Versöhnung
Phillis trat ein paar Schritte zurück, holte tief Luft, hob den Speer in Augenhöhe, rannte ein paar Schritte und warf ihn dann so, wie Birget es ihr gezeigt hatte.
Der selbstgeschnitzte Speer (ein halbwegs gerader Stock mit angespitzter Spitze) konnte den Baum, auf den Phillis gezielt hatte nicht durchstoßen, sondern prallte nur daran ab. Ein wenig der Ringe wurde vom Baum heruntergerissen, aber ansonsten blieb der Baum, wie auch bei den Würfen zuvor, sehr unbeeindruckt und zum größten Teil unverletzt.
Es war ja auch eigentlich mehr eine Ziel-Übung und vielleicht auch, um Frustration heraus zu lassen. Es war ihre Pause von ihren Hausübungen, die sie nun wieder mit Hagrid machte und nun, da die ZAGs immer näher rückten, wurden die Hausaufgaben immer zahlreicher und beinahe überwältigend.
Phillis war langsam zu frustriert, um mit Speeren zu werfen und wünschte sich, sie hätte ihren Bogen mitgenommen, aber dieser war noch im Turm unter ihrem Bett versteckt und es würde zu lange dauern, ihn jetzt zu holen.
Phillis hob einen weiteren der drei geschnitzten Speere hoch und wiederholte die Schritte – nahm Anlauf, zielte, schoss. Der Speer traf wieder den Baum und prallte daran ab, aber dieses Mal schoss aus dem Nichts jemand etwas auf sie – es war ein kleiner Stein.
„Au!", beschwerte Phillis sich, als der kleine Kiesel an ihrer Schläfe abprallte und alarmiert schaute sie sich um, aber auf den ersten Blick konnte sie niemanden sehen, aber dann erkannte Phillis eine Dryade – eine Baumnympfe. Sie sahen eigentlich wie Menschen aus, wenn man die grünliche Haut ignorierte und die Tatsache, dass sie mit Bäumen verbunden waren.
„Lass meinen Baum in Ruhe!", beschwerte sie sich kampfbereit und hob beleidigt eine Faust, „Geh weg!"
Phillis war zwar ziemlich frustriert, aber sie seufzte trotzdem und ließ enttäuscht ihre Schultern hängen. „'Tschuldigung", murmelte sie und beschloss, die Dryade und ihren Baum wirklich in Ruhe zu lassen. Sie tat Leuten weh, ohne es zu bemerken.
Phillis sammelte ihre Speere ein, aber Hagrid rief sie noch nicht zurück, um an ihrem Zaubertrank-Aufsatz weiter zu schreiben und sie wollte jeden Moment in Freiheit genießen.
Ihr Blick glitt hoch zum Himmel und zur Sonne. Oh, wie gerne hätte sie doch Apollo mit einem ihrer Speere durchbohrt, das hätte all ihren Frust gelöst.
Am liebsten hätte sie einen direkt hoch zur Sonne geschickt, aber sie wusste, dass es nicht so einfach war und sie mit einem Wurf niemals die Sonne erreichen könnte, immerhin war sie nicht Herakles und hatte nicht genügend Kraft, um das zu schaffen. Stattdessen würde der Speer einfach nur sehr hoch fliegen, dann wieder hinunter zur Erde fallen und bei ihrem Glück würde sie damit noch jemanden aus Versehen erstechen.
„Lebenskrise oder normale Krise?", fragte plötzlich jemand und Phillis wirbelte erschrocken herum, den Speer zum Angriff bereit in der Hand, aber es war nur Remus.
Sie atmete erleichtert aus, während er erschrocken die Arme gehoben hatte, als er ihre angriffslustige Stellung gesehen hatte, aber nachdem Phillis bei ihm sowieso schon jegliche Hoffnung auf Freundschaft ruiniert hatte, konnte sie mit dem Gedanken leben.
„Was machst du hier?", fragte sie etwas harsch und Remus verzog das Gesicht.
„Entschuldigung... ich sollte wieder gehen", murmelte er eilig, „Ich..."
„'Tschuldigung... ich wollte dich nicht anschnauzen", seufzte Phillis, „Du musst nicht gehen, wenn du das nicht willst."
„Nein, nein, ich sollte dich wohl lieber wieder in Ruhe lassen und...", Remus verstummte.
„Ich sollte wohl lieber gehen... Hagrid wartet auf mich und –"
„Bestimmt bin ich die letzte Person, die du sehen willst", entschuldigte sich Remus und verwirrte Phillis damit.
„Hm... nah, ich hasse dich nicht wirklich... ich wollte dich nicht beleidigen... in Hogsmeade", gestand Phillis und schluckte schwer – Entschuldigungen fielen ihr schwer, „Ich weiß zwar nicht, was ich gesagt habe, aber egal, was dich so aufgeregt hat, es tut mir leid."
Remus runzelte die Stirn und sein Hirn verarbeitete ihre Worte. „Du hast gar nichts gemacht... Ich bin derjenige, der sich wohl entschuldigen sollte..."
Phillis sah ihn verwirrt an. „Natürlich nicht! Remus, ich weiß, dass du an dir selbst am liebsten zweifelst, aber in diesem Fall bist du absolut unschuldig."
„Absolut nicht", bestimmte Remus, „Ich habe es doch an deinem Gesichtsausdruck gesehen! Ich habe etwas gesagt und auf einmal bist du ganz distanziert gewesen und..."
„Weil ich gedacht habe, dass du beleidigt mit mir wärst, weil du so schnell ins Schloss zurückwolltest! Ich bin das schon von anderen gewohnt, du musst nicht so tun, als wäre nichts passiert... ich wollte dir nicht mehr auf die Nerven gehen."
Remus öffnete den Mund, schloss ihn aber verwirrt wieder und überdachte seine Worte noch einmal, bevor er sprach. „Ich... bin verwirrt..."
„Für mich ist alles ganz klar", bemerkte Phillis traurig, „Ich habe das schon ein paar Mal hinter mir... ich mag Leute und freunde mich mit ihnen an... dann sage ich irgendetwas, das sie wohl beleidigt und ich weiß nicht einmal, was ich falsch gemacht habe, aber plötzlich reden sie nicht mehr mit mir und ich muss selbst herausfinden, was ich gemacht habe. Es ist ermüdend, aber... ich bin es schon gewohnt..."
Remus verarbeitete ihre Worte einen Moment lang und fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht. „Ich glaube, ich weiß jetzt, was passiert ist", meinte er seufzend und verwirrte nun Phillis damit.
„Jetzt... bin ich verwirrt..."
„Du hast gedacht, ich wäre beleidigt mit dir und würde nie wieder etwas mit dir zu tun haben wollen", fasste Remus zusammen und Phillis hob eine Augenbraue und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Remus war noch nicht fertig, sondern deutete mit dem Zeigefinger auf sich, „Ich habe dasselbe gedacht... mit dir."
Phillis runzelte verwirrt die Stirn. „Oh...", machte sie, „Also... wir haben beide gedacht, der andere würde uns hassen, aber... eigentlich ist das gar nicht der Fall gewesen?"
„Ich habe einen Vorschlag", schlug Remus vor, „Offenbar neigen wir beide dazu, zu schnell zu Schlussfolgerungen zu kommen, die damit enden, dass wir in einem Kreis aus Missverständnissen gefangen sind."
„Das hast du schön zusammengefasst", kommentierte Phillis amüsiert und Remus verdrehte schmunzelnd die Augen.
„Also... vergessen wir die Peinlichkeit, dass wir die letzten paar Wochen gedacht haben, wir wären keine Freunde mehr und für den Fall, dass wir wirklich irgendwann einmal streiten sollten und wir nichts mehr miteinander zu tun haben wollen, brauchen wir ein Codewort, damit wir wissen, dass wir wissen, dass es nicht wieder nur ein Missverständnis ist."
„Ich hasse dich?", schlug Phillis vor.
„Nah, das hast du schon ein paar Mal zu mir gesagt", erinnerte Remus sie, „Es sollte etwas sein, das wir sonst nicht sagen."
„Ich liebe Schule?"
„Ich mag Schule lieber, als dich!", rief Remus triumphierend, aber Phillis sah ihn nun wirklich beleidigt und empört an.
„Was? Wirklich? Wie kannst du nur?", schimpfte sie außer sich, „So wenig bedeute ich dir? Wirklich?"
„Was? Nein!", beruhigte Remus sie schnell, „Das wird unser Codewort... –satz... was auch immer... Ich mag Schule lieber, als dich!"
„Das würde ich tatsächlich sonst nicht sagen", stimmte Phillis ihm zu.
„Ich auch nicht", versprach Remus, „Also... Sind wir uns einig?"
„Absolut", bestimmte Phillis, „Also... sind wir Freunde?"
Remus lächelte glücklich. „Absolut."
„Wir machen nicht wirklich Fortschritte, oder?", seufzte Lily. Sie war zusammen mit James auf dem Weg in den Gemeinschaftsraum zurück. Sie wusste nicht genau, warum es ein so wichtiger Teil in ihrem Leben geworden war, Remus und Phillis wieder zusammen zu bringen, aber irgendwie hatte sie auch nichts dagegen. Es war ganz nett, Zeit mit James zu verbringen (niemals hätte sie das laut ausgesprochen) und sie erwischte sich dabei, wie sie manchmal absichtlich nach James suchte, um mit ihm Sachen über das streitende Paar zu besprechen.
James seufzte ebenso frustriert von seinem Freund und Phillis. „Das ist schrecklich! Warum sieht jeder, dass sie etwas füreinander empfinden – außer sie selbst?"
„Ich denke, das kommt eben davon, wenn man zwei so selbstzweifelnde Menschen zusammenbringt", meinte Lily humorlos, „Ich hoffe so sehr, dass das in der Zukunft nicht der Fall sein wird."
„Das hoffen wir alle", stimmte James ihr zu und nannte der Fetten Dame das Passwort und überraschte Lily, indem er sie vorließ und dabei vollkommen natürlich war – nicht ein Versuch, mit ihr zu flirten. Er war einfach nur nett.
Lily wartete dafür im Gemeinschaftsraum auf ihn.
„Was tun wir, wenn es nicht funktioniert?", fragte sie ihn zweifelnd, „Was ist, wenn es bei den beiden einfach nicht funktioniert?"
„Dann bringen wir sie eben dazu, dass sie –", James verstummte stirnrunzelnd und blickte auf etwas im Gemeinschaftsraum und Lily folgte seinem Blick und sofort riss sie selbst ungläubig die Augen auf.
Dort waren Remus und Phillis. Sie saßen zusammen auf einem der Sessel, als wäre nie etwas gewesen und Remus erklärte ihr wohl gerade eine Schulaufgabe in einem Buch. Phillis hörte Remus kaum zu – jedenfalls sah es nicht so aus. Sie schien sich Remus' Gesicht lieber einzuprägen, als die Lektion, die Remus ihr im Moment beibringen wollte. Remus spürte wohl den Blick und seine Augen huschten zu Phillis Gesicht, aber während er knallrot wurde, versuchte er noch immer mutig Phillis etwas beizubringen. Er schaffte es nicht lange und mit einer Hand schob er Phillis' Gesicht zur Seite, damit sie ihn nicht mehr ansehen konnte.
„Du lenkst mich ab", maulte er beschämt und Phillis lachte nur, was dazu führte, dass Remus noch roter wurde.
„Wie sollte ich dich ablenken?", fragte Phillis unschuldig und Remus wollte sich verteidigen, aber alles, das er sagen konnte, wäre noch peinlicher für ihn, also grummelte er nur vor sich hin.
„Halt die Klappe", maulte er und brachte Phillis damit noch mehr zum Lachen.
„Sie haben es also ganz alleine geschafft", seufzte Lily etwas sehnsüchtig, als sie die beiden zusammen sah.
„Nah", James schüttelte den Kopf, „Wir haben das geschafft. Wir sind ein wirklich gutes Team!"
Lily wurde rot und brachte beinahe kein Wort heraus. „Klar", keuchte sie dann doch. Mehr brachte sie nicht zustande.
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