Suivons le courant fuyant
Die Rufe werden immer lauter und ich spüre das Adrenalin, das langsam ansteigt. Mein Herz rast. Ich schließe die Augen und versuche mich zu beruhigen, doch ich bin so eng mit ihm verbunden, dass es nicht funktioniert, wenn er nicht selbst runterkommt. Und das wird er nicht, nein, noch lange nicht. Er fängt ja gerade erst an!
„Vera? Ich brauche nochmal deine Hilfe. Dieser Typ ist wieder dran, der will unbedingt das Bild kaufen", ruft meine Assistentin Lane.
Ich wende meinen Blick von der aufgeregten Menge ab und drehe mich zu ihr um. Lane ist tough und sie schafft es immer, Leute abzuwimmeln. Anscheinend ist dieser Kerl tatsächlich hartnäckig!
„Gut, gib ihn mir...", erwidere ich und sie reicht mir das Telefon.
Langsam wird es hier zu laut und ich gehe durch einen Seiteneingang hinaus ins Freie. Die Abendluft ist kühl und ich atme tief ein. Doch er rast immer noch durch die Gegend...ich seufze und sage dann in das Telefon: „Hi, Vera Leto hier. Was kann ich für sie tun?"
Eine dunkle Stimme meldet sich, auf französisch.
„Mein Name ist Colbert. Ich rufe im Auftrag meines Klienten an, er bietet ihnen zwei Millionen Dollar für den D'Angèle."
„Ich besitze mehrere", antworte ich ruhig.
ZWEI MILLIONEN! Der Typ ist wahnsinnig!
Die Tür hinter mir fliegt auf und der Meister persönlich erscheint. Er hebt die Arme, deutet: „Wo bleibst du?" und ich zeige auf das Telefon.
„Wir wollen „La princesse poupée", Madame Leto", erklärt Colbert.
„Über dieses Bild brauchen wir nicht zu sprechen, es ist und bleibt unverkäuflich!", sage ich deutlich und verabschiede mich.
Jared schaut mich an.
„Schon wieder ein Kunstliebhaber?", fragte er und grinst.
„Yep. Dieser Franzose. Er will es nicht verstehen. Lane kommt nicht mehr gegen seine Anrufe an. Ich werde ihn jetzt sperren. Oder... möchtest du doch lieber Millionär als Rockstar sein?"
Jared schimpft lächelnd: „Hey, ich bin auch Franzose, sag das gefälligst nicht so abwertend! Wieviel bietet er?"
„Zwei Mio."
„Woah. Dann hätte ich ja schonmal ne Anzahlung, um aus dem Vertrag zu kommen...Zwei Mio! Fickt euch doch!"
„Jay? Kommst du? Wir müssen auf die Bühne!", ruft ein Crew- Mitarbeiter.
„Ja, gleich", brummt mein Ehemann und guckt mich immer noch an.
„Was ist?", frage ich.
„Ich warte auf dich. Du weißt, ohne Kuss trete ich nicht auf."
„Das ist schon langsam krankhaft bei dir, mon chere" Ich seufze und gehe an ihm vorbei zum Bühneneingang.
Jay schnappt nach meinen Hüften und hält mich fest.
„Willst du damit sagen, ich sei verrückt?"
„Nur ein bisschen. Ich meine, 300 Jahre sind alt, da wird man ein wenig...Jay!" Ich lache, weil er mich hochhebt und über seine Schulter wirft.
Er klopft auf meinen Hintern und ich kichere.
„Ich- bin- nicht- alt!", singt er, im Takt schlagend. „Immer noch dreißig, wie du, Mademoiselle!"
Ich mache eine Rolle vorwärts und komme elegant am Boden auf.
„Pass auf, hier können überall Fans lauern!", sagt Jared nun ernst. „Beweg dich nicht so schnell."
„Dann solltest du unsere geheimen Spielchen hier draußen auch lassen", murre ich und öffne die Tür.
Prompt wird es wieder lauter. Shannon und Tomo stehen genervt herum und schimpfen.
„Jay, Mann! Beeilung!"
Der Angesprochene dreht sich um und küsst mich flüchtig.
„Wünsch mir Glück, Püppchen."
„Das brauchst du nicht. Du bist gut."
Seine Augen blitzen. Hm. Ich spüre seinen Herzschlag, seine Erregung und ich will ihn, doch jetzt muss ich bestimmt zwei Stunden warten. Außer, wir schieben wieder einen Vamp- Quickie dazwischen, der aber nur für kurze Zeit das Feuer löscht. Und ich möchte es mir eigentlich auch nicht wieder mit den anderen Jungs verscherzen, besonders nicht mit Shannon.
Denn Shannon war es, der uns gerettet hatte, in dem er uns auf ewig verdammt hat!
Ich ziehe mich in eine ruhige Ecke zurück und beobachte, wie Thirty Seconds to Mars auf die Bühne stürmen. Nein, ich sollte den Blick von Jay nehmen, denn es macht mich nur unnötig heiß, ihn zu beobachten. Shannon sitzt am Drumkit in meiner Nähe und ich winke ihm zu. Er nickt. Ist er glücklich mit diesem Leben? Er hätte einer der einflußreichsten Vampire werden können, doch er tauchte kurz vor dem Millenium bei uns auf und meinte, mit uns herumziehen zu wollen. Musik zu machen. Okay, hatte Jared geantwortet, wenn du meinst. Probieren wir das mal aus! Ich hatte meine Galerie geschlossen, die sowieso kaum noch etwas abgeworfen hatte und viele Bilder einfach verscherbelt, um das Projekt "30 Seconds to Mars" zu finanzieren. Nein, Shannon hat so gar nichts mehr von dem aristokratischem Engländer, der er mal war...
Shannon ist kein geringer als Charles S. Whigthorpe!
Wie das alles kam? Nun, mein Ende begann, als ich zwei Jahre nach unserer Hochzeit, trotz unserer ziemlich gewagten Verhütungstaktik- wie ich heute weiß- natürlich doch schwanger wurde. Bis dahin hatten Jean und ich gelebt, wie die Tauben. Einfach in den Tag hinein, ja, unsere englischen Freunde George und Charlotte hatten alles mit uns geteilt. Und ich hatte mich mit um die standesgemäße Erziehung der Kinder gekümmert, denn meine Dämonen hatten mich in Ruhe gelassen, seit ich meine Unschuld verloren hatte. Jean hatte mal gescherzt, dass der Geschlechtsverkehr sie wohl vertreiben würde. Obwohl Jean kein Mann war, der mir ständig unter den Rock wollte, ja, ein paar Male hatte ich ihn regelrecht nötigen müssen, mit mir zu schlafen! Besonders, wenn er an einem neuen Bild gemalt hatte, war er manchmal tagelang verschwunden gewesen. So ist er auch heute noch, wenn Jean/Jared sich erstmal an etwas festgebissen hat, sehe ich ihn kaum noch. Nun, bevor ich damals schwanger wurde, hatte ich einen schweren Infekt gehabt, der mich dazu verdammt hatte, das Bett zu hüten. In der Zeit hatte ich nicht aufgepaßt, wie weit ich in meinem Zyklus war. Meine Panik war gestiegen, jeden Tag, an dem die Regel ausgeblieben war. Ich hatte giftige Kräuter gegessen, in der Hoffnung, sie würden das Leben in mir abtöten und austreiben, doch nichts war geschehen. Ich hatte mich vor Jean verborgen, doch da wir immer sehr offen miteinander waren, hatte er die Schwangerschaft schneller bemerkt, als ich gehofft hatte. Und seine Reaktion war so, wie es vorauszusehen gewesen war- er hatte es einfach hin genommen.
Dann ist es so, hatte er gesagt, gräm dich nicht. Es wird gutgehen, Püppchen.
Es ging nicht gut.
Überhaupt nicht. Mit der körperlichen Veränderung war parallel dazu auch eine geistige einher gegangen. Zuerst war ich depressiv. Lag nur im Bett, wusch mich nicht und vernachlässigte meine Freunde und natürlich auch Jean. Jean hatte mit mir geschimpft und mich aus dem Bett gezerrt. Wütend war ich unter Leute gegangen, aber nur, um dort missmutig herum zu sitzen. Und dann waren sie wieder gekommen, die Dämonen. Der erste war Charlotte gewesen, sie hatte Glück, ich floh vor ihr. Dann auf einer Teeparty. Jean, der mich gut kannte und mich beobachtet hatte, rettete mich, indem er mich rechtzeitig von dort weg gebracht hatte. So hatte ich nur sein Atelier zerlegt.
Ich frage mich, ob er in diesem Moment sein „Für immer und ewig" bereut hatte. Wenn ja, hatte er es gut verbergen können. Er hatte sich um mich gekümmert, als ich heulend zwischen seinen zerstörten Bildern am Boden gelegen hatte. Hatte mich zu Bett gebracht. Mich in seinem Arm schlafen lassen, obwohl ich gerade sein Lebenswerk vernichtet hatte. Nun ja, nicht alles, einige waren zum Glück heil geblieben, wie „La princesse poupée".
Im sechsten Schwangerschaftsmonat wurde es dann richtig schlimm. Ich hatte versucht, den damals sechsjährigen William in einen Ofen zu schieben, um ihn dort zu verbrennen, wahrscheinlich hatte ich wieder den Invasionsfilm geschoben, so richtig kriege ich es nicht mehr zusammen. Die neue Gouvernante hatte mich dabei erwischt, ich war mit einem Schürhaken auf sie los gegangen und hatte sie fast getötet. Natürlich hatten sie mich dann fort gebracht, direkt nach London, in den Narrenturm. Ich war komplett in meiner wahnhaften Welt gefangen gewesen, habe ab dem Moment meine Erinnerung verloren. Weil ich ständig gegen meinen Bauch geschlagen hätte, hatten sie mich festgebunden- das hatte Jean mir alles berichtet, als ich nach der Verwandlung in einen Vampir wieder zu mir gekommen war. Jean war nicht von meiner Seite gewichen, obwohl George ihn angefleht hatte, mich zu vergessen und im Narrenturm verrotten zu lassen. Doch Jean war wütend geworden und war auf alle losgegangen, die ihn überzeugen wollten, mich zu verlassen- bis man ihn schließlich zu mir gesperrt hatte. Jared habe ich es zu verdanken, dass ich damals nicht verhungert und verdurstet war, denn er hatte mich gefüttert, wenn ich es zugelassen hatte. Doch oft hatte ich ihn einfach nur angespuckt oder aufs Heftigste verwünscht.
Ich seufze. Was war nur in diesen wunderbaren Mann vorgegangen? Jean hätte mich doch einfach vergessen können und eine wunderschöne, adlige Engländerin heiraten können. Doch nein, er war an meiner Seite geblieben. Tag für Tag, Nacht für Nacht, bis Charles aufgetaucht war. Jared meint, er hätte ihn damals nicht wieder erkannt, als er das erste Mal vor dem Gitter gestanden und schmunzelnd die Attraktion des Narrenturms begutachtet hatte- die Besessene und ihr Jünger. Ein vernünftig erscheinender, zerlumpter Mann, der diese wütende, schimpfende Frau mit einer Hingabe pflegte, die fast so verrückt war, wie sie es war. Jared meinte mal, er hatte damals gehofft, dass ich nach der Geburt des Babies wieder „normal" werden würde. Bei seinem zweiten Besuch hatte Charles dann darum gebeten, mit Jean sprechen zu dürfen und man ließ ihn in unser Gefängnis. Jean hatte angenommen, Charles sei ein Mediziner und wolle mich kaufen, um an mir herum zu experimentieren, doch Charles hatte auch Jean mitnehmen wollen. Mein Ehemann hatte sich darauf eingelassen und Charles hatte uns auf ein abgelegenes Schloß in Schottland gebracht. Das Schloss war wie aus meinen Büchern gezaubert gewesen- düster und geheimnisvoll. Charles hatte Jean erzählt, dass er mich heilen könne, jedoch würde das Kind in mir sterben müssen. Jean hatte sofort eingewilligt, denn das Kind wäre ja der Ursprung allen Übels. Jay erzählt heute noch, dass er nie daran geglaubt hätte, dass Charles mich wirklich heilen könne, doch alles wäre besser gewesen, als das, was vorher gewesen war- selbst, unser Tod. Charles hatte Jean und mich mit seinem Vampir- Virus infiziert. Ich hatte drei Tage in unsäglichen Qualen gelegen, das tote Baby geboren, über das Charles wie ein hungriger Löwe hergefallen war. Ich konnte mich natürlich nicht von meinem Kind nähren. Statt dessen hatte Charles uns ein paar armselige Kreaturen von der Straße gebracht, die Jean's und meine erste Mahlzeit waren. Mich schaudert es, wenn ich an diese dunklen Zeiten zurück denke. Doch andererseits war es meine Rettung gewesen, ich hatte nicht nur ein zweites Leben geschenkt bekommen, sondern bin nun wirklich von den Dämonen geheilt!
Weil ich selbst einer bin.
Charles, beziehungsweise Shannon, der sich nun als Jareds Bruder ausgibt, hatte mir erzählt, dass er damals ziemlich fasziniert von uns als Paar gewesen wäre. Schon, als wir ihm das erste Mal begegnet waren. Er hatte wissen wollen, wieviel Zeit es brauchen würde, bis wir uns trennen. Jean und ich waren quasi sein Experiment gewesen! Doch nun sind wir nach dreihundert Jahren immer noch zusammen und ich denke, Shannon interessiert es nicht mehr. Mich wundert das allerdings auch, dass wir noch zusammen sind und dass Jared nie andere Frauen wollte. Ein Flirt, hier und da. Er weiß, dass es okay ist. Für mich wäre es das neuerdings auch, ja, in den Sechzigern ist Jared etwas lockerer geworden, was das Frühstücken mit anderen Männern angeht...etwas. Doch Jared weiß genau, dass ich nur ihm gehöre. Keine Ahnung, ob Charles unser Blut gemischt hat, aber wir beide sind miteinander verbunden. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir während der Verwandlung zusammen lagen und gegenseitig von uns getrunken hatten. Charles sagte, wir wären halt besonders und er hat Recht. Ich frage mich, was oder wen es brauchen würde, Jared und mich zu trennen. Doch gleichzeitig schelte ich mich für diesen Gedanken!
Als hätte er meine Gedanken gehört- was wahrscheinlich so ist- stürmt mein Ehemann von der Bühne, zerrt mich in eine Art Besenkammer und schiebt meinen Rock hoch.
„Ich muss dauernd an unsere erste Nacht als Vampire denken...", keucht er und dringt in mich ein.
„Hm, war es nicht schon Tag gewesen?", erwidere ich und kichere.
Jay knurrt und beißt mir in die Schulter. Ich greife in sein Haar, dass er nun kürzer trägt. Mein eigenes lasse ich immer wieder in leuchtenden Pop- Farben umfärben, gerade ist es pink. Wir küssen uns wild und schon ist die Nummer vorbei, für uns hatte es sich wie fünf Minuten angefühlt, doch das Publikum wird das Gefühl haben, Jared sei nur eine Minute weg gewesen. Wir Vampire sind so schnell.
Wir können aber auch langsam, das heben wir uns, wie immer, für später auf.
Für die nächsten 300 Jahre.
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