Houdini weiß beunruhigend viel über Gifte
Phillis war noch nie ein sonderlich ordentlicher Mensch gewesen. Ihr Kleiderschrank und ihr Koffer waren Das Chaos und wenn sie zu Hause war, sah ihr Zimmer immer schrecklich aus, sodass man sich dort kaum frei bewegen konnte.
Deswegen war es vermutlich auch nicht sonderlich klug gewesen, Phillis inoffiziell als Knotenpunkt für einen großen Teil des Briefverkehrs zwischen Birget und ihr Team, Dumbledore, Chiron und Houdini einzusetzen, aber nun hatte sie diese Aufgabe mehr oder weniger schon übernommen und es gab kein Zurück mehr.
Das Problem war nur, dass sie alle Briefe einfach in einer großen Schachtel sammelte, die in keiner Weise geordnet war. Als Chiron Phillis gesagt hatte, dass sie sich wieder einmal in Dumbledores Büro für einen gemeinsamen Kriegsrat treffen würden, hatte sie zwar versucht, die Briefe zu ordnen, hatte aber jämmerlich darin versagt, also brachte sie einfach die ganze Kiste mit.
Sie balancierte diese auf einem Arm, während sie mit ihrer freien Hand an Dumbledores Bürotür klopfte, aber nicht auf eine Antwort warten konnte, sondern gleich eintrat, damit die Kiste nicht hinunterfiel.
„Abend!", begrüßte sie Chiron und Dumbledore schnell und schloss mit ihrem Fuß die Tür wieder hinter sich, bevor sie die Kiste auf einer freien Fläche abstellte, „Entschuldigt die Verspätung."
„Guten Abend, Phillis", begrüßte Dumbledore sie höflich, „Ich vermute, das hier sind Briefe?"
Phillis grinste schief und kratzte sich am Nacken. „Jepp – etwas chaotisch, ich weiß, aber ich weiß ungefähr, was in all diesen Briefen steht. Kontaktieren wir auch Birget?"
„Wir wollten nur noch auf dich warten", bestätigte Chiron, „Könntest du –"
„Aber natürlich!" unterbrach Phillis ihn schnell und wie schon bei ihrem ersten Treffen zückte Phillis ihren Zauberstab und zauberte einen Regenbogen herbei, damit Chiron Birget kontaktieren konnte. Dieses Mal waren sie nicht draußen, sondern in einem Innenraum – genau genommen erkannte Phillis den Raum als das Wohnzimmer in ihrem eigenen Haus, also waren sie wohl gerade bei ihr zu Hause. Phillis war beinahe schon ein wenig neidisch.
Sie sahen geordneter aus, als beim letzten Mal, aber beim letzten Mal hatten sie auch gerade erst einen Drakon besiegt und hatten noch die Schäden beseitigen und die Brände löschen müssen, also war das wohl kein Wunder.
Birget, Laertes und Marty waren in einer hitzigen Unterhaltung vertieft, bis Wesley auffiel, dass sich ein Bild von ihnen gebildet hatte und er stupste seine Begleiter an, damit diese ebenfalls hersahen.
„Chiron!", begrüßte Birget den Lehrer zuerst und beugte höflich den Kopf, „Schön, dich zu sehen. Hey Leprechaun!"
„Hey!", grinste Phillis und winkte ihnen.
„Albus", begrüßte Birget auch den Schulleiter bei seinem Vornamen und beugte wieder höflich den Kopf, „Wir haben eine Menge Informationen, die wir teilen können."
„Nicht nur ihr", sagte Chiron ernst, „Phillis hat zusammen mit Madam Pomfrey und Houdini ebenfalls einige interessante Neuigkeiten, die vielleicht überlebenswichtig sein können."
„Wo ist Houdini?", fragte Marty und lehnte sich etwas zur Seite, wie um zu sehen, ob eine Iris-Nachricht mit Houdini irgendwo anders im Raum zu sehen war, „Ist er nicht hier?"
„Houdini sollte eigentlich auch bald erscheinen", vermutete Chiron, „Er hat mir gesagt, dass er mich kontaktieren wird, sobald er die Möglichkeit hat."
Birget seufzte müde. Laertes legte den Kopf in den Nacken und blickte auf die Decke, als würde er sich fragen, wie er die Götter wieder verärgert hatte, damit sie ihn so bestraften.
„Seine Mum hat wieder eine Schule für ihn gefunden – im Moment ist es in New York wahrscheinlich Zeit für den Unterricht", erklärte Phillis.
„Oh, nicht schlecht", staunte Marty ehrlich begeistert von dieser Neuigkeit, „Ich habe doch gewusst, dass er seinen Abschluss machen will!"
„Jetzt hat er nur noch zwei Jahre, die will er auch noch fertig machen", bestätigte Phillis, „Aber ich glaube, dass seine Mum auch viel Einfluss darauf genommen hat." Phillis meinte damit natürlich nicht Athene, sondern Houdinis Stiefmutter, die eigentlich die Mutterrolle komplett übernommen hatte. Phillis hatte sie noch nicht persönlich kennengelernt, aber Houdini sprach von ihr häufiger als von seinem sterblichen Vater, also bedeutete sie ihm wohl viel.
„Wir sollten Sie wohl vorwarnen, Albus", wandte Chiron sich mit einem entschuldigenden Lächeln an den Schulleiter, „Den Jungen, den Sie jetzt gleich kennenlernen werden... er... nehmen Sie einfach nichts persönlich."
„Houdini ist nur etwas direkt", verteidigte Phillis ihn, „Und er hat keine Geduld für Höflichkeiten... und empfindet es als Zeitverschwendung, wenn man schonend mit jemanden spricht... und er beleidigt einen – häufig... und –"
„Nehmen Sie es einfach hin", riet Chiron Dumbledore, „Diskutieren Sie nicht lange und hören Sie einfach weg, wenn er anfängt, Sie zu beleidigen."
„Klingt nach einem interessanten jungen Mann", lächelte Dumbledore leicht.
„Was erwartet man auch von einem Sohn der Athene", schnaubte Birget.
Bei diesen Worten hellten sich Dumbledores Augen etwas auf und er fragte interessiert nach: „Ein Sohn der Athene? Also der Bruder meiner Mutter?"
„Das macht ihn dann wohl zu deinem Onkel", lachte Marty vergnügt, „Ha! Onkel Houdini!"
In diesem Moment begann die Luft vor Chiron zu schimmern und gegenüber der Iris-Nachricht von Birget, Marty, Laertes und Wesley erschien noch eine, aber dieses Mal sah man dort nur einen Jungen – Houdini.
Er trug wohl eine Schuluniform, denn anders, als Phillis es sonst von ihm kannte, trug er nicht sein weißes Hemd, sondern ein dunkelblaues, kurzärmliges Polo-Hemd, das ihm etwas zu groß war und er wirkte gleich viel jünger (wobei er auch mit Hemd immer sehr jung ausgesehen hatte). Es war seltsam, Houdini mit kurzen Ärmeln zu sehen. Keine Emotion stand ihm ins Gesicht geschrieben und der Hintergrund erinnerte Phillis an eine Toilette. Vermutlich war es auch eine Toilette und nachdem Houdini freiwillig noch immer die wahrscheinlich-Schuluniform trug, war er vermutlich sogar noch in der Schule – in einer Schultoilette. Er stand in einem seltsamen Winkel vor dem Bild, aber das kam vermutlich davon, dass er in einer Hand – wahrscheinlich – ein Prisma hielt, mit dem er einen Regenbogen erschaffen hatte, denn anders als Phillis beherrschte Houdini ja keine Magie und konnte darum auch nicht einfach so aus dem Nichts einen Regenbogen erschaffen.
Houdini begrüßte sie nicht, entschuldigte sich nicht für seine Verspätung oder begann mit freundlichen Worten, wie man es vielleicht von einem (neurotypischen) Menschen erwarten würde. Stattdessen sagte er sofort: „Bringen wir das hier hinter uns, ich finde diese Toiletten in der Schule sehr abstoßend und ich weiß nicht, wann andere Schüler kommen könnten. Außerdem schwänze ich gerade Mathe und wenn mich ein Lehrer erwischt, muss ich vielleicht sogar zurück in den Unterricht und ich überlebe es einfach nicht, noch einmal diese Integrale zu lernen, die habe ich schon mit sieben beherrscht!"
„Dir auch einen guten Tag, Houdini!", begrüßte Phillis ihn grinsend und winkte ihm, „Wie gefällt dir die Schule?"
„Absolut schrecklich", sagte Houdini, aber nicht mit Abscheu, Wut oder Trauer in der Stimme, sondern so emotionslos, wie er meistens sprach, „Die Lehrer sind inkompetent; die Schüler dämlich; die Klassenräume zu hell und stickig; die Schuluniform kratzt und ich darf nicht meine Schuhe tragen –", wie um das zu beweisen, streckte er einfach so seinen Fuß hoch zu seinem Kopf, sodass man seinen Schuh sehen konnte und wahrscheinlich wäre es für einen normalen Menschen beeindruckend gewesen, wenn man einfach so aus dem Stand sein Bein einfach so bis zum Kopf strecken konnte, aber Houdini tanzte in seiner Freizeit Ballett und war deswegen sehr gedehnt, sodass das kein Problem für ihn war. Tatsächlich war da an seinem Fuß nicht ein Ballett-Schuh, wie Phillis es eigentlich von ihm kannte, sondern ein schwarzer Lack-Schuh mit einer schwarzen Socke, die er ordentlich hochgezogen hatte. Phillis hatte Houdini noch nie mit Socken gesehen, soweit sie sich daran erinnern konnte. Er ließ seinen Fuß wieder sinken. „– aber wenigstens ist es kein Internat. Jetzt aber genug mit diesem nutzlosen Small-Talk."
„Ich stimmte ihm ja nicht gerne zu –", begann Birget, aber Houdini unterbrach sie.
„Wenn du mir häufiger zustimmen würdest, vielleicht hättest du dann häufiger Recht?"
„Oh, du kleiner –"
Chiron schritt ein, bevor wieder einmal ein Krieg zwischen Athene und Ares ausbrechen konnte. „Houdini, das hier ist Albus Dumbledore, Schulleiter von Hogwarts und der Sohn von Kendra. Albus, das ist Houdini, Sohn der Athene."
Houdini nickte ihm nur kurz zu, bevor er wohl beschloss, dass alle Höflichkeiten und Begrüßungen beendet waren. „Ich habe das schon mit Phillis in einem Brief besprochen, also weiß ich nicht, wie viel sie euch allen schon erzählt hat, aber ich habe nach möglichen Gegengiften für diesen Cocktail gesucht und –"
„Ich habe ihnen eigentlich noch gar nichts gesagt", gestand Phillis.
Houdini stockte und sah Phillis direkt an. Etwas in seinen Augen sagte Phillis, dass er müde oder genervt war. „Was habt ihr dann die ganze Zeit gemacht? Habe ich mich nicht genug verspätet, damit ihr schon einmal die grundlegenden Sachen klären könnt? Muss ich wirklich wie ein Lehrer anwesend sein, damit hier irgendetwas weitergeht?"
Chiron sah Dumbledore nur entschuldigend an. Dieser verstand.
„Wie auch immer", seufzte Houdini, „Phillis – willst du beginnen?"
„Mit Vergnügen", Phillis klatschte einmal in die Hände, „Also... zusammengefasst: Ich bin vergiftet worden."
„Wann?", fragte Birget alarmiert, „Ist Pirro in Hogwarts gewesen oder hat er einen Spion hier?"
„Schon im Sommer", winkte Phillis ab, „Wir vermuten, dass er die Tinte vergiftet hat, mit der ich dieses Tattoo hier gemacht habe." Phillis hielt ihre Hand mit dem Sonnen-Tattoo ins Bild. „Madam Pomfrey, unsere Krankenschwester hier in Hogwarts hat es bemerkt, als sie eigentlich eine gebrochene Hand behandelt hat und hat ein paar Untersuchungen durchgeführt. Ein paar Bestandteile von dem Gift hat sie noch nachweisen können, aber andere hat Houdini für mich identifiziert."
„Für irgendetwas muss mein Chemie-Set ja nützlich sein", schnaubte Houdini, „Ich habe es schon vor zehn Jahren bekommen, aber dieses Mal habe ich es das erste Mal wirklich gebraucht."
„Es ist eine ganze Mischung aus verschiedenen Giften", erzählte Phillis ernst, „Eine Mischung aus den schlimmsten Giften aus beiden Welten – Muggel und auch Zaubertränke. Das spricht dafür, dass Pirro sehr viel Gedanken in dieses Gift gesteckt hat und wahrscheinlich ist es ihm nur gelungen, weil er Hilfe von einem Zauberer hatte – Voldemort." Phillis machte eine dramatische Pause, bevor sie weitersprach. „Madam Pomfrey hat ein paar Zutaten nachgewiesen, die darauf hindeuten, dass ein Trank der Lebenden Toten Bestandteil von diesem Cocktail ist: Schlafbohnen, Wermut, Affodill und Baldrian. Der Trank der lebenden Toten ist eigentlich ein Schlaftrunk und nur eine Überdosis ist tödlich, beziehungsweise wacht man danach nicht mehr auf", erklärte Phillis mehr an Birget und die anderen Demigötter gewandt, nachdem Dumbledore das vermutlich schon wusste, „Wahrscheinlich ist es wirklich nur als Betäubungsmittel Teil dieses Giftes."
„Das Opfer wird vergiftet und bekommt es nicht mit, weil es schläft", fuhr Houdini fort, „Phillis ist lange bewusstlos gewesen, nachdem sie vergiftet worden ist und bisher haben wir gedacht, es wäre gewesen, weil sie einen Schlag auf den Kopf abbekommen hat, aber wahrscheinlich war es die Wirkung von diesem Trank."
Phillis öffnete den Mund, um weiter zu machen, aber Houdini hatte wohl beschlossen, dass er es selbst machen wollte und sprach statt ihr: „Außerdem hat diese Krankenschwester auch noch herausgefunden, dass Pirro wohl Rizin benutzt hat, ein wirklich übles Gift – ein Pulver, das aus den Samen des Wunderbaumes gewonnen wird, aber wirkliche Wunder bewirkt Rizin nur, wenn man den Tod als ein Wunder betrachtet... Man sagt, dass es von verschiedenen Regierungen auch als Bio-Waffe benutzt wird und eine tödliche Menge ist so gering, dass man es auch als Bestandteil einer Pistolenkugel direkt in den Blutkreislauf befördern kann. Sobald es erst einmal im Blut ist, betrifft es natürlich gleich den ganzen Körper und es kommt zuerst zu Atemnot, Fieber, Husten und ein Engegefühl in der Brust zusammen mit natürlich Übelkeit und dann auch Erbrechen, blutigem Durchfall und niedrigem Blutdruck, wenn der Körper langsam von innen heraus zerstört wird – Zelle für Zelle. Ein wirklich langsamer, qualvoller Tod." Es klang wirklich qualvoll, aber Houdini sagte es so emotionslos, als würde er einen Aufsatz vorlesen. „Das Beste daran ist natürlich, dass es nicht wirklich ein Gegengift gibt – man kann nur hoffen, dass der Körper das Gift von selbst früh genug loswird, bevor es zu viele Schäden angerichtet hat."
„Wie hat Phil dann überlebt?", fragte Laertes und sah Phillis entschuldigend an, „Nichts für ungut – gut, dass du noch hier bist."
„Ich habe Nektar und Ambrosia genommen", erinnerte sich Phillis, „Das hat mich wahrscheinlich gerettet und die Nebenwirkungen gleich aufgehoben – ich habe zu dieser Zeit und auch danach noch eine ziemliche Menge davon genommen."
„Wie können Zauberer überleben?", fragte Dumbledore ernst, „Es besteht die Möglichkeit, dass Pirro auch einen meiner Leute verletzt und wenn er seine Klinge vergiftet hat, könnte schon ein Kratzer tödlich enden."
„Das habe ich Madam Pomfrey dann auch erfragt", sagte Phillis, „sie hat gesagt, dass eine dauerhafte Behandlung mit Tränken und Zaubern notwendig wäre, bis das Gift ausgeschieden ist. Aber mit ärztlicher Hilfe sind die Überlebenschancen ziemlich gut."
„Jedenfalls vergleichsweise", meinte Houdini tonlos, „Lasst uns weitermachen! Eine weitere pflanzliche Komponente ist wahrscheinlich Stechapfel. Ich habe eigentlich keine Ahnung, warum Pirro das in seinen fröhlichen Gifte-Mix dazugegeben hat, immerhin braucht es eine größere Menge, um jemanden umzubringen, aber wahrscheinlich ist er einfach nur ein kranker Bastard und hofft darauf, dass er wegen der halluzinogenen Wirkung seine Opfer noch einmal lächerlich machen kann."
„Halluzinogene Wirkung?", wiederholte Laertes (vielleicht ein wenig interessiert).
„Vergisst es, Schatz", Marty wuschelte seinem Ehemann durch die Haare, „Dieser Trip wäre kein guter – absolute Hölle!"
„Sprechende Gegenstände, imaginäre Personen,... solche Sachen", zählte Houdini locker auf, „In dem Buch, das ich darüber gelesen habe stand, dass man solchen Halluzinationen auch das Orakel von Delphi zuschreibt, aber wir alle wissen, dass das alles Schrott ist und die Sterblichen einfach keine Ahnung haben, dass das Orakel wirklich existiert."
„Leider", murmelte Birget leise und blickte in die Ferne, als würde sie sich an eine unangenehme Erinnerung zurückerinnern.
„Weitere Symptome sind ein trockener Mund, starkes Durstgefühl, Kopfschmerzen, Sprachstörungen und auch Koordinationsstörungen", fuhr Houdini fort, „In Stechapfel finden sich gleich drei verschiedene pflanzliche Gifte: Hyoscyamin, Atropin und Scopolamin – alles Alkaloide, wie ihr alle bestimmt wisst, und starke Anticholinergika, die den Neurotransmitter Acetylcholin blockieren und so die Zellfunktion beeinträchtigen, was wiederum –"
„Liest du das eigentlich ab?", fragte Laertes dazwischen.
Houdini blickte auf und blinzelte verwirrt, als hätte er ganz vergessen, dass er diesen Vortrag gerade einem Publikum gab. „Natürlich nicht", schnaubte er, als wäre das eine Beleidigung gewesen (und für Houdini war es vermutlich wirklich eine Beleidigung, ihn so anzuzweifeln), „Könnte ich nun ohne weitere Unterbrechungen fortfahren? Dan-ke-schön!"
Laertes hielt sich die Hand vor den Mund, um sein schelmisches Grinsen zu verstecken.
Houdini räusperte sich. „Wie auch immer – Stechapfel-Vergiftungen behandelt man normalerweise mit Physostigmin und Aktivkohle."
„Aktivkohle?", fragte Wesley überrascht nach.
„Aktivkohle benutzt man meist gegen solche Gifte", meldete sich zur Überraschung vieler (Phillis war nicht überrascht) Marty und er schob seine Sonnenbrille mit heute gelben Gläsern seine Nase hoch, „Es bindet das Gift im Verdauungstrakt und verschafft dem Körper mehr Zeit, es auszuscheiden, bevor es – zum Beispiel – in den Blutkreislauf übergehen kann und dort Schäden anrichtet. Aber diese Behandlung wirkt dann natürlich nur, wenn man das Gift oral eingenommen hat."
Alle sahen zu Marty.
„Was ist?", fragte er und hob abwehrend die Hände, „Habt ihr alle vergessen, dass ich immer noch Arzt bin? Ich bin darin ausgebildet, solche Sachen zu wissen."
„Ich habe ehrlich gesagt immer gedacht, du hättest dein Zertifikat gefälscht", gestand Birget, „oder –", sie sah zu Laertes, „fälschen lassen."
Marty schnaubte künstlich empört und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe studiert und bin wirklich Arzt, danke der Nachfrage."
„Wenn ich nun fortfahren könnte", bat Houdini seufzend, aber er wurde wieder unterbrochen, aber dieses Mal von Wesley.
„Wann bist du eigentlich ein Experte für Gifte geworden? Müssen wir uns da Sorgen machen?", fragte er und lachte nervös.
„Gifte sind die Waffen einer Frau", meinte Laertes, was ihm einen wütenden Blick von Birget einbrachte.
„Meine Waffen sind Speere und auch eine Streitaxt, wenn es sein muss!", sagte sie laut und spannte ihre Armmuskulatur an, was man sehr gut sehen konnte, nachdem sie wie häufig ein oranges Camp-T-Shirt mit abgeschnittenen Ärmeln trug.
„Phillis' Waffe ist der Bogen", meldete sich auch Marty, „Weißt du, wie viel Kraft es eigentlich braucht, um einen Bogen zu spannen? Ich bezweifle, dass du Phillis' Bogen einfach so spannen könntest."
„Und Gifte sind offenbar Pirros Waffen", meinte Wesley auch noch, „Er ist keine Frau."
„Wenn ihr es unbedingt wissen müsst, Phillis hat mir gestern geschrieben, nachdem Madam Pomfrey zu nicht allen Bestandteilen eine zufriedenstellende Antwort gehabt hat, also habe ich mich eingelesen", meinte Houdini und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust, „Ich habe sowieso nichts Besseres zu tun gehabt und jetzt bin ich wohl – wie Wesley es so übertrieben ausgedrückt hat – ein Experte, wobei ich mich selbst natürlich niemals als Experte sehen würde, ich habe nur die Werke von–"
„Das hast du sehr gut gemacht, Houdini", lobte Chiron ihn, bevor Houdini noch weiter reden konnte und Phillis fragte sich, ob er es im Moment nur sagte, weil er wusste, dass jemand wie Houdini hin und wieder einfach die Zustimmung von anderen Personen brauchte. Selbst, wenn das der Fall war: Es funktionierte. Houdini nickte zufrieden und obwohl er nicht lächelte, wusste Phillis, dass er zufrieden war.
„Die Krankenschwester hat die wahrscheinlich letzte Komponente nicht erkannt, aber ich habe sie extrahieren können und habe so herausgefunden, worum es sich handelt", redete Houdini weiter, „Chloroform."
„Chloroform?", wiederholte Laertes, „Muss man das nicht einatmen – und lässt das einen nicht nur ohnmächtig werden?"
Houdini seufzte genervt, als hätte er noch nie in seinem (eigentlich eher kurzen) Leben eine so dämliche Frage gehört. „Jaah, Chloroform wird – oder besser gesagt wurde – hauptsächlich als Narkosemittel benutzt, aber in zu hoher Dosis ist es schnell tödlich. Nicht nur, wenn man es einatmet – man kann es natürlich auch oral oder sogar über die Haut aufnehmen und dann können schon zehn Milliliter tödlich sein. Die Symptome sind natürlich wieder Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, aber auch psychische Folgen wie Verwirrung oder eine gewisse Benommenheit. Letztendlich kann es auch zum Atemstillstand, zu einem Herzinfarkt und so auch zum Koma oder den Tod führen."
„Oh", machte Laertes.
„Unser einziger Vorteil ist, dass man es behandeln kann", bemerkte Houdini, „Bei einer Aufnahme, wie es bei Phillis der Fall gewesen wäre, hilft es, den Wirkstoff N-Acetylcystein zu schlucken – das kann vor bleibenden Schäden und dem Tod schützen."
„Das sind wirklich freudige Neuigkeiten", meinte Laertes trocken.
„Mit all diesen Informationen ist es möglich, ein wirksames Gegengift zu brauen", meldete sich Dumbledore wieder einmal zu Wort – bisher hatte er nur höflich zugehört und aufgepasst (wie Chiron es ihm geraten hatte), „Für ein wirksames Gegengift für eine Mischung aus Giften braucht es zwar mehr, als nur die Gegengifte für jede einzelne Komponente, aber ich bin bekannt mit einer Reihe von begabten Zaubertrankmeistern, die bestimmt eine Lösung für unser Problem finden können."
„Euer Problem", widersprach Houdini ihm kaltherzig, aber ehrlich, „Bei Demigöttern reicht Nektar und Ambrosia – das hat Phillis bewiesen. Wir haben nicht einmal gewusst, dass sie vergiftet worden ist und sie hat überlebt. Das einzige Problem stellt nur der Trank der lebenden Toten dar, der einen dazu bringt, bewusstlos zu sein, sodass man nicht selbst Hilfe holen kann. Es muss also nur immer jemand dabei sein, der Nektar verabreichen kann. Außerdem sollten wir davon ausgehen, dass Pirro jedes Mal eine neue Kombination verwendet. Wenn er nur für diese Tinte schon eine solche Auswahl an Giften zur Verfügung hatte, was spricht dagegen, dass er auch noch andere Variationen versucht hat? Oder auch noch andere Komponenten ausprobiert?"
„Sprechen Sie mit Madam Pomfrey", riet Phillis ihrem Schulleiter, „Sie hat gesagt, dass man mit Zauber eine langwierige Vergiftung unter Kontrolle halten kann, bis das Gift ausgeschieden wird und bei einem schnell wirkenden Gift hat der Vergiftete sowieso selten eine Chance."
„Ein Bezoar könnte helfen", überlegte Dumbledore.
„Ich... habe keine Ahnung, was das ist", gestand Phillis, „Ich bin nicht gut in Zaubertränke, aber... bestimmt wissen Sie, wovon Sie sprechen."
„Und Sie können Ihren Ordensmitgliedern beibringen, wie man eine vergiftete Person am Leben hält, bis diese Hilfe bekommt", riet Chiron Dumbledore, „Außerdem sollten Sie sie darüber aufklären, dass schon ein kleiner Kratzer verheerend sein kann. Normalerweise steckt man solche Verletzungen vielleicht einfach weg und lässt sie nicht einmal untersuchen –"
Jetzt, wo Phillis darüber nachdachte, fragte sie sich, wie oft Pirro versucht hatte, sie zu vergiften. Vielleicht mehr als nur das eine Mal, immerhin war er auch ein paar Mal für das Essen zuständig gewesen und das war normalerweise die einfachste Form, jemanden zu vergiften.
„– aber sollte ein Ordensmitglied während eines Kampfes auch nur leicht verletzt werden, sollte die Wunde nach Giften untersucht werden, bevor das Gift die Organe angreifen kann."
Dumbledore nickte bedächtig.
Plötzlich hörte man von Houdinis Iris-Nachricht aus ein Klingeln – eine Schulglocke. Houdini seufzte. „Ich muss weg – Phil, ich habe von Mum die Erlaubnis bekommen! Ich kann über Weihnachten nach Irland fliegen, solange ich ein paar Tage auch zu Hause bleibe." Houdini lächelte nicht, als er das sagte, aber natürlich war er auch gar nicht in der Lage dazu. Phillis wusste aber, dass er sich freute und begann selbst zu grinsen.
„Cool", sagte sie begeistert.
Birget stöhnte genervt auf. „Weihnachten mit Houdini? Bitte nicht!"
„Also ich freu mich!", hörte man eine weiter entfernte Stimme – die Stimme von Sara Dolohow, die bestimmt auch irgendwo im Haus sein musste und das wohl gehört hatte. Als Houdini das ebenfalls hörte, wurde er leicht rot und ohne sich zu verabschieden, wischte er die Iris-Nachricht weg.
Kurz wurde es still. „Also...", sagte Chiron schließlich, „Weiter zum nächsten Punkt – Birget, ihr habt auch etwas zu berichten?"
„Ich habe noch eine kurze Frage dazwischen", gestand Dumbledore und er klang beinahe ein wenig unsicher, das zu fragen, „aber... wie alt ist Houdini denn genau?"
„Er ist zwölf", antwortete Chiron, als wäre es nichts außergewöhnliches, „Er hat letzten April erfahren, dass er ein Demigott ist. Warum?"
„Einfach nur so", winkte Dumbledore ab und summte nachdenklich, bevor er sich wieder auf Birget konzentrierte. Phillis konnte nicht sagen, ob Dumbledore abgeneigt von Houdini war oder nicht. Auf jeden Fall schien er interessiert zu sein, aber Phillis tat sich eher schwer, Dumbledores Gefühle aus seinem Gesicht abzulesen, aber soweit Phillis das mitbekommen hatte, hegte Dumbledore eher keine negativen Gefühle gegen Houdini – eher das Gegenteil war der Fall und er schien fasziniert von ihm zu sein.
Das war auch kein Wunder – Houdini war ziemlich faszinierend, immerhin nannte Phillis nicht jeden ihren besten Freund.
An dieser Stelle ein schnelles Dankeschön an @Arcane_y ! Du weißt... auch beunruhigend viel über Gifte. Danke für deine Hilfe bei der Recherche und alle meine LeserInnen können sich wohl auch bei dir bedanken, nur wegen dir und dem ganzen Abladen von all diesen vielen Fakten habe ich dieses Kapitel mit so vielen Fakten füllen müssen (wäre ja sonst eine Verschwendung von Fakten gewesen, oder nicht?) :)
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