Vorhersagen und Träume

Am nächsten Tag kletterte Phillis in ihrer Mittagspause die Stufen des Turmes hoch, in dem sich das Klassenzimmer für Wahrsagerei befand und sie klopfte an Professor Mopsos' Büro.

„Herein!", erklang seine gedämpfte Stimme und Phillis trat ein.

Sein Büro war eigentlich ziemlich ironisch eingerichtet. Verschiedene Karten und Pergamente zeigten Statistiken und Karten vom Sternenhimmel, für den Fall, dass Mopsos in den Sternen die Zukunft sehen wollte und es waren auch unzählige andere Instrumente zum Wahrsagen auf Regalen verteilt, aber umso mehr Bücher und Schriften, die nicht nur von Wahrsagerei handelten, sondern auch von anderen Themen – unter anderem Muggel-Bücher über die Antike.

„Oh, Phillis!", begrüßte Mopsos sie überrascht, „Ich habe nicht erwartet, dass du jemals freiwillig einen Professor aufsuchen würdest", dann erkannte er wohl, dass Phillis irgendwelche Sorgen haben musste, denn sie sah müde und gestresst aus, „Ist alles in Ordnung?"

Phillis wusste nicht, wie sie das sagen sollte. Wie erklärte man seinem Professor für Wahrsagerei, dass man tatsächlich hin und wieder hellseherische Fähigkeiten besaß und deswegen sie jetzt die Zukunft kannte, aber sie durfte sie wegen irgendwelcher dämlichen Regeln von ihrem eingebildeten Dad nichts verraten. Phillis erkannte, dass es keinen richtigen Weg gab, um so etwas zu sagen, also beschloss sie, einfach Fehler zu machen. Es war beruhigend, wenn man wusste, dass man nichts richtig machen musste. Viel zu selten erlaubte Phillis sich, Fehler zu machen – meistens passierten diese aus Versehen.

„Ich muss Ihnen etwas sagen", gestand Phillis ruhig und Mopsos öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Phillis sprach schnell weiter, „Nicht, weil es Sie insbesondere etwas angeht oder weil es Sie persönlich betrifft, sondern... weil ich es sonst niemanden verraten kann... ich kann nur ihnen diese Information anvertrauen und egal, was ich sage, es muss geheim bleiben und Sie dürfen es auch niemanden verraten – außerdem dürfen Sie mich nicht daran hindern, etwas daran zu ändern."

Mopsos sah sie überrascht an und schien wohl einen Moment lang überfordert zu sein, was er tun sollte, aber dann bot er ihr einen Platz ihm gegenüber an und vermutlich war das ein sehr guter Anfang.

Phillis setzte sich also zu ihm an den Schreibtisch und wusste wieder einen Moment lang nicht, wie sie anfangen sollte, dann holte sie tief Luft und erzählte: „Ich habe die Zukunft gesehen und ich darf sie nicht verändern."

Mopsos sah sie ernst an. „Phillis, du bist eine meiner besten Schülerinnen, aber selten besitzt jemand die Fähigkeit, tatsächlich die Zukunft zu erfahren und wir können sie höchsten mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen interpretieren, aber –"

„Nein, ich weiß, dass ich von der Zukunft geträumt habe", unterbrach Phillis ihn leicht frustriert, nachdem sie schon mit solchen Entschuldigungen gerechnet hatte, „Es liegt in der Familie – mein Dad ist so etwas wie ein Orakel. Wir dürfen die Zukunft aber nicht verändern – schreckliche Dinge passieren mit jenen, die die Zukunft verändern", wisperte Phillis ehrfürchtig.

„Ich habe schon von einem ähnlichen Kult gehört", gestand Mopsos, als würde er versuchen wollen, Phillis irgendwie zu verstehen, obwohl sie im Moment sehr kryptisch sprach, „Genau genommen hat mir meine eigene Großmutter davon erzählt. Ich habe ihren Geschichten immer gern gelauscht."

„Sie sollten auf Ihre Großmutter hören", riet Phillis ihm ernst, „Man hintergeht Apollo nicht einfach so."

Mopsos erstarrte und nickte dann langsam. „Wir sprechen wohl vom selben Kult."

„Ist es nicht egal, ob wir von der Wahrheit oder nur Geschichten sprechen?", fragte Phillis, „Ich weiß, dass ich die Zukunft gesehen habe und das Gesetzt verhindert, dass ich sie verhindern kann!"

„Was hast du gesehen?", fragte Mopsos ruhig, ohne auf die aufgebrachte Phillis einzugehen.

Phillis wusste nicht, was sie gesehen hatte. Sie wusste eigentlich nicht einmal zu hundert Prozent, dass es überhaupt eine Vorhersage oder Weissagung gewesen war – die Möglichkeit bestand, dass es einfach nur ein Traum gewesen war und sie ganz umsonst durchdrehte.

„Tod", wisperte Phillis leise – sie konnte das Wort kaum aussprechen, „Den Tod meiner Schwester."

„Deiner Schwester?", wiederholte Mopsos einen Moment lang überrascht von dieser neuen Information über seine Schülerin, aber er konzentrierte sich zum Glück nicht länger darauf, „Woher willst du wissen, dass es wirklich eine Weissagung gewesen ist?"

„Ich bin mir nicht ganz sicher", gestand Phillis, „aber in dem Traum habe ich sie mit einigen anderen Leuten gesehen – ich habe nicht von allen gewusst, dass sie bei ihr sein würden. Ich habe sie kontaktiert und herausgefunden, dass sie nicht nur in einer Umgebung ist, wie ich sie im Traum gesehen habe, sondern auch die Leute wirklich bei ihr gewesen sind."

„Und du hast nichts davon wissen können?", fragte Mopsos weiter.

„Natürlich nicht", bemerkte Phillis, „Ich habe seit Weihnachten nichts mehr von ihr gehört."

„Aus welchem Blickwinkel hast du ihren Tod beobachtet?", fragte Mopsos, als wäre er ein Heiler und würde anhand Phillis' Symptome herausfinden wollen, unter welcher Krankheit sie litt. Phillis gefiel das nicht – sie mochte nicht, wie er über Ruths Tod so emotionslos und rational sprach. Er untersuchte ihren Fall wie ein Wissenschaftler.

„Ich... ich bin sie gewesen", gestand Phillis.

„Ihr habt also eine enge Bindung?", fragte Mopsos weiter und Phillis war überrascht, dass er das nur anhand dieser Aussage herausfand, immerhin hatte Phillis bisher noch nie jemanden in Hogwarts erzählt, dass sie außer ihrer Mutter überhaupt Familie hatte.

„Ich denke schon", gestand sie, „Sie ist meine Lieblingsschwester."

„Gibt es viel Auswahl?"

Phillis lachte trocken auf. Das war genug Antwort für Mopsos.

Er musterte sie einen Moment lang nachdenklich, bevor er vorschlug: „Vielleicht habt ihr euch einfach nur einen Traum – oder Albtraum – geteilt. Deine Schwester und du."

„Einen Traum geteilt?", wiederholte Phillis verwirrt – davon hatte sie noch nie gehört und sie hatte es auch nie erlebt, soweit sie wusste.

„Eigentlich ist es ein Albtraum deiner Schwester gewesen – deswegen hast du es auch aus ihrem Blickwinkel beobachten können", erklärte Mopsos und Phillis dachte einen Moment lang darüber nach.

„Sie hat zu diesem Zeitpunkt nicht geschlafen", fiel ihr wieder ein.

„Vielleicht hast du ihn mit Verspätung geträumt", schlug Mopsos vor, „Es ist kaum etwas über Träume und ihre Verbindung zum realen Leben erforscht, aber vielleicht hat sie den Traum auf dich übertragen, obwohl sie ihn an einem anderen Zeitpunkt gehabt hat."

„Das könnte sein", stimmte Phillis zu. Sie klammerte sich an jede Möglichkeit, um sich sicher zu sein, dass es einfach nur ein dämlicher, unschuldiger Albtraum gewesen war und die Erklärung von Mopsos würde auch erklären, warum sie Zugang zu Informationen gehabt hatte, die sie sonst nicht gehabt hätte, „Ich glaube, ich habe schon früher aus Ruths Blickwinkel geträumt und vor ein paar Monaten haben wir ähnliche Träume gehabt."

„Ich habe bisher noch nie davon gehört, dass Schwestern sich Träume teilen können", gestand Mopsos nachdenklich, „Normalerweise ist das sogar bei eineiigen Zwillingen oder Seelenverwandten selten, aber wenn ihr euch wirklich nahesteht... ist deine Schwester eine Hexe?"

Phillis stockte. „Nein..." Ruth war auch kein Muggel, also würde Phillis einfach nichts dazu sagen.

„Hm...", machte Mopsos nachdenklich, nickte aber, „Ich glaube nicht, dass du wirklich die Zukunft gesehen hast, Phillis. Du hättest schon viel früher herausgefunden, dass du eine Seherin bist, wenn du tatsächlich die Gabe in so einem Ausmaß besitzen würdest. Normalerweise äußert sich eine untrainierte Seherfähigkeit durch Vorahnungen und schlechte Gefühle."

„Ich hoffe, Sie haben Recht", meinte Phillis und lächelte schwach. Die Alternative wäre, dass Ruth sterben würde und Phillis nichts dagegen tun konnte.

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