35 ~ Hubschraubereinsatz

Ich folgte seinem ausgestreckten Finger nach oben und da sah ich ihn. Unserer Rettung. Na klar, es war ein Hubschrauber! Im Normalfall hätte man das Geräusch der Rotorblätter schon von weitem gehört, doch es wurde perfekt getarnt durch das Ruckern und Tuckern der Motorengeräusche. Die Sorgenfalten auf Ians Gesicht glätteten sich ein wenig und er wirkte gar nicht mehr so alt, eher so um die 35 rum. Auch Mara und Josi hatten kurz nach oben geblickt, aber zum Glück nur so unauffällig, dass es unseren beiden Geiselnehmern nicht auffiel. Zum Glück saßen diese auch noch so nah am Motor, dass sie wirklich nichts von dem mitbekamen, was sich über ihren und unseren Köpfen jetzt abspielte.

Man könnte es als spektakulär bezeichnen, zumindest hatte ich das, was jetzt passierte, noch nie gesehen. Naja, vielleicht in einem der Actionflime, in die ich Damian zuliebe mit reingekommen war. Aber im echten Leben passierte so etwas wahrscheinlich eher seltener. Der Hubschrauber war fast exakt über uns in der Luft zum Stehen gekommen und schien jetzt auf der stelle zu fliegen. Ich konnte nicht aufhören dorthin zu starren, wo jetzt ein Mann aus der offenen Tür des Hubschraubers abgeseilt wurde.

Mit einem ziemlich unsanften Ellebogenstoß in meine Seite holte Mara mich wieder die Realität zurück. Ja, wir saßen hier mitten auf dem Meer auf einem Boot mit zwei sehr kriminellen Personen, und jeder Blick nach oben war nicht nur auffällig, sondern auch gefährlich, denn er konnte den ganzen Rettunsplan gefärden.

Dass es einen Plan gab, da war ich mir ziemlich sicher. Der Hubschrauber war erst gestartet, als unser Motor angeschaltet war, und kurz zuvor hatte ich noch Damians Gesicht im Höhleneingang gesehen. Außerdem hatte man nicht bei jedem Einsatz gleich einen Hubschrauber parat. Das musste also auch geplant gewesen sein. Die Sekretärin bediente weiterhin den Motor und ich beobachtete Herrn Winter, um nicht wieder nach oben schauen zu müssen. Hatte ich mir das nur eingebildet, oder wirkte er gerade wirklich ziemlich gelassen? Etwas an seinem Verhalten störte mich gewaltig. Er fühlte sich so sicher. Ich musste einfach nach oben schauen und sehen, ob unsere Retter endlich kamen. Ganz vorsichtig hob ich meinen Blick und freute mich überrascht, der Mann an dem Seil hatte nur noch um die 6 Meter bis zu uns herunter. In diesem Moment stand Herr Winter auf, ganz gelassen, alle Blicke auf ihm. er schaute hoch und - nein, ich traute meinen Augen nicht. Er winkte dem Mann am Seil, freundlich, gelassen, selbstsicher. Er war eindeutig verrückt geworden! Der Mann am Seil kam an, eine Maske verdeckte sein halbes Gesicht.

"Retten sie uns!", rief ich verzweifelt. Er nickte uns allen zu, dann legte er mir mit einem gekonnten und schnellen Griff einen Gurt um die Brust und hakte einen Karabiner darin ein, der mit dem rettenden Seil verbunden war. Daraufhin schaute er sich um, wandte sich zu dem stehenden Herrn Winter und vollführte die selbe Prozedur bei ihm. "Die anderen bitte warten, ihr kommt gleich dran", teilte er uns mit. Sonst nichts. Er drückte einen Knopf auf seiner dicken Weste, das Seil machte einen Ruck und wir hoben ab. Langsam und Stück für Stück wurden wir nach oben gezogen. Ich hing in der Luft und eigentlich müsste ich jetzt froh sein, denn der Spuk sollte ein Ende haben. Aber Herr Winters Verhalten war einfach komisch, völlig gelassen im Gegensatz zu den letzten Stunden, die ich in seiner Gegenwart verbringen musste.

Das Röhren des Hubschraubers wurde immer lauter, je höher das Seil uns nach oben zog, aber trotzdem entgingen mir die lauten Schreie von unten nicht. Ich wand den Blick vom Hubschrauber ab und schaute nach unten. Bis auf die Sekretärin standen alle aufgebracht auf dem Boot. Ich konnte nicht verstehen, was sie da riefen, aber sie winkten alle in dieselbe Richtung. Und von dort kam ein Boot in rasend schnellem Tempo übers Meer gefahren. Vorne hing eine blaue Leuchte, auf der Oberfläche stand eindeutig das Wort "Poizei". Irgendwas stimmte hier nicht. Irgendetwas war falsch. Ich schaute in Herrn Winters Gesicht, und er grinste.

Und plötzlich wusste ich, warum Herr Winter so gelassen war, warum er sich so ruhig verhielt und nicht ausgerastet war oder versucht hatte zu fliehen. Dieser Hubschrauber war nicht seine Feind, sondern seine Rettung. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Der Hubschrauber war nicht auf unserer Seite. Er war auf der Seite von Herrn Winter, und ich wurde gerade langsam, aber sicher immer mehr in die Falle gezogen. Wie konnte ich soetwas übersehen und einfach nicht bemerkt haben?

Als das Polizeiboot beinahe unter mir ankam, sprang Damian dort unten aus einer Schar von Polizisten auf. Jetzt war ich mir sicher: Nur noch knapp 5 Meter trennten mich vom Hubschrauber und meine wahren "Retter" saßen dort unten und waren machtlos. Sie konnten nur zusehen. Ich schaute zu Damian. Unsere Blicke trafen sich, und ich verstand die Worte, die sein Mund formte, ohne sie zu hören.

"SPRING!"

"Spring, spring, spring!", wiederholte er immer wieder.

Mir wurde schummrig und ich bekam nur verschwommen mit, wie die Polizisten die wehrlose Sekretärin festnahmen. Dann wurden beide Boote ein Stück beiseite gefahren. Unter mir was das offene weite Meer - und ich hing 10 Meter in der Luft.

Ich wusste, dass das herunter springen meine einzige Chance war. Ansonsten... Nein, nichts mit ansonsten. Ich musste. Für Damian, meine Freunde und für mich. Nicht aufgeben, nicht aufgeben wiederholte ich stumm das Mantra in meinem Kopf. Ich hatte keine Zeit, das Seil am Hubschrauber wurde konstant höher gezogen. Ich musste diesen Scheiss Karabiner loswerden, der mich mit dem Seil verband. Meine Finger zitterten fiel zu stark, aber ich gab nicht auf. Ich klemmte mir die Finger ein, verhakte mich, aber beim dritten Versuch schaffte ich es, den Karabiner zu öffnen. Und dann ließ ich mich einfach fallen.

Inzwischen waren es bestimmt 12 Meter bis zur Wasseroberfläche.







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