Ihr kommt nicht vorbei! (Gandalf hasst diese Anspielung)
„Knockban", grinste Pirro, nachdem das Haus von Herta schon weit hinter ihnen lag und sie ihrer Wegbeschreibung nach Knockban folgten (nachdem es nicht einmal im Reiseführer von Houdini zu finden gewesen war (Pirro reagierte auf diese Neuigkeit spöttisch erschrocken)), „Ihr könnt sagen, was ihr wollt, aber ich wette, der Autor von unserer Geschichte hat sich diese ganzen Namen entweder selbst überlegt oder sich extra die dämlichsten Namen herausgesucht."
„Namen können nicht dämlich sein", tadelte Houdini ihn, „Namen sind einfach nur Namen – außerdem darfst du nicht darüber sprechen! Du heißt Pirro!"
„Hey!", beschwerte Pirro sich grinsend, „Mein Dad hat mich einfach nur nach seiner Lieblingsfarbe benannt – auf jeden Fall besser als dein Name!"
„Du weißt nicht einmal, wie er wirklich heißt", erinnerte Phillis ihn, „Vielleicht ist sein Name eigentlich ganz cool?"
„Absolut nicht", meldete sich Houdini, „Ich hasse meinen Namen und ich hasse meinen Dad dafür, dass er ihn mir gegeben hat!"
„Komm schon, so schlimm kann er nicht sein", wollte Phillis ihn beruhigen, „Jedenfalls nicht so schlimm, wie Pirro Navaja!"
„Hey!", beschwerte Pirro sich.
„Doch, er ist schlimmer", seufzte Houdini, „Viel schlimmer."
„Tja, Houdini, mein Freund", sagte Pirro grinsend, „Jetzt musst du uns aber verraten, wie du wirklich heißt!"
„Nein."
„Komm schon!", jammerte Phillis, „Wir sind schon so lange zusammen unterwegs und ich weiß nicht einmal deinen Namen! Vertraust du uns nicht?"
„Nein."
„Bitte?"
„Nein."
„Bitte, bitte, bitte?"
„Nein."
„Bitte?"
Houdini seufzte. „Ich gebe auf –"
Phillis und Pirro jubelten leise.
„– ich bringe mich einfach um, dann stirbt das Geheimnis mit mir", beendete Houdini den Satz.
„Das stimmt nicht ganz", überlegte Pirro triumphierend, „Es würde auf deinem Grabstein stehen!"
„Nicht, wenn niemand meinen Namen weiß."
„Wir fragen einfach deine Eltern – die sagen es uns bestimmt."
Houdini sah Phillis und Pirro beide müde an, bevor er geschlagen seufzte. „Okay, ich verrate ihn euch, aber ihr dürft nicht lachen."
„Hm... daraus wird nichts", gestand Phillis, „Wir werden lachen."
„Vermutlich werden wir ganz viel lachen", bestätigte Pirro, „Dagegen kannst du nichts machen."
„Aber wir versprechen, dass wir den Namen niemanden verraten", versprach Phillis, „Beim Fluss Styx – dieses Geheimnis bleibt dir."
Houdini wirkte nicht ganz so begeistert von dieser Idee, aber er schien wohl auch zu denken, dass er nach all den Wochen mit diesen beiden Chaoten doch einmal eines seiner größten Geheimnisse verraten konnte.
„Okay... mein Name ist... Gandalf Tolkien."
„Gandalf?", lachte Pirro, „Wirklich?"
„Ja."
Pirro und Phillis konnten sich nicht mehr halten.
„XD, XD, XD", sagte Pirro lachend – Phillis hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte.
„Das ist ein wirklich dämlicher Name!", lachte Phillis, „Ich kann nicht glauben, dass du so heißt."
„Ich warte nur auf Zauberer-Witze", seufzte Houdini (aka Gandalf), „Kommt schon – bringt es hinter euch!"
„Zauberer-Witze?", Pirro beruhigte sich wieder und wischte sich eine Lachträne aus dem Auge, „Warum sollte ich Zauberer-Witze machen?"
„Gandalf ist natürlich eine fiktive Figur in einem wirklich, wirklich berühmten Buch... das ihr beide vermutlich gar nie gelesen habt und deswegen wisst ihr das gar nicht", erkannte Houdini, „Herr der Ringe?"
„Noch nie gehört", gestand Phillis und auch Pirro zuckte ratlos mit den Schultern, „Ich lese nicht wirklich – aber der Name ist trotzdem wirklich lustig."
„Darum hasse ich euch", bemerkte Houdini genervt, „Ihr seid beide Idioten – und dazu noch unbelesene Idioten!"
„Oh, hör dir den an", sagte Pirro in einem schlechten, englischen Akzent (weil er es hauptsächlich nicht schaffte, seinen eigenen, spanischen Akzent loszuwerden), „Jetzt benutzt er schon so hohe Wörter wie unbelesen."
Houdini sah ihn verständnislos an. „Belesen ist doch kein hohes Wort! Das ist ganz normal! Hippopotomonstrosesquippedaliophobie – das ist eher ein komplexes Wort!"
Pirro und Phillis blinzelten perplex. Houdini war zufrieden.
„Wie auch immer – nennt mich niemals Gandalf oder ich zeige euch, wer hier nicht vorbeikommt, habt ihr das verstanden?"
Phillis hatte diese Anspielung überhaupt nicht verstanden, aber zusammen mit Pirro nickte sie eilig.
„Knockban" war bald in Sichtweite, obwohl es (wie Herta ihnen noch beschrieben hatte) wirklich nur drei Häuser waren, die irgendwie aus eigentlich noch unbekannten Gründen einen eigenen Ortsnamen anerkannt bekommen hatten und nun unter dem Sammelbegriff „Knockban" standen, aber keiner hinterfragte es lange.
Phillis hoffte, dass das der letzte lächerliche Ortsname war, den sie auf ihrer Reise hören musste und beschleunigte – wie auch Houdini – noch einmal ihren Schritt, um die letzten paar Meter hinter sich zu bringen, als ihr auffiel, dass Pirro zurückgefallen war.
Sie drehte sich besorgt zu ihm um und überlegte schon, ob er diese Nacht nicht geschlafen hatte, aber das hatte er (Phillis wusste das, immerhin hatte sie ihn zu Sonnenaufgang geweckt und da hatte er eindeutig so gewirkt, als hätte er tief geschlafen), aber vielleicht hatte er nicht genug gegessen (aber sie waren gerade von Herta gekommen, die sie mit Keksen und Kaffee vollgestopft hatte). Was war also, wenn diese Speisen doch vergiftet gewesen waren und Pirro die Wirkung als erstes spürte, weil er nur das Kind von einer zweitrangigen Göttin war.
„Alles gut?", rief Phillis ihm zu und versuchte, etwas Witz in ihre Stimme zu bringen.
Pirro bemerkte wohl, wie weit er zurückgefallen war, als Phillis ihn aus seinen Gedanken riss und er rannte ihnen hinterher, um wieder Schritt zu halten.
„Aber klar doch", versprach er locker wie immer – vermutlich nur etwas verträumt oder erschöpft.
Trotzdem beschloss Phillis besorgt, das weiter zu beobachten – Pirro schien niemand zu sein, der Schmerzen oder Probleme offen zugab und diese eher versteckte.
Die drei einfachen Holzhäuser boten nicht viel Auswahl und Houdini erkannte, dass eine 33,33333 (periodisch) prozentige Chance bestand, dass sie beim ersten Mal richtig klopften (und offenbar eine ebenso hohe Chance, dass sie beim zweiten Mal richtig lagen? Phillis verstand das nicht wirklich, aber welche Hexe konnte schon Mathe?). Eigentlich gab es keine Konsequenzen, sollten sie beim ersten Mal falschliegen, also war diese Berechnung absolut sinnlos gewesen, aber Houdini schien offenbar ebenso viel Spaß an Mathe zu haben, wie Phillis beim Entwerfen von Strategien in extremen Kriegssituationen und Quidditch, also ließ sie ihm diesen Spaß.
Sie traten ans erste Haus heran, das ihnen gleich am nächsten war und klopften.
Von drinnen hörte man Geschrei von Kinder, welches noch lauter wurde, als eine müde aussehende Frau die Tür aufriss und sie genervt ansah.
„Ja?", fragte sie und schien wohl bemüht, höflich zu bleiben, aber bei drei (soweit Phillis auf die Schnelle zählen konnte) schreienden und weinenden Kindern und offenbar einem mächtigen Schlafmangel (mit dunkleren Augenringen, als Phillis sie selbst bei Remus jemals gesehen hatte), musste man wohl nicht mehr höflich sein.
„Guten Tag, wir haben uns gefragt, ob Sie Cameron Sherman kennen", fragte Phillis höflich und die Mutter rollte sehr genervt mit den Augen (Houdini konnte sich von ihr noch eine Scheibe anschneiden).
„Falsches Haus – nächste Tür", antwortete sie nur und schlug ihnen die Tür vor der Nase zu.
Die drei Demigötter blieben noch einen Moment länger perplex stehen, akzeptierten dann aber den Nervenzusammenbruch von Eltern mit solch hyperaktiven Kindern (ihre eigenen Eltern hatten das schon hinter sich) und folgten einfach den Anweisungen.
Sie klopften an der Tür von (hoffentlich) Cameron Sherman (diesen Namen hatten sie von Herta („So ein lieber Junge – hat mir in seiner Kindheit immer mit dem Rasen geholfen, aber seitdem er gesehen hat, wie sein Freund gestorben ist, ist er nicht mehr vorbei gekommen... armer Kerl")) und hörten Schritte von innen, bevor die Tür wieder geöffnet wurde – dieses Mal aber nur einen Spalt breit.
Gerade so weit, wie die Türkette es zuließ und die war mehr oder weniger dafür geschaffen, dass man nur einen Spalt breit in nur spärlich beleuchtete Häuser blicken konnte und die Bewohner immer im Schatten standen und immer ein wenig ominös aussahen.
„Ja?", fragte ein Mann von drinnen – Phillis konnte (dank der Türkette) sein Gesicht nicht sehen, „Kann ich euch helfen, Kinder?"
Als Teenager™ wurde Phillis nicht gerne als „Kind" bezeichnet, aber dieses Mal ließ sie es durchgehen (wie bei die letzten paar Mal auch).
„Guten Tag, sind Sie Mr Sherman?", fragte sie in ihrem höflichen Ton, den sie auch immer benutzte, wenn sie Lehrer das erste Mal kennenlernte und nicht sofort beschloss, dass sie sie hasste (aber aus irgendwelchen Gründen konnten diese Lehrer trotzdem schon nach der ersten Stunde ganz genau sagen, dass Phillis viel Arbeit werden würde).
„Der bin ich", bestätigte Mr Sherman und Phillis atmete beinahe erleichtert auf – soweit, so gut, „Was wollt ihr von mir?"
„Herta aus Achnasheen schickt uns zu Ihnen", erzählte Phillis heiter, „Wir wollen Wölfe sehen und Herta hat gesagt, dass wir bei Ihnen nachfragen sollen."
„Das solltet ihr lieber bleiben lassen", sagte Mr Sherman – seine Stimme klang kratzig, als wäre er schwer verkühlt, „Mein bester Freund ist von diesen Biestern ermordet worden – wir haben nicht einmal eine Leiche gefunden."
„Bitte, Sir", mischte sich Pirro ein und setzte ebenfalls sein unschuldiges Gesicht auf (aber bei einem Typen wie Pirro war das ein ganz schlimmes Zeichen und bei absolut jedem Menschen schrillten dann immer sofort alle Alarmsignale los – Pirro hatte einfach kein Gesicht, das unschuldig aussah), „Wir wollen doch nur schauen, ob wir einen Blick auf sie werfen können – vielleicht auch nur Fußspuren. Wir sind schon seit Wochen unterwegs und wollen nur irgendetwas erreicht haben, bevor die Schule wieder anfängt!"
„Ihr seid wohl wahnsinnig, oder?", lachte Mr Sherman trocken, „Ihr wollt das nicht wirklich."
„Doch, sonst würden wir hier nicht unsere Zeit verschwenden", bemerkte Houdini etwas unhöflich und Phillis trat ihm tadelnd auf den Fuß (Houdini funkelte sie dafür mörderisch an).
Mr Sherman seufzte und schien wohl geschlagen. „Na gut, ich erzähle euch alles, was ich erlebt habe – vielleicht überlegt ihr es euch dann anders. Wartet kurz."
Er schloss die Tür und sie hörten das Rascheln, als er die Türkette löste, aber dann– nichts mehr.
Die drei Demigötter sahen sich besorgt an. So eine plötzliche Stille war nie gut.
Dann – ein Schrei!
Phillis reagierte sofort und wollte die Tür öffnen, aber es war Mr Sherman wohl nicht ganz gelungen, sie ganz zu lösen, also schloss Phillis die Tür wieder und trat sie einfach aus den Angeln.
Birget hatte ihr gezeigt, wie das ging – in Ernstsituationen wie diesen hatte Phillis natürlich nicht den Geist, sich auf einen perfekten Tritt zu konzentrieren und natürlich musste sie sich den Fuß dabei verstauchen und sie schrie vor Schmerz auf.
Houdini zückte seinen Degen und eilte schon hinein, aber Pirro sah noch nach Phillis.
„Alles gut?", fragte er sie besorgt und Phillis nickte – der Schmerz war eigentlich erträglich.
„Nur zu dämlich, um Türen einzutreten", gestand sie, „Los!"
Mit gespannten Bogen humpelten sie Houdini hinterher.
Der Gang war ziemlich düster und Phillis musste sich erst an das spärliche Licht gewöhnen, aber sie verließ sich in solchen Notsituationen auch auf ihre anderen Sinne und schlich weiter ins Haus.
Eine Kommode war umgekippt und einige persönliche Gegenstände wie Fotos auf dem Boden verstreut. Da war eine Krallenspur an der Wand.
„Hier her!", rief Houdini aus dem Raum, zu dem die Krallenspuren führten und Phillis und Pirro folgten ihm.
Es war wohl ein Wohnzimmer gewesen, aber was-auch-immer hatte es vollkommen zerstört. Das Sofa war zerfetzt und Teile davon lagen im ganzen Raum verteilt; der Tisch in Stücke gehackt; eine Lampe zerbrochen und in Scherben überall verteilt; ...
„Da ist Blut", erkannte Houdini und deutete auf eine Spur, die von der Tür zum Fenster führte, das offen war und es war nur logisch, dass die drei dieser Blutspur folgten und aus dem Fenster sahen, aber da war nichts mehr.
„Weg", erkannte Pirro, „Schnell – beeilen wir uns, vielleicht können wir der Spur folgen. Das muss ein Monster gewesen sein!"
„Oder vielleicht sogar der Verräter – er könnte uns verfolgt haben! Wir sind wohl auf der richtigen Spur – sonst würden sie nicht versuchen, uns aufzuhalten und auch nicht unsere Zeugen umbringen!", stimmte Houdini ihm zu und die beiden rannten wieder hinaus und Phillis folgte ihnen so schnell, wie es mit ihrem verstauchten (oder vielleicht doch etwas schlimmer verletzten Knöchel) ging.
Phillis trat hinaus ins Sonnenlicht (das sie natürlich nicht blendete, sie war wortwörtlich die Tochter der Sonne und wurde von ihr nur geblendet, wenn ihr Dad das wollte), blieb aber ruckartig stehen, als sie dort Mr Sherman sah – scheinbar gesund, wenn man das überhaupt „gesund" nennen konnte.
Sein Anblick erinnerte Phillis an Remus mit Narben im Gesicht, die rosa verheilt waren, aber niemals wirklich verschwinden würden.
Aber er stand dort nicht allein – hinter ihm waren (wie Phillis befürchtete) auch die Bewohner der anderen beiden Häuser versammelt. Phillis war sich da nicht so sicher, immerhin waren sie nun übernatürlich große, dürre Wölfe, wie Phillis sie in ihrer Vision von Ruths Tod gesehen hatte und Phillis kam überhaupt erst auf die Idee, dass es die Bewohner sein könnten, nachdem sie einen riesigen Wolf mit drei kleineren Welpen hinter sich sah, die aber alle so aussahen, als könnten sie es mit einem trainierten Demigott aufnehmen. Daneben waren noch zwei weitere ausgewachsene Wölfe – wohl die Bewohner des dritten Hauses.
„Wir wollen das nicht", sagte Mr Sherman und klang müde, „Wir haben nur unsere Befehle."
Pirro fluchte und sie zückten alle ihre silbernen Waffen – Phillis tauschte den bronzenen Pfeil gegen einen aus Silber aus.
„Ich habe das Gefühl, jetzt sollte das Bösewicht-Theme spielen", bemerkte Pirro angespannt.
„Die müsste bei uns doch durchgehend laufen – wir stolpern von einer Gefahr in die nächste", erinnerte Phillis ihn.
„Wir sind vorgewarnt worden", sprach Mr Sherman weiter, „Er weiß, dass ihr kommt. Er weiß, dass ihr ihm auf der Spur seid. Deswegen hat er uns verwandelt – wir müssen ihm gehorchen."
„Müsst ihr nicht!", versuchte Phillis zu verhandeln, obwohl sie wusste, dass es sinnlos war, „Wehrt euch gegen ihn! Er hat euer Leben ruiniert! Er hat eure Kinder angegriffen!"
Der Wolf, der vermutlich die müde Mutter gewesen war, knurrte bedrohlich.
„Es ist nicht seine Schuld – ihr habt ihn dazu gezwungen!", schrie Mr Sherman nun laut, „Wenn ihr Kinder euch nicht in seine Angelegenheiten eingemischt hättet, hätte er das nicht tun müssen!"
„Wir werden Lycaon umbringen und dann müsst ihr nicht mehr auf seine Befehle horchen!", bot Phillis an, „Lasst uns einfach weiterziehen!"
„Glaub mir, Kind – es ist besser so", seufzte Mr Sherman und klang wieder müde, „Hier ist Endstation für euch – weiter geht es für euch nicht mehr. Selbst, wenn ihr Sgurr Mor erreicht, so erwartet euch dort nur ein noch viel schlimmerer Tod – bringt es einfach hier hinter euch und wir alle werden glücklich. Ihr sterbt schmerzlos-er und wir werden belohnt."
"Hier kommen wir wohl nicht so einfach vorbei", erkannte Pirro nervös und griff sein Silbermesser fester.
Houdini sah ihn unbeeindruckt an. "Ich weiß gerade nicht, ob du diese Anspielung extra gemacht hast, Pirro, aber ich hasse dich."
Pirro hatte zugegeben keine Ahnung.
"Jetzt bleibt ihr am besten einfach ruhig, während wir euch eure Kehlen aufschlitzen", schlug Mr Sherman erstaunlich ruhig und doch müde klingend vor.
„Nope, so funktioniert das nicht!", bestimmte Pirro provokant und hob sein Messer, „Kommt schon! Wir haben keine Angst vor euch!"
Mr Sherman seufzte. „Ich habe euch gewarnt...", murmelte er noch und plötzlich verwandelte er sich.
Seine Gesichtszüge verschwammen und formten sich neu, auf seiner ganzen Haut sprossen Haare und er wuchs in die Höhe, bis er die Form von einem mächtigen Wolf angenommen hatte.
Die anderen warteten nicht darauf, bis seine Verwandlung vollendet war, sondern griffen sofort an.
Mama-Wolf sprang als erstes auf Houdini zu, als wäre er das schwächste Mitglied der Gruppe, aber er reagierte blitzschnell und schlitzte ihr die gesamte Seite auf, aber nicht genug, um sie umzubringen. Sie wich nur zurück, aber ihre Verletzung rauchte seltsam, als würde sie brennen und diese Verletzung scheuchte wohl besonders die Kinder auf, die nun ebenfalls angriffen.
Phillis streckte als erstes den kleinsten mit einem gezielten Schuss in den Kopf nieder, der sofort zu Schatten ohne große Schmerzen zerfloss und ihr wurde übel bei dem Gedanken, dass sie gerade ein Kind umgebracht hatte, aber ihr Überlebensinstinkt war größer.
Pirro wehrte inzwischen einen der beiden anderen großen Wölfe ab und rammte sein Silbermesser in die Brust von einem von ihnen und das Messer blieb stecken – er überlebte, aber nicht lange. Die Wunde rauchte, wie auch schon bei Mama-Wolf und diese Schatten breiteten sich aus. Der Wolf wand sich am Boden und hatten offensichtliche Schmerzen, bis er sich vollkommen in Schatten auslöste und das Silbermesser auf den Boden fiel.
Phillis beschoss alle Wölfe, die ihr zu nahe kamen mit Pfeilen und der ehemalige Mr Sherman hatte schon vier Stück aus seinem Körper ragen, wie Stacheln von einem Igel, aber obwohl er Schmerzen zu haben schien, hielt ihn das kaum auf.
In nur zwei großen Sätzen sprang er auf Phillis zu und sie schoss noch einen unnützen Pfeil, der ebenfalls in seinem Leib steckenblieb und eine rauchende Wunde erzeugte, aber es reichte nicht, um ihn aufzuhalten und Phillis wurde unter einer Masse aus Fell, Muskeln und Grauen begraben. Ihr Bogen fiel ihr aus der Hand und sie brauchte beide Hände, um zu verhindern, dass er ihr Gesicht abbiss oder sie grundsätzlich biss. Seine Krallen bohrten sich in ihre Seiten und die Welt um sie herum verstummte, als sie panisch nur daran denken konnte, dass er sie auf gar keinen Fall beißen durfte. Sie schaffte es, ein Bein zwischen sich und dem Werwolf zu bringen und trat ihn mit all ihrer Kraft von sich, die nicht wirklich ausreichte, um ihn weit weg zu stoßen, aber er wich ein paar Schritte zurück, sprang aber sofort wieder auf sie zu. Phillis griff nach ihrem Bogen und einem Pfeil in ihrem Köcher am Rücken, aber sie würde nicht schnell genug sein – sie sah sich schon tot, wie es auch Ruth gewesen war und fand es eigentlich ziemlich ironisch, dass auch sie von der Hand eines Werwolfs sterben würde.
Mr Sherman sprang und Phillis sah den Schatten direkt über sich wie eine dunkle Wolke, die die Sonne verdeckte. Instinktiv hob sie ihre Hände, um ihr Gesicht zu schützen und sie wartete auf den Tod. Ein schweres Gewicht fiel auf sie und sie riss erschrocken die Augen auf, nur um zu sehen, dass Mr Sherman direkt in einen Pfeil in ihrer Hand gesprungen war, der sich in seinen Hals gebohrt hatte.
Er gurgelte erstickt, bevor er sich in Schatten auflöste und das Gewicht verschwand.
Phillis' zitterte noch, als sie taumelnd wieder auf die Beine kam und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, aber noch konnte sie sich nicht ausruhen.
Houdini und Pirro war es gelungen, einer der beiden Kinder umzubringen und die Mutter war wohl auch verschwunden – nur noch ein Welpe und zwei große Werwölfe.
Phillis legte einen Pfeil an und obwohl ihre Hände zitterten, traf sie ihr Ziel und gerade, als einer der großen Pirro als Mittagssnack verspeisen wollte, löste er sich schon in Schatten auf. Pirro nickte ihr dankbar zu, musste aber gleich wieder in den Kampf zurück.
Houdini hatte sein Messer verloren und hielt den kleinen Werwolf mit bloßen Händen auf Abstand, also unterstützte Phillis ihn.
Es brauchte drei Pfeile, bis der kleine Werwolf sich endlich auflöste und Houdini wieder auf die Beine kam. Er hob sein Silbermesser vom Boden auf und half Pirro mit dem letzten Werwolf, indem er sein Messer in das Rückgrat diesen rammte und er löste sich in Schatten auf.
Die drei standen noch einen Moment lang keuchend und adrenalingeladen da und warteten auf einen weiteren Angriff, aber sie hatten überlebt.
Phillis sackte müde zusammen. „Das war... wow...", keuchte sie, „Ich... äh... wow... ist jemand verletzt?"
„Nicht der Rede wert – kein Biss", versprach Houdini locker, „Bei dir?"
„Nichts Gravierendes... denke ich...", vermutete Phillis, „Ich weiß nicht so genau... ich zittere noch am ganzen Körper."
„Lasst uns... lasst uns einfach eine kurze Pause machen", schlug Pirro vor, „In einem von diesen Häusern... nur, um uns zu sammeln. Ich hoffe, die schneiden diese Szene nicht raus – ich habe da gerade ein paar wirklich krasse Stunts hingelegt, die ich ganz bestimmt nicht wiederholen werde!"
„Eine wirklich gute Idee", stimmte Phillis ihm zu, „Die brauchen wir wohl und haben uns verdient."
Eigentlich war es gar nicht so schlecht gewesen, dass sie mehr oder weniger gezwungen gewesen waren, ein ganzes Dorf auszulöschen, denn so konnten sie einfach die Häuser benutzen.
Das erste Mal seit langem, dass sie in Ruhe Duschen konnten, sie sich eine warme Mahlzeit zubereiteten und sogar Betten hatten.
Sie wählten das Haus, in dem die Mutter mit ihren drei Kindern gelebt hatte, denn dort hatte jeder von ihnen ein eigenes Zimmer und der Kühlschrank war mit Dingen gefüllt, die ihnen auch schmeckten (besonders Dinge mit Zucker) – nur den Kaffee holten sie aus dem Haus von Mr Sherman.
Während Phillis mit Pirro draußen nach ihren Pfeilen suchte (diese Dinger wuchsen ja nicht auf Bäumen und wenn sie sich auch noch mit einem viel größeren, viel gefährlicheren Rudel anlegen wollten, sollte sie wohl lieber vorbereitet sein), suchte Houdini eine Route nach Sgurr Mor – den Ort, den Mr Sherman ihnen gesagt hatte.
Es stellte sich heraus, dass es wohl ein Berg in der Nähe war – etwas weniger als 30 Kilometer entfernt.
Ihre Verletzungen waren eher leicht gewesen, aber sie hatten trotzdem das letzte Stückchen Ambrosia aufgebraucht und hatten nun nur noch etwas Nektar, mit dem sie auskommen mussten. Phillis hoffte, dass das die letzte große Hürde vor dem Finale gewesen war, ansonsten würden sie Probleme haben.
„Es ist irgendwie gemütlich hier!", bemerkte Pirro, ließ sich auf dem Sofa fallen und rekelte sich dort genüsslich, „Ich könnte mich tatsächlich wieder an ein Bett statt immer nur einem Schlafsack gewöhnen – wollen wir nicht etwas länger hierbleiben?"
„Eh... schlechte Idee", erinnerte Phillis ihn, „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Monster uns finden – vermutlich sogar Lycaon, immerhin hat er Leute hier platziert und wir wissen nicht, ob er nicht regelmäßig mit ihnen in Kontakt gewesen ist."
„Hm", machte Pirro enttäuscht, „Wenigstens haben wir die nächsten vierundzwanzig Stunden Ruhe."
„Vermutlich", sagte Houdini monoton, ohne von der Karte aufzublicken, „Genau genommen trifft diese Statistik nicht mehr zu. Wir nähern uns der wirklichen Gefahr und dem Ende unserer Reise und dementsprechend häufiger müssen wir mit Angriffen rechnen. Es wäre naiv zu denken, dass wir in Sicherheit sind, nur, weil wir beinahe gestorben sind."
„Weißt du, Houdini – du bist wohl ein Experte darin, Hoffnungen zu zerstören", maulte Pirro nüchtern.
„Ich bin nur Realist."
„Wie sieht unser Weg nach Skull-Moor aus?", fragte Phillis.
„Sgurr Mor", korrigierte Houdini sie genervt (Pirro stieß einen belustigten Laut aus, als er diesen lächerlichen Namen hörte), „Und es gibt nicht wirklich eine Straße dorthin oder Wanderwege. Der kürzeste Weg wäre es, wenn wir zu diesem See gehen und dort irgendwie ein Boot mieten oder ausleihen und damit den See überqueren – damit würden wir uns mehrere Stunden Marschzeit sparen."
„Klingt gut", rief Pirro begeistert, „Jede Minuten, die wir nicht gehen müssen, ist eine gute Minute!"
„Jetzt tu doch nicht so – es könnte eindeutig schlimmer sein", tadelte Houdini ihn kühl, „Ich habe zuerst gehofft, wir könnten eine der Autos draußen benutzen, aber bei denen sie überall einige Kabel durchgeschnitten worden und ich habe keine Ahnung, wie man Autos repariert – ihr?"
Phillis und Pirro schüttelten die Köpfe.
„Also müssen wir uns weiterhin auf uns verlassen – ich würde vorschlagen, wir gehen morgen in der Früh los", schlug Houdini vor.
„Es ist auf jeden Fall ein Plan", seufzte Phillis müde, „Ach, Leute... ich bin wirklich froh, dass das hoffentlich bald vorbei ist."
„Verschrei es lieber nicht!", warnte Pirro sie.
„Pirro hat Recht – besser, wir opfern heute auch den Göttern etwas... wir wollen ja nicht wie Odysseus enden...", warnte Houdini.
In dieser Nacht träumte Phillis nicht von der Zukunft oder Gegenwart oder Vergangenheit.
Eigentlich träumte sie tatsächlich einen ganz normalen Albtraum, in dem sie wieder gegen diese Werwölfe kämpfen musste, aber dieses Mal hatten sich die Kinder nicht in entfremdete, wilde Wölfe verwandelt, sondern waren Kinder.
Auf einmal hatten sie auch die Gesichter von Daphne, Amadeus und Bobby, aber mit denselben finsteren Blicken und gefletschten Zähnen.
Sie sprangen auf Phillis zu und sie reagierte instinktiv und schoss einen Pfeil – Bobby löste sie in Schatten auf, aber Phillis hörte weiterhin sein Weinen in der Ferne.
Mit einem Ruck erwachte sie und atmete schwer. Um sie herum war alles dunkel und das Bett von einem der Kinder war ungewohnt weich. Phillis wusste nicht, wie spät es war, aber nachdem Pirro sie noch nicht geweckt hat, um die Wache abzulösen, war wohl noch nicht viel Zeit vergangen.
Phillis litt – wie auch Houdini und Pirro – unter Schlafmangel, seit sie diesen Auftrag begonnen hatten und sie waren mehr Stunden auf den Beinen, als jemals zuvor, aber trotzdem wusste sie, dass sie nicht mehr schlafen, konnte, also warf sie die Decke zurück und stand auf.
Pirro saß in der Küche des kleinen Hauses und versuchte wohl, nicht einzuschlafen.
Als er Phillis in den Schatten sah, zuckte er zusammen und griff nach seiner Waffe, aber er beruhigte sich, als er sah, dass es nur Phillis war.
„Hey", begrüßte er sie leise, „Schon wach? Du hast eigentlich noch zwei Stunden."
„Hm... schlecht geträumt", gestand Phillis schulternzuckend und setzte sich zu ihm.
„Von unserem Auftrag?", fragte Pirro neugierig, aber Phillis schüttelte den Kopf.
„Nah... nur Albträume..."
Es wurde still – unangenehm still.
Phillis sah sich im Raum um und ihr Blick fiel auf einen Wandkalender. Einer der Kinder hatte dort mit einem knallroten Stift immer die vergangenen Tage durchgestrichen.
Phillis stand auf und blätterte zum nächsten Monat (September) und dort am siebten September war ein Kuchen gezeichnet – wohl ein Geburtstag.
Wenn ihr Traum nicht schon schlimm genug gewesen wäre, so fühlte Phillis sich nun noch mieser. Sie hatte Kinder umgebracht – das waren wirklich Kinder gewesen, die eben ein wenig kompromittiert gewesen waren... sie hatte es nicht verdient, zu sterben – besonders nicht so.
Phillis fiel aber – als sie die durchgestrichenen Tage ansah – noch etwas auf.
„Ist heute der 31. August?", fragte sie überrascht und Pirro blickte auf seine Uhr.
„Nah, schon der 1. September."
Der 1. September – für junge Hexen und Zauberer eigentlich ein besonderer Tag. Eigentlich würde Phillis heute um elf den Hogwarts-Express nach Hogsmeade nehmen und ein neues Schuljahr beginnen. Es war schon lange her, seit sie den Auftrag angefangen hatte und es würden wohl noch ein paar Tage vergehen, bis sie wirklich nach Hause kam.
Sie würde den Anfang des Schuljahres verpassen und zum ersten Mal in diesem Sommer dachte Phillis an andere Leute.
Wie ging es wohl ihrer Mutter? Bestimmt war ihr Brief mit der Erklärung zu ihrem Auftrag schon angekommen. Wie hatte sie darauf reagiert? Sara wusste, dass Aufträge nicht wirklich harmlos waren – besonders nicht solch große.
Was war mit Phillis' neuen Freunden in Hogwarts? Was dachte sie sich wohl, warum sie nicht im Zug war? Vermissten sie sie oder war sie über die Ferien schon vergessen worden?
Was war mit dem Quidditch-Team? War ein neuer Kapitän erwählt worden, nachdem sie nicht pünktlich zurück sein konnte? Das würde Phillis schon schade finden, aber gleichzeitig war es notwendig – dieser Auftrag war größer als Quidditch oder Hogwarts.
Vielleicht würde Phillis auch nie wieder zurück kehren... wie würde Remus wohl reagieren, wenn sie starb? Wie ihre Mum? Ihre anderen Freunde – in Hogwarts und im Camp?
Phillis riss sich aus diesen negativen Gedanken – dafür hatte sie jetzt keine Zeit, sie sollte sich darauf konzentrieren, sicher nach Hause zu kommen und – an aller erster Stelle – den Auftrag beenden. Nicht nur für die Götter – für Ruth, damit sie nicht umsonst gestorben war und damit keine Tochter des Apollo das erledigen musste.
„Warum gehst du nicht ins Bett, Pirro?", schlug Phillis vor, „Ich übernehme die Wache etwas früher."
„Liebend gerne", gähnte Pirro und stand auf, „Wenn du es dir anders überlegst, kannst du mich ruhig früher wecken."
Pirro ging ins Bett und ließ Phillis allein – allein mit ihren Gedanken und sie wünschte sich, sie würde nicht immer das Bild der sterbenden Werwolf-Kinder sehen, wenn sie die Augen schloss...
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