34 ~ Kleine Bootsfahrt

Die Frau, die sich zu uns umgedreht hatte, war die Sekretärin unserer Schule. Ja, genau die Sekretärin, die mich nach dem Anruf über Ernest Mord in dem Küchenvorraum festgehalten hatte und mir deutlich klar machte, dass ich kein Wort über diesen Anruf erwähnen dürfe. Klar hatte ich sie schon damals unsympathisch gefunden, aber jetzt war sie in meinen Augen fast so schlimm wie Herr Winter. Sie steckte wahrscheinlich schon die ganze Zeit mit in dieser Geschichte drin, aber es war mir nicht aufgefallen.

Mara verschluckte sich vor Schreck und fing an zu Husten, woraufhin ich ihr leicht den Rücken klopfte. Obwohl das Meer so schön endlos vor uns lag, fühlte ich nichts als Angst. Und Wut, gegenüber denen, die uns in diese Situation gebracht hatten. Und Sorge, ob es für uns überhaupt noch eine Chance gab. Was würde aus uns werden. Man kann immer mit dem schlimmsten und dem besten rechnen, und obwohl ich eigentlich ein ziemlicher Optimist war, schätzte ich unsere Chancen als sehr schlecht ein.

Mit dem Messer fest in seiner Hand winkte uns Herr Winter auf das Boot. Nur Josi behielt er dicht bei sich, wie eine Geisel. Hatte er Angst, wir würden ihm sonst weglaufen? Eine realistische Möglichkeit um hier abzuhauen gab es einfach nicht. Entweder der Weg zurück in die Höhle, wo er uns sofort einholen würde, oder das offene Meer.

Selbst mit dem Motorboot fühlte ich mich in den schaumigen Wellen unsicher, und schwimmend kam man sicherlich nicht weit. Ich klammerte mich mit beiden Händen an die Reeling und ließ mich erschöpft zu Boden sinken. Ich wollte nicht aufgeben, aber was sollte ich bloß tun?

Herr Winter und die Sekretärin wechselten ein paar schnelle Worte, de ich durch den Wind nicht verstehen konnte. Dann kletterten sie beide mit Josi zu uns auf das Boot, welches schon ziemlich in den Wellen schwankte. Ohne uns zu beachten setzten sie sich an den Motor und sprachen dann leise weiter. Josi schlich sich vorsichtig zu uns.

"Es scheint so, als wüssten sie noch nicht sicher, was genau sie jetzt mit uns machen wollen. Aber sie wollen uns von hier weg haben. Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine sie hätte irgendwas wie Kergen gesagt. Kennt das jemand?" Josi sprach in einem hastigen, aufgeregten Flüsterton. Mara beugte sich vor und hakte nach:"Haben sie Kergen gesagt?"

Josi nickte unsicher, woraufhin Mara tief Luft holte. "Ich bin ja schon ein paar Jahre länger hier auf dem Internat. Und soweit ich weiß ist Kergen eine dieser kleinen, unbewohnten Inseln dort draußen." Sie machte eine wage Bewegung Richtung mehr. Wenn man genauer hinschaute, erkannte man weit hinter sogar einige braun graue Felsen im Meer, die Inseln darstellen könnten.

Mein Bauch krampfte sich zusammen, und von der miesen Situation und dem unruhigen schaukeln der Wellen wurde mir ganz übel. Ich schluckte, um dem ekligen Geschmack aus dem Mund zu bekommen, aber dann verschluckte ich mich. Ich fing an zu Husten während eine Welle der Übelkeit in mir hochstieg, und ohne groß darüber nachzudenken, beugte ich meinen Kopf über die Reeling und spuckte ins Wasser.

In jeder anderen Situation wäre mir das so peinlich gewesen, aber ich konnte einfach nicht anders. Mara, die neben mir saß, hielt erschrocken meinen Arm fest und klopfte mir mit der anderen Hand sanft über den Rücken. Ich hustete erneut und dass Boot bekam eindeutige Schieflage. Anscheinend war jetzt auch Ian neben mich getreten.
Ich spürte wie die Gischt der Wellen in mein Gesicht spritzte und ich langsam wieder Luft bekam. Als ich hoch schaute, um mir das salzige Wasser aus den Augen zu wischen, zuckte ich erschrocken zusammen. Da, ich hatte etwas gesehen.

Doch als ich erneut über den Strand hinweg bis zum Eingang der Höhle blickte, war alles leer und dunkel, so wie vorher. Und trotzdem war ich mir sicher, ein Gesicht im Höhleneingang gesehen zu haben.
Nur: hieß das etwas Gutes oder war es auch jemand von dem "Bösen"? Ich konnte es nicht sagen und ausser mir hatte es offenbar auch niemand gesehen. Wie waren immer noch nicht losgefahren und hingen mit dem Boot nahe am Strand fest.

Das schien sich aber jetzt zu ändern, da Herr Winter und die Sekretärin den Motor ans Laufen gekriegt hatten. Was ein Glück für sie, und was ein Pech für uns. Der Motor war laut, das Boot machte einen Ruck und schon fuhren wir los. Ich wischte mir über den Mund, und das Wasser in meinen Augen war nicht nur Meerwasser. "Hilfe", wollte ich schreien, doch ich brachte keinen Ton heraus, und es hätte eh nichts gebracht.

Aber dann sah ich es wieder: Das Gesicht am Eingang der Höhle. Und ich war mir ganz sicher, dass es Damian war. Vorsichtig hob er seinen Arm, ja, er war es wirklich! Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und mein Herz pochte vor erneutem Adrenalin: ich würde nicht aufgeben, nichts war zu spät. Damians Gesicht verschwand wieder, wahrscheinlich war er nicht alleine gekommen.

Und dann hört ich ein ganz leises Brummen über die lauten Geräusche des Motors hinweg. Ich schaute mich irritiert nach allen Seiten um, aber da war nichts. Auch Ian wurde auf das Geräusch aufmerksam und packte mich plötzlich am Arm. Dann flüsterte  er mir zu: "Schau mal nach oben!"

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