20 ~ Eis heilt Wunden

Kühle Luft kam uns im Treppenhaus der Arztpraxis entgegen. Von oben hörte man den Knall einer zufallenden Tür. Das Geräusch lies mich zusammenzucken. An Maras Seite lief ich die grauen, schmalen Stufen hoch. Wir kamen vor einer weißen Tür mit dem Schild "Hausarzt Dr. med. Stöcker" an.

Ich wollte sofort zur Türklinke greifen und hineinstürmen, aber Mara hielt mich am Handgelenk fest. "Stopp, wir sollten vielleicht kurz überlegen, was wir machen, wenn wir da drinnen sind!" Ich blieb stehen und holte einmal tief Luft. Mein Herz wummerte gegen meinen Brustkorb, weil ich so unglaublich angespannt war.

Aber Mara hatte natürlich Recht, wir sollten nicht zu überstürzt hineinplatzen. Sonst würde man uns für verrückt halten und uns direkt wieder rausschmeissen. Ausserdem konnte es ja auch noch sein, dass Herr Winter bloss so zum Arzt wollte. Nur kam mir das ganze sehr komisch vor. Nein, ich war mir sicher, dass Herr Winter nicht zufällig, sondern wegen Josi hier war.

Das sagte ich auch Mara, und sie stimmte mir zu. "Bitte", drängte ich sie. "Lass uns reingehen und einfach nachschauen, ob es Josi gut geht. Und falls Herr Winter uns komisch anguckt, dann sage ich einfach, ich hätte... eine Allergie oder sowas."

Mara verzog das Gesicht. "Lass mich mal schwindeln, du bist da nicht ganz soo gut drin." Ich grinste, da sie ja Recht hatte. Dann griff ich erneut zur Türklinke und zog die Tür auf. Ein Schwall von kalter Luft kam mir entgegen. Hier war es noch kälter als im Treppenhaus. Mussten diese Arztpraxen die Klimaanlage auch immer bis zum geht nicht mehr aufdrehen?

Es würde mich nicht wundern, wenn die Hälfte der Patienten sich im Wartezimmer noch eine dicke Erkältung zuziehen würden. Dann konnten sie ja direkt am nächsten Tag wieder zum Arzt gehen, und die Praxis würde laufen wie am Schnürchen. Bevor ich über weitere Verschwörungstheorien der Praxis nachdenken konnte, erhob sich ein blondgelockter Kopf hinter dem Tresen hervor.

Vor uns war eine ältere, kräftige Arzthelferin im weissen Kittel.
Sie knallte noch einen Stapel Unterlagen auf den Tresen, bevor sie uns über den Rand ihrer Brille hinweg kritisch musterte und fragte:
"Soso, was wollen die zwei jungen Damen denn hier?"

Mara drängte sich vor mich und sagte sagte leicht zögernd: "Hätten sie vielleicht ein Pflaster für uns? Unsere Freundin hat sich gerade draussen das Knie aufgeschlagen..." Sie guckte die Dame ganz lieb an. Diese runzelte die Stirn zu einem perfekten "Ernsthaft?"-Blick und dann stand sie langsam und ächzend auf, so als wäre jede einzelne Bewegung eine Straftat.

Als die Frau dann langsam in ein Nebenzimmer dackelte, um dort nach dem Pflaster zu suchen, zog Mara mich mit sich vom Tresen weg und wir liefen schnell zu einer Tür mit einem "Wartezimmer" Schild. Mit einem Ruck öffnete Mara diese und blieb dann so plötzlich stehen, dass ich gegen ihren Rücken lief.

Dann erschrak ich. Nicht weil hier gerade irgendwas schlimmes vor sich ging. Sondern weil das Wartezimmer einfach leer war. Aber Josi musste doch irgendwo hier sein! Es sah auch so aus, als wäre gerade noch jemand hier drin gewesen. Auf einem der glatten grauen Stühle lag eine aufgeschlagene Zeitschrift, so als hätte sie jemand kurz beiseite gelegt um darin gleich weiter zu lesen.

Mara ging zu dem Stuhl nahm die Zeitschrift hoch, und genau dort drunter lag ein Handy! "Das ist Josis!" flüsterte ich, denn ich hatte gestern noch mit ihrem silbernen iPhone Damian angerufen. "Sie muss hier noch sein, schliesslich haben wir sie nicht rausgehen sehen. Wir suchen alle Zimmer ab, scheiss auf die Arzthelferin."

Wir verliessen das Wartezimmer und standen wieder auf dem Flur. Die drei nächsten Räume waren leere und verlassene Behandlungszimmer. Ich würde nervös. In einem weiteren Raum telefonierte mit dem Rücken zu uns ein Mann, der uns aber gar nicht bemerkte uns so schlossen wir schnell wieder die Tür. Dann ging Mara auf die Toilettentür zu und stiess sie auf.

Man hörte genau, wie abrupt eine laute Stimme abbrach. Zwei Sekunden lang herrschte eine Stille, die mir so lang vorkam und mir alle Nerven raubte. Mara und ich standen in dem Vorraum mit den Waschbecken, aber ich wusste einfach, dass in dem Raum dahinter mit den  Toiletten Josi und Herr Winter sein mussten.

Und schon hörte ich seine Stimme: "Komm, Tochter, wir wollen mal wieder zurück ins Wartezimmer, stimmt's?" Dann kam ein leises zittriges "Ja" als antwort von Josis Stimme.
Was zog Herr Winter denn hier für eine Show ab? Tochter? Das hatte er sich ja schön überlegt!

Die Tür zum Toilettenraum vor uns ging auf, und Herr Winter trat heraus, seine Hand wie ein Schraubstock um Josis Arm geklammert. Als er uns sah, entglitten ihm für einen kurzen Moment seine Gesichtszüge und Panik huschte über sein Gesicht. Wie automatisch lies er Josis Arm los, die uns mit riesigen Augen und einem noch vor Angst geweiteten Gesicht anstarrte.

Und dann tat Herr Winter dass, was ich am wenigsten in dieser Situation gedacht hätte. Ich meine, es wäre doch logisch, wenn er jetzt die Nerven verloren oder völlig ausgerastet wäre. Aber er sagte nur ganz lässig: "War wohl ein Missverständnis" und verließ damit den Raum.

Wir standen zu dritt auf der Toilette und Josi nahm uns einfach beide in den Arm. Ich spürte immer noch ihr leichtes Zittern, dass gar nicht stoppen wollte. "Wie habt ihr mich gefunden?", fragte Josi schließlich. "Wir sind einfach Herrn Winter hierher gefolgt, weil wir so ein schlechtes Gefühl bei ihm hatten", sagte Mara und nahm Josi leicht am Arm. "Wir sollten zusehen, dass du schnell behandelt wirst und dann gehen wir erst mal raus hier, okay?" Josi nickte dankbar.

Vor der Toilettentür stand mit rotem Gesicht die Arzthelferin von gerade und sie wischte sich kleine Schweisperlen von ihrer runden Stirn. "So ein durcheinander aber auch!", seufzte sie theatralisch. "Wer ist denn nochmal die Dame, die zum Doktor wollte?" fragte sie uns völlig überfordert.

"Sie", antwortete Mara und zeigte auf Josi um in unserer Mitte. "Aber wir kommen mit!"
Der Arzt schaute sich die Striemen in ihrem Nacken an. Auf seine Frage, wo diese denn herkamen, zuckte Josi nur die Schultern, aber sie wurde etwas bleicher im Gesicht.
Der Arzt verschrieb ihr eine Wundsalbe gegen mögliche Bakterien und für eine schnellere Verheilung und liess uns dann gehen.

Ich war so froh, aus dieser Praxis raus zu kommen und Josi glaube ich auch. Dann zeigte ich zu dem Eisstand, der uns vorhin schon ins Auge gefallen war. "Das haben wir uns jetzt ja mal sowas von verdient", meinte ich und bekam große Zustimmung.

Mit drei vollen Eisbechern setzten wir uns zwischen einige andere Schüler auf den Rand des Brunnens. Hinter uns plätscherte leise das Wasser, von oben strahlte die Sonne auf uns herab und nur ich bemerkte den Sportwagen, der leise in der Nebenstraße davonrollte.

Aber das Eis brachte mich wieder auf andere Gedanken. Ich genoss den Moment, mit den zwei besten Freundinnen und einem Eis in der Hand hier zu sitzen und zu wissen, dass es schon bald Zeit für Damian war.




Nach einem solchen Kapitel musste ich einfach mal ein idyllisches Ende schreiben^^
Und ich wollte mich noch bedanken: Die 1k Reads sind zwar schon seit etwas längerem da, aber ich wundere mich trotzdem noch jedes Mal darüber. Ihr seit einfach toll!❤
Macht's gut und bis zum nächsten Kapitel!
Eure Viola<3

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