Marty verstört Menschen und findet neue Freunde (und das an einem Tag)

Das Begräbnis von Lilys Eltern war seltsam für James Potter.

Die meisten Anwesenden waren Muggel (eigentlich beinahe alle, wenn man sich ihre Kleidung ansah), aber trotzdem erblickte James immer wieder ihm bekannte Gesichter, die er aber nicht ganz zuordnen konnte. Er wusste nur, dass ihm dieser Mann mit den Narben im Gesicht und die Frau mit den kurzen Haaren sehr bekannt vorkamen, aber er wusste nicht mehr, woher.

Die Särge waren geschlossen und Lily starrte die ganze Zeit über mit verweinten Augen darauf.

James selbst hatte Mr und Mrs Evans nicht so kennengelernt, wie er es sich vielleicht gewünscht hätte. Er war in den Weihnachtsferien als Begleitperson bei der Hochzeit von Petunia Evans gewesen, Lilys Schwester, und davor auch ein paar Mal bei der Familie, aber die Zeit war zu kurz gewesen, um sie wirklich zu kennen.

Nach der Zeremonie blieben James und Lily allein in der Kirche zurück und Lily ging vor zu den Särgen. James folgte ihr stumm und beobachtete sie vorsichtig, um in ihrem Gesicht zu erkennen, wann sie ihn wieder brauchte, aber bis dahin blieb er einfach in ihrer Nähe, damit sie wusste, dass er immer für sie da sein würde.

„Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit mit ihnen verbracht", murmelte Lily leise und nahm James' Hand, „aber im letzten Sommer war ich zu sehr mit dem Krieg beschäftigt und in den Weihnachtsferien mit der Hochzeit... ich wünschte, ich hätte –"

„Wir sollten nicht an die Zeit denken, die hätte sein können", sagte plötzlich jemand hinter ihnen mit sanfter Stimme, „Denken wir lieber an die Zeit, die wir gehabt haben und erfreuen uns an diesen wahren Erinnerungen."

Lily und James drehten sich um, ein wenig überrascht, immerhin hatten sie gedacht, sie wären allein zurückgeblieben. Vor ihnen stand ein Mann mit längeren, blonden Haaren, die er aber zusammengebunden hatte und anders als alle anderen Trauergäste trug er cremeweiße Leinenkleidung – eine weiße, weite Leinenhose mit einem ebenso weißen Leinenhemd. Um den Hals trug er einige Medaillons und Amulette und dazu noch Sandalen. Auf seiner Nase saß eine Sonnenbrille mit dunklen Gläsern.

Eigentlich sah er absolut fehl am Platz für ein Begräbnis aus, aber gleichzeitig hatte James das Gefühl, als wäre niemand passender für so einen Anlass gekleidet. Das Weiß hatte etwas Elegantes und gleichzeitig nüchternes, als würde er nicht die Dunkelheit, sondern das Licht des Todes symbolisieren wollen.

Wie schon bei anderen kam es James so vor, als müsste er diesen Mann kennen.

„Ich kenne sie", erkannte Lily ihn misstrauisch, „Sie kennen Phillis. Sie sind... Marty!"

Marty lächelte leicht. „Der bin ich in der Tat – freut mich, dich wieder zu sehen, wenn auch bei einem eher bedrückenden Anlass."

„Was wollen Sie hier?", fragte James misstrauisch und seine Hand griff langsam nach seinem Zauberstab – nur zur Sicherheit.

„Ich bin hier, um Daisy und Michael Evans ein letztes Mal zu ehren – sie sind als Helden gestorben", antwortete Marty ihm ruhig.

„Was wissen Sie von ihrem Tod?", fragte Lily, begierig, Antworten zu bekommen, „Niemand will mir etwas sagen und ich habe sie nicht einmal ein letztes Mal sehen dürfen."

Marty verzog kurz das Gesicht. „Du willst sie nicht noch einmal sehen, Kleines", murmelte er und deutete auf das Foto, das benutzt worden war, „erinnere dich lieber so an sie. Das ist besser für dich."

„Woher wissen Sie das?", fragte James weiter – ihm war dieser Mann sehr suspekt.

„Ich habe sie untersucht", erzählte Marty, „Ich war einer der Ärzte, die die Leichen inspiziert haben – natürlich habe ich dafür etwas tricksen müssen, aber wir mussten sicher sein, dass die Todesursache magisch bedingt war."

„Sie sind also wirklich ermordet worden?", fragte Lily ungläubig – sie hatte es vermutet, aber lieber wäre es ihr gewesen, dass es sich um einen Unfall gehandelt hätte, wie ein Muggel-Arzt ihr mit bedächtiger Miene erzählt hatte.

Marty nickte und schob seine Sonnenbrille etwas höher. „Letztendlich ist es der Todesfluch gewesen, der sie umgebracht hat."

„Letztendlich?", fragte James nach.

Marty richtete seinen Blick auf James und sagte einen Moment lang gar nichts. „Stell keine Fragen, deren Antwort du nicht hören willst – glaube mir, belass es einfach dabei."

James schluckte schwer. Lily war ganz bleich geworden und Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Das ist alles meine schuld", hauchte sie, „Es ist, weil ich eine Muggelgeborene bin – meine Eltern wurde zu einem Ziel, weil die Todesser Leuten wie mich verabscheuen und meine Eltern haben dafür sterben müssen!"

„Das ist nicht wahr", korrigierte Marty sie ruhig, „Der Grund ist weitaus komplexer und vielleicht kann ihn dir jemand in der Zukunft erklären."

„Warum nicht jetzt?", fragte Lily begierig, „Wenn es einen Grund gibt, warum meine Eltern so sterben mussten, dann will ich ihn wissen."

„Das wäre im Moment noch zu gefährlich", sagte Marty nur schulternzuckend, „Leben stehen auf dem Spiel und wir haben es mit einer wirklich sehr heiklen Angelegenheit zu tun. Sehr viele Leute arbeiten an dieser Problematik, damit es nicht zu noch mehr Opfern kommt und schon eine winzige Störung in diesem Rhythmus könnte zu einer Katastrophe führen, verstehst du das?"

Lily nickte etwas eingeschüchtert. Marty sah wie ein Mensch aus, der niemals ernst war – umso verstörender wurde es, wenn er wirklich ernst sprach, so wie in diesem Moment.

„Aber ich verspreche dir, Lily Evans –" Marty legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter und irgendwie strahlte er eine Wärme und Ruhe aus, die Lily wirklich das Gefühl von Geborgenheit gab, „– wir werden dir alles sagen, das du wissen kannst und sollst. Sobald sich diese Geschichte weiterentwickelt, wirst du die Wahrheit erfahren. Habe Geduld – du rettest damit vielleicht Leben."

„Ja... okay", versprach Lily leise.

Marty lächelte und James meinte dieses Lächeln irgendwie zu kennen, aber es wollte ihm einfach nicht einfallen, woher.

„Kannst du... kannst du mir sagen, ob meine Schwester in Gefahr ist?", fragte Lily, „Petunia ist... schwierig, aber ich liebe sie immer noch und sie und ihr Ehemann, Vernon... wenn ihnen etwas passiert..."

„Sie werden schon bewacht", versprach Marty, „Genauso wie du – wir haben ein Auge auf euch. Ich muss ehrlich mit dir sein, Lily, die Gefahr ist wahrscheinlich noch nicht vorbei."

„Aber wie ist es überhaupt dazu gekommen?", fragte Lily und schniefte, „Ich... ich habe doch nichts getan, das die Todesser verärgert hätte, oder? Ich... ich bin doch noch immer eine Schülerin!"

„Es war eine Abfolge von Ereignissen, die dazu geführt hat", erklärte Marty kryptisch, „Ein missverstandener Satz, fanatischer Verfolgungswahn, eine verbotene Prophezeiung und eine Menge Leute, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sind. Aber du solltest wissen, dass du und deine Eltern unschuldig waren – die Verantwortung dafür liegt allein bei ihrem Mörder."

„Weißt du, wer es war?", fragte James hitzig, „Ich werde ihn aufspüren und ihn spüren lassen, was er getan hat!"

„Ich denke, es wird eine Schlange dafür geben", überlegte Marty, „denn es scheint so, als würdest du Lord Voldemort persönlich jagen."

James stieß einen erstickten Laut aus und Lily wurde schwindelig, sodass sie sich an James klammerte.

„Er, dessen Name nicht genannt werden darf?", fragte Lily nach, „Ich... aber... warum?"

„Ein einfaches Missverständnis, mit grausamen Folgen", sagte Marty ernst, „Rache ist aber nicht die Antwort, die du suchst. Rennt nicht blind in die Gefahr, geblendet von dem Versprechen von Genugtuung. Glaubt mir, es wird euren Schmerz nicht lindern."

„Du hast auch jemanden so verloren?", fragte Lily sanft nach.

Marty lächelte traurig. „Meinen Dad – ich bin, glaube ich, neun Jahre alt gewesen oder vielleicht auch erst acht. Er ist auch ein Arzt gewesen, so wie ich jetzt, aber er hat beschlossen, seine Fähigkeiten zu nutzen, um Gutes zu tun – wirklich Gutes. Er ist nach Vietnam und hat dort als Feldarzt gearbeitet – nicht nur für Amerikaner oder deren Verbündeten, sondern auch für die Gegner oder besonders die Einheimischen. Mich hat er immer mitgenommen – vieles habe ich von ihm gelernt und ich weiß es noch heute."

„Was ist passiert?", fragte Lily, gefesselt von der Geschichte, die, wie sie schon wusste, in einer Tragödie enden würde.

„Ein paar Einheimische haben unser Lager überfallen", antwortete Marty, „Sie haben einige verletzt, andere getötet – aber eigentlich sind sie nur wegen unserer Vorräte hergekommen. Sie sind am Verhungern gewesen und haben nur unser Essen gebraucht. Mein Dad ist einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen."

„Das tut mir leid", sagte Lily mitfühlend, „Was hast du gemacht?"

„Gar nichts – nicht wirklich." Marty zuckte mit den Schultern. „Ich habe später erfahren, dass das gesamte Dorf von jenen, die uns überfallen haben, an einer Krankheit gestorben ist. Sie sind alle verreckt. Ich bin irgendwie wieder nach Amerika gekommen – ein Freund von meinem Dad hat mich mitgenommen. Von da habe ich mich dann allein durchgeschlagen, bis ich das Camp gefunden habe. Chiron hat mich dann aufgezogen."

„Professor Chiron?", fragte James überrascht nach.

Marty nickte. „Er hat mich eigentlich aufgezogen – mich und viele andere. Was ich mit dieser Geschichte auch eigentlich vermitteln wollte ist, dass es mich nicht glücklich gemacht hat, zu erfahren, dass alle diese Leute in diesem Dorf gestorben sind. Ich habe Glück gefunden, als ich Freunde gefunden habe. Wenn du auf den Tipp von einem alten Herrn wie mich hören willst: Vergiss die Vergangenheit nicht, aber hängt ihr auch nicht nach. Schau nach vorne und lebe weiter, dann wirst du Glück finden. Und solltest du irgendwann einmal etwas brauchen –" Marty hielt Lily einen Zettel hin, auf dem er mit einer unordentlichen, kaum leserlichen Schrift eine Adresse geschrieben hatte. „– hier findest du mich manchmal. Wenn nicht, wirst du dort immer Zuflucht finden. Vielleicht kennst du diese Adresse sogar: Es ist das Haus der Dolohows."

„Von Phillis Dolohow?", fragte Lily nach, „Du lebst bei ihr?"

„Ich hoffe, ich kann darauf vertrauen, dass ihr beide das möglichst niemanden weitererzählt", riet Marty Lily und James und sah sie ernst an, „Wir leben nicht nur dort – wir verstecken uns eigentlich. Ein sicherer Hafen inmitten dieses Kriegs. Es wäre eine Schande, wenn wir diesen Zufluchtsort verlieren würden."

„Wir werden es niemanden sagen", versprach Lily feierlich, „Und... danke..."

„Das ist doch das mindeste, das ich für dich tun kann, nachdem deine Eltern für unsere Sache gestorben sind", winkte Marty ab und zog noch eines der Amulette über seinen Kopf und hielt Lily das Lederband mit einem kleinen, runden Anhänger hin, „Hier noch ein kleiner Glücksbringer für dich."

„Das kann ich nicht annehmen – wir haben uns doch gerade erst kennengelernt", lehnte Lily ab.

„Ich bestehe darauf", Marty drückte ihr die Kette in die Hand und lächelte, „Du verstehst deine Rolle noch nicht, Lily, aber du bist wichtig. Außerdem schulden dir wir im Moment eine Menge – du hast keinen Grund, dankbar zu sein, denn unsere Schuld ist noch lange nicht beglichen."

„Das verstehe ich nicht", gestand Lily.

Noch nicht", korrigierte Marty sie, „Beende die Schule und wir werden sehen, was wir dir verraten können, aber genieße deine Zeit als Kind."

„Ich würde nicht sagen, dass wir noch Kinder sind", verteidigte James sie (eigentlich eher sich selbst) und hob stolz den Kopf, „Wir sind schon über siebzehn – wir sind erwachsen."

Marty lächelte traurig. „Erwachsen sein ist keine Zahl – genießt die Zeit im behüteten Hogwarts. Der Krieg läuft euch nicht davon."

Lily blickte nachdenklich auf das Schmuckstück, das Marty ihr gegeben hatte. „Was ist das für ein Zeichen?"

„Ein Füllhorn – das Zeichen der Göttin Tyche", antwortete Marty ihr, „Sie ist die Göttin des Glücks und Glück können wir in diesen Zeiten immer brauchen."

„Glück allein wird uns nichts bringen", widersprach James, „Es braucht auch Geschick und Talent."

Marty grinste und hielt weitere Amulette in die Höhe. „Deswegen trage ich auch noch die Zeichen der Athene und des Ares bei mir. Ein wenig Kriegskunst kann wohl nie schaden."

„Das sind griechische Götter", erinnerte sich Lily, „Ich habe davon in der Muggelschule gelernt."

„Vielleicht, wenn wir ihre Zeichen tragen, haben sie Erbarmen mit uns", schlug Marty vor, aber etwas in seiner Stimme klang so, als würde er das für sehr unwahrscheinlich halten. „Ich sollte jetzt gehen, aber vertrau uns, Lily. Wir werden deine Schwester beschützen. Ihr wird nichts geschehen – jetzt sind wir vorgewarnt."

„Danke", murmelte Lily.

„Warte!", hielt James ihn noch ein letztes Mal zurück, „Welche Rolle spielt Phillis in all dem?"

Marty stockte einen Moment lang und überlegte sich seine Antwort genau. „Frag sie das nicht", bat er schließlich, „Sie wird dir keine Antwort geben können und sie lügt so ungern. Vertrau ihr einfach – sie tut alles in ihrer Macht, um ihre Freunde zu beschützen."

„Also ist sie ein Teil von diesem Krieg – jetzt schon", erkannte James.

„Das kann ich dir nicht beantworten", gestand Marty schulternzuckend und nahm seine Sonnenbrille ab und putzte die Gläser an seinem Hemd ab. Als er aufsah, blickte James in blaue Augen, die ihm ebenfalls sehr bekannt vorkamen. „Aber Phillis redet immer nur positiv über dich, James Potter. Bestimmt hast du Verstand genug, um dir ein paar deiner Fragen selbst zu beantworten."

James wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

Marty setzte seine Brille wieder auf und winkte ihnen noch ein letztes Mal zu, bevor er zu dem Mann mit Narben im Gesicht ging, der James schon aufgefallen war, der auf ihn beim Ausgang der Kirche wartete.

Lily klammerte sich an das Amulett und starrte darauf, als könnte sie nicht glauben, dass diese Unterhaltung gerade wirklich stattgefunden hatte. Dann legte sie sich die Kette um und hielt den Anhänger fest. Er bot ihr eine seltsame Geborgenheit, die sie auch bei Martys Berührung gespürt hatte.

„Ein seltsamer Typ", murmelte James.

„Aber er hat Recht", verteidigte Lily ihn, „Wir... wir sollten nichts übereilen. Rache ist nicht die Antwort."

„Seine Geschichten erzählt er beinahe genauso gut, wie Phillis", scherzte James.

„Ja, oder?", kicherte auch Lily, „Das habe ich mir auch gedacht."

„Als wären sie verwandt..."

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