*Eine Großfamilie*
Es ist schön. Finn ist einfach so witzig und lebensfroh. Ich glaube, mit ihm kann ich alles machen. Wir sind gerade mit dem Frühstück fertig und gehen zu den Außenflächen. Er öffnet eine Tür, und auf der anderen Seite erstreckt sich ein riesiger Park. Am Ende des Parks befindet sich ein Wald, in dem überall Schüler herumlaufen.
„Komm, gehen wir zu einem meiner Lieblingsplätze. Du wirst ihn lieben", sagt Finn mit einem ansteckenden Enthusiasmus. Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch. „Bist du dir sicher? Weißt du, ich bin sehr anspruchsvoll."
Und da ist es wieder – dieses Lachen von Finn, bei dem sich seine Grübchen zeigen. Er bleibt an einem See stehen, den ich zuvor gar nicht bemerkt hatte. Das Wasser glitzert im Licht der Sonne wie unzählige kleine Diamanten.
Finn lässt sich ins Gras plumpsen, ich setze mich neben ihn. Ein Schweigen entsteht zwischen uns. Ich nutze die Gelegenheit, um ihn mir genauer anzusehen. Er erinnert mich ein wenig an Melcon, denn die beiden haben die gleichen eisblauen Augen und eine ähnliche Haltung. Wenn ich mich richtig erinnere, ist ihr Lachen auch vergleichbar.
Vielleicht sind sie ja verwandt. Obwohl Finn eine komplett andere Art hat als Melcon. Doch um das Schweigen zu brechen, frage ich einfach: „Du und Melcon, seid ihr eigentlich verwandt?" Er lacht nervös: „Wie kommst du darauf?"
„Naja, ihr habt die gleichen Augen und die Haltung. Außerdem seht ihr euch teilweise ähnlich." Er wirkt plötzlich sehr nervös und bemüht, nichts Falsches zu sagen. „Nein, wir sind zu 100 % nicht verwandt."
Das glaube ich nicht. Sein zögerliches Verhalten lässt mich an seiner Aussage zweifeln. Aber das geht mich nichts an. Gut, nicht weiter nachhaken – auch wenn mich diese Neugier fast umbringt.
Und wieder entsteht ein Schweigen. „Wieso trägst du die Handschuhe?" Jetzt wird es mir unangenehm. „Nur so", kommt mir viel zu schnell über die Lippen. „Sehr glaubwürdig. Dann kannst du sie doch ausziehen, wenn du sie nur so trägst", erwidert Finn und sieht mich herausfordernd an. Ich schüttle entgeistert meinen Kopf.
„Auf keinen Fall werde ich die Handschuhe ausziehen. Aber lass uns über etwas anderes reden. Wie sieht es bei dir mit Verwandten aus?" Wow, Mari, auffälliger geht's nicht.
„Also, ich habe einen Bruder, der leider auch mein Vormund ist. Ich habe nicht viel Kontakt mit ihm. Außerdem habe ich noch vier Onkel, zu denen ich ebenfalls keinen Kontakt habe. Zu meinen 27 Cousins und 15 Cousinen habe ich auch keinen Kontakt."
Warte mal, hat er gerade wirklich gesagt, dass er 27 Cousins und 15 Cousinen hat? „Warte mal, das hieße ja, dass deine Onkel, grob gerechnet, jeder von ihnen 14 Kinder hat?"
Er seufzt und schüttelt den Kopf: „Deswegen erwähne ich es nicht so gern. Onkel Nummer eins hat 20 Kinder, Onkel Nummer zwei hat acht Kinder, und die anderen beiden haben jeweils sieben Kinder. Aber frag nicht, wie alt die anderen sind. Ich kenne gerade so die Namen."
Ihm muss mein erstaunter Blick aufgefallen sein, denn er lacht: „Das ist nur die mütterliche Seite. Willst du auch die väterliche Seite hören? Mein Bruder und ich sind richtige Einzelgänger, wenn man das so nimmt."
Ich nicke nur und bin gespannt, was da noch so kommt. „Also, väterlicherseits habe ich... warte..." Er zählt mit den Fingern. „Ach so, jetzt habe ich es wieder: 15 Tanten. Mein Vater war der einzige Junge. Die Eltern meines Vaters wollten sehr dringend einen Sohn. Willst du auch wissen, wie viele Kinder die haben?"
„Nein, ich glaube nicht. Ist das normal in eurer Welt?"
„Bei Wandlern schon. Wie sieht's bei dir mit Verwandtschaft aus?"
„Also, ein Onkel ohne Kinder, den ich nicht einmal kenne. Meine Mutter ist ein Einzelkind. Dann nur noch die Eltern meiner Mutter."
„Also hast du wohl keine Wandler in deiner Familie und bist Einzelkind."
„Ja. Wie ist es denn, einen Bruder zu haben?"
„Anstrengend. Denn wenn die Eltern tot sind, ist er sehr beschützend und streng. Er versucht, die Vaterrolle einzunehmen, aber das schafft er nicht."
Er starrt etwas verloren in die Gegend. „Also, jetzt interessiert es mich doch, wie viele Kinder deine Tanten insgesamt haben."
Er seufzt: „Musst du es genau wissen, oder reicht grob?"
„Genau." Er schaut in den Himmel und formt mit seinen Lippen das Wort „Hilfe".
„Also, warte, ich zähle nach. Könnte etwas dauern."
Nach einer gefühlten Stunde kommt die Antwort: „110. Bevor du fragst, ich habe keine Ahnung, wie viele jeder hat."
Das ist etwas übertrieben. Dann müsste man ja 110 geteilt durch 20 – ich runde mal auf 120 auf – dann sind das ungefähr 6 Kinder pro Tante. „Eine richtige Großfamilie!"
„Du hast recht. Ich bin froh, dass es nur meinen Bruder und mich gibt. Wir hätten wahrscheinlich mehr Geschwister, wenn meine Eltern länger gelebt hätten." Er schaut traurig drein, daher rücke ich näher an ihn heran.
Er merkt es und zieht mich sanft zu sich. Wir schweigen erstmal und kuscheln miteinander. Ich weiß nicht, ob das so richtig ist. Ich mag ihn, aber mir ist heute klar geworden, dass ich ihn nicht mehr als einen Freund mag. Das ist eher etwas für Melcon. Doch der macht mir noch zu viel Angst.
Wahrscheinlich denke ich auch nur so oft an Melcon, weil ich Angst vor ihm habe. Warte mal, Melcon... Wann treffen wir uns nochmal? Ich schaue in Panik auf mein Handy. Zum Glück ist es erst 12:00 Uhr. Ich atme erleichtert aus. Was könnten wir noch Schönes unternehmen? Wir könnten doch mal spazieren gehen. Die fünfte Stunde beginnt doch erst um 11:50 Uhr. Warte, war es nicht schon 12:00 Uhr?
Ich löse mich von Finn und springe auf. „Finn, wo ist der Eingang? Ich bin jetzt schon zehn Minuten zu spät zu meinem Unterricht." Er schaut ebenfalls auf seine Armbanduhr. „Komm, wir beeilen uns lieber." Er geht los und weiß zum Glück, wo es langgeht.
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