hast?«

Die nächsten Sekunden, in denen sich Eric in Schweigen hüllte, fühlten sich endlos an. »Gestern«, antwortete er schließlich und ich prustete die Luft, die ich angehalten hatte, wieder aus. »Warum fragst du?«

»Was hat er gesagt?«

»Nur, dass er ein paar Tage frei braucht.« Eine Tür fiel ins Schloss und aufgeregte Stimmen im Hintergrund fingen an sich lauthals zu überbieten. »Ich dachte, das wüsstest du?«

»Nein«, gab ich hastig zurück, als mir dämmerte, dass Eric mein Kopfschütteln nicht sehen konnte. »Offenbar reden wir gerade nicht miteinander.«

»Kling ja echt mies.«

»Du sagst es.« Für einen kurzen Moment, in dem Eric abgelenkt zu sein schien, stützte ich den Kopf auf den Händen ab und ließ das Stimmenwirrwarr am anderen Ende der Leitung auf mich wirken. Fast hätte ich vergessen, wie sich alltäglicher Wahnsinn anhörte. Nach allem was passiert war, klang er wie Musik.

»Hey, du kannst gerne im Grill vorbeikommen, wenn du jemandem zum Reden brauchst. Ich schließe in einer halben Stunde auf«, brach er das erholsame Schweigen zwischen uns. Wieder knallte eine Tür zu, aber diesmal wurde es schlagartig ruhiger um ihn herum.

»Ja, vielleicht«, druckste ich, obwohl ich wusste, dass ich seiner Einladung nicht folgen würde. »Ich danke dir, Eric.«

Ich kappte die Verbindung und fuhr mir nervös durch die Haare. Ganz automatisch durchkämmte ich im Geiste den überschaubaren Personenkreis nach jemandem, der auch nur die geringste Ahnung haben könnte, wo Enzo sich aufhielt. Viele Möglichkeiten hatte ich nicht mehr. Die Antwort lag auf der Hand. Widerwillig und mit einem an mir nagendem schlechten Gewissen, wählte ich Brielles Nummer und gab mich den entsetzlichen Stichen in der Magengegend hin.

»Also jetzt wird's echt unheimlich«, meldete sich meine Freundin, noch bevor das erste Klingeln vollständig verstummte. Ich runzelte irritiert die Stirn, als jemand die Treppenstufen vor der Eingangstür erklomm. »Machst du mir die Tür auf?«, fragte sie belustigt. »Oder soll ich klingeln?«

Ohne ein einziges Wort zu erwidern, ließ ich mein Handy sinken, wetzte zur Tür und schüttelte ungläubig den Kopf, als ich ihre blonden Haare durch den Spion entdeckte. »Was machst du denn hier?« Ich zog sie über die Türschwelle hinein und dann so fest an mich, dass sie lautstark zu protestieren begann.

»Pass auf!« Brielle befreite sich aus meiner Umklammerung und drückte mir den Korb in die Hand, der sich eben noch geradewegs in mein Brustbein bohrte, mit den Worten: »Versöhnungs-Frühstück!« Ihre grünen Augen glitzerten entschuldigend.

»Versöhnungs-was?«

Ehe ich mich versah, hatte sie sich schon ihrer Schuhe entledigt und dirigierte mich hinter sich her in die Küche. »Ich habe mich wie ein gefühlloser Trottel verhalten.« Ich beobachtete sie dabei, wie sie eine Pfanne auf der Herdplatte platzierte und aus dem Körbchen in meinen Armen eine Packung Eier fischte. »Ich meine, ich heul mich bei dir über mein albernes Teenie-Drama aus, während deine Beziehung in die Brüche geht!« Als sich unsere Blicke trafen, hielt sie die Luft an und in der Bewegung inne. »Habe ich Brüche gesagt? Ich meinte-« Dann machte sie einen ungeschickten Satz auf mich zu. »Kirsche! Hier, greif zu, wir haben Kirschen, Kiwis, ein paar Heidelbeeren-«

»Du weißt auch nicht, wo er steckt, oder?«

Brielle schüttelte betreten den Kopf.

Wie ferngesteuert legte ich den Korb aus der Hand, hievte mich zurück auf den Hocker und konnte spüren, wie meine letzte Hoffnung wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. »Du hast da nicht zufällig auch einen Schluck Milch drin?« Ich schwenkte angeekelt das lauwarme, bittere Gebräu in meiner Tasse.

»Sonntagmorgen im Hause Carlin und St. John bedeutet, der Kühlschrank ist wie immer leer.« Mit diesen überaus treffenden Worten zog sie allen Ernstes eine halbvolle Packung aus ihrem transportablen Obstgarten hervor. 

»Ich könnte dich auffressen.« Brielle strahlte bis über beide Ohren und stolperte vergnügt zurück in Richtung Herdplatte, doch ich hielt sie fest und bat sie, sich zu setzen. Dann räusperte ich mich. »Also, ein Überraschungs-Versöhnungs-Frühstück.« Ich schielte sie skeptisch über den Rand meiner Tasse an. »Womit habe ich das verdient? Nachdem ja wohl ich diejenige war, die dich gestern versetzt hat. Tut mir wirklich leid, Brie.«

Brie. Vielleicht war es Einbildung, aber ich glaubte, dass wir gleichzeitig zusammenzuckten bei dem Klang des Spitznamens, den Enzo ihr damals gegeben hatte.

Ich fand ihn immer blöd.

»Naja.« Jetzt räusperte sie sich und fing an, einzelne Weintrauben von ihren Stielen zu puhlen. »Ich habe dermaßen in Selbstmitleid gebadet, dass ich gar nicht gesehen habe, was überhaupt abgeht!«

»Würdest du mich bitte aufklären?«

Schwer zu sagen, ob sie bloß nach passenden Worten suchte oder darüber nachgrübelte, welche zerschmetternde Wahrheit ich verkraften könnte und welche sie mir am besten vorenthalten sollte.

»Er hat mir von eurem spontanen Besuch bei Stefan und Damon erzählt, den gruseligen Salvatore-Brüdern. Er und Damon hatten sich heftig gestritten, dein heimlicher Verehrer ist völlig ausgerastet und dann hat Enzo verständlicherweise die Flucht ergriffen.« Kurz bevor mir der letzte Rest Kaffee in die Luftröhre rutschte, schluckte ich, mit vorgehaltener Hand.

»Tu nicht so überrascht.«

Mein Hals brannte wie Feuer. »Das ist doch Irrsinn!«, gab ich röchelnd zurück. »Ich sag das nur einmal: Damon steht nicht auf mich.«

»Ach nein?« Sie legte den Kopf schief. »Hübsche Halskette. Ist die von Enzo?«

Ich senkte den Kopf, folgte ihrem triumphierenden Blick und spürte die Hitze in mir aufsteigen. »Darum geht es doch überhaupt nicht!«, blaffte ich ungeniert. »Was hat dir Enzo noch erzählt?«

»Er brauchte mir nicht noch mehr zu erzählen.« Sie zuckte schnippisch mit den Schultern und ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie die Diskussion damit für beendet erklärte. »Am Ende des Tages war Enzo nämlich bei mir. Und du warst bei ihm.«

Ich fühlte mich geschlagen. Wie ein gefallener Krieger in der Schlacht. In meiner Hand eine wehende, weiße Fahne.

Schon wieder.

»Brielle, du bist total auf dem Holzweg«, versuchte ich gegen den allwissenden Ausdruck in ihrem Gesicht anzukommen. »Zwischen Damon und mir, da ist rein gar nichts, okay? Das ist wirklich lächerlich. Wir haben nur... geredet und die Zeit vergessen.«

»Das ist ja rührend«, stöhnte sie augenrollend.

»Wieso bist du so fies?«

»Wieso verteidigst du ihn?!«, keifte sie mich an und lehnte sich weit über die Anrichte. »Der Typ vergreift sich an einer vergebenden Frau und zufällig mag ich ihren aktuellen Freund verdammt gern! Und sein Bruder!« Sie warf die Arme in die Luft. »Der ist zu allem Überfluss ein verlogener Arsch!«

»Das ist er nicht.« Ich griff besänftigend nach ihrer Hand. »Stefan hat sich entschuldigt.«

»Und das nimmst du ihm ab?«

Ich nickte eifrig. »Ja, weil ich glaube, dass er ein guter Kerl ist, den du auf dem falschen Fuß erwischt hast. Er hat wirklich süße Dinge über dich gesagt.«

Ihre Mundwinkel zuckten. »Ach ja?«

»Er meinte, du erinnerst ihn an ein Mädchen, was ihm einmal viel bedeutet haben muss.« Als ihr klar wurde, dass ich es ernst meinte, wurde ihre Miene schlagartig weicher. Endlich sah sie nicht mehr aus, als würde sie mir jeden Moment an die Gurgel springen. »Und er hat dich einen neurotischen Kontrollfreak genannt.«

»Wow.« Brielle nickte übertrieben anerkennend. »Ich fühle mich geschmeichelt.« Die wohltuende Erleichterung setzte in dem Augenblick ein, als sie anfing, gegen ihren Willen zu lachen. »Ich vertrau dir, dass du nichts Dummes machst«, sagte sie schließlich und ihre Stimme senkte sich wieder. »Aber Enzo vertraue ich auch. Wenn er ein bisschen Abstand braucht, dann solltest du ihm den lassen.«

Ich sah sie nachdenklich an und kaute auf meiner Unterlippe herum.

»Überleg doch mal, das ist euer erster großer Streit. Wer weiß, vielleicht ist er einfach der Typ, der ein paar Tage ausreißt, um den Kopf freizukriegen?«

»Ja, vielleicht«, seufzte ich und fühlte mich plötzlich wieder so hoffnungslos wie zuvor. Da war nur noch eine Sache, die mir keine Ruhe ließ. »Was hat er zu dir gesagt, als er gegangen ist, gestern Abend? Hat er dir verraten, wo er hinwill?«, fragte ich und erwiderte ihren Blick erwartungsvoll.

Mit einem Mal erstarb ihr schwaches Lächeln. Sie zog die Stirn in Falten, als würde sie angestrengt über eine Antwort nachdenken. »Ich weiß nicht«, murmelte sie und drehte geistesabwesend eine Weintraube in ihren Fingern hin und her. »Ehrlich, ich hab keine Ahnung. Ich weiß nicht mal mehr genau, wann er gegangen ist.« Als sie sich wieder mir zuwandte und in mein sorgenvolles Gesicht sah, winkte sie hastig ab und schob sich die Traube in den Mund. »Ich muss eingeschlafen sein«, erklärte sie rasch, ohne mich anzusehen. »Ja, das muss es sein, ich bin eingeschlafen, bevor er abgehauen ist. Kein Wunder, ich war ja auch fix und fertig. Hey, was machst du da?«

»Nimm ihn«, sagte ich und streifte mir meinen Ring vom Finger.

»Was soll ich denn mit Enzos Ring?«

»Auf ihn aufpassen, bis er beschließt zurückzukommen.« Ich legte ihr das filigrane Schmuckstück vor die Nase. »Er will eine Auszeit? Meinetwegen, dann nehme ich mir auch eine.« Ich hielt nervös den Atem an und hoffte inständig, dass sie es auf dieser ausgesprochen schwachen Ausrede beruhen ließ. Etwas besseres fiel mir auf die Schnelle nicht ein. Aber sie wäre nicht Brielle, wenn sie nicht wenigstens die Arme vor der Brust verschränken und mich skeptisch mit hochgezogener Augenbraue anglotzen würde.

»Bitte?«, setzte ich kleinlaut hinterher, bis sie den Ring seufzend anstelle der Weintrauben in ihren Fingern hin und her drehte. »Du sollst ihn tragen, nicht bloß anstarren.«

»Gott, wer ist hier bitte der Kontrollfreak?«, gab sie schmunzelnd zurück.

Als der kleine Stein an ihrem Ringfinger funkelte, grinste sie stolz, als hätte ich ihr gerade einen Antrag gemacht. Ich fühlte mich blitzartig besser. Es machte meine Lügen nicht wieder gut, aber fürs Erste musste es reichen. 

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