Zusammen
Angestrengt blinzel ich gegen das mir entgegenkommende Licht und lege meine Handfläche über beide Augen. Genau wie Fynn neben mir, halte ich meinen Atem an und schaue mich um. Überall sind Menschen, sie gehen an uns vorbei und rammen uns mit ihren Schultern. Fynn zischt und schaut einem alten Mann mit Schnauzer nach. Während er aufgebracht auf Deutsch schimpft. Ich ziehe an seiner Schulter und lenke somit seine Aufmerksamkeit auf mich. "Chill doch Fynn, wir sind hier! Kannst du es glauben? Wir sind hier, zusammen!", sage ich aufgeregt und deute zum Himmel.
Außer drei vereinzelte Flugzeuge ist da nichts und somit ist es gerade der einzige freie, menschenleere Platz um uns.
Er nickt bedacht. "Unser ganzes Leben haben wir es gewollt", murmelte er, "Und es wird die schönste Zeit unseres Leben." Er kann mich nicht wirklich überzeugen, dazu klingt seine Stimme einfach, ich überlege und dennoch fällt mir nicht der passende Ausdruck dafür ein. Ich packe nach seiner Hand, habe aber kein Ärmel um ihn zu greifen. Stattdessen rutscht meine Hand tiefer runter zu seiner eigenen und erst an seinen Fingern finde ich Halt. Nervös schlucke ich, gebe aber eine Richtung vor und wir laufen los. Damit wir uns nicht verlieren, halten wir uns fest, rede ich mir ein, es ist nichts anderes! Außerdem berühren sich nur unsere Finger, ineinander gekrallt, sodass wir gemeinsam unseren Weg zwischen all den Menschen finden. Wir passen nicht auf, dass unsere Koffer niemandem die Füße überrollen und immerhin macht das hier anscheinend niemand.
"Lass uns einen Taxi nehmen!", sagt Fynn und überholt mich, um so eines der gelben Autos anzusteuern. An der Hand ziehe ich ihn zurück und das ist der Moment, in dem sich seine Hand von meiner löst. Ich widerstehe der Versuchung wieder nach ihr zugreifen und verscheuche diesen Gedanken. "Die am Flughafen sind immer teuer, lass uns noch ein bisschen weitergehen", sage ich, "wenigstens sehen etwas mehr von San Francisco bevor wir weiterreisen." Er nickt und wieder fällt mir auf, wie wortarm er sich heute verhält. "Wohin geht's eigentlich?", will ich ihm mehr Informationen entlocken. Fynn hat mir nicht gesagt wohin wir fahren und auch nicht wie lange es von San Francisco bis dorthin dauern würde.
Fynn schlägt sich mit der Handfläche gegen seine Stirn. "Ich hätte es ja fast vergessen", ruft er, "Die Brieffreundin meiner Mutter wollte uns fahren." Er schaut sich suchend um, anscheinend hat er zu Hause Instruktionen bekommen, wie denn genau das Auto aussah, welches sie mitnehmen sollte. "Hättest du mir auch früher sagen kann", flüstere ich. Mein Kumpel ist einfach so oft abgelenkt in letzter Zeit, als wäre er die ganze Zeit in seinen Sorgen unterwegs. "Meine Mutter hat es mir wahrscheinlich tausendmal gesagt und trotzdem vergesse ich es natürlich", während er das sagt, reißt er seinen Mund auf und gähnt und so verstehe ich nur die Hälfte des Satzes.
"Da!", ruft er begeistert. Eigentlich hatte er die Frau nicht entdeckt, sondern sie ihn. Mit einem Schild, wie aus How I Met Your Mother, winkt eine kleine Brünette hin und her und springt dabei noch auf und ab. Wir steuern auf sie zu und kommen schließlich kurz vor ihr zum Stehen. Beide schauen wir von oben auf sie hinunter. So eine kleine Frau habe ich ja noch nie gesehen, denke ich. "Hey", begrüßt sie uns freundlich und legt das Pappschild in ein Auto hinter sich.
"Ich bin Josie und ihr beiden müsst Vincent und Fynn sein", sagt sie zu den beiden Jungs in gebrochenem Deutsch, "Ich war ja selbst einige Male in Deutschland und ich bin so froh, dass ich wenigstens dem Sohn von Anja bei uns willkommen heißen kann." Die kleine Frau lacht und schließt zuerst Fynn und dann mich in ihre Arme. "Anja selbst ist so ein, wie sagt sie es immer... Sie ist ein richtiges deutsches Dorfmäuschen", einladend schwingt sie ihre Arme in Richtung Auto und reißt eine der Türen auf, "Na steigt schon ein, immerhin haben wir ein nicht allzu kurzes Stück Reise vor uns."
Fynn steigt ein, ich direkt hinter ihm. Als wir losfahren, herrscht zum ersten Mal Ruhe. Josie konzentriert sich auch die Fahrt durch das verwirrende San Francisco und Fynn neben mir, nickt schon wieder ein. Ich kann nicht sagen, ob es der Jetlag oder sein Diabetes ist. Anscheinend ist etwas passiert, oft schmeißt er sich verschiedenste Pillen ein und denkt ich würde es nicht merken.
Von draußen scheint die Sonne ihm direkt ins Gesicht und seine weiße Haut glänzt im Licht. Er sieht unglaublich hübsch aus. Seine Lippen wirken etwas trocken, doch das kann ich schnell ändern. Bei diesem Gedanken muss ich grinsen, reiße aber meinen Blick von ihm. Die Stadt haben wir hinter uns gelassen, dennoch stehen an jeder Ecke noch vereinzelte Häuser mit schönen großen Fenstern und gepflegten Vorgärten.
"Schön hier was?", sagt Josie. Sie dreht sich zu mir nach hinten und instinktiv versteift sich jeder Muskeln in mir, als ihr Blick nicht mehr behutsam auf der Straße vor ihr liegt. "Jaja", erwidere ich und sehe an ihr vorbei auf die Straße. Nicht einmal ein Auto kommt uns entgegen. Kurz dreht sie sich zurück und widmet mir dann wieder ihre ganze Aufmerksamkeit.
"Die Hütte die ihr gemietet habt, ist echt schön. Stell dir vor, ich kannte sie schon, so beliebt ist sie!", erzählt sie mir und lächelt. Schwermütig nicke ich, die Müdigkeit kriecht langsam in meine Knochen und verteilt sich überall in meinem Körper. Eine plötzliche Kälte durchfährt mich und ich Schüttelfrost mich. Eisiges Blut fließt durch meine Venen und ich gähne. "Natürlich, du musst müde sein", erkennt Josie das offensichtliche, "Wenn du aber noch Hunger hat, ich hab euch Sandwichses gemacht, also bedien dich nur."
"Nein, nein", lehne ich ab, "Ich bin einfach etwas müde." Und das trotz des langen Schlafes im Flugzeug, denke ich, eigentlich unmöglich... "Na dann gute Nacht, ihr beiden habt noch mindestens eine Stunde bis wir da sind", sie seufzt. "Die erste Nacht bleibe ich noch bei euch, aber das hat Anja euch doch bestimmt erzählt", erklärte die kleine Frau, "Ich zeig euch dann morgen wo der Laden ist und wie alles funktioniert, immerhin seid ihr noch nicht einmal volljährig." Ich höre ihr eigentlich nicht mehr zu, meine Augenlider werden schwer und ich falle, wie schon so oft an diesem Tag, in die Traumwelt.
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