36 ~ Absturz

Ich fiel und fiel und fiel, die Wasseroberfläche raste mir entgegen und plötzlich schloss ich wie aus einem Reflex die Augen während mein Körper mit voller Wucht aus zwölf Metern Höhe aufs Meer aufklatschte.

Ich hörte uns sah nichts mehr, aber fühlte die Kälte und wie ich von der Wucht mehrere Meter tief ins Wasser gedrückt wurde. Langsam trieb ich wieder nach oben. Dann wurde alles schwarz vor meinen Augen.

Ich wachte wohl nur kurze Zeit später auf, lag mit dem Rücken auf einem Boot und über mich beugte sich ein unbekannter Mann, der bei meinem Aufwachen einen sehr erleichterten Seufzer von sich gab. Ich hustete und spuckte salziges Meewasser aus, bis mein Hals und meine Lunge brannten. Sofort legte sich ein Arm von hinten um mich, Damian zog mich an seine Brust und ich ließ mich in seine Umarmung fallen. "Alles wird gut", sagte er zu mir und ich glaubte fest daran, jetzt, wo er mich wieder in seinen starken Armen hielt.

Dann zerriss ein Knall unsere Vertrautheit und ich sah mich hektisch um. Auf unseren Boot stand vorne an der Spitze einer der Polizisten. Er hielt eine Waffe in der Hand, die auf ein Ziel weiter oben gerichtet war. Ich folgte der Schusslinie, und dort oben hing Herr Winter, neben ihn der Mann mit der Gesichtsmaske. Beide schienen sehr in Unruhe und Hektik zu sein. Das Seil war nur noch etwa 2 Meter vom Hubschrauber entfernt. Ich konnte also nicht lange ohnmächtig gewesen sein, dachte ich kurz, bis ein weiterer Schuss aus der Pistole kam und das Rauschen des Meeres um ein Vielfaches übertönte.

Ich schrie panisch auf, nein, das wollte ich nicht. Und wenn er all die schrecklichen Dinge getan hatte, ich konnte es nicht mit ansehen, wie ein Mensch direkt vor mir erschossen wurde. Ich wollte das nicht sehen, wollte dass der Mann aufhörte zu schießen, aber bevor ich zu ihm hingelangte, hielten mich schon zwei starke Arme von hinten fest. Es war Damian, und ich war wütend, dass er das zuließ. Verstand er mich denn nicht?

Aber er dachte nicht daran, seinen Griff zu lockern, und direkt folgte ein weiterer Schuss. Und dieses Mal hatte der Polizist mit der Waffe genau ins Schwarze getroffen. Ich war sprachlos. Hielt den Atem an bei diesem Spektakel.

Die Schüsse hatten nicht Herrn Winter gegolten. Naja, zumindest nicht direkt. Der Polizist hatte es auf ein ganz anderes Ziel abgesehen: eines, das ein ganzes Stück grösser war und jetzt langsam vom Himmel trudelte. Der Helikopter! Ich fühlte mich dumm, weil ich nicht darauf gekommen war, aber das mir sich jetzt bietende Schauspiel lenkte mich sofort davon ab. Der Hubschrauber gab unwillige, tuckernde Geräusche von sich, wie als würde er sich beschweren.

Wie betrunken scherte er nach rechts und links, die Rotorenblätter drehten sich immer langsamer und der Hubschrauber sank gemächlich der Wasseroberfläche entgegen. Ich wurde Zeuge davon, wie zwei weitere Personen mitten aus der Luft aus dem Helikopter sprangen und sich wie willenlose Fische von den Polizisten aus dem Wasser zogen ließen. An dem Seil hingen immer noch Herr Winter und der Maskenmann, die als erste Bekanntschaft mit dem Wasser machten, bevor der Hubschrauber mit einer großen Wasserwelle hinter ihnen aufklatschte.

Es gab keinen Widerstand mehr, die Männer bekamen allesamt Handschellen um und wurden von den Polizisten in gewahrsam genommen. Dies war das letzte Mal, dass ich in Herrn Winter eisblaue Augen guckte, eiskalt und sauer, nur jetzt mit einem kleinen Anflug an Trauer darin.
Leid tuen tat er mir deswegen noch lange nicht.

Entschuldigend drückte ich Damian die Hand wegen meinem hysterischen Verhalten. Er nickte und lächelte nur, dann kam sein Gesicht meinem ganz nahe. "Es ist nur wichtig, dass ich dich wieder habe", flüsterte er. Er strich mir mit seinem Daumen über die Wange und dann gab er mir einen sanften Kuss auf meinen Mund und ich schmolz dahin, küsste ihn zurück und schlang meine Arme um seine Hüften.

Mann, hatte ich seinen Geruch vermisst, und sowieso alles an ihm. Ich lockerte die Umarmung und blickte ihn dankbar an. Er lächelte und flüsterte:"Ich habe dir doch gesagt, ich hol dich da raus."
"War aber verdammt knapp", erwiderte ich, aber lächeln musste ich trotzdem. Dann schaute ich mich um, und sah in leicht erschrockene Gesichter, in denen sich langsam die Erkenntnis ausbreitete, dass wir jetzt in Sicherheit waren. Und zwar endgültig.

Zwei der Polizisten winkten uns auf das Boot, dass ehemals Herrn Winters war. Ich umarmte Mara, die mich fast die zerquetschte und immer noch ungläubig den Kopf schüttelte. Josi war total aufgelöst und ich nahm sie fest in den Arm. Sie zitterte noch immer und weinte an meiner Schulter weiter. Gott, sie tat mir so leid und sie musste völlig fertig sein, vor allem psychisch. Sie hatte mehr durchgemacht als wir alle zusammen.

Die Gefangenen wurden auf dem Polizeiboot festgehalten und fuhren dann hinter uns her, zurück zum Strand. Wir fuhren nicht zu der kleinen Bucht zurück, aus der wir gekommen waren, sondern in die Richtung, aus der das Polizeiboot vorhin hergekommen war. Schon von weitem konnte ich am Strand mehrere Leute ausmachen. Sobald wir an Land kamen und aus dem Boot durch das Wasser alle zusammen zum Strand zurückliefen, kam eine Horde von Reportern und Fotographen auf uns losgestürzt, wie hungrige Raubtiere die ihre nächste Beute entdeckten.

Ich drehte den Kopf beiseite und merkte, dass den anderen die Situation ebenfalls unangenehm war. Die Polizisten schoben die drängelnden aufdringlichen Reporter beiseite, damit wir weiterkamen. Trotzdem bekam ich einige ihrer durcheinander gerufenen Fragen mit.
"Ist da noch Geld in dem Hubschrauber?"
"Warum waren die Kinder alleine draußen auf dem Meer?"
"Stimmt es, dass bei der Rettung ein unschuldiges, junges Mädchen erschossen wurde?"

In Gedanken schüttelte ich den Kopf, denn hier war ich doch, ich lebte! Aber ich hatte weder Kraft noch Geduld auf irgendetwas zu antworten. Bald kamen wir an einem großen Transporter an, der auch der Polizei gehörte. Dort hinein brachte man die Gefangenen, und die Tür schloss sich hinter ihnen.

In einem anderen kleinen Bus fragte ein netter Polizist unsere Daten ab. Er verschwand für eine Weile, um unsere Eltern anzurufen und zu benachrichtigen. Währenddessen kam ein weiteres Auto angefahren. Heraus stiegen zwei Polizisten, beide in Zivil. Nach kurzem Zögern erkannte ich sie als die beiden Männer wieder, die nach dem Fund der Pistole zu uns an die Schule kamen.

Und der Eine, jüngere der beiden war der, den ich damals Blondie getauft hatte. Der Typ, mit dem Mara in ihrem Streit mit Mark auf der Wiese rumgeknutscht hatte. Mara blickte zum Glück gerade nicht aus dem Fenster, sodass sie ihn gar nicht mitbekam. Dann stiegen hinten aus dem Auto zwei weitere Personen aus. Es waren Mark, also der Freund von Mara und Jonas, der Sohn der Sekretärin.

Beide trugen Handschellen.

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