Mummy liebt dich

Phillis war mit dem Flugzeug zurück nach Irland geflogen und ihre Mutter hatte sie vom Flughafen abgeholt.

Sie hatten kaum miteinander gesprochen – hauptsächlich, weil sie beide nicht sicher waren, wie sie anfangen sollten und deswegen wechselten sie bis auf Begrüßungsworte kein Wort miteinander, bis Sara sie nach Hause appariert hatte.

Phillis stellte ihre Tasche auf dem Boden neben der Eingangstür ab und nahm sich vor, sie später in ihr Zimmer zu bringen, wusste aber, dass sie es vergessen und aufschieben würde. Im Moment war ihr das egal.

Phillis war überrascht gewesen, als Sara ihr mitgeteilt hatte, dass sie nach den drei Tagen im Camp nun auch noch zwei Tage zu Hause verbringen konnte. Phillis hatte sich gefragt, ob das wirklich so klug war, nachdem sie sowieso schon schlecht in der Schule war und im ZAG-Jahr wohl jeder Tag und jede Unterrichtsstunde zählte, aber Sara hatte darauf bestanden, dass sie sich noch etwas Zeit nahm und erst zum Wochenende zurück nach Hogwarts ging, damit sie dann die verpasste Arbeit nachholen konnte und nicht sofort wieder in den Schulalltag geworfen wurde.

Phillis konnte sich kaum vorstellen, einfach so wieder in die Schule zurück zu kehren, obwohl es erst wenige Tage her war, seit sich alles verändert hatte und gleichzeitig gar nichts.

Eigentlich hatte Phillis Ruth immer nur in den Sommern gesehen und bis auf wenige Briefe hatten sie außerhalb des Camps kaum Kontakte zueinander gehabt. Die Versuchung war groß, einfach zu vergessen, dass Ruth gestorben war, aber Phillis wusste, dass Vergessen feige wäre und so wollte sie Ruths Andenken nicht beschmutzen.

„Willst du auch einen Kaffee?", fragte Sara ihre Tochter vielleicht eine Spur zu heiter, aber sie wusste eben nicht, wie sie sonst reagieren sollte. Phillis schien nur noch in Zeitlupe zu funktionieren und ihre Bewegungen wirkten weniger energiegeladen und viel ruhiger, als Sara sie jemals erlebt hatte. Es gefiel ihr nicht, ihre Tochter so zu sehen.

„Klar", meinte Phillis und Sara atmete erleichtert aus.

Wenn Phillis Kaffee annahm, war wenigstens nicht alles schlecht. Sie hatte dann noch nicht jede Lebenshoffnung verloren.

Sara ging in die Küche, um Kaffee zu kochen, während Phillis ziellos im Haus herumirrte. Ruth, Laertes und Birget hatten nur die Weihnachtsferien mit ihr verbracht, aber doch konnte Phillis nicht anders, als ihr Kindheitshaus (in dem sie meist allein mit ihrer Mum gewesen war) nun mit demselben geordneten Chaos zu verbinden, wie das Camp. Es war seltsam, dass es wieder so ruhig war und niemand herumschrie, lachte oder schnarchte.

Ihre Mutter warf in der Küche etwas hinunter und fluchte laut wie ein Seemann und schon fühlte Phillis sich etwas wohler und weniger gezwungen, Ordnung zu halten wie in Hogwarts.

Ihr Blick fiel auf das Klavier und ihre Brust zog sich zusammen, als sie daran dachte, dass sie das letzte Mal mit Ruth darauf gespielt hatte.

Es war dumm von ihr, leblose Gegenstände nun als Tabu zu kennzeichnen, nur, weil Ruth es irgendwann berührt hatte. Ruth hatte ihr auch beigebracht, mit Pfeil und Bogen umzugehen und trotzdem hatte sie nicht jedes Mal das Gefühl in Tränen auszubrechen, wenn sie ihren Bogen ansah oder ihn in die Hand nahm.

Als Sara mit zwei Tassen Kaffee ins Wohnzimmer kam, starrte Phillis noch immer auf das Klavier und schien in ihrer eigenen Gedankenwelt gefangen zu sein. Sara kannte das von ihrer Tochter – manchmal starrte sie einfach vor sich hin und es war nutzlos, dann mit ihr zu sprechen oder zu erwarten, dass sie zuhörte. Andererseits waren das früher in ihrer Kindheit die wenigen Momente gewesen, in denen Sara einen Moment Ruhe hatte genießen können.

Sara stellte die Tassen also auf dem Couchtisch ab und setzte sich auf das Sofa, während sie geduldig darauf wartete, dass Phillis bereit war, wieder in die reale Welt zurück zu kehren und als wieder Bewegung in Phillis kam und sie sich blinzelnd aus ihrem Gedankengang befreite, waren Minuten vergangen.

Überrascht bemerkte Phillis ihre Mum auf dem Sofa. „Ich hab dich gar nicht kommen sehen", gestand sie.

„Du bist auch nicht hier gewesen, um es zu bemerken", sagte Sara lächelnd, „Dein Vater hat es dir geschenkt."

„Was?", fragte Phillis verwirrt.

„Das Klavier", Sara nickte zum Klavier, auf das Phillis gestarrt hatte, „Es ist von deinem Dad."

Phillis schnaubte unzufrieden und funkelte das Klavier an, als wäre es schuld an Ruths Tod. „Ein Grund mehr, es zu zerstören und aus dem Haus zu werfen."

„Gibst du Apollo die Schuld?", fragte Sara.

„Was?"

„Gibst du Apollo die Schuld an Ruths Tod?", wiederholte Sara die Frage und Phillis schluckte.

Sie konnte ihrer Mutter nicht mehr in die Augen sehen und richtete ihren Blick lieber wieder hasserfüllt auf das Klavier. Sie antwortete nicht, aber das war Antwort genug für Sara.

„Es war niemals seine Absicht", sagte sie ruhig, „Bestimmt wollte er genauso wenig, dass Ruth stirbt, wie du."

„Woher willst du das wissen?", zischte Phillis scharf und tief im Inneren wusste sie, dass sie ihre Mutter mit ihren Worten verletzen würde, aber gleichzeitig konnte sie sich nicht selbst aufhalten, „Du kennst ihn doch nicht! Apollo war nur der größte Fehler deines Lebens und ich bin das Resultat! Du hast keine Ahnung davon, also tu nicht so, als hättest du eine, du dumme Heuchlerin!"

Sara reagierte nicht sofort auf die scharfen Worte ihrer Tochter. Es war nicht das erste Mal, dass Phillis etwas zu ihr sagte, das sie verletzte und es würde bestimmt auch nicht das letzte Mal sein. Als junge Mutter hatten sie diese Worte manchmal hart getroffen und sie war sehr verletzt gewesen, hatte sich selbst und ihre Fähigkeit als Mutter hinterfragt und Zweifel waren aufgekommen, aber mit der Zeit hatte Sara verstanden, dass es niemals Phillis' Absicht war, ihr wehzutun, aber sie war manchmal eben zu impulsiv, um die verletzenden Worte hinunter zu schlucken.

„Komm her", bat Sara sie und breitete die Arme aus, als sie Phillis lächelnd dazu einlud, sich zu ihr zu setzen und Phillis traten Tränen in die Augen, als sie zu spät realisierte, dass sie ihre Mutter mit ihren Worten verletzt hatte und sie schüttelte beschämt den Kopf.

Sie hatte Saras Liebe nicht verdient und ihr wäre es lieber gewesen, wenn ihre Mum sie angeschrien und sie in ihr Zimmer geschickt hätte, statt ihr Liebe zu zeigen, als würde sie sie dafür belohnen, dass Phillis sie beleidigt hatte.

„Bitte", bat Sara ihre Tochter gutmütig lächelnd, „Ich würde dich gerne umarmen, ich hab dich nämlich lieb."

Weinend fiel Phillis ihrer Mutter in die Arme und Sara hielt sie einfach nur fest und strich ihr über den Rücken, während sie ihrer Tochter erlaubte, ein Kind zu sein und zu weinen.

„Shh", machte Sara beruhigend und hielt Phillis fest, „Alles ist gut. Es ist nichts passiert."

„Es tut mir leid, Mum", schluchzte Phillis herzzerreißend, „Es tut mir leid!"

„Ich weiß, Baby", sagte Sara ruhig, „Und das ist die Hauptsache. Alles ist gut."

Sara gab Phillis einen Moment noch Zeit, bis sie sich beruhigt hatte, bevor sie Phillis ihre Tasse mit Kaffee reichte und Phillis nahm sie sie allzu gerne an.

Nirgendwo war der Kaffee so gut, wie zu Hause.

„Es hat eine Zeit gegeben, in der ich tatsächlich gedacht habe, der größte Fehler meines Lebens wäre es gewesen, mit Apollo zusammen zu sein", gestand Sara, „Nicht, weil er mich geschwängert hat und meine Familie absolut durchgedreht ist, als sie das erfahren haben... nein..." Sara drückte Phillis an sich. „Als du gerade einmal ein oder zwei Monate alt gewesen bist, ist ein Zyklop in unser Haus eingebrochen – mitten in der Nacht. Ich bin alleine mit dir zu Hause gewesen und plötzlich habe ich deine Schreie aus deinem Zimmer gehört und ich bin sofort zu dir geeilt und... ich habe den Zyklopen umgebracht mit Zaubern und einem Küchenmesser... und ich habe dich die restliche Nacht einfach nur gehalten und habe geweint, selbst, als du schon wieder eingeschlafen bist, als wäre nichts passiert. Am Morgen ist Apollo vorbeigekommen und er hat mich mit dir gefunden – damals ist er noch regelmäßig vorbeigekommen und... wir sind vermutlich noch zusammen gewesen. Ich habe ihm erzählt, was passiert ist und seine Reaktion..." Sara lachte trocken auf. „Er hat sich gefreut – offenbar ist es ein Zeichen von Macht, wenn ein Demigott wie du schon so früh von Monstern verfolgt wird."

„Was hast du dann gemacht?", fragte Phillis, ungläubig, dass ihre Mutter tatsächlich so etwas wie eine Beziehung mit ihrem Dad gehabt hatte und das selbst nach ihrer Geburt – sie hatte also irgendwann einmal so etwas wie einen Vater gehabt.

Sara lachte. „Ich habe Apollo angeschrien. Ihn gefragt, ob er wahnsinnig ist und ich habe ihn aus meinem Haus gescheucht", Sara lachte ein bisschen panisch, „Kannst du dir das vorstellen? Ich habe mit einem Gott Schluss gemacht."

„Krass", bemerkte Phillis amüsiert – sie selbst hätte vermutlich zu viel Respekt vor den Göttern und Sara hatte damals schon gewusst, dass Apollo ein Gott war.

„Damals habe ich gedacht, mit Apollo zusammen zu sein wäre der größte Fehler meines Lebens gewesen, immerhin habe ich dadurch dich bekommen und Apollo hat mich schon vor deinen Geburt vor Monstern gewarnt, aber erst in dieser Nacht habe ich realisiert, dass es wirklich sein konnte, dass mein Baby starb, einfach nur, weil ihr Vater ein Gott war", Sara holte zitternd Luft, „Ich habe Apollo verflucht, habe ihm gesagt, er soll mir oder dir nie wieder zu nahe kommen und einige Zeit habe ich gedacht, er würde sich tatsächlich daran halten."

„Gedacht?", fragte Phillis nach.

„Einmal hast du mitten in der Nacht zu schreien begonnen und ich bin schon aufgestanden, aber dann hast du schon wieder aufgehört", erzählte Sara, „Ich bin natürlich trotzdem in dein Zimmer gegangen und da war schon Apollo und hat dir eine Gute-Nacht-Lied vorgesungen."

Das klang surreal für Phillis. Es passte nicht mit ihrer negativen Vorstellung von Apollo zusammen, in der er absolut schlecht und ein grauenvoller Vater war.

„Oder als dich die Raben angegriffen haben", erinnerte sich Sara, „Ich bin panisch gewesen und habe mir dann erst einmal einen Schluck Feuerwhiskey gegönnt – nur als Beruhigung. Ich habe die Raben weggebracht, damit keiner unserer Nachbarn auf falsche Ideen kam, als mir aufgefallen ist, dass ich schon lange nichts mehr von dir gehört habe, aber als ich wieder ins Haus gegangen bin, habe ich nur Klaviermusik gehört und im Wohnzimmer stand plötzlich dieses hier –", Sara zeigte auf das Klavier, „– und Apollo saß mit dir auf dem Schoß da und spielte mit dir."

Phillis wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Es war im Moment so, als würde sich ihre gesamte Weltanschauung als eine Lüge herausstellen.

„Als du fünf oder sechs Jahre alt gewesen bist, haben die Besuche aufgehört", gestand Sara und klang nun wieder etwas verbittert und traurig, „Ich weiß nicht, warum – vielleicht wollte er nicht, dass du dich an ihn erinnerst. Ich will also nicht sagen, dass Apollo perfekt ist – das ist niemand", Sara drückte Phillis an sich, „Apollo ist auch kein perfekter Vater oder sonst irgendetwas und er hat seine Fehler, das wissen wir beide, aber als ihn gesehen habe, wie er dir ein Schlaflied vorgesungen hat und du sofort ruhig geworden bist – da habe ich aufgehört zu glauben, dass er ein Fehler gewesen ist. Und du bist das Beste, das in meinem Leben passiert ist. Natürlich war es nicht immer einfach – das ist es nie, wenn man ein Kind alleine aufziehen muss, aber keinen Moment lang habe ich bereut, dich bekommen zu haben, Phillis. Ich hab dich nämlich so, so lieb!"

„Ich hab dich auch lieb, Mum", sagte Phillis und Sara drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Ich weiß, Baby – und nichts kann das ändern."

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