10. Kapitel

Louis POV:

Unruhig fuhren meine Finger über das harte, eiskalte Metall der Speichen meines Rollstuhls. Es entstand ein leises Klackern in dem stillen Raum.

"Louis, lass das. Irgendwann verletzt du dich dabei noch. Iss lieber dein Essen!", schimpfte meine Mutter mit strengen Ton. Wann anders hätte ich sie dafür vermutlich ausgelacht, denn die Rolle einer um Durchsetzungsvermögen kämpfende Mutter stand ihr gar nicht gut und zudem war mir nicht klar, wie ich mich hierbei hätte verletzen können, doch heute beließ ich es einfach bei Ignoranz.

Ich hatte nämlich keine Lust auf Streit und erst Recht keinen Appetit. Viel zu groß war die Angst, den Geschmack von Harry auf meinen Lippen durch den von zu weich gekochten Kartoffeln und zähem Fleisch zu ersetzen. Traurig lenkte ich meinen Blick aus dem Fenster. Trotz des klaren Himmels und der strahlenden Sonne, waren die Straßen wie leer gefegt. Wahrscheinlich lag es daran, dass in dieser Gegend nur reiche, alte Schnösel wohnten, die schon seit Ewigkeiten keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt hatten.

Harry hingegen war zu diesem Zeitpunkt bestimmt nicht Zuhause. Entweder war er mit seinen Geschwistern am See, besuchte mit Freunden eines der wenigen Cafés oder machte einfach einen Spaziergang durch die Straßen. Hier war er auf jeden Fall auch nicht.

Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn überhaupt jemals wiedersehen würde. Es war bereits früher Nachmittag und normalerweise kam er immer morgens. Wahrscheinlich hatte ich ihn gestern komplett abgeschreckt mit diesem verdammten Kuss.

Ich hatte vorher noch nie auch nur einen Gedanken daran vergeben, ihn zu küssen, aber gestern kam es einfach über mich. Er hatte in diesem Moment so wunderschön ausgesehen, mit seinen noch nicht ganz wachen Augen, den zerzottelten Haare und seinem strahlenden Lächeln, dass ich es nie geschafft hätte, ihm zu widerstehen. Und jetzt, nachdem ich seine Lippen einmal auf meinen gespürt hatte, konnte ich an nichts anderes mehr denken.

Seufzend löste ich die Bremsen aus meinem Rollstuhl, schob mich, Mamas Rufe ignorierend, aus der Küche und zum Aufzug. Mit Tränen in den Augen rollte ich in mein Zimmer, bis ich vor einer der grün bestrichenen Wände stehen blieb. Sie war bedeckt von Fotos mit Harry und mir, auf keinem einzigen sah einer von uns unglücklich aus. Jedes einzelne Bild zeigte uns mit einem strahlendem Lächeln im Gesicht. Wütend schlug ich mit meiner Faust zwischen zwei Fotos gegen die Wand.

Warum hatte ich alles versauen müssen?

~

Es war gerade einmal 16 Uhr und trotzdem hatte ich Paul bereits gebeten, mich zu duschen und dann bettfertig zu machen. Also lag ich jetzt, hellwach in meinem beleuchtetem Zimmer und weinte still vor mich hin. Es war sicher schon einige Monate, wenn nicht sogar Jahre her, dass ich das letzte Mal geweint hatte. Doch jetzt liefen all die Tränen, die sich in dieser Zeit angespart hatten, meine Wangen hinunter.

Ich fühlte mich so unglaublich leer, entkräftet und ausgelaugt. Wie sollte ich jemals wieder etwas mit mir selbst anfangen können, wenn kein übermotivierter, dummer Lockenkopf an meiner Seite war? Wenn niemand da war, der wenigstens etwas Wärme und Liebe in meinen lebensmüden, kaputten Körper brachte?

Ein behutsames Klopfen ließ mich aus meinen finsteren Gedanken aufschrecken. "Geh weg!", rief ich unter Tränen, doch Mum fuhr fort, gegen die Tür zu klopfen. Entnervt schloss ich meine Augen und versuchte das inzwischen heftige Hämmern auszublenden. Als es nach 34 Sekunden noch immer nicht verstummte, rief ich schließlich ein müdes, "Was ist?". Kurz darauf öffnete sich die Tür langsam und ein bekannter Lockenschopf drängte sich durch den Türschlitz.

"H-Harry?" Ich blinzelte aufgeregt die Tränen aus meinen Augen und bekam somit einen klaren Blick auf Harrys Gesicht. Er lächelte vorsichtig und winkte mir nervös zu. "Hi, Lou. Tut mir wirklich leid, dass ich jetzt erst komme, nur ich musste unbedingt auf die Kleinen aufpassen und unsere Telefonrechnung vom letzten Monat ist noch nicht bezahlt, deshalb konnte ich nicht anrufen", haspelte er, während er die Tür hinter sich schloss.

"Das ist okay", strahlte ich gerade zu, "Ich bin einfach froh, dass du noch gekommen bist." Er lächelte breit und ließ sich auf den Teppich neben das Bett fallen. "Wie war dein Tag?", fragte er mit weicher Stimme und sah mir dabei direkt und interessiert in die Augen. Wie konnte jemand so liebevoll sein, ohne übertrieben sentimental zu wirken?

"Langweilig und... i-ich habe dich vermisst", gab ich leise zu. Er lächelte breit. "Ich dich auch. Und Nanni erst recht, sie hat schon nach dir gefragt."-"Sie ist so zuckersüß." Harry setzte an etwas zu antworten, doch ließ es dann bleiben. Ich blickte ihn aus fragenden Augen an, doch er schüttelte nur seinen Kopf. "Komm schon, Harry! Was wolltest du sagen?", flehte ich ihn an. Er senkte seinen Blick auf seine Finger. "Dass du auch zuckersüß bist," flüsterte er schließlich, "aber ich hatte Angst, dass du mich dann wieder küssen würdest." Meine Augen weiteten sich, während mein Herz sich geradezu zusammenzuziehen schien. Es blieb still im Raum, bis Harry erneut leise seine Stimme erhob. "Und vorallem, dass du mich danach wieder zurückweisen würdest."

Mein Herzschlag beschleunigte sich, dafür arbeitete mein Gehirn umso langsamer. Ich schwieg für einen Moment, während ich versuchte, mir die richtigen Worte auszusuchen. "Und was ist, wenn du mich einfach k-küsst?", wisperte ich schließlich mit hauchdünner und trotzdem hoffnungsvoller Stimme.

"Und du würdest mich nicht zurückweisen?" Seine Stimme war leise, als könnte man ihn mit nichts aus der Ruhe bringen, doch ich sah ihm an, dass er ebenfalls nervös war. Ich legte meine zitternde Hand vorsichtig auf seine warme Wange und schüttelte den Kopf. Ein Funkeln erreichte Harrys Augen und er begann breit zu lächeln. Er lehnte sich vorsichtig näher an mich, sein Herz pochte gegen meine Brust und eine seiner Hände legte sich vorsichtig um meinen Nacken. Er war nur noch wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt und ich hatte bereits meine Augen geschlossen, als er seine Stimme erhob. "Versprochen?", ging er noch einmal sicher und ich musste leise lachen. Er war so ein verdammter Stimmungskiller.

"Versprochen." Damit berührten sich unsere Lippen, federleicht, warm und sanft. Ich lächelte leicht, als ich bemerkt wie langsam und behutsam er seine Lippen bewegte. Es war, wie wenn er redete, er formte jedes einzelne Wort langsam und gut bedacht. Von Harrys Körper ging eine unglaubliche Wärme und Geborgenheit aus, die mich noch enger an ihn schmiegen ließ. Ein leises Seufzen verließ unbewusst meinen Körper, als Harrys große Hand durch meine Haare fuhr.

Er grinste breit, als wir uns schließlich voneinander lösten. Es blieb für einen Moment still, bis er leise lachte. "Was ist?", fragte ich irritiert und trotzdem mit einem Lächeln auf den Lippen. "Nichts. Nur du bist wirklich zuckersüß und ich gerade verdammt glücklich."

Frohe Weihnachten (nachträglich)!! Ich hoffe ihr wurdet schön beschenkt? :)
Falls ich vor Silvester hier nicht mehr update auch schonmal ein gutes, neues Jahr!! :D xxx

Hab Euch lieb! <33

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