10 ~ Illegal

Was würdest du tun, wenn du nachts im Dunkeln im Wald stehst und Schüsse hörst? Vielleicht wegrennen, in Panik geraten, um Hilfe schreien?

Aber nein, wir blieben einfach wie gelähmt stehen und lauschten in das Dunkel des Waldes. Es wurde nicht noch einmal geschossen. Dafür knackte es plötzlich weiter vor uns im Gebüsch.

Meine Nerven waren sowieso schon am Ende und ich stiess einen wimmerneden laut aus. Mara nahm meine Hand und drückte sie leicht. Ich wusste, dass sie auch Angst hatte, aber sie zeigte es nunmal nicht. Im Gegensatz zu mir, die sich hier gerade fast in die Hose machte.

Ich hätte damit gerechnet, dass jetzt irgendein Verrückter mit seiner Waffe aus dem Gebüsch sprang. Aber was dann aus dem Gebüsch heraus trat, werde ich wohl nie vergessen.

Langsam und majestätisch brach ein Hirsch durch die Zweige und Blätter und reckte sein Geweih stolz in die Höhe. Er schien sich wie der Häuptling der Nacht zu fühlen, so wie er dort auf einer kleinen Lichtung herum ging. Immer wieder knackten Äste unter seinen Füßen.

Meine Angst schien wie verflogen zu sein. Mit einem kurzen Blick auf Mara sah ich, dass sie genau so ehrfurchtsvoll auf das große Tier schaute wie ich.

Langsam hob der Hirsch seinen Kopf, und für einen winzigen Augenblick starrte er uns direkt in die Augen. Dann schwenkte er seinen Kopf mit dem großen Geweih und preschte in die Dunkelheit davon.

"Wow" sagte Mara und ich nickte. Wir schauten uns an und lächelten. Dann verloren wir unsere Starre und liefen auf schnellstem Wege zurück in Trakt 2. Das Handy konnte warten, denn wir wussten beide, dass es unvernünftig wäre, nach den zwei Schüssen noch weiter in den Wald zu gehen.

Drinnen angekommen setzten wir uns unten auf eine Couch. Es waren nur noch wenige hier, die meisten waren wohl schon auf ihren Zimmern. "Die Schüsse, meinst du sie waren von einem Jäger?" fragte ich und dachte an den armen Hirsch, der jetzt noch dort draussen rumlaufen musste.

Mara zuckte mit den Schultern. "Das muss relativ in unserer Nähe gewesen sein. Ich denke nicht, dass in so einer Nähe zur Schule Jäger sein dürfen. Also zumindest nicht legal..."

Nicht legal hieß für mich illegal. Und da dachte ich auch schon wieder an den Mord. Aber nur kurz, denn Mara ging wieder an zu reden. "Ich hoffe so sehr, dass es dem Hirsch gut geht! Ich meine, dieses Tier war so schön, und wenn da jetzt irgendein scheiss Jäger wirklich rumballern sollte, dann..."

"Der Hirsch wird schon schlau genug sein um wegzulaufen" versuchte ich Mara zu beruhigen. Ja, man merkte eindeutig, dass ihr Tiere sehr am Herzen lagen. Um sie abzulenken fragte ich sie, wann wir morgen das Handy suchen gehen wollten.

Es schien zu wirken, und Mara dachte kurz nach bevor sie antwortete: "Am besten nach dem Frühstück. Also, da haben wir dann noch eine halbe Stunde Zeit, bis der Unterricht anfängt. Wäre das okay?"

"Eye, eye Captain" scherzte ich und lachend verschwanden wir nach oben. Wir wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht und machten noch einen Treffpunkt für morgen früh aus.

Als ich zu meinem Zimmer kam, war ich gespannt, ob ich dort auf Josi treffen würde. Ich machte leise meine Tür auf, weil ich dachte, dass sie möglicherweise wieder am schlafen war. Mein Zimmer war leer, als ich reinkam und das Licht anmachte, aber ich konnte im Bad die Dusche hören.

"Josi, bist du da?" rief ich laut. "Nein, ich bins, Batman" rief sie mit tiefer Stimme zurück. Ich musste grinsen. "Okay, dann bin ich ja beruhigt" antwortete ich und schmiss mich auf mein Bett.

Endlich! Jetzt hatte war doch die perfekte Zeit, um Damian anzurufen. Es war zwar schon halb zehn, aber ich ging davon aus, dass er noch wach war.

Ich hatte gerade mein Handy aus der Tasche geholt, als die Zimmer Tür aufgerissen wurde. "Brüll leiser" sagte das Mädchen, dass jetzt ihren Kopf hereinsteckte. Ich verzog den Mund, setzte ein Lächeln auf und flüsterte so leise wie ich konnte "Entschuldigung, wird nie wieder vorkommen!"

Das Mädchen schüttelte den Kopf aber ich sah, wie sie leicht grinste. "Bist du neu hier?" fragte sie mich. Ich musterte sie von Kopf bis Fuß. Sie war groß, blond und hatte eine kleine Stupsnase in ihren sommersprossigen Gesicht. Nur, wie kam sie jetzt darauf, dass ich neu war?

"Sehe ich etwa so aus?" meinte ich und schaute sie fragend an. "Ne" grinste sie "Aber du hast da ein Handy in der Hand. Müssen wir ja eigentlich abgeben."

Mensch, was wollten sie denn alle von meinem Handy heute? "Ja ich weiss" sagte ich ohne mit den Wimpern zu gucken. "Aber die Regel ist mir herzlich egal."
Denn so sah es aus. Ich durfte einfach nicht meine einzige Kontaktmöglichkeit zu Damian verlieren.

"Ich bin am zweiten Tag erwischt worden" sagte das Mädchen schulterzuckend. "Ich bin übrigens Nina, die Stufensprecherin. Aber keine Sorge, ich petzte nichts."
"Louisa" stellte ich mich kurz vor. "Sehr erfreut, ich bin auch gleich wieder weg" meinte Nina und winkte.
"Tschau" sagte ich und erst jetzt konnte ich wirklich Damian anrufen.

Als sich seine Stimme am anderen Ende meldete, kamen mir fast die Tränen. "Damian" sagte ich und ich war so froh, ihn gekriegt zu haben. "Louisa, wo bist du, wie geht's dir?" fragte er um dann begann ich einfach über meinen ersten, verrückten Tag hier zu reden und merkte, dass ziemlich viel passiert war.

"Ich vermisse dich einfach nur" sagte ich am Ende meines Redeflusses und meinte es aus tiefstem Herzen. "Vermisse dich auch" seufzte Damian. "Hörmal, ich weiß, dass du ziemlich neugierig bist, meine Kleine, aber bitte lass einfach die Polizei diesen Mordfall regeln."

"Ja, keine Sorge, ich mache jetzt nicht auf Agentin oder so was" lachte ich leise. "Ich weiß" gab Damian lachend zurück. Da kam Josi aus dem Bad, in Nachtwäsche gekleidet und mit einem großen Handtuchturban auf dem Kopf.

"Hörzu, ich muss jetzt Schluss machen" sagte ich, weil ich mich unwohl fühlte in ihrer Gegenwart zu telefonieren. "Ich melde mich morgen bei dir, so früh es klappt!"
"Ja klar" sagte Damian. "Gute Nacht und schlaf schön!" Ich merkte Josis fragenden Blick auf mir. "Schlaf gut, bis morgen!" Dann legte ich auf.

"Deine Mum?" fragte Josi. Ich schüttelte den Kopf. "Freund?" fragte sie und ich nickte. Sie nickte mir zu und setzte sich dann auf ihr Bett. Als sie ihr Handtuch abnahm und ihre Haare nach vorne schüttelte, sah ich in ihrem Nacken zwei grosse, blutige Striemen.

"Wo warst du denn beim Abendessen?" fragte ich sie misstrauisch. "Ich hatte überhaupt keinen Hunger" antwortete sie. "Ich habe einfach geschlafen."

"Also, als ich dich kurz vor sechs wecken wollte, warst du gar nicht hier!" sagte ich und ich merkte wie ihr Blick verunsichert durchs Zimmer huschte. Plötzlich starrte sie mich ganz komsich an. "Damit du es weißt, meine Sachen gehn dich gar nichts an!"

"Doch!" sagte ich. Ich war immerhin umsonst hierher gelaufen. Doch das brachte sie anscheinend völlig aus der Fassung. "Lass mich einfach in Ruhe!" schrie sie und dann nahm sie das erste, dass sie packen konnte, und schmiss es auf den Boden.

"Nein!" schrie ich, als ich sah, wie mein Handy in tausend Teile zersprang.

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