27 ~ Platzangst
Louisas Point of View
Eine ganze Weile saßen wir uns nur schweigend gegenüber. Ich fühlte erst mal gar nichts, bis die ganze Realität wie eine Welle über mich drüber schwappte. Dass mein Taxifahrer womöglich tot war, hatte ich ja schon mitgekriegt. Aber er war Ians Bruder gewesen!
Bruder von dem Ian, der gerade vor mir saß und in die Luft starrte, während sich immer mehr Tränen in seinen Augen bildeten. Er tat mir leid, denn auch wenn ich selbst ein Einzelkind war und immer bleiben würde, musste es einfach schrecklich sein, jemanden wie seinen Bruder zu verlieren.
Das Foto aus dem Flur kam mir wieder in den Kopf, wo die beiden noch so fröhlich in die Kamera gelacht hatten. Ich musste irgendwie die Stille hier durchbrechen, und so fragte ich: "Ihr seit viel gereist, ihr beiden, stimmt das?" Ian wischte grob mit seinen Händen über die Augen und nickte leicht.
"Wir hatten vor, sehr viel zu reisen. Als ersten Kontinent hatten wir Asien vor. Es war toll da!", erzählte er und ein glänzen erschien in seinen Augen. Dann sind wir wieder zurück nach Amerika. Denn wir mussten uns das Ganze ja auch irgendwie finanzieren, und so haben wir beide wieder nach einem Nebenjob gesucht."
Er seufzte. "Naja, Ernest hat dann direkt eine Stelle bekommen, als Taxifahrer. Das war vor 2 Wochen. Er gehörte zu einem kleinen Taxiunternehmen, war aber auch für die Schule hier erreichbar..." Er hört auf zu reden und sucht seine Taschen mit fahrigen Bewegungen ab. Schliesslich zog er ein Taschentuch heraus, wischte sich über die Augen und putzte sich die Nase.
"Das Schlimmste ist", erzählte er weiter. "Ich wurde erst Montag von der Sache informiert. Dabei ist es ja schon am Sonntag passiert! Du hast es ja sogar unabsichtlich mitgekriegt. Kannst du... Kannst du vielleicht erzählen was sie gesagt haben?"
Ich überletge, rief mir die Szene wieder vor Augen.
"Lady Marianna, also die Schulleiterin, begrüsste mich und nahm mich mit in ihr Büro, wo sie mir die Schule und Regeln vorstellte. Und dann kam plötzlich die Sekretärin herein, mit einem Telefon in der Hand. Als sie der Direktorin dass Telefon gab, hat die Sekretärin mich sofort mit nach draussen gezogen.
Aber ich habe noch gehört, wie Lady Marianna gefragt hat: Die Leiche sie gefunden wurde ist Ernest? oder so etwas in der Art", berichtete ich. Und weil ich gerade am Reden war, erzählte ich ihm auch noch von der Drohung, die die Sekretärin kurz darauf in dem dunklen Küchenvorraum abgegeben hatte.
Ian blickte mich geschockt an. Dann schüttelte er nur den Kopf in sagte:"Diese Schule scheint mir in einigem echt unfähig zu sein. Nicht nur dass, was du gerade erzählt hast. Das ist natürlich schlimm! Aber sie haben mich als seinen nächsten Verwandten und Bruder erst am nächsten Tag ausfindig gemacht! Und die Polizei war bei dem Fall sowieso am Trödeln. Bis jetzt habe ich fast gar nichts von den Ermittlungen mitbekommen. Ausser, dass die Mordwaffe eine Pistole war, die im Wald gefunden wurde."
Ich zuckte zusammen. Das musste die Waffe sein, die Mara und ich durch Lexis herumschnüffeln im Wald in der Nähe des Baumhauses gefunden hatten. Das berichtete ich auch Ian. Er staunte nicht schlecht. "Jaja, Lexi ist schon ein schlaues kleines Tier... Leider konnten auf der Pistole aber keine Fingerabdrücke festgestellt werden. Aber das wäre ja fast schon zu einfach." Ian lachte trocken. "Mein Bruder war so ein guter und toller Mensch... Warum sollte jemand ihn umbringen?" Er starrte hinter mir aus dem Fenster und schien leicht abwesend.
"War das Verhältnis zu deinem Bruder immer so gut?" traute ich mich eine etwas persönlichere Frage zu stellen. Er blickte auf das Taschentuch in seinen Händen und begann langsam kleine Stücke heraus zu zupfen. Offenbar machte ihn diese Frage unruhig
Dann sagte er:"Ehrlich gesagt nicht. Ich hatte mal einen Motorradunfall, wie du ja schon weißt. Dabei habe ich..." Er stockte und schien innerlich mit sich zu kämpfen. "Dabei habe ich zwei mir sehr wichtige Personen verloren. Danach war mein Bruder das einzig feste in meinem Leben, er war für mich da. Vorher auch schon, aber ab dem Zeitpunkt habe ich es besonders gespürt. Und schätzen gelernt. Das weiß ich vor allem jetzt, wo er tot ist."
Es klang schrecklich, so wie er es erzählte, aber es war ja nur die Wahrheit. Ich spürte, dass ich wohl einem sehr starken Menschen gegenüber saß, denn gleich drei wichtige Personen zu verlieren, dass war hart. "Du bist ein sehr starker Mensch", sagte ich zu Ian.
"Nein", antwortete er stur und kopfschüttelnd. "Vor der Zeit mit meinem Bruder war ich vor allem ein riesiger Feigling." Ich schätzte, dass es um ihn noch weitere Geschichten gab, die ich nicht kannte. Aber für heute wollte ich ihm nicht noch mehr Fragen stellen.
Vorsichtig tastete ich nach meinem Fuß, der sich durch das Kühlpack schon halb taub anfühlte. Man sah eindeutig, dass er leicht geschwollen war und auch eine lila blaue Verfärbung war da. "Damit musst du mal zum Arzt, und zwar sobald dein Freudn wieder da ist." sagte Ian. "Was macht der eigentlich jetzt genau?"
Ich weiß nicht, ob es war um mich aus dieser schwierigen Frage zu wenden, oder weil man gerade von ihm gesprochen hatte. Auf jeden Fall begann in genau diesem Moment ein Handy zu klingeln. Meins konnte es nicht sein, denn das war immer noch zerstört und ausser Funktion. Ian stand seufzend auf und lächelte dann, als er das Telefon von dem kleinen Regal in die Hand nahm.
Er nickte mir zu, während er abnahm. "Hi Damian, was geht, willst du Louisa sprechen?" fragte er lächelnd. Dann verschwand sein Lächeln von einer Sekunde auf die nächste. "Okay... Ja....Okay" waren die einzigen Wortfetzen, die ich von dem Gespräch mitbekam.
Sofort machte sich ein riesiger Klotz voller Sorgen in mir breit. Was war passiert?! Ich war elektrisiert und wollte nur wissen, wie es ihm ging. Kaum dass Ian auflegte, rief ich "Ist alles okay?"
Was für eine naive Frage von mir.
"Ich weiß nur, dass er offenbar mit zwei anderen Mädchen in Schwierigkeiten steckt." sagte Ian, während er aufsprang. "Er schickt mir seinen Standort. Und dann hat er noch gesagt, du wüsstest wo es reingeht."
Mein Herz hämmerte gegen meine Brust. "Ja, ja, weiß ich." sagte ich während ich aufstand und die Zähne zusammenbiss. Ian und ich guckten uns an, nickten, und liefen dann los in den Flur. Schuhe an, Jacke um und raus. Ich lief zügig den Weg voran, wieder in Richtung der Steinplatte, wo ich Damian vermutete.
"Also da geht es jetzt runter?" fragte er stirnrunzelnd, als er mit mir die Platte von dem Loch abnahm. Ich nickte. In dem Moment kam eine Nachricht mit Damians Standort. Eine Weise Linie schlängelte sich von hier aus Richtung Meer.
"Dann müsste der Gang also zum Strand führen. Was es so alles gibt." gab Ian von sich. Dann beeilten wir uns, in das dunkle Loch hinab zu steigen.
Noch nie in meinem Leben hatte ich Damian so stark herbei gewünscht, wie jetzt.
Scheiss Platzangst.
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