Phillis verhandelt mit einem Kobold

Sie brauchten nur elf Stunden und trotzdem war es irgendwie wirklich frustrierend, in der Früh loszugehen und erst am Abend anzukommen und dann trotzdem nicht wirklich näher ans Ziel gekommen zu sein.

Sie mussten also mehr oder weniger sofort wieder das Lager aufschlagen und fielen beinahe in ihre Betten – diese Nacht war Phillis an der Reihe mit ausschlafen und sie wurde erst zu Sonnenaufgang von Apollo geweckt.

Inverness war eine eher größere Stadt (im Gegensatz zu den Orten, an denen sie sonst immer waren) am Rand von einem Stück Land, wo das Meer weiter vorgedrugen war und obwohl sie das Meer selbst nicht als solches erkannten, war die Luft salziger und roch nach Fisch, wie man es von Stränden kannte. Es gab auch eine größere Auswahl an Restaurants (und nicht nur ein einziges Café) und auch Lebensmittelläden, also füllten sie erst einmal ihre Vorräte auf und gönnten sich ein besseres Frühstück (mit echtem Kaffee!) in einem Restaurant.

Dort fragten sie auch wieder nach den Wölfen und fanden zufällig eine Kellnerin, die ihnen ganz genau alles über diese Geschichte erzählen konnte und so erfuhren sie auch, dass die Wölfe eine Kuh umgebracht hatten und dass auch ein Mann verschwunden war, aber man hatte diese Vorfälle noch nicht im Zusammenhang bringen können.

Es waren keine Kinder verschwunden – die Kellnerin sah Phillis zwar etwas verstört an, als sie das sagte und auch Houdini und Pirro, aber Phillis suchte nach dem Ursprung ihres Traumes und fragte sich, ob sie die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft in ihrem Traum gesehen hatte.

Leider erfuhren sie auch, dass das letzte Mal vor einer Woche ein Wolf gesehen worden war und da war es auch nicht sicher, ob es wirklich ein Wolf gewesen war, nachdem es nur ein großer Schatten im Gebüsch gewesen war – der Augenzeuge war weggerannt, bevor er näheres sehen konnte.

Später gingen sie noch bei einem Kiosk vorbei und während sie in Zeitungen nach Beweisen für Werwölfe in der Nähe suchten (vielleicht noch mehr Morde, Vermisstenanzeigen oder Leute, die sich plötzlich seltsam verhielten), fragten sie auch beim Verkäufer, aber dieser konnte ihnen nicht mehr sagen als die Kellnerin.

In den Zeitungen fanden sie auch nichts neues und nach den Berichten in Inverness, schienen die Wölfe wie vom Erdboden verschwunden und erfolglos verließen sie den Laden wieder (nachdem Houdini höflicher Weise noch ein paar Schokoriegel gekauft hatte (nach denen er wohl seit neuestem süchtig war), um dem Verkäufer gegenüber nicht ganz so unhöflich zu sein (es war Phillis' Idee gewesen).

Vor dem Kiosk stand am Straßenrand eine Art Hotdog-Stand – erst auf dem zweiten Blick fiel Phillis auf, dass dort aber kein Fast-Food verkauft wurde, sondern stattdessen Zeitschriften und kleiner nutzloser Krimskrams und auf dem dritten Blick fiel Phillis auf, dass dort kein Mensch als Verkäufer stand, sondern stattdessen ein Kobold.

Mit einer alt aussehenden Schirmkappe auf dem Kopf, unter dem seine großen Ohren hervorlugten und einem Polohemd sah er überhaupt nicht wie einer der Kobolde aus, die Phillis bisher eher in Gringotts gesehen hatte. Mit der Motivation eines pubertierenden Teenagers lehnte er sich faul an den Stand und wartete wohl nur noch auf Feierabend (oder seinen Tod – je nachdem, wie verzweifelt er wirklich war).

„Wir brauchen wohl einen Plan B", schlug Houdini vor, ihm war der Stand mit dem seltsamen Verkäufer wohl nicht aufgefallen, „Vielleicht sind sie außerhalb von Schottland und haben sich in Irland oder so abgesetzt – alles ist möglich. Wir sollten unsere Suche ausweiten. Vielleicht sollten wir auch nur hier in der Nähe –"

„Ihr beide geht zum Lager zurück, ich muss noch schnell etwas erledigen", unterbrach Phillis ihn gedankenverloren und Houdini und Pirro sahen sie beide seltsam an.

„Ist das eine gute Idee?", fragte Pirro nervös, „Erinnerst du dich noch an Perth? Wären wir nicht getrennt gewesen, hätte diese Situation ganz anders aussehen können."

Pirro sprach natürlich von der Situation mit den Todessern, die Phillis noch immer nicht ganz verstand und das noch immer ein ziemliches Rätsel für sie darstellte – vielleicht sollte sie auch lieber dieser Spur nachgehen?

Aber im Moment sollte die die Werwolf-Spur und ihren Traum von einem (wahrscheinlich) Werwolfangriff nicht komplett fallenlassen.

„Es wird nicht lange dauern", versprach sie, „Nur... eine halbe Stunde – höchstens! Ich komme gleich nach, versprochen! Ich brauche nur... einen Moment... Privatsphäre."

Das war wohl ein magisches Wort, denn Houdini und Pirro sahen sich an und nickten. Dagegen sagten sie nichts mehr, aber Houdini warnte sie, dass sie, sollte Phillis nicht in höchsten einer Dreiviertelstunde zurück sein, sie nach ihr suchen würde – wenn nötig auch mit Polizeigewalt.

Dagegen hatte Phillis nichts und sie wartete, bis ihre beiden Begleiter außer Sichtweite waren, bevor sie sich dem Zeitungsstand näherte.

Wie sie vermutet hatte, gab es dort keine Muggel-Zeitungen und -Zeitschriften zu kaufen, sondern jene der Zauberer und zum Glück auch die neueste Ausgabe des Tagespropheten.

„Hey", begrüßte sie den Kobold lächelnd und versuchte sich an ihren Geschichtsunterricht zu erinnern, bei dem sie auch irgendwann gelernt hatte, wie man möglichst höflich mit einem Kobold sprach, aber sie hatte bei Binns meistens geschlafen und damit das meiste verpasst – inklusive des Nützlichen. „Äh... ich habe eine Frage."

„Fünf Knut pro -prophet", schnauzte der Kobold, „Ein Sickel für eine Hexenwoche."

„Ein Sickel? Das ist doch –", Phillis konzentrierte sich wieder, „Also... ich brauche nur einen Tagespropheten, habe aber gerade kein Zauberergeld bei mir... Glauben Sie, ich könnte –"

„Nein."

„Aber ich –"

„Nein."

„Ich will doch –"

„Nein."

Phillis seufzte geschlagen und öffnete noch einmal den Mund.

„Nein."

„Nehmen Sie auch kein Muggelgeld?", fragte Phillis ein wenig verzweifelt, „Oder Sie schreiben eine Rechnung – ich bin eine Dolohow, wir können Sie bezahlen, ich bräuchte nur –"

„Nein."

Phillis sackte enttäuscht in sich zusammen, bis ihr eine letzte Möglichkeit einfiel.

Aus ihrem Rucksack kramte sie eine Goldene Drachme heraus und hielt sie dem gelangweilten Kobold unter die Nase, der sofort überhaupt nicht mehr gelangweilt aussah.

„Das ist doch –", stammelte er und wollte danach greifen, aber Phillis zog die Drachme ganz schnell wieder weg und schmunzelte triumphierend.

„Nein."

Dieses Mal seufzte der Kobold, aber egal, wie sehr er versuchte, gelangweilt auszusehen, er wirkte doch sehr gierig – Phillis sah es in seinen Augen. „Also... ein Tagesprophet?"

„Ein Tagesprophet und Informationen", verhandelte Phillis, „Das ist mehr wert als nur fünf Knut."

„So viel jetzt auch wieder nicht", winkte der Kobold ab, aber als Tochter des Apollo erkannte Phillis, dass er log und sie grinste breit.

„Das ist gelogen – bestimmt ist dieses Gold viel wert und die Tatsache, dass es auch noch magisch ist... bestimmt ist es eine Menge wert."

Der Kobold erkannte wohl, dass er Phillis nicht so einfach betrügen konnte, also gab er sich geschlagen.

„Okay – eine Zeitung und eine Information", bot er an.

„Eine Zeitung und die Informationen, die ich brauche", verlangte Phillis, „Ansonsten finde ich bestimmt einen anderen Laden, bei dem –"

„Nein!", unterbrach der Kobold sie eilig, „Mit diesem Gold könnte ich endlich diesen dämlichen Laden hinter mir lassen! Vielleicht lassen sie mich dann auch in die Bank zurückkehren! Ich brauche das!"

„Und ich brauche vielleicht mehr als eine Information – ich kenne euch Kobolde doch. Du gibst mir eine kryptische Antwort, die mir nichts bringt und für dich ist der Handel abgeschlossen! Ich bin doch nicht erst gestern geboren!", lachte Phillis spöttisch.

Der Kobold funkelte sie böse an. „Das ist ziemlich diskriminierend von dir."

Phillis zuckte gleichgültig mit den Schultern. „So ist das Leben."

Der Kobold musterte sie, als würde er sich überlegen, ob er doch nicht irgendwie schaffte, sie umzubringen und das Gold ohne Gegenleistung zu bekommen, aber er erkannte wohl, dass das bei Phillis aussichtslos war und er gab sich geschlagen.

„Okay... ein Tagesprophet und Informationen... Was willst du wissen?", er streckte die Hand aus und Phillis schüttelte sie grinsend.

„Ausgezeichnet – ich will wissen, ob in letzter Zeit hier in der Nähe ein Werwolfsrudel gesichtet worden ist."

„Nein", der Kobold sah sich nervös um, „Warum? Hast du welche gesehen? Wenn das so ist, muss ich in eine andere Stadt – mit Werwölfen will ich nichts zu tun haben!"

„Nein, deswegen frage ich", beruhigte Phillis ihn genervt.

„Du kennst dich wohl nicht aus", spottete der Kobold, „Im Vereinigten Königreich gibt es eigentlich keine Rudel mehr – jedenfalls keine, die bekannt sind. Nicht einmal Gerüchte oder Erzählungen. Die werden vom Ministerium sofort zerschlagen, seit gemunkelt wird, dass sich die Werwölfe Du-Weißt-Schon-Wem angeschlossen haben."

Das war nicht wahr – jedenfalls nicht alle Werwölfe. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Remus einer von ihnen war und dass das Zaubereiministerium sofort alle Werwölfe in einen Topf warf, fand sie unfair, aber sie hatte gerade andere Probleme

„Sind dann irgendwo sonst in Schottland oder auch England auffällige Vorfälle gewesen, die auf Werwölfe schließen lassen?", fragte sie weiter.

„Nur in Aberdeen – schon wieder ein getötetes Kind", winkte der Kobold gelangweilt ab, als würde es ihn überhaupt nicht interessieren, dass ein Kind gestorben war, „Schon wieder dieser eine Werwolf, der sich in letzter Zeit schon einen ziemlichen Namen im Zusammenhang mit Du-Weißt-Schon-Wem gemacht hat... wie hieß er noch gleich?" Der Kobold zog einen Tagespropheten zu sich und blätterte ein wenig herum, bis er einen Artikel fand. „Greyback! Genau! Ein Werwolf namens Greyback wurde in den letzten paar Monaten häufig im Zusammenhang mit verschwundenen, verletzten oder ermordeten Kindern gebracht. Er arbeitet wohl für Du-Weißt-Schon-Wen."

Das waren für Phillis neue Informationen und sie schaute sich den Bericht an, erkannte aber schnell, dass sie ihn nicht so einfach lesen konnte, wie Muggelzeitungen (Zauberer bestanden auf eine elegante und extravagante Schrift, die es Phillis mehr oder weniger unmöglich machte, etwas zu lesen), also ließ sie es lieber bleiben und fragte weiter.

„Und er wurde das letzte Mal in Aberdeen gesehen?", fragte sie interessiert.

„Nun... nicht direkt gesehen, sonst hätte sich das Ministerium wohl schon um ihn gekümmert", bemerkte der Kobold, „Nein... aber es hat in den letzten zwei Wochen auffällig viele verschwundene Rotzbengel von Zauberern dort gegeben – Aberdeen ist ja eine Zauberer-Stadt mit mehr Zauberern als Muggel."

Phillis nickte – davon hatte sie schon gehört. „Danke, damit kann ich arbeiten", sie warf dem Kobold die Drachme zu, der sie gierig auffing und Phillis schnappte sich den Tagespropheten, „War schön, mit Ihnen Geschäfte zu machen."

Der Tagesprophet war noch nie Legastheniker-freundlich gewesen und obwohl Phillis sich danach noch auf eine Parkbank setzte und versuchte, aus dem Artikel noch mehr Informationen zu sammeln, konnte sie nur wenige Minuten lang ein paar Buchstaben zusammensetzen und dann meldeten sich schon wieder ihre Kopfschmerzen, also riss sie den Artikel einfach heraus und warf die restliche Zeitung weg.

Es war eine absolute Verschwendung gewesen, eine ganze Drachme für die paar Informationen und eine nutzlose Zeitung herzugeben und hätte Phillis einfach nur ein paar Zauberer-Münzen bei sich gehabt, dann hätte sie den normalen Preis zahlen können, aber sie hatte sich scheinbar komplett von der Zaubererwelt abgeschottet und trug nicht einmal einen Zauberstab bei sich.

Sie kam noch vor der von Houdini auferlegten Deadline zurück zum Zeltlager und ihre beiden Begleiter erwarteten sie schon.

„Da bist du ja endlich!", begrüßte Houdini sie streng, „Hast du etwas herausfinden können?"

„Wir müssen nach Aberdeen und dort einen freilaufenden Werwolf finden", erzählte Phillis.

Houdini und Pirro sahen sie schräg an.

„Einfach so?", fragte Pirro, „Woher weißt du das?"

„Spezielle Phillis-Magie", log Phillis zum Teil, „Bitte... fragt einfach nicht nach. Wir suchen aber offenbar nach einem Anhänger von Lycaon – ein Mann namens Greyback, der das letzte Mal in Aberdeen vermutet worden ist."

„Also... ich verstehe das gerade überhaupt nicht mehr", gestand Pirro verwirrt, „Wo ist diese allwissende Erzähler-Stimme, wenn man sie braucht? Ich brauche eine Zusammenfassung von dem, was passiert ist!"

„Aberdeen?", wiederholte Houdini, der mittlerweile ziemlich geübt darin war, bei Phillis keine Fragen zu stellen, „Das ist... mehrere Tagesreisen entfernt!"

„Ich habe keine andere Spur", gestand Phillis, „Wir haben nur das – wollen wir ihr trotzdem nachgehen?"

Sie sah Houdini und Pirro an, aber eigentlich blieb ihnen nichts anderes übrig und sie nickten.

„Okay... also nach Aberdeen", seufzte Pirro, „Können wir dieses Mal den Bus nehmen? Tagelang zu Fuß gehen klingt doch anstrengender, als es sein sollte..."

Phillis und Pirro blickten beide zu Houdini, der geschlagen seufzte.

„Na gut, aber nur ein Stück weit", schlug er einen Kompromiss vor, „Unser Geld reicht nicht für mehr und wir sollten auch noch an Rückreisen denken."

„Wenn wir das überleben", murmelte Phillis – nach den letzten Abenteuern war sie sich da nicht mehr so sicher.

„Klar überleben wir das!", rief Pirro selbstsicher und schlug Phillis kräftig auf den Rücken, „Was sollte schon passieren?"

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