*Alles unter Kontrolle*
So stehen wir drei da. Luna und Lisa starren sich an, und die anderen Schüler blicken neugierig zwischen den beiden hin und her. Lunas Lippen verziehen sich zu einem abfälligen Grinsen, während sie in höchst arrogantem Ton sagt: „Gern doch, meine liebe Maliska. Sie und du, ihr passt ja wunderbar zusammen. Die na ruhaniya Hexe und die Begabte ohne Talent." Definitiv nur aufgesetzt.
Lisa nickt unterwürfig und sagt: „Danke, dass ich das machen darf." Mit diesen Worten zieht sie mich einfach mit, und ich bin so überrumpelt, dass ich gar nicht weiß, was jetzt kommt.
„Wir gehen jetzt zu Cornelia." Wir laufen schweigend durch die langen Flure, die stark an ein altes Kloster erinnern.
Die hohen Decken sind kunstvoll bemalt, und die Fenster sehen aus wie die einer Kirche. Aber jedes Stück Kunst, jedes Fenster erzählt seine eigene Geschichte.
Lisa bemerkt wohl meinen Blick: „Das da ist die Geschichte von Nestor, einem Helden aus der Zeit des Trojanischen Krieges."
Wir folgen dem Gang, der immer prunkvoller wird, je weiter wir gehen. Die Fenster und die gesamte Umgebung wirken immer ausgeschmückter und kunstvoller. Nach einer gefühlten Stunde bleiben wir endlich vor einer Tür stehen. Gott sei Dank, endlich wieder eine Tür.
Lisa fängt plötzlich an zu kichern. „Was ist so lustig?" frage ich irritiert. „Dass du dich so über eine Tür freust." Jetzt lache ich auch. Es war wirklich absurd, dass ich mich über eine Tür freue, aber nach der Blamage im Musikunterricht verständlich. „Du hast, du hast ...", Lisa versucht zu sprechen, aber sie kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Mist, sie hat wohl gesehen, was nach dem Musikunterricht passiert ist. Ich versuche, das zu überspielen: „Würdest du auf mich warten? Sonst weiß ich nicht, wie ich zum Unterricht komme." Sie überlegt kurz: „Ja, das kann ich machen."
Ich klopfe an die Tür und höre ein gedämpftes „Herein." Ich trete ein.
Das Büro ist riesig. Es gibt eine gemütliche Sitzecke mit Sitzsäcken und einem roten Sofa. An der Wand ist ein riesiges Bücherregal befestigt, und hinter dem Schreibtisch, an dem Cornelia sitzt, stapeln sich dicke Ordner.
Cornelia schreibt noch etwas, dann schaut sie auf und legt den Stift zur Seite. „Ah, Mari, du bist spät." Sie greift nach einem dicken Ordner, reicht ihn mir und sagt: „Da steht alles drin, was du wissen musst – von den Hausregeln bis zu den Verhaltensregeln und einer Einführung für die neuen Begabten in unserer Welt. Das meiste lernst du aber mit der Zeit."
Sie wirft einen kurzen Blick auf die Uhr. „Du hast bestimmt viele Fragen. Aber die meisten werden sich von selbst klären. Zuerst die Grundlagen, die du unbedingt wissen solltest. Was sind Begabte? Begabte sind ... tja, wie soll ich es erklären? Menschen, die die Regeln unserer Welt durcheinanderbringen." Okay ... muss man nicht verstehen.
Cornelia sieht mir an, dass ich nicht durchblicke. „Also, in unserer Welt kann eine Hexe sich an Orte teleportieren, wenn sie etwas von dort hat. Sagen wir, sie möchte sich an einen bestimmten Strand beamen, dann braucht sie Sand oder Steine von dort. Dann kommt ein Begabter, dessen Begabung in die Kategorie ‚Reisende' oder ‚Weromkomme' fällt, und denkt sich einfach: ‚Ich will dahin.' Zack, und schon ist er da. Ich könnte dir jetzt noch stundenlang die verschiedenen Arten von Begabungen erklären, aber das steht alles im Ordner", sie zeigt auf den riesigen Wälzer in meiner Hand. Ich freue mich jetzt schon „riesig" darauf, ihn zu lesen. „Hast du sonst noch Fragen?"
Oh ja, jede Menge. Aber die wichtigste für mich: „Lernt man, die Begabung zu kontrollieren?" „Ja, das tut man. Obwohl es bei manchen Begabungen gewisse Einschränkungen gibt." Das klingt ja schon mal vielversprechend. „Und wie erfahre ich, in welche Kategorie ich gehöre?"
„Das wird heute in der letzten Stunde beim Training getestet." „Wie getestet?" „Ein Stein, der die Fähigkeiten hervorruft. Früher hatten wir Tests und Aufgaben, aber das wurde irgendwann zu gefährlich. Die ganzen Helikopter-Eltern haben sich zu sehr aufgeregt."
Das Wort „gefährlich" sagt sie mit einem Blick, als hätte man einem Kind das Lieblingsspielzeug weggenommen. Ich will nun die Frage stellen, die mir am meisten auf der Seele brennt: „Waren die anderen Begabten auch normale Menschen, oder wurden sie hineingeboren?"
„Die meisten sind wie du, aus der Außenwelt. Sie erwachen mit zwölf. Es gibt aber auch Begabte unter den Inferis Creaturea."
Gut zu wissen, dass ich nicht die Einzige bin. „Hatten die anderen auch Unfälle?" „Naja, dein Vorfall war schon etwas extremer als die meisten, aber ja, die meisten haben Vorfälle. Sonst würden wir sie ja nie finden."
„Und wann oder wie lernt man, durch den Schein zu sehen?"
„Manche lernen es, manche nicht. Kommt drauf an, mit wem ...", sie bricht ab, als es klopft. „Herein." Die Tür öffnet sich, und Lisa tritt ein: „Entschuldigung für die Störung, ich wollte nur fragen, ob das hier noch lange dauert. Sonst würde ich schon mal zum Unterricht gehen." Cornelia – es ist immer noch komisch, sie so zu nennen – grinst und sieht erfreut aus.
„Nein, ihr könnt gehen, Maliska. Schön, dass ihr euch anfreundet. Du hast doch kein Problem damit, Mari in dein Zimmer zu nehmen." Maliska nickt und deutet mir, mitzukommen.
„Tschüss." Als wir das Büro verlassen, schließt sich die Tür wie von selbst. „Wenn du Fragen hast, schau lieber nicht in den Ordner. Frag einfach mich." „Keine Sorge, der Ordner ist mir sowieso viel zu dick. Wie viele Seiten sind das eigentlich? 500?" „Etwas daneben. Die Seiten im Ordner sind teilweise verzaubert, sodass sie dünner wirken, als sie sind. Insgesamt sind es über 3783 Seiten."
Das ist ja wohl sehr ausführlich. „Nein, das hat unser Musiklehrer Johann geschrieben."
Wir hetzen durch die gleichen Flure zurück, durch die wir gekommen sind – denke ich zumindest. Ganz schön verwinkelt hier. Immer wieder kommen uns Schülergruppen entgegen, die sich anscheinend vor einem Klassenraum versammeln.
Plötzlich stoppt Lisa, schaut sich kurz um und führt mich dann zu einer Wand, wo zwei Jungen stehen. Beide sind groß, haben fluffige Haare und tragen eine gewisse Lässigkeit zur Schau. Der eine hat auffallend giftgrüne Augen und kräftige Muskeln. Der andere sieht aus wie das Klischee eines Vampirs. Der Vampir spricht als erster: „Wen bringst du da mit, Lisa?"
„Die Neue. Luna war zu vornehm, um sich ihrer anzunehmen, und deshalb ist alles auf mich gefallen."
Der Vampir setzt ein bedauerndes Gesicht auf und erwidert: „Du Ärmste. Du hast immer die schwierigsten Fälle."
Ich entscheide mich, mitzuspielen. „Ja, das stimmt. Ich bin so ein schwieriger Fall, ich sehe nicht mal die Türen."
Der andere Junge schüttelt den Kopf und sagt: „Ben, das ist einfach unhöflich. Du solltest dich zuerst vorstellen." Dann wendet er sich zu mir: „Also, werter schwieriger Fall, mein Name ist Finn. Ich bin ein Delta-Werwolf des Lekki-Rudels, und dieser Trottel hier ist Ben, ein minderwertiger Vampir."
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