Selbstzweifel und Melancholie im Angebot

Es war immer ein unangenehmes Gefühl für Phillis, wenn sie Recht hatte, ohne es gewollt zu haben und in letzter Zeit passierte ihr das leider viel zu oft.

Sie hatte von Ruths Tod geträumt, hatte gewusst, dass sie ihren Tod vorhergesehen hatte, hatte sich einreden lassen, dass es nicht wahr war und hatte sich selbst eingeredet, dass es niemals sein konnte, dass Ruth starb und dann... war es doch passiert.

Genauso hatte sie gedacht, sie könnte tatsächlich eine Freundschaft halten. Sie war noch nie sonderlich gut darin gewesen, Freunde zu haben und das zeigte sich wohl auch darin, dass sie eigentlich nicht wirklich gleichaltrige Freunde hatte.

Laertes war ihr Freund und der war fast zehn Jahre älter und außerdem konnte Phillis sich nicht wirklich sicher sein, ob er so tat, als wären sie befreundet, weil er mit ihrem großen Bruder verheiratet war und außerdem irgendwann einmal ihr Hüttenältester gewesen war (nur für eine kurze Zeit, in der Apollo sie noch nicht anerkannt hatte und sie deswegen in der Hermes-Hütte gewesen war). Ruth war ihre Freundin gewesen, aber genauso wie Marty war sie gleichzeitig Familie und sie waren beide einige Jahre älter als Ruth. Vielleicht war Birget eine Freundin, aber Phillis hatte sie eigentlich erst durch Ruth besser kennengelernt und davor hatten sie nie wirklich viel zu tun gehabt – ganz im Gegenteil eigentlich: Sie hatten bei Erobere-die-Flagge-Spielen häufig als Gegner agiert. Vielleicht war Hagrid ihr Freund. Konnte ein Halbriese (eigentlich ein natürlicher Feind von Demigöttern), der zudem noch einige Jahrzehnte älter war, als Phillis wirklich ihr Freund sein? Irgendwie glaubte Phillis, die Antwort auf diese Frage wäre schlichtweg: Nein.

Zusammengefasst konnte man also sagen, dass Phillis nie wirklich Freunde gehabt hatte. Stattdessen hatte sie sich immer an ältere geklammert und sich eingebildet, sie wären ihre Freunde.

Jetzt, da Phillis beinahe bewegungslos (sie tippte mit ihren Fingern zur Melodie von „Somebody To Love" von Queen) auf ihrem Bett lag und über ihr Leben philosophierte, erkannte sie, wie erbärmlich sie eigentlich war.

Fünfzehn Jahre alt, ohne Freunde und ohne Sozialleben, außerhalb von ihrer toten Schwester und ihrer Mutter. Der Inbegriff von erbärmlich. Bedauernswert. Schändlich. Abscheulich. Deprimierend.

Und irgendwann einmal hatte Phillis gedacht, Remus wäre ihr Freund, aber natürlich musste sie das auch wieder ruinieren. Eigentlich ziemlich eingebildet und naiv von ihr, zu denken, jemand wie Remus würde eine Freundschaft mit ihr in Betracht ziehen.

Nicht, dass Remus sonderlich unhöflich oder gemein wäre, aber sie lebten nun einmal in zwei verschiedene Welten. Phillis war nicht sonderlich intelligent... Remus schon. Normalerweise stießen sich diese beiden Gegenteile ab – niemand, der intelligent war wollte etwas mit jemanden zu tun haben, der einfach nur so dumm war wie Phillis.

Es war ganz nett gewesen, mit ihm in den Drei Besen zu gehen, zu frühstücken und sich zu unterhalten. Es fiel Phillis leicht, sich mit ihm zu unterhalten – Remus hatte einfach so eine Art. Ruth hatte auch diese Art gehabt, deswegen hatte sie jeder gemocht, nur war Ruth zusätzlich dazu auch noch charismatisch und extrovertiert gewesen, also hatte sie keine Schwierigkeiten gehabt, Freunde zu finden. Remus war wohl eher introvertiert und blieb lieber im kleinen Kreis, aber wenn man ihn erst einmal kannte, fielen die Unterhaltungen leicht.

Hätte Phillis irgendjemanden als ihren Freund in Hogwarts bezeichnen müssen, Remus wäre es gewesen.

Aber natürlich war er nie ihr Freund gewesen. Natürlich auch nicht ihr Feind, aber eben auch kein Vertrauter. Nur jemand, der ihr mit den Hausaufgaben geholfen hatte. Phillis hätte Abstand wahren müssen.

Sie wusste nicht einmal wirklich, was sie falsch gemacht hatte, aber sie wusste, dass sie wohl irgendetwas gesagt hatte, das Remus aufgeregt hatte.

Auf einmal hatte er es eilig gehabt, den Drei Besen zu verlassen und zurück zum Schloss zu gehen. Vermutlich hatte er nur so viel Abstand zwischen sich und Phillis bringen wollen, wie möglich.

Es war nichts Neues für Phillis, Chancen auf Freundschaft zu ruinieren. Es gab Gründe, warum die meisten Mädchen in ihrem Jahrgang und auch die Jungs nichts mit ihr zu tun haben wollten. Sie war einfach zu seltsam – zu anders.

Kinder spürten, wenn jemand anders war. Sie hatten einen sechsten Sinn dafür und wenn ein Kind einmal den Fehler machte, aus der Reihe zu tanzen, kam es nie wieder in die Gruppe zurück.

Wage konnte Phillis sich daran erinnern, wie sie in der ersten Klasse einmal vor Wut und Frustration Slughorn angeschrien hatte. Es musste wohl ein gruseliger Anblick gewesen sein, denn von diesem Tag an hatte keiner in ihrem Jahrgang noch mit ihr gesprochen.

Bis auf Emmeline. Emmeline war nett... und hatte an diesem Tag in Zaubertränke gefehlt, deswegen hatte sie das Chaos nicht persönlich mitangesehen, sondern nur die Gerüchte gehört, was damals aber schon Grund genug für sie gewesen war, ebenfalls nicht mehr mit Phillis zu sprechen. Phillis nahm es ihr nicht übel.

Sollte man auf die Idee kommen, mit dem ausgeschlossenen Kind zu sprechen, war die Konsequenz ebenfalls der Ausschluss von der Gruppe und Phillis hätte sich niemals verziehen, wenn Emmeline wegen ihr ebenfalls keine Freunde gefunden hätte. Wenigstens sprach sie jetzt hin und wieder mit ihr.

Die letzten Jahre in Hogwarts waren einsam gewesen, bis auf die Besuche bei Hagrid. Hagrid hatte immer verstanden, dass nicht jeder sanft und behutsam sein konnte. Phillis war impulsiv und... zu viel. Hagrid hatte das verstanden und ihr eine Umgebung geschaffen, in der sie so grob und rau sein konnte, wie sie wollte.

Sie könnte zu Hagrid gehen... vielleicht würde sie sich dann besser fühlen.

Ihr Blick fiel auf ihren Bogen. Ihre Wut bei Monsterjagten herauszulassen klang zwar etwas extrem, aber es war genau das, was sie eigentlich im Moment brauchte. Vielleicht könnte Hagrid sie in den Verbotenen Wald mitnehmen.

Birget hatte ihr auch nahegelegt, ihre Speerwurf-Technik zu üben. Sie hatte keinen Speer, aber sie könnte sich einen schnitzen. Hagrid könnte helfen.

Früher oder später sollte sie auch wieder einmal ein Schwert in die Hand nehmen – das Übungsschwert, das sie besaß, war zwar nicht wirklich ausbalanciert und Phillis hasste es, mit dem Schwert zu kämpfen, aber sie sollte ihre Fähigkeiten nicht auf etwas begrenzen, das so vergänglich war, wie Bogenschießen. Man hatte einen Köcher voll mit Pfeilen, aber wenn diese erst einmal aufgebraucht waren, war es vorbei.

Phillis verließ sich immer auf einen zweiten Köcher.

Phillis suchte nach der Kraft, aufzustehen, aber sie fand sie nicht.

Sie fand nur Energie – viel zu viel davon, aber sie fand nicht die Kraft, diese auch zu nutzen oder loszuwerden. Sie lag einfach nur im Bett und starrte hinauf, während sie sich innerlich unruhig und hibbelig fühlte. Sie wollte sich bewegen, aber dafür brauchte sie Kraft.

Sie kannte dieses Gefühl: es war nicht das erste Mal, dass ihr das passierte. Schon häufiger war sie von Schwermut überkommen worden und die Folgen waren meist ein Tag im Bett gewesen (damals, als Phillis noch ohne schlimmere Konsequenzen schwänzen konnte) und einer schlaflosen Nacht, in der sie dreimal so produktiv war, ohne es zu wollen. Beide extreme waren nicht direkt angenehm. Es war ein schreckliches Gefühl, wenn die Glieder so schwer waren, dass man nicht einmal mehr aufstehen konnte, um etwas zu essen, aber genauso schlimm war es, wenn man dann so sehr auf etwas fixiert war, dass man einfach vergaß zu essen.

Nicht einmal, als jemand an der Tür zum Schlafsaal klopfte und eintrat, richtete Phillis sich auf und sie hörte, wie die Person, die gekommen war, erst einmal verunsichert an der Tür stehenblieb und dann langsam näherkam.

„Phillis?", fragte die Person und Phillis erkannte an der Stimme, dass es Lily Evans war (eine Überraschung, wenn Phillis das so sagen durfte), „Schläfst du?"

Phillis überlegte einen Moment lang, ob sie so tun sollte, als würde sie schlafen, entschied sich aber dagegen. „Nein."

Lily blieb wieder stehen – nahe Phillis' Bett. Vermutlich wartete sie darauf, dass Phillis sich irgendwie aufsetzte, aber selbst dafür reichte ihre Kraft nicht aus. Wenn Phillis in Schwermut verfiel, ließ man sie am besten einfach in Ruhe.

Plötzlich hörte Phillis leises Kichern von Lily und verwirrt drehte sie den Kopf gerade weit genug zur Seite, um Lily zu sehen, die versuchte mit hochrotem Kopf eine ernste Miene zu ziehen.

„Entschuldigung, ich wollte nicht lachen", meinte sie peinlich berührt, „Ich sollte auch nicht lachen, aber... Remus liegt gerade genau so in seinem Bett, wie du."

Hätte das Phillis aufheitern sollen?

„Entschuldigung", seufzte Lily etwas ernster, „Ich meine damit nicht, dass das deine Schuld ist– Es ist nur gerade eine wirklich seltsame Situation..."

„Warum?", fragte Phillis verwirrt und runzelte die Stirn.

Lily seufzte und lachte trocken. „Deine Freunde sind nur etwas in Panik, weil sie nicht genau wissen, was passiert ist, Remus macht sich selbst Vorwürfe und sagt die ganze Zeit, dass er keine Freundschaft verdient hat und Peter hat Hunger, aber niemand will mit ihm in die Große Halle gehen, um zu Mittag zu essen."

Phillis verzog das Gesicht. „So ziemlich alles, was du erwähnt hast, ist Unsinn."

„Wow", Lily lachte, „Danke?"

Phillis seufzte und drehte ihr Gesicht wieder der Decke zu, bevor sie eine Hand hob und mit ihren Fingern Lily vorzählte. „Erstens: Sie sind meine Freunde? Wirklich? Ich glaube eher nicht... Zweitens: Remus sollte sich nicht die Schuld geben, immerhin habe ich ihn beleidigt und Drittens: Warum sollte niemand mit Peter in die Große Halle gehen? Fällt das Mittagessen aus? Streiten Leute sich nicht jeden Tag? Warum sollten alle alles stehen und liegenlassen, um Remus zu trösten?"

Lily war einen Moment lang still. „Also...", machte sie, „Ich glaube, ich habe eine andere Version von der Geschichte gehört, als eigentlich passiert ist."

„Ich weiß nicht einmal, was passiert ist –", seufzte Phillis frustriert.

„Oh, dann kennen wir doch dieselbe Version", freute Lily sich.

„Bist du gekommen, um Remus zu rächen und mich für ihn fertig zu machen oder brauchst du etwas?", fragte Phillis sie etwas frustriert, „Ich bin nämlich ziemlich müde und wünschte mir, ich könnte schlafen."

Lily war wieder einen Moment lang still, kam dann langsam näher und Phillis spürte, wie sie sich auf ihr Bett setzte. Phillis reagierte, indem sie Lily ihren Rücken zudrehte und nun auf die gegenüberliegende Wand blickte.

„Hey", Lily sprach ruhig, wie mit einem wilden Tier oder einem Kind, „Ist alles in Ordnung?"

„Offensichtlich nicht", bemerkte Phillis trocken.

„Ja... 'Tschuldigung", murmelte Lily beschämt, „Doofe Frage..."

Lily wurde wieder ruhig und Phillis konnte sich nahezu vorstellen, wie Lily panisch nach einer Methode suchte, sie zu trösten.

„Remus hat mir die Sachen gegeben, die du letzte Woche verpasst hast", sagte Lily stattdessen und legte etwas auf Phillis' Nachtkästchen.

„Es ist nett, dass er sie mir trotzdem noch gibt", meinte Phillis leise, ohne Lily anzusehen, „Danke... und... sag auch ihm danke."

„Mach ich", Lily war wieder kurz still, „Wenn du... Hilfe damit brauchst, dann –"

„Nein, danke", unterbrach Phillis sie, „Ich werde das auch alleine schaffen. Man muss mich nicht wie ein Baby behandeln."

Lily nickte, obwohl Phillis das nicht sehen konnte.

„Klar... sonst... melde dich einfach bei mir", bot Lily an, „Und... auch wenn du einfach jemanden zum Reden brauchst... ich meine... ich bin Vertrauensschülerin und sonst hört dir bestimmt auch Professor McGonagall zu oder... sonst jemand..."

Phillis antwortete ihr nicht, also nahm das Lily als Zeichen dafür, dass sie jetzt wohl lieber gehen sollte.

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