31 ~ Storytime

Mit Lexi im Arm kam ich zu den anderen. Josi und Mara lagen noch oder schon wieder auf dem Boden, wahrscheinlich weil sie Herrn Winter vermuteten. Als Ian mich alleine kommen sah, glitt Erleichterung über sein Gesicht und er flüsterte leise "Entwarnung". Sofort saßen Josi und Mara wieder aufrecht und als Mara Lexi in meinem Arm sah, entrutschte ihr ein freudiges quieken.

Ich hielt beschützend meine Hand über Lexis Kopf, die aufgeregt hechelte, aber sich ansonsten still verhielt. "Vorsicht", warnte ich Mara. "Sie war gerade in Ohnmacht oder sowas. Wegen Herrn Winter". Entsetzt schauten mich alle und Maras Augen weiteten sich. Vorsichtig und ganz langsam nahm sie mir Lexi ab und legte sie auf ihren Schoß.

Liebevoll, wie sie sich immer um Lexi gekümmert hatte, suchte sie deren Kopf nach Verletzungen ab.
"Herr Winter hat mit seinem Schuh nach ihr geschlagen", merkte ich an. "Ich konnte nichts tun. Er denkt immer noch, sie wäre Tod. Das ist vielleicht ein Vorteil für uns."

Ian nickte tiefsinnig, dann fragte er plötzlich: "Was ist mit Damian? Hat alles geklappt?" Ich nickte und etwas Hoffnung kam wieder auf. "Alles dank Lexi. Sie hat Herrn Winter vollkommen abgelenkt", sagte ich.

Mara kraulte Lexi behutsam über ihr Fell. "Gut gemacht, meine Kleine", sagte sie. Aber man sah ihr an, dass sie sich Sorgen um ihren Schützling machte. Auch ich war mir nicht ganz sicher, ob der Schlag noch irgendwelche längerfristigen Folgen haben sollte. Lexi wedelte sachte mit ihrem Schwanz, als Ian uns alle anguckte und sagte: "Wir müssen verhindern, dass Herr Winter hierherkommt und Damians Fehlen bemerkt. Wir sollten uns irgendwas ausdenken, ich weiß nur nicht genau, was das sein könnte."

Ian hatte Recht und es war gut, dass er so einen Überblick über alles bewahrte. Denn Damian war unsere Rettung, die dort draussen herumlief. Wir konnten nur dann gefunden werden, wenn wir immer noch hier an Ort und Stelle waren. Wenn Herr Winter das herauskriegen würde, würde er uns sicherlich als erstes an irgendeinen nicht auffindbaren anderen Ort bringen. Diesen Gedanken sprach jetzt auch Mara laut aus, und wir nickten alle.

"Hört mal", sagte ich. "Gerade im Wohnzimmer hier vor dem Gang hatte Herr Winter sehr viele Karten und Pläne ausgebreitet. Ich konnte nur leider nichts genaues mehr darauf sehen. Aber er hat vielleicht schon von Anfang an vor, uns wegzubringen."

"Ja, aber wieso das alles?", fragte Josi verzweifelt und ihre Stimme erhob sich. Mara kniff ihr erschrocken in den Arm, aus Angst, dass Herr Winter sie hörte.
"Ist doch so", beschwerte Josi sich jetzt leiser. "Bei mir selbst könnte ich das alles noch verstehen. Bei Mara schon nicht mehr. Und jetzt sind wir immer noch vier Leute, die er hier festhalten oder was auch immer er mit uns machen will. Wieso das alles? Erklärts mir!" Sie holte tief Luft.

Dann erstarrten wir alle auf die gleiche Sekunde. Ein Räuspern hatte gereicht, um uns alle wie eingefroren dort sitzen zu lassen. Groß und breitbeinig stellte sich Herr Winter vor uns auf. Seine Augen strahlten Kälte und Hass aus. Ich fühlte mich unendlich verloren. Im Augenwinkel bemerkte ich, wie Mara ganz langsam ihre Hand auf Lexi's Schnauze und ihre Augen legte. Sie wollte, dass Herr Winter sie weiterhin für Tod hielt. Gut mitgedacht.

Dann begann Josi selbst leise zu wimmern. Ich konnte mir vorstellen, welche Vorwürfe sie sich machen musste, jetzt, wo Herr Winter unseren ganzen Plan und unsere Hoffnungen gehört und somit zerstört hatte. Alles.
Jetzt war wohl das Ende. Oder sollte ich schon sagen: die Abrechnung?

Tief in mir war da dieses winzige bisschen Hoffnung. Denn einer von uns, Damian, war frei. Aber mit der Wut und dem Wahnsinn in den Augen, die böse aus Herrn Winters Gesicht funkelten, konnte man es nicht leicht aufnehmen.

Ich schluckte trocken und wartete auf irgendetwas, dass etwas geschah oder jemand etwas sagte. Nichts. Die Panik frass sich durch meinen Körper und ließ meine Hände zittern. Ich verschränkte die Hände hinter meinem Rücken, denn so ein Zeichen von Schwäche wollte ich mir nicht vor Herrn Winter und auch den anderen anmerken lassen.

Ich konnte nicht wirklich sauer sein auf Josi, denn ich verstand nur zu gut ihre Verzweiflung. Aber jetzt saß den wir hier, angstvoll auf dem Boden blickend und auf der anderen Seite er. Mit schlitzartigen Augen starrte er uns an, als könnte er uns dadurch in Luft auflösen.

Einer von uns war ja schon weg, und zwar Damian, der draussen hoffentlich am Hilfe holen war. Ich konnte zwar nicht in Herrn Winters Kopf schauen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, er bemerkte das Fehlen von Damian gar nicht. Es war eher so, als ginge es ihm nicht um die einzelnen, sondern uns alle als störende Gruppe, die ihm quer gekommen war. Es war nicht zu leugnen, dass er uns ganz dringend fort haben wollte.

Während meine Finger immer noch wie verrückt zitterten und mein Kopf völlig benommen schien, streifte Ian's Hand meinen Arm ganz sachte. Es war eine unglaublich tröstende Berührung, wie wenn einem die eigene Mutter übers Haar streicht. Das war zu Zeiten, als meine Mutter sich noch halbwegs normal verhalten hatte. Die Berührung gab mir einen Kraftschub und ich zuckte nur ganz leicht zusammen, als Herr Winter seine Stimme erhob.

"Es geht gleich los, auf eine wunderschöne Reise. Etwas spontan, wie ich zugeben muss. Aber keine Sorge, ich habe in den letzten Stunden alles gut vorbereitet." Er sagte es mit einem leicht spöttischen und genervten Gesichtsausdruck, womit er eindeutig zu verstehen gab, dass er das ganze hier als vergeudete Zeit empfand.

Ich selbst wunderte ich am meistendarüber, dass wir anscheinend schon seit mehreren Stunden hier sein sollten. Es war, als ginge hier unten jedes Gefühl von Zeit verloren. Während wir stumm auf weitere Anweisungen warteten, nahm ich unauffällig war, wie Mara neben mir ihre Jacke auszog. Ich rührte mich nicht und vertraute ihr, dass dies schon ihren Grund haben musste.

Und tatsächlich hatte sie, wie gerade eben auch schon, wunderbar mitgedacht. Sie nahm ihre Jacke vorsichtig auf ihren Schoß und zog Lexi darauf. Ich drückte innerlich die Daumen, dass diese sich jetzt nicht rührte. Und wirklich, Lexi spielte mit und ließ sich von Mara einwickeln. Ich warf ein unauffälliges, leichtes Lächeln zu Mara und sie erwiderte es. Bei Lexi verhielt sie sich so fürsorglich wie eine Mutter.

Auch Ian lächelte jetzt kurz in die Runde, um uns allen Kraft zu schenken. Die Hoffnung bahnte sich wieder einen Weg zu uns. Alles was wir tun mussten, war Zeit zu gewinnen. Denn keiner von uns wusste, wohin Herr Winter uns bringen wollte und ob wir dort gefunden werden konnten.

Herr Winter lief wieder den Gang auf und ab, doch während wir und besonders Josi zunehmend unruhiger wurden, behielt Ian nach aussen hin eine totale Ruhe, die sich auch ein wenig auf mich übertrug. Ich wagte es wieder meine verkrampften Hände hinter dem Rücken hervor zu nehmen. Zeit gewinnen, darum ging es. Aber ich hatte keinen Plan wie. Das beste was mir einfiel, presste ich mit zitternden Lippen heraus, als Herr Winter sich wieder unserer Ecke näherte.

"Warum halten sie uns gefangen?"

Ich schluckte und wartete ungeduldig auf seine Antwort. Er schien sich vorerst hauptsächlich über meine Ängstlichkeit zu amüsieren. Dann ertönte wieder sein tiefes Räuspern, er blickte prüfend in unsere kleine Runde und schien es fast zu geniessen, eine Antwort zu geben: "Geplant war das ja alles sowieso nicht. Aber es gibt eben Leute, die man auf seinem Weg nicht haben will. In dem Fall seit ihr das." Er grinste.

Ich erschauderte und konnte auf die Schnelle keine Antwort bringen oder eine weitere Frage stellen. Aber zum Glück war Ian da, der mit unterwürfiger Stimme fragte: "Da wir eh keine Chance haben gegen sie, wollen sie uns nicht sagen, was sie vorhaben?" Er hatte die Frage so geschickt gestellt, dass Herr Winter sich viel zu geschmeichelt fühlte um nicht zu antworten.

"Naja, dass ist eine sehr gute Idee von mir gewesen. Kommt doch mit ins Wohnzimmer," schlug Herr Winter vor und winkte uns mit sich. Mara nahm behutsam ihre Jacke mit Lexi, die vollkommen still blieb. Wir nahmen alle an der Kante des Sofas Platz, während Herr Winter vor uns im Raum stand und sagte:

"Wir wollen es uns schliesslich noch gemütlich machen, bis das Boot kommt."

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