Fremdschämen delux
,,Hör auf!", rief ich lachend.
,,Sag es!", verlangte er.
,,Niemals!"
Ich windete mich wie eine Schlange.
,,Dann höre ich auch nicht auf!
Ich hatte Tränen in den Augen und konnte vor Lachen kaum noch Atmen. Gerade stehen auch nicht. Eigentlich lag ich schon fast auf dem Boden während Chris mich von oben bis unten durchkitzelte. Einige Leute warfen uns merkwürdige Blicke zu und tuschelten. In dem Moment war ich froh, dass ich wie sechzehn oder siebzehn und nicht wie zwanzig aussah. Obwohl es auch so etwas komisch aussah. Was würdest du denn denken wenn ihr einen um die zwanzig jährigen Mann auf einem Parkplatz sehen würdet wie er eine sechzehnjährige durchkitzelte die vor Lachen schrie und nicht mehr gerade stehen konnte? Meine Reaktion wäre eine Mischung aus Erstaunen, Überraschung, aber auf jeden Fall würde ich mich fremdschämen. Also ich würde mich für eine andere Person schämen, obwohl ich sie nicht unbedingt kennen musste.
Ich wusste ja, dass ich eine besondere Begabung im Blamieren hatte aber, dass ich neuerdings mit fremdschämen begonnen hatte, war mir nicht bewusst. Wenn ich mich mal ausnahmsweise nicht für selbst schämen musste, übernahm ich das für andere. Zwar litt ich mit meinen Freunden oder anderen Personen bei peinlichen Vorfällen schon immer mit, aber in letzter Zeit hatte sich das ganze gesteigert. Nicht selten kam es vor, dass ich so durch die Stadt lief: ,,Nein nimm die Hose in einer Nummer größer! Nein, du kannst doch jetzt nicht einfach mitten auf der Straße deine/n Partner/in küssen! Nein, du kannst nicht ernsthaft vor der Klasse laut vorlesen!" Oder morgens im Bus wenn er neben dir sitzt. Der Musiker mit der engelsgleichen Stimme der kurz davor ist jedem sein Talent und Können unter Beweis zu stellen: ,,Nein hör auf du wirst dich blamieren!"
Das war ja schon schlimm genug aber es war ja nicht so als würde ich mich in meinem Fremdschämproblem nur auf reale Personen konzentrierten.
Neiiiin....
Nehmen wir als Beispiel gestern Abend. Ich saß gemütlich auf der Couch, aß genüsslich meine nicht selbstgemachte Pizza, als es passierte. Im Fernsehen kam eine Szene wo sich Mann und Frau auf eine bestimmte Art und Weise vergnügten. ,,Nein", hatte ich betroffen gerufen und mir meine Augen zugehalten. ,,Nein! Adam du kannst doch Eva nicht jetzt schwängern! Ihr seid beide Stockbesoffen! Wie wollt ihr das eurem Kind erklären?!"
Inzwischen war es so weit ausgeartet, dass ich sogar schon in der Schule, obwohl noch nicht mal etwas peinliches passiert war, versuchte meine Freundinnen davon abzuhalten etwas zu machen irgendetwas zu machen: ,,Nein Caro tu's nicht! Bitte tu's nicht! Du wirst es so bereuen!" Meistens bekam ich dann einen genervten Blick zurück und ein: ,,Boar Kathi, reg dich ab! Ich hab Gesangsunterricht seit der fünften Klasse und ich soll nur die Tonleiter singen!" Und dann kam von mir immer ein: ,,Sag später aber nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!"
,,Wovor hast du mich nicht gewarnt?", fragte Chris während er mich kitzelte. ,,Das du kitzelig bist?" Hoffentlich hatte ich nicht meine kompletten Gedanken laut ausgesprochen! ,,Nein hast du nicht aber ich bin mir sicher, dass du mir jetzt sagst, wo du am meisten Kitzelig bist." Wenn er das gerne wissen wollte, warum sollte ich es ihm nicht sagen? ,,Eigentlich überall gleich aber ich glaube am Bauch ist es am allerschlimmsten."
Vielleicht hätte ich es ihm nicht sagen sollen...
,,Tja Kathi, bevor Inbetriebnahme des Mundwerkes, Gehirn einschalten!" Diese blöde Stimme konnte mich anscheinend nur noch mobben! ,,Ach halt die Klappe!"
,,Meinst du hier?", fragte er und fuhr mit seinen Fingern langsam an meinem Bauch entlang. ,,JA!" Ich lachte Tränen. Mit einem teuflischen Grinsen im Gesicht begann Chris meinen armen Bauch von oben bis unten durch zu kitzeln. Vor Lachen konnte ich nicht mehr stehen und kugelte mich auf dem Parkplatz zusammen. Die eh schon verfärbten weißen Stiefel bekamen in ihrer Sammlung noch einige grüne Flecken hinzu, die nicht mal sonderlich auffielen. Wie ich das allerdings meiner Nachbarin erklären sollte...
,,Sag ihr einfach, irgendwelche fremden Leute in eurem Haus gesehen zu haben" Toll. Dann würde sie die Polizei rufen und ich musste die Leute beschreiben. ,,Dann lass dir halt mal was einfallen. Ist ja nicht schwer sich vier Personen auszudenken." Wenn er wüsste! ,,Chris", keuchte ich. Er kitzelte mich immer noch und ich konnte kaum sprechen, ,,du hast keine Ahnung wie unkreativ ich bin!" Wenn wir im Kunstunterricht mal etwas Ausgefallenes zeichnen sollten hatte ich, während meine Klassenkameradinnen und Kameraden bereits wahre Kunstwerke auf ihre Blätter fabriziert hatten, noch nicht mal meinen Wasserfarbkasten aufgeklappt! Dann kam immer meine Lehrerin zu mir und sagte jedes Mal: ,,Kind. Du bist sechzehn Jahre alt. In deinem Alter muss man doch die Fantasie eines Vogels haben!" ,,Es tut mir ja leid", sagte ich dann immer, ,,das ich inzwischen zwanzig bin und die Kreativität eines Schwarzen Loches habe." Sie schüttelte daraufhin immer den Kopf und behauptete, dass in ihrem alter alle Kinder vor Fantasie und Kreativität nur so gesprüht haben. ,,Tja und wir leben inzwischen im zwanzigsten Jahrhundert, haben fließend Wasser und Telefone und außerdem bin ich keine Wunderkerze, die mit Kreativität um sich herum sprühen kann!" Damit hatte sich die Sache für mich dann erledigt.
,,Chris bitte!", krächzte ich. Mein Hals tat mit vor Lachen schon weh und meine Stimme war auch nur noch ein heißeres kratzen. ,,Ich bekomme keine Luft mehr!" Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. ,,Du musst es nur sagen. Dann höre ich sofort auf!"
Auf keinen Fall. Ich hatte meinen Stolz. Lieber sterbe ich als es zu sagen! ,,Na wenn das so ist..." begann er wurde aber von meinem Schrei unterbrochen: ,,Ok. Ok. Ich gebe auf!"
Hechelnd wie ein Hund saß ich auf dem Boden und versuchte meine Atmung wieder einigermaßen unter Kontrolle zu kriegen. ,,Sagst du es oder soll ich weiter machen?"
Gott, er genoss das viel zu sehr.
,,Ich bin deine kleine Blondine", murmelte ich augenverdrehend.
,,Und?"
Er ließ nicht locker.
,,Du bist der größte!"
Zum Teufel mit meinem Stolz!
,,Na also geht doch!" Zufriedenheit machte sich auf seinem wunderschönen Gesicht breit. ,,Jaja. Würdest du mir jetzt freundlicherweise hoch helfen?"
Er musste da wohl irgendwas falsch verstanden haben denn er gab mir nicht seine Hand um mir beim Aufstehen zu helfen, nein er nahm mich gleich wieder auf seine Schultern. Es wäre aber gelogen wenn ich behaupten würde, dass Ganze nicht zu genießen. Ich legte meinen Kopf auf seinem Nacken ab und musste mich zusammenreißen um nicht an seinen Haaren zu riechen. Sie waren so schön weich. ,,Riechst du an meinen Haaren?", fragte er auf einmal. Ich hatte es nicht ausgehalten. Er hatte wunderschöne verstrubbelte braune Haare die wunderbar nach Lavendelshampoo rochen. ,,Nein natürlich nicht!", wiedersprach ich sofort. ,,Ich genieße nur die Aussicht" Das konnte er interpretieren wie er es wollte. ,,Ist mal was anderes als nur den Boden vor sich zu sehen oder?" Das war zwar fies aber die Wahrheit. ,,Mh. Vor allem weil ich ja nur auf dem Boden liege." Man würde es nicht für möglich halten, aber an manchen Tagen flog ich nur vier Mal auf die Nase! ,,Komm. So oft wie du blaue Flecken hast!" Woher wollte er das wissen?! ,,Wir kennen uns erst zwei Tage!" Er lachte laut los. ,,Ach komm schon. Wir kennen uns schon ewig." Also wenn zwei Tage führ ihn schon ewig waren, was war für ihn dann kurz? ,,Erinnerst du dich nicht?", fragte er schon fast ein wenig enttäuscht. ,,Woran denn?" Vielleicht hatten wir uns mal kurz auf der Straße gesehen. ,,Wir zwei saßen zusammen im Sandkasten. Du warst schon früher ein kleines Blondinchen und wie ich sehe bist du das auch immer noch!"
Jetzt wo er es sagte wusste ich auch, warum er mir so bekannt vorkam. Ihm hatte ich damals meinen Eimer Sand übergeschüttet. ,,Ja das war ich. Erinnerst du dich noch als unsere Eltern mit uns im Park waren und dir deine Hose gerissen ist?" Dazu sagte ich dann mal lieber nichts aber ich hatte meine Gedanken.
Fremdschämen Deluxe, obwohl es in diesem Fall eher Eigenschämen wäre...
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