T.N.T.

Normalerweise war Apollo kein allzu großer AC/DC-Fan, aber an diesem Morgen machte er wohl eine Ausnahme, denn Phillis wurde von den lauten Klängen von „T.N.T." geweckt.

Ruth war ein sehr großer AC/DC-Fan und als Apollo die Lautstärke etwas herunterdrehte, konnte Phillis die Musik sogar genießen. Das war ein schöner Beginn für einen schrecklichen Tag.

Phillis war sich nicht mehr sicher, was sie dazu bewogen hatte, Muggelkunde zu wählen, aber sie hatte gehofft, es würde ihr etwas mehr helfen. Als sie mit zehn Jahren das erste Mal in die Muggelwelt (Camp Half-Blood) gesteckt wurde, hatte Sara zwar versucht, ihr so viel wie möglich im Voraus beizubringen, aber letztendlich war sie auch nur eine reinblütige Hexe und hatte keine Ahnung von Muggel. Im Camp hatte Phillis dann meistens so getan, als wäre das alles ganz normal für sie und hatte wenig Fragen über Muggel-Gegenstände gestellt. In der dritten Klasse konnten sie Muggelkunde als Wahlfach wählen und Phillis hatte gehofft, das würde ihr im Camp weiterhelfen, stattdessen war es nur ein reinblütiger Professor, der ihnen aus der Zauberersicht von Muggel erzählte und meistens war das genauso weltfremd, wie alles, was Phillis bisher gelernt hatte.

Aber hin und wieder machte ihr der Unterricht Spaß und das waren die Momente, in denen sie etwas wusste. Immerhin waren die fünf Jahre im Camp nicht spurlos an ihr vorbei gezogen und Phillis musste zugeben, dass die Muggel ein paar Dinge hatten, die die Zaubererwelt gerne von ihnen abschauen konnte. Wie zum Beispiel Musik.

Es gab kaum gute Zauberer oder Hexen, die gute Musik produzierten und selbst, wenn sie sangen, so spielten sie die Instrumente selten selbst, sondern hatten sie so verzaubert, dass sie vollkommen oder mindestens teilweise automatisch gespielt wurden.

Es gab keine Zauberer-Version von Elton John, der sich selbst mit dem Piano begleitete und trotzdem noch konzentriert singen konnte; es gab auch keine Mozarts, Beethovens oder Chopins oder Ella Fitzgeralds (Ruth würde sie mit ihrer Gitarre schlagen, aber Phillis musste diese Ausnahmekünstlerin einfach in die Liste aufnehmen von Musikern, die der Zaubererwelt fehlten, obwohl sie eine schreckliche Mutter war) und erst recht keinen Jimi Hendrix (wobei das unfair war, immerhin war dieser ein Sohn des Apollo gewesen).

Als Professor Rosas (eine etwas dickliche Frau mit einem Dauer-Lächeln und Grübchen im Gesicht, sowie einer kindlichen Begeisterung für alles, was mit Muggel zu tun hatte), die Professorin für Muggelkunde also auf ihre Schüler mit ein paar unverzauberten Instrumenten auf sie wartete, erhoffte Phillis sich einen guten Tag.

Es waren ein paar Bongos, ein Triangel, Rasseln, Schellen und – die Krönung von allem – eine Gitarre, die aber schon ziemlich mitgenommen aussah.

Sofort begannen die Schüler aufgeregt zu wispern, immerhin bedeutete das, dass es eine der eher selteneren Stunden im Jahr werden würde, in denen sie nicht nur theoretisch lernen, sondern die Objekte auch tatsächlich benutzen würden (wobei sich die meisten nur darüber freuten, weil das meistens auch bedeutete, dass es keine Hausaufgaben geben würde und sie im Unterricht nichts schreiben mussten).

„Setz euch bitte!", bat Professor Rosas sie alle und die Schüler waren noch immer ziemlich aufgeregt und saßen auf ihren Stühlen ganz vorne, während sie die (für die meisten fremden) Instrumente musterten, aber langsam kehrte Ruhe ein und Phillis setzte sich eher weiter hinten hin.

„Also, Klasse", begrüßte Professor Rosas sie und wirkte ebenfalls aufgeregt, „Wie ich in der letzten Stunde schon angekündigt habe, machen wir heute etwas Amüsantes – wir probieren ein paar Muggel-Instrumente aus. Haben Sie alle die Buchseiten gelesen, die Sie als Hausaufgabe bekommen haben?"

Alle nickten. Phillis nickte auch, obwohl sie es nicht gelesen hatte, aber normalerweise konnte sie sich trotzdem ziemlich durchschummeln.

„Kann mit jemand den Namen dieses Instruments sagen?", fragte Professor Rosas und hob die Gitarre in die Höhe.

Zuerst meldete sich niemand, aber dann hob Stuart Burris aus Ravenclaw doch die Hand, wirkte aber unsicher. Phillis seufzte. So schwer war die Frage gar nicht, aber sie zeigte grundsätzlich nicht während des Unterrichts auf, sonst kamen die Lehrer auch noch auf die Idee, sie zu fordern und in der nächsten Stunde wäre sie wieder eine Enttäuschung. Phillis blieb lieber eine akademische Enttäuschung und glänzte im Quidditch, aber auch musikalisch hatte sie Interessen und Talent. Es juckte sie in den Fingern, nach vorne zu gehen, und die Gitarre selbst zu spielen, aber sie zwang sich, sitzen zu bleiben.

„Eine Gitarre", beantwortete Stuart die Frage und Professor Rosas nickte zufrieden.

„Können Sie mir auch noch erklären, wie man sie spielt?"

Stuart konnte es. „Man... schlägt auf diese Schnüre –"

„Saiten", verbesserte Rosas ihn.

„Genau!", Stuart nickte, „Man... schlägt sie... steht im Buch... oder... zupfen?"

Phillis ließ ihren Kopf auf den Tisch sinken. Diese Stunde würde doch noch anstrengend werden. Diese Idioten hatte absolut keine Ahnung und obwohl Phillis normalerweise jene war, die keine Ahnung hatte, hatte sie im Moment keine Geduld dafür.

„Ganz genau, Mr Burris", lobte Rosas ihn trotzdem, „Warum kommen Sie nicht heraus und probierst sie als erstes?"

Nun sah Phillis doch wieder auf – hätte sie das gewusst, hätte sie die Frage doch beantwortet. Aber dafür war es jetzt zu spät – nervös ging Stuart nach vorne und setzte sich ungelenkig auf den Stuhl, den Professor Rosas bereitgestellt hatte.

Er hielt die Gitarre vollkommen falsch und Phillis lächelte leicht spöttisch. Natürlich hatte sie am Anfang, als Ruth ihr das erste Mal eine Gitarre in die Hand gedrückt hatte, diese ebenfalls falsch gehalten, aber die Kinder des Apollo nahmen sich grundsätzlich das Recht heraus, immer so zu tun, als wären sie perfekt geboren, um niemanden anmerken zu lassen, wie viele Übungsstunden tatsächlich hinter den musikalischen Talenten steckten und nur jene, die die Hornhäute an den Fingern richtig deuteten, wussten, dass sie sich die Finger blutig spielen mussten, bis sie so gut spielen konnten. Phillis hatte besonders in ihrem ersten Jahr im Camp besonders viel geübt und hatte jeden Tag mehrere Stunden mit Ruth Gitarre gespielt. Ruth war eine der wenigen Kinder des Apollo, die tatsächlich eine natürliche Gabe geerbt hatten (so wie Phillis eben ausgezeichnet Bogenschießen konnte und das ohne jegliche Erfahrung oder Übung), Musik zu machen und so lernte sie jedes Instrument in nur wenigen Stunden.

Sie hatte es sich auch zur Aufgabe gemacht, Phillis beizubringen, wie man spielte und Phillis hatte nur allzu gerne zugestimmt. Am Anfang hatte sie es immer nur eine halbe Stunde am Stück geschafft, bis ihre Finger so verkrampft waren, dass sie auch keinen Bogen mehr schießen konnte. Aber das hatten sie dann mehrmals am Tag wiederholt (sie hatten immer gewartet, bis sich ihre Hände erholt hatten und dann weiter geübt) und zwischendurch einmal anderen Unterricht besucht, aber besonders in den frühen Morgenstunden und in der Nacht hatte man Phillis spielen gehört. In den Jahren darauf hatte sie dann ihre Konzentration auf andere Aktivitäten verteilt (Schwertkampf, Heilen, Bogenschießen, Klettern, ...), aber das Musizieren mit Ruth war ihr geblieben. Leider besaß Phillis keine eigene Gitarre – das wünschte sie sich irgendwie, aber gleichzeitig hatte sie Angst davor. Sie wusste nicht, ob sie dann überhaupt noch irgendwo ohne sie hingehen würde.

Stuart zupfe eine Saite und sofort stellte Phillis zwei Tatsachen fest:

1. Stuart konnte nicht spielen und er zupfte die Saite so falsch, dass sie Angst hatte, sie würde reißen und

2. die Gitarre war verstimmt.

Phillis wusste nicht, was schlimmer war, aber das zeigte sich, als Stuart den Bogen ein bisschen raus hatte und das Gespielte zwar einen schöneren Klang hatte, die Gitarre aber so verstimmt war, dass Phillis es in ihrem ganzen Körper spürte. Sie hatte tatsächlich physische Schmerzen, weil das Instrument verstimmt war und bei jedem schiefen Ton pochte ihr Schädel, als würde er zerspringen oder als würde immer wieder jemand mit einem Ziegel dagegen schlagen.

Aber Stuart wirkte zufrieden. Er lächelte leicht und schlug auch etwas mutiger die Saiten an (natürlich vollkommen falsch), aber diese Folge an Tönen waren noch viel Schlimmer, als das Zupfen und Phillis beschloss, dass sie es nicht mehr aushielt.

Sie stand von ihrem Platz auf und als die Schüler das Rücken des Stuhles hörten, drehten sie sich neugierig zu ihr um, aber Phillis ignorierte sie und stapfte nach vorne.

„Miss Dolohow, geht es ihnen –", fragte Professor Rosas besorgt, aber Phillis ignorierte sie, stellte sich breitbeinig vor Stuart hin und blickte ihn finster von oben herab an. Er hatte natürlich aufgehört zu spielen und sah eingeschüchtert nach oben.

Phillis streckte ihre Hand aus. „Gitarre her – hopp!"

Stuart sah einen Moment zögerlich zu Rosas, die wohl zu perplex war, um zu reagieren.

„Hopp!", wiederholte Phillis und Stuart schluckte schwer, bevor er ihr die Gitarre in die Hand drückte und mit einer Handbewegung scheuchte Phillis ihn von dem Stuhl weg und setzte sich selbst.

Sie legte die Gitarre auf ihren Beinen ab und zog ihre Kette hervor.

An einem schwarzen Lederband, das sie jederzeit, jeden Tag zur jeden Stunde trug, waren die berühmten Perlen von Camp Half-Blood aufgefädelt. Sie hatte fünf davon.

Aber nicht nur das – daran hing auch noch ein Weihnachtsgeschenk von ihrer Mutter, ein Plektrum und ein Begrüßungsgeschenk von Hütte sieben – eine goldene Stimmgabel.

Geschickt löste Phillis die Stimmgabel von der Schnur und schlug sie am Stuhl an und schloss die Augen, um sich auf den Ton konzentrieren zu können, als Rosas diesen Moment wählte, um einzuschreiten.

„Miss Dolohow, ich weiß nicht, was in Sie –"

„Shh!", machte Phillis scharf und sie musste nicht einmal die Augen öffnen, um zu wissen, dass die Professorin sie empört ansah, aber sie musste diese Gitarre stimmen oder sie drehte noch durch.

Phillis zupfte die E-Saite und hörte auf den verstimmten Ton. Mit den Wirbeln veränderte sie die Länge der Saiten. Sie schlug die Stimmgabel noch einmal an und hörte auf den Ton und dann hörte sie sich den Ton der Saite an und sie war zufrieden. Ruth wäre vermutlich überhaupt nicht zufrieden damit gewesen und hätte die Gitarre so verstimmt nicht einmal berührt, aber für den Moment reichte es.

Mit der ersten gestimmten Saite war es leichter, die anderen fünf zu stimmen und Phillis schlug alle Saiten an, um dem Klang zu lauschen und er war gut genug.

Phillis stand auf und hielt Professor Rosas die Gitarre wieder hin. „Bitte", sagte sie, „Jetzt ist sie wieder gestimmt – so kann man ja nicht Gitarre spielen!"

„Ohh!", machte Rosas und wirkte nun überhaupt nicht mehr beleidigt oder empört, sondern begeistert, „Ohhh, Sie können Gitarre spielen, Miss Dolohow?"

Phillis sah unsicher auf die Gitarre in ihrer Hand, dann wieder zu Rosas. Unsicher nickte sie.

„Spielen Sie uns doch bitte etwas vor!", bat sie mit ihrer typischen kindlichen Begeisterung, bei der Phillis einfach nicht „Nein" sagen konnte und seufzend setzte sie sich wieder auf den Stuhl.

Ruth hatte ihr so einige Lieder beigebracht – Lieder, die man beim Lagerfeuer können sollte, aber auch welche aus der Welt der Sterblichen, besonders von ihren Lieblingsbands.

Ruth liebte Queen und AC/DC und wie der Zufall es wollte, war Phillis von „T.N.T." von ihnen aufgeweckt worden, als wäre es ein Zeichen gewesen.

Es klang seltsam, es auf einer akustischen Gitarre zu spielen, aber es erinnerte Phillis ans Camp und an Lagerfeuer und an Ruth und ihre anderen Geschwister und sie verlor sich in der Musik. Es war beinahe so meditativ, wie Extremsport, wobei sie sich beim Sport selbst so auspowerte, dass sie keine Energie mehr zum Denken hatte, während sie bei Musik jeden Gedanken darauf fokussieren konnte.

Sie summte leise mit der Musik mit und in ihrem Kopf sang Bon Scott.

Sie spielte den letzten Ton und ließ ihn ausklingen, bevor sie zurück in die Realität fand und beinahe schon überrascht war, als sie in einem Klassenraum war und nicht im Camp.

Ihre Schulkameraden sahen sie verwundert an. Rosas sah sie verwundert an. Es klingelte und Phillis legte die Gitarre nur allzu gerne zurück und schnappte sich einfach nur schnell ihre Sachen, um schnell fliehen zu können.

Beinahe schon bereute sie es, gespielt zu haben, aber gleichzeitig hatte es eine Ruhe gebracht, die sie für diesen Tag brauchen würde. Vielleicht würde sie ihre Mutter fragen, ob sie eine Gitarre zu Weihnachten bekommen könnte oder sie schickte einfach den Flügel, der bei ihnen zu Hause stand.

Vielleicht würde Musik helfen, den Stress zu reduzieren. Wenn nicht, dann konnte Phillis Leute mit der Gitarre immer noch schlagen.

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