Rhapsodie

Phillis klopfte sieben Minuten zu spät an Professor McGonagalls Tür und sie lauschte, ob die Stimme ihrer Lehrerin genervt oder wütend war, aber stattdessen schien McGonagall das schon erwartet zu haben und bat sie ruhig und gefasst wie immer hinein.

„Bitte, setzen Sie sich, Miss Dolohow", bat McGonagall sie und eher widerstrebend schlich sich Phillis zu dem Platz ihrer Professorin gegenüber, die sich an ihrer Mimik nicht anmerken ließ, was sie von ihrer Schülerin im Moment hielt.

„Entschuldigen Sie sie Verspätung", versuchte Phillis sich zu entschuldigen.

„Miss Dolohow, wenn Sie pünktlich gekommen wären, wäre ich vermutlich davon ausgegangen, jemand würde Sie mit einem Vielsafttrank imitieren", bemerkte McGonagall streng, „Also... konzentrieren wir uns auf Ihre Zukunftspläne?"

Das Gespräch, auf das sich kein Schüler in Hogwarts freute, aber sie alle mussten da durch – das Gespräch mit dem Hauslehrer vor den ZAGs, um sich zu orientieren, welche Jobmöglichkeiten einem zur Verfügung standen.

Kaum jemand wusste mit fünfzehn oder sechzehn schon, was man sein restliches Leben arbeiten wollte – Himmel, manche wussten es nie.

Phillis jedenfalls hatte sich noch kaum Gedanken darüber gemacht.

Letztes Jahr waren ziemlich viele Kinder des Apollo gestorben und obwohl Phillis zuvor schon einmal mit Tod und Leid konfrontiert worden war, so war ihr da vor Augen geführt, welches Schicksals vermutlich auch ihr bevorstand: Ein viel zu früher, schmerzvoller Tod.

Ruth hatte bewiesen, dass keiner von ihnen sicher war – jahrelang war sie sicher im Camp gewesen und ein einziger Auftrag hatte sie umgebracht. Phillis wollte nicht wissen, ob ihr erster Auftrag sie umbringen würde, aber es würde sie nicht mehr wundern.

Sie würde im Sommer sechzehn werden, aber irgendwie kam ihr das surreal vor – sie war dann schon ziemlich alt. Älter, als viele ihrer Geschwister geworden waren und vermutlich auch älter, als Chiron es ihr zugetraut hatte.

Er hatte ihr häufig nahegelegt, im Camp zu leben – sie war eine relativ „mächtige" Tochter des Apollo (natürlich nicht wirklich ein Kind der Großen Drei oder so) und das zeigte sich immer dann, wenn sie amerikanischen Boden berührte und sofort wieder von Monstern begrüßt wurde, die sie umbringen wollten (während sie in Irland und Hogwarts sicherer war). Aber Phillis war bei ihrer Mum geblieben und sie konnte sich auch in der Zukunft nicht vorstellen sie einfach so für immer zu verlassen und Amerika war ziemlich weit weg.

Irgendwann traf jeder Demigott das Monster, das er nicht besiegen konnte.

Warum also sollte Phillis sich Sorgen um ihre Zukunft machen? Andere planten ihr restliches Leben und dachte an die nächsten Jahrzehnte – Phillis fragte sich, ob sie den nächsten Sommer überleben würde. Sie hatte sich eben schon damit abgefunden, dass sie nicht erwachsen werden würde – wenn man wenig vom Leben erwartete, wurde man nicht enttäuscht. Sie hatte sich mit dem Gedanken abgefunden, dass sie viel zu früh sterben würde und wenn sie dann (hoffentlich) im Elysium endete, wäre sie enttäuscht, dass sie so viele Jahre noch geplant hatte und keinen ihrer Pläne umsetzen hatte können.

Da lebte Phillis lieber nur bis zum nächsten Tag und war immer wieder von Neuem überrascht, dass sie wieder einen Sonnenaufgang miterleben konnte.

„Ich habe keine Zukunftspläne", antwortete Phillis ihrer Hauslehrerin ehrlich.

„Haben Sie sich noch keine Gedanken darüber gemacht, was Sie nach der Schule machen wollen?", fragte Professor McGonagall überrascht (aber nicht so überrascht, wie sie es vermutlich bei anderen Schülern gewesen wäre), „Sie müssen doch Ideen haben – egal, wie unerreichbar sie scheinen."

Ich würde gerne erwachsen werden.

„Ich denke nicht gerne an meine Zukunft", gestand Phillis und verzog ihr Gesicht – das Gespräch war ihr jetzt schon viel zu unangenehm.

„Wollen Sie für immer in Hogwarts bleiben?", fragte McGonagall wohl scherzhaft gemeint.

Absolut nicht! Das wäre ein Albtraum! Ich will die Schule eigentlich so schnell wie möglich verlassen!

Phillis schüttelte den Kopf.

McGonagall seufzte (das taten Erwachsene ziemlich oft in ihrer Nähe). „Nun... was ist Ihr Lieblingsfach?"

Ich hasse sie alle.

„Vermutlich Wahrsagen", antwortete Phillis und bemerkte amüsiert, dass McGonagall mit dieser Aussage überhaupt nicht zufrieden war. Es war kein Geheimnis, dass Professor McGonagall nicht viel von Wahrsagen hielt."

„Was ist mit Quidditch?", schlug McGonagall vor.

„Hat jemand wie ich überhaupt eine Chance, in ein Team zu kommen?", fragte Phillis nun vielleicht doch ein wenig hoffnungsvoll. Professor McGonagall präsentierte ihr gerade Pandora und Phillis fiel auf sie herein.

„Wenn überhaupt jemand eine Chance hat, dann Sie", bestimmte McGonagall sicher.

„Danke." Phillis war etwas überrascht von diesen Worten.

„Natürlich ist eine solche Karriere immer mit Vorsicht zu verfolgen", warnte McGonagall ernst, aber wohl zufrieden damit, dass sie doch noch Phillis' Aufmerksamkeit erlangt hatte, „Sport ist nicht beständig – der Körper ist vergänglich. Eine einzige Verletzung, eine Krankheit oder einfach nur Scheitern könnte Ihre Existenz gefährden."

„Klingt perfekt für mich, oder nicht?", meinte Phillis amüsiert.

„Allerdings", stimmte McGonagall ohne zu zögern, „Besonders, da es keine abgeschlossenen UTZ-Noten bedarf, ein professioneller Quidditch-Spieler zu sein. Bitte nehmen Sie es nicht beleidigend auf, Miss Dolohow –"

„Das könnte ich nicht."

„– aber schon seit Jahren weiß ich, dass Ihre Talente nicht in den akademischen Studien der Schule liegen."

„Das habe ich schon immer gewusst", stimmte Phillis ihr gelassen zu.

„Wollen Sie sich nicht trotzdem einen Notfall-Plan überlegen, sollte das mit der Quidditch-Karriere nicht funktionieren?", schlug McGonagall beinahe schon hoffnungsvoll vor, als könnte sie kaum darauf warten, all ihre Broschüren für Jobs auszupacken.

„Das könnte sich als schwierig erweisen, nachdem ich absolut nicht vorhersehen kann, welche und ob ich überhaupt ZAGs bestehe", gestand Phillis unsicher, „Ich versuche zwar, so viele wie möglich zu bestehen, aber..."

„Ein Plan könnte Sie motivieren", ermutigte McGonagall sie.

„Meine derzeitige Motivation ist, dass ich nächstes Jahr wieder nach Hogwarts muss, um den Pokal auch noch ein zweites Mal zu gewinnen", bemerkte Phillis ehrlich und grinste verschmitzt.

„Noch haben Sie den Pokal nicht, Miss Dolohow", erinnerte Professor McGonagall sie.

„Aber so gut wie", winkte Phillis ab, „Ich bin positiv, dass wir ihn dieses Jahr gewinnen."

„Verschreien Sie es lieber nicht!", warnte McGonagall sie beinahe schon panisch, immerhin wollte auch die Hauslehrerin, dass das Team ihres Hauses gewann und Phillis' Selbstvertrauen war ihr nicht ganz geheuer. Lieber man unterschätzte den Feind nicht – in diesem Fall die unschuldigen, freundlichen Hufflepuffs.

„Keine Sorge, Professor", versprach Phillis, „Ich habe einen Plan."



Die Osterferien wurden nicht nur von den Fünft- und Siebtklässlern benutzt, um zu lernen, bevor die Prüfungen anstanden, aber es waren hauptsächlich diese beiden Stufen, die man stundenlang an den Tischen in der Bibliothek oder den Gemeinschaftsräumen finden konnte.

Es war jedes Jahr wieder eine wundervolle Zeit – Angstgeruch verpestete die Luft, hin und wieder begann irgendjemand spontan zu weinen, Bücher, Aufsätze und andere Schulmaterialien wurden frustriert durch die Gegend geworden und jeder keifte sich nur noch gegenseitig an, weil alle absolut gestresst und überarbeitet waren.

Remus erinnerte sich nur ungern an diese Zeit zurück und es kam ihm wie Jahre vor (es war eigentlich nur ein Jahr her), dass er seine ZAGs geschrieben hatte und in den Osterferien zuvor voller Panik bemerkt hatte, dass er schon viel früher hätte lernen anfangen sollen.

Diese Panik, wenn man eine Mitschrift von einem alten Thema fand und sich schlichtweg nicht mehr daran erinnern konnte. Es war, als hätte Remus nie davon gelernt und panisch hatte er stundenlang jegliches Wissen zusammengetragen, das um dieses Thema handelte.

Sirius und James waren da immer etwas entspannter gewesen – mit der Mentalität, dass alles, das wichtig war noch immer in ihren Hirnen gespeichert war, hatten sie kaum gelernt und nur das alte Wissen mit einmal durchlesen aufgefrischt. Irgendwie hatte es trotzdem funktioniert.

Peter hingegen... nun, Peter war eine andere Geschichte gewesen. Er hatte ungefähr zwei Wochen nach Remus mit dem Lernen begonnen und er hatte bemerkt, dass er schon viel, viel früher hätte beginnen müssen. Remus hatte dann innerhalb von wenigen Tagen alles regelrecht in Peters Gehirn geprügelt und letztendlich waren sich doch noch vier ZAGs für Peter ausgegangen.

Jedenfalls erschauderte Remus beim Gedanken, die ZAGs noch einmal schreiben zu müssen und er war ganz froh, dass die UTZ noch in der Zukunft lagen. Noch hatte er ein Jahr lang Zeit, um sich darüber Sorgen machen zu können.

Es wäre einer seiner größten Albträume, wenn er erfahren würde, dass er die ZAGs wiederholen müssten – deswegen verstand er Phillis auch ganz wunderbar.

Phillis hatte mit dem Teufel einen Deal abgeschlossen, als sie Remus versprochen hatte, dass sie die Osterferien über für die ZAGs lernen würden – so viel wie möglich – und Remus nahm dieses Versprechen ernst und tat alles, um Phillis so viel Wissen einzuprügeln, wie in einer so kurzen Zeit (und einer so kurzen Aufmerksamkeitsspanne wie der von Phillis) nur möglich war.

Es war nicht immer einfach, einen ausgeglichenen Lernplan zu erstellen – eigentlich war es für Remus unmöglich. Phillis war viel zu impulsiv, viel zu spontan und viel, viel zu unvorhersehbar, um auch nur irgendeinen Plan für sie zu erstellen, also musste Remus sie beobachten und die Anzeichen erkennen, wann Phillis einfach nur eine Pause wollte (das konnte an schlechten Tagen schon nach fünf Minuten sein) und wann sie wirklich eine brauchte (das konnte an schlechten Tagen schon nach fünf Minuten sein).

Jeder Tag war anders – es war sogar jede Stunde, Minute und Sekunde anders. Bei manchen Themen konnte Phillis mehrere Stunden konzentriert arbeiten, aber ein anderes Mal war sie eine höllische Nachhilfestudentin und zappelte nur unkonzentriert und desinteressiert herum.

An solchen Tagen musste Remus sich mehrmals daran erinnern, dass Phillis das nicht machte, um ihn zu ärgern und es brauchte unendlich viel Geduld, um das zu überstehen. Manchmal, wenn Remus nach einem besonders schlimmen Tag vollkommen fertig und erschöpft in seinem Bett lag, fragte er sich, warum er sich das alles antat, aber irgendwie fühlte es sich einfach richtig an, Phillis bei etwas zu helfen, das sie selbst nicht so gut konnte. Er wollte sie einfach nur unterstützen – ob das Liebe war?

An manchen Tagen war Phillis überdreht und hyperaktiv – dann zappelte sie selbst in ihren „ruhigen" Momenten und Remus fragte sich, ob sie mehr als einen Liter Kaffee intus hatte (oder eine Tonne Zucker); an manchen Tagen waren dunkle Ringe unter ihren Augen und sie war so müde, dass alles an ihr in Zeitlupe zu funktionieren schien. Remus mochte Phillis lieber, wenn sie herumzappelte.

Remus mochte Phillis lieber, wenn sie herumzappelte, auch, wenn es für ihn anstrengender war, nachdem Phillis an besonders schlimmen Tagen überhaupt nicht stillsitzen konnte und auch nicht wirklich bereit war, irgendetwas zu lernen.

Sie brauchte dann immer mehr Pausen, als an anderen Tagen und in diesen Pausen war sie immer in Bewegung und nachdem das Wetter nun wirklich warm wurde, konnten sie auch wieder ohne Probleme Zeit außerhalb des Schlosses verbringen (nicht, dass Phillis sich jemals von so etwas Banalem wie Kälte aufhalten ließ).

„Komm schon, Remus!", rief Phillis ihm mit einer kindlichen Begeisterung zu, die wirklich niedlich wäre, wenn Remus nicht gerade Probleme damit hätte, ihr hinterher zu kommen.

Phillis rannte direkt vor ihm die Stufen der Großen Treppe hinunter, wobei sie keine einzige Stufe an sich berührte, sondern über das Treppengeländer balancierte. Es sah wirklich riskant aus, aber wenn Remus jedes Mal einen Herzinfarkt hätte, wenn Phillis etwas Riskantes machte, hätte er mehrere an einem Tag.

„Ich verbringe... so viel... Zeit... mit dir", keuchte Remus völlig außer Atem, „aber... ich komme... dir trotzdem nicht... hinterher!"

„Remus, du bist ein alter Mann", bemerkte Phillis neckisch und Remus sah sie empört an.

„Bitte? Ich bin nur ein Jahr älter als du!"

„Aaaaalt!", grinste Phillis.

„Phil, das ist –"

„Aaaalt!"

„Phil, du bist –"

„Aaaalt!"

„– kindisch!", vollendete Remus seinen Satz endlich und er hatte genau eine Sekunde, bevor er seinen Fehler erkannte und er seufzte, als Phillis laut zu lachen begann und einen Arm um seine Schulter legte.

„Ach, Remus – wenn man erst einmal so alt ist, wie du, dann ist vermutlich jeder kindisch", neckte sie ihn.

„Ich bereue gerade, jemals mit dir gesprochen zu haben", grummelte Remus, „Ich hasse dich."

„Ich weiß", grinste Phillis frech, „Aber gib's doch zu – du stehst drauf."

„Weiß du was, Phil, ich werde dich –", wenn Remus gedacht hatte, er könnte Phillis einfach austricksen und sie eventuell in den Schwitzkasten nehmen, hatte er sich getäuscht. Flink wie eine Maus huschte sie unter seinem Arm hindurch und stand aus schon zwei Meter entfernt, frech grinsend und mit einem herausfordernden Blick in ihren Augen.

„Zu langsam, alter Mann", spottete Phillis, „Netter Versuch."

Remus verdrehte die Augen, grinste aber ebenfalls amüsiert von Phillis. Es war irgendwie erfrischend – als könnte Remus in solchen Momenten alles andere um sich herum vergessen.

Es war unwichtig, dass Remus ein Werwolf war; eine Gefahr für alle, mit denen er zu tun hatte; ein schreckliches Monster. Es war unwichtig, wie gestresst Remus von dem Gedanken an Krieg außerhalb von Hogwarts war. Es war unwichtig, welche Sorgen Remus sich um seine Familie und seine Freunde machte.

Wichtig war dann nur noch Phillis. Phillis, wie sie lachen konnte, obwohl Krieg herrschte und sie bestimmt mehr darüber Bescheid wusste als Remus. Phillis, wie sie trotz Schlaflosigkeit noch immer voller Energie war und diese herauslassen musste und damit Remus zwang, ebenfalls die Tische in Gemeinschaftsraum und Bibliothek zurück zu lassen und nach draußen zu gehen – jedes Mal, wenn Remus wieder ins Freie gezogen wurde, erinnerte er sich daran, wie sehr er das vermisst hatte. Die Nähe zur Natur.

Phillis machte süchtig, das hatte Remus schon erkannt und er hatte sich gefragt, ob es vielleicht schädlich für ihn war, weiterhin mit Phillis zusammen zu sein, aber dann war ihm aufgefallen, dass es vielleicht eine gute Sucht war.

Es war nicht wie die Kaffee- oder Zuckersucht von Phillis (oder der eher unangenehmen und peinlichen Brot-Sucht von Peter im zweiten Jahr, die lieber jeder vergaß und sie sich geschworen hatten, nicht mehr zu erwähnen). Vielleicht war es eine gute Sucht, wenn es so etwas überhaupt gab.

Eigentlich tat Phillis ihm nämlich gut.

Vielleicht war es wie Phillis' Verlangen nach Bewegung – ständig, andauernd, so oft wie möglich. Letztendlich war es gut für sie, aber sie konnte kaum „leben" ohne Bewegung und Sport.

Denn in Phillis' Nähe konnte Remus vergessen, dass er ein Monster war – es wurde schlichtweg unwichtig und nebensächlich. Nur ein nerviger Gedanke im Hintergrund seines Hirns.

Da waren ihm die ewig-präsenten Gedanken rund um Phillis viel lieber als die Gedanken voller Selbstmitleid, Selbstzweifel und Angst.

Wenn Phillis jegliche negativen Gedanken fortscheuchen konnte, wie schlecht und schädlich konnte sie dann für Remus sein?

Wie sollte sie dann die Sonne sein, die seine Flügel schmolz?

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