Houdini und Phillis haben eines gemeinsam: Sie schlagen gerne Lehrer
Der natürliche Flucht- und Kampfreflex eines Demigottes ist schon angeboren.
Als wären wir mit den nötigen Instinkten zum Überleben geboren, sind Demigötter außergewöhnlich talentiert darin, Gefahren zu erkennen und darauf zu reagieren, natürlich immer mit gewissen Ausnahmen verbunden, wenn eine Verbindung aus minimaler Dummheit und Unaufmerksamkeit gemischt mit zu viel Vertrauen in die Menschheit und naiver Gutgläubigkeit dazu führt, dass wir unsere Instinkte ignorieren und nicht darauf reagieren.
Wie du aber weißt, Phillis, bin ich weder dumm, noch unaufmerksam und mein Vertrauen in die Menschheit habe ich schon verloren, als Richard Nixon tatsächlich zum Präsidenten gewählt wurde und ich habe schon damals mit meinem Vater eine ausführliche Debatte über seine Rolle in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika geführt und – ich kann mich noch genau daran erinnern – ich damals schon die Watergate-Affäre vorhersehen konnte (aber über Politik sollten wir uns unterhalten, wenn wir uns von Angesicht zu Angesicht sehen).
Vielleicht neige ich zu Gutgläubigkeit, ansonsten wäre mir niemals der Fehler mit Pirro Navaja unterlaufen, aber wir wollen unsere sowieso schon geringe Interaktion nicht mit Gedanken über diese Unannehmlichkeit trüben.
Was ich eigentlich sagen wollte, bevor ich abgeschweift bin, ist, dass ich nicht verstehe, warum diese Tölpel mit Reptiliengehirnen nicht verstehen, dass ich im Recht bin!
Ich habe vielleicht einen Lehrer geschlagen, aber nicht nur hat er sich von hinten mehr oder weniger an mich angeschlichen – nein! – er hat mich auch noch an der Schulter berührt und zugegeben, ich habe mich erschrocken, nachdem ich in letzter Zeit sowieso immer etwas vorsichtiger erscheine (immerhin läuft da irgendwo ein Mörder herum, der Leute wohl gerne von hinten ersticht! Da ist es nur ganz natürlich, dass man vorsichtig ist!), aber anstatt meinen Standpunkt zu verstehen, haben sie mich (wieder einmal) einfach von der Schule geworfen!
Kannst du dir das vorstellen, Phillis?
Wir wissen beide, dass ich diesen Professoren und Lehrern intellektuell weit voraus bin und meine geistigen Fähigkeiten unfehlbar sind, aber trotzdem wagen sie es – sie haben tatsächlich die Dreistigkeit – mich! – Houdini! – von der Schule zu werfen!
Ich habe doch nur instinktiv reagiert und meine Reaktion war vorhersehbar und rational – es besteht ganz selbstverständlich eine Korrelation zwischen Trauma, Misstrauen und Berührungen, aber aufgrund einiger andere Vorfälle in den letzten Wochen – die in meinen Augen natürlich auch vollkommen gerechtfertigt waren (aber ich will das jetzt nicht weiter ausführen) – haben diese Lehrer sich schon verschworen und a priori beschlossen, dass sie mich von der Schule werfen!
Ich wette, da spricht nur der Neid aus ihnen aufgrund meiner Leistungen.
Meine Mom – also Stiefmutter – hat mir da zwar nicht zugestimmt, findet es aber auch unfair, dass sich mich wegen diesem Vorfall von der Schule werfen...
Weswegen ich dir eigentlich so eilig schreibe... Ich habe wieder einen Albtraum gehabt... Mom hat mir dann versichert, dass bestimmt alles in Ordnung ist und ich sofort von Chiron gehört hätte, wenn dir etwas passiert wäre und ich besitze keine hellseherischen Fähigkeiten wie du, Phillis, weiß aber, dass auch andere Demigötter Träume haben können, und in diesem Traum ging es um dich und deswegen hoffe ich auf eine eilige Antwort von dir – ein Brief, in dem du mir einfach nur von deinen Schwierigkeiten in der Schule berichtest, möglichst ohne auf jene Problematik einzugehen, die wie eine dunkle Wolke direkt über uns schwebt und alle meine Gedanken einzunehmen scheint.
Ich werde diesen Brief per Hermes-Express direkt an Chiron senden, weil du mir gesagt hast, dass es auffällig wäre – offenbar selbst für Hexen und Zauberer – wenn aus dem Nichts direkt vor dir ein Brief erscheinen würde, aber eine Eule wäre zu langsam. Deine Antwort ist wirklich dringlich und nachdem mich meine Mom nach diesem Vorfall zu Hause unterrichtet, um mir einen adäquaten Unterricht zu bieten, bis sich diese Sache mit der Schule geklärt hat, kannst du mir ohne Schwierigkeiten eine per Hermes-Express einen Brief schicken (dafür habe ich extra eine Drachme hinzugelegt, obwohl ich sicher bin, du hast eigene bei dir).
Ich hoffe auf eine baldige Antwort von dir
Houdini
„Ist alles in Ordnung?", fragte Remus seine Freundin? Liebhaberin? Verbündete? Vertraute? besorgt, als Phillis den Brief las, den Chiron ihr übergeben hatte und ihre Gesichtszüge von amüsiert zu besorgt zu mitleidig gewechselt hatten, ohne dass sie vermutlich wollte, dass jemand nur anhand ihres Gesichts erkennen konnte, welche Nachrichten sie bekommen hatte.
„Hm? Oh... ja... Houdini ist nur... wieder von einer Schule geflogen", antwortete Phillis und hielt absichtlich die meisten Informationen im Brief zurück.
„Was Houdini nicht der Freund, der ein Genie ist?", erinnerte sich Remus an Phillis' Erzählungen.
„Dafür kann er seine Klappe nicht halten", seufzte Phillis amüsiert, „und er hat einen Lehrer geschlagen, der etwas zu leise von hinten an ihn herangekommen ist und dann haben sie ihn verwiesen."
„Oh", machte Remus nur. Er hatte Houdini noch nie gesehen, aber Phillis erzählte immer wieder von ihm. Sie waren beste Freunde und nach allem, was sie zusammen erlebt hatten, musste Remus ihn einfach als ein Teil von Phillis Leben sehen, obwohl Houdini in seinem Kopf ein riesiger, muskulöser Jugendlicher mit einem charmanten Lächeln und einem so guten Aussehen, dass es schon wieder unfair war, dass er auch noch so intelligent war, dass Phillis nur voller Ehrfurcht davon sprechen konnte. Remus hatte noch kein Bild von ihm gesehen, aber er konnte nicht anders, als einfach einen zweiten Sirius zu denken – aber in intelligent. Eine Fusion aus sich selbst (aber noch intelligenter) und Sirius (aber noch attraktiver) mit einem sexy Moustache und Monokel. Remus hatte selbst keine Ahnung, warum er ihn sich so vorstellte, aber vielleicht hatte das mit dem selbstgewählten Namen „Houdini" zu tun, den er sich gegeben hatte, wie Phillis erzählt hatte.
Dass er wohl schon häufiger von Schulen geflogen war, hatte Remus nicht gewusst und er hatte nicht erwartet, dass jemand, der anscheinend so intelligent war wie Houdini, auch von der Schule fliegen konnte.
„Ich sollte ihm sofort zurückschreiben", schlug Phillis vor, „Dieser Vorfall in der Schule und auch ein paar andere Sachen haben ihn ziemlich mitgenommen... ich wünschte, ich könnte mit ihm sprechen..."
Remus verstand das, obwohl sich in ihm eine kleine Unsicherheit ausbreitete, als er daran dachte, dass Phillis vielleicht doch mehr für Houdini empfinden könnte, als sie zugab, aber Remus nahm sich vor, Phillis nichts von seinen Zweifeln mitbekommen zu lassen und sollte sie ihn für Houdini verlassen, würde er das akzeptieren. Vielleicht war Houdini auch besser für sie.
„Klar", Remus lächelte, „Vielleicht kann er ja in den Weihnachtsferien nach Irland fliegen oder ihr könnt telefonieren."
Phillis schien diese Idee wirklich zu gefallen. „Hey! Ich glaube, ich frage ihn, ob er Lust hat, vorbei zu kommen – das ist eine gute Idee!"
„Es klingt so, als könnte er eine Freundin wie dich brauchen." Remus versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie unsicher er sich fühlte, nachdem er vielleicht ausgelöst hatte, dass Phillis und Houdini sich noch näher kamen. „Ich meine... er hat gerade einen Lehrer geschlagen... normalerweise ist das ein eindeutiges Zeichen dafür, dass irgendetwas nicht stimmt und ich weiß nicht, was ihr zusammen im Sommer erlebt habt, aber es ist möglich, dass er ein gewisses Trauma davongetragen hat."
„Jaah... das hat er auch gesagt", gab Phillis zu, „und er mag Berührungen auch so nicht gerne und dann tippt ihn ein Lehrer auf die Schulter – bestimmt war es die Mischung..." Einen Moment lang verlor Phillis sich in ihren Gedanken und blickte in die Ferne. Dann begann sie zu lachen und Remus konnte nicht anders, als ebenfalls zu grinsen, obwohl er nicht einmal wusste, warum Phillis lachte. „Ha! Kannst du dir das vorstellen? Houdini schlägt einfach einen Lehrer! Ha!"
Remus war sich nicht ganz sicher, warum das so witzig war, aber Phillis' Lachen war einfach so ansteckend, dass er nicht anders konnte, als ebenfalls leise zu lachen.
„Ich meine...", brachte Phillis zwischen ihrem Lachen heraus, „siehst du es nicht vor dir? Ich sehe es regelrecht vor mir – Houdini schlägt – haha! – schlägt ihn einfach! Erschrickt sich, dreht sich um und –"
„Miss Dolohow?"
Phillis zuckte erschrocken zusammen und vor Remus spielte sich genau die Szene ab, die Phillis gerade eben noch beschrieben hatte. Phillis reagierte instinktiv, als Slughorn scheinbar aus dem Nichts direkt hinter ihr stand und eine Hand auf ihre Schulter legte. Phillis holte mit der Hand aus und– Remus lehnte sich etwas nach vorne, um den Schlag abzufangen, hatte aber nicht erwartet, dass es so wehtun würde und die Luft wurde ihm aus die Lungen gepresst, als Phillis ihn in der Magengegend traf, wobei Remus bezweifelte, dass sie so fest zugeschlagen hatte, wie sie konnte. Trotzdem schmerzte es und er beugte sich instinktiv vornüber, während Phillis erschrocken aufschrie.
Slughorn stand perplex daneben.
„Oh, Götter – Remus, geht es dir gut?", fragte Phillis ihn besorgt, „Ich wollte nicht– ich..."
„Schon gut", brachte Remus heraus und seine Stimme klang atemlos, aber irgendwie schaffte er es, zu lächeln, „Wenigstens hast du keinen Lehrer geschlagen, hu?"
„Miss Dolohow", wiederholte Slughorn und hatte offenbar beschlossen, die ganze Angelegenheit, die sich gerade vor ihm abgespielt hatte zu vergessen.
„Professor Slughorn", begrüßte Phillis ihn, warf aber immer wieder besorgte Blicke zu Remus, der sich aber wenigstens wieder aufsetzen konnte, „Wie kann ich Ihnen helfen? Ich... bin ja nicht mehr bei Zaubertränke..."
„Das habe ich voller Bedauern selbst erkennen müssen, ja", seufzte Slughorn und Phillis warf Remus einen verwirrten Blick zu – Slughorn hatte sie eigentlich nie wirklich ausstehen können, „aber nach Ihrer bemerkenswerten Leistung letztes Jahr auf dem Spielfeld bei der Quidditch-Hausmeisterschaft wollte ich Sie trotzdem einladen, Mitglied des Slug-Clubs zu werden!"
Phillis blinzelte verwirrt und warf noch einen unsicheren Blick zu Remus, der ihr aufmunternd zunickte.
„Der... Slug-Club?", fragte Phillis.
„Nur eine kleine Ansammlung an Schülern, die ich regelmäßig zu einem Abendessen in meinem Büro einlade", winkte Slughorn ab, „Hier habe ich eine Einladung für ein Abendessen in meinem Büro – diesen Samstag", Slughorn hielt Phillis eine kleine Schriftrolle entgegen, „Würden Sie kommen?"
Phillis nahm sie an und blickte noch einmal zu Remus, der aufmunternd nickte.
„Bist du auch da?", fragte sie ihn etwas unsicher.
Slughorn räusperte sich unangenehm und Remus wurde etwas rot.
„Also...", stammelte Slughorn, „Mr Lupin ist –"
„Lily wird dort sein", unterbrach Remus ihn schnell. Er war nicht eingeladen, obwohl seine Noten – auch in Zaubertränke – gut waren und er als Vertrauensschüler eigentlich schon eine gewisse Stellung in der Schule einnahm, aber Slughorn würde ihn trotzdem niemals einladen, denn er wusste, dass er ein Werwolf war. Remus wusste auch, dass das vermutlich der einzige Grund war, warum er nie eingeladen worden war.
Phillis war mit der Antwort noch nicht ganz zufrieden. „Äh... kann ich es mir überlegen?", fragte sie Slughorn, der etwas enttäuscht aussah, aber nickte.
„Aber natürlich, aber ich kann Ihnen versichern, Miss Dolohow, dass Sie nichts zu befürchten haben. Es ist nur eine kleine Zusammenkunft und ein unverbindliches Essen."
Phillis nickte und war einfach nur erleichtert, als Slughorn ging.
„Du solltest wirklich gehen", schlug Remus vor, „Lily mag die meisten Leute dort zwar nicht, aber du hättest wenigstens sie und sie würde sich bestimmt auch freuen, jemanden dort zu haben, bei dem sie nicht nur so tun müsste, als würde sie ihn mögen."
„Ich finde das nur seltsam – Slughorn hasst mich eigentlich", schnaubte Phillis, „Ich vertraue dem nicht."
„Lily sagt, er knüpft dort nur Kontakte." Remus zuckte mit den Schultern. „Du weißt schon – Schüler, von denen er denkt, dass sie einmal einflussreich, bekannt oder wichtig sein könnten. Ich weiß von ein paar, die jetzt wichtige Stellen im Ministerium haben, auch wenn sie noch nicht lange dort arbeiten."
„Und er denkt wirklich, ich gehöre in diese Kategorie?", schnaubte Phillis amüsiert.
„Nun... er hat gesagt, deine Quidditch-Performance hat ihm gefallen. Du könntest eine berühmte Quidditch-Spielerin werden."
Phillis lachte laut auf, so lächerlich fand sie den Gedanken. Nicht nur hatte sie gerade einen Krieg direkt vor der Haustür, der nur auf sie zu warten schien und sie war eine Demigöttin, was ihre Lebenserwartung nun, da sie schon sechzehn war gegen null setzte, sie fühlte sich nicht mehr so inspiriert von Quidditch wie letztes Jahr und ihre Motivation schien wie verschwunden. Sie war zwar wieder Kapitänin, aber sie wusste nicht, ob sie dieses Jahr die Muse haben würde, um wieder den Pokal für Gryffindor zu gewinnen – besonders, weil nun alle ihr Vertrauen in sie legten und Phillis dazu neigte immer alle zu enttäuschen.
„Ich mein das ernst", Remus stieß ihr leicht in die Seite, „Du hast wirklich Talent und bist wirklich gut – ich verstehe nicht viel von Quidditch, aber James und Sirius schon und die sind begeistert von dir."
„Im Moment will ich einfach nur dieses Jahr hinter mir bringen", gestand Phillis und stand vom Tisch auf, „Ich sollte Houdini zurückschreiben – wir sehen uns später."
Phillis flüchtete beinahe aus der Großen Halle, zu viele Gedanken auf einmal in ihrem Kopf und hauptsächlich fragte sie sich, wie sie an die Zukunft denken sollte, wenn sie nicht einmal wusste, ob sie das nächste Jahr überhaupt überleben würde.
„Wow", staunte Sirius und wie so viele andere im Gemeinschaftsraum konnte er die Augen nicht von der Treppe zu den Mädchenschlafsälen abwenden, „Phillis im Kleid – jetzt habe ich wirklich alles gesehen."
„Ich habe nicht gedacht, dass Lily sie dazu überreden kann", scherzte James, „Tatze, du schuldest mir fünf Sickel!"
„Warum sieht sie noch immer so aus, als könnte Phillis mir das Genick mit ihren Unterschenkeln brechen?", fragte Peter etwas unsicher.
„Weil sie es könnte", sagte Remus nur, „Könnt ihr aber jetzt aufhören zu starren, sie ist schon unsicher genug!"
Wie auf ein Stichwort blickten sie alle weg und schauten sich irgendwo im Gemeinschaftsraum um, aber sie wusste nicht genau, wohin sie stattdessen hinsehen sollten und deswegen wirkte es sehr gekünstelt und falsch.
Tatsächlich trug Phillis niemals Kleider oder Röcke. Irgendwie hatte sie es sogar geschafft, statt dem Rock der Schuluniform eine Hose zu tragen, wie es eigentlich nur die männlichen Schüler taten, was diesen Anlass umso besonderer machte.
Es war Lilys Idee gewesen.
Als diese erfahren hatte, dass Phillis ebenfalls zu einem Abendessen bei Slughorn eingeladen war, war sie wirklich erleichtert gewesen, endlich jemanden dort mitnehmen zu können, den sie auch als Freundin betrachtete. Sie hatten sich dann darüber unterhalten, wie diese Essen waren und Lily hatte erzählt, dass man dort elegantere Kleidung trug – Festumhänge, Kleider und eher Kleidung für besondere Anlässe. Das hatte dann dazu geführt, dass Lily vorgeschlagen hatte, dass sie sich zusammen darauf vorbereiten könnten und das hatte wiederum dazu geführt, dass Lily Phillis dazu überredet hatte, eines von Lilys Kleider zu tragen, die sie besaß (nachdem Phillis selbst keine Kleider besaß).
Phillis war eigentlich weniger begeistert von dieser Idee gewesen, aber Lily schien so begeistert von dieser Idee, dass sie nicht hatte „Nein" sagen können. Jetzt bereute sie diese Entscheidung.
Lily hatte sich wenigstens etwas erbarmt und ihr ein Kleid gegeben, dass bis zur Mitte ihrer Unterschenkel ging, aber trotzdem fühlte Phillis sich unsicher und unwohl. Immer wieder zupfte sie ihren Rock zurecht. Das Kleid war einfach geschnitten und schlicht rot. Phillis war sich nicht sicher, ob ihre blonden Haare zu dieser Farbe passten, obwohl Lily ihr versucht hatte, dass ihr dieses Kleid ganz wundervoll stand. Die Ärmel waren kurz und Phillis war die T-Shirts aus dem Camp gewohnt, deren Ärmel ihr beinahe bis zu den Ellenbogen reichten, aber die Ärmel dieses Kleides waren kürzer. Phillis hoffte einfach nur, dass sie sich mit dem Kleid nicht lächerlich machte – die starrenden Blicke ihrer Mitschüler halfen nicht wirklich.
„Vielleicht sollte ich doch etwas anderes anziehen", schlug Phillis unsicher vor und wollte wieder umdrehen, aber Lily packte sie am Oberarm und zog sie mit.
„Nein, du siehst toll aus und sonst kommen wir noch zu spät", lehnte sie ab.
Phillis bereute schon, jemals zugesagt zu haben, dass sie kam. Sie hatte es eigentlich hauptsächlich für Lily getan, nachdem diese so begeistert gewesen war, dass sie nicht mehr alleine dort sein musste.
Lily zog sie mit sich und Phillis konnte noch einen letzten verzweifelten Blick auf Remus werfen, der ihr aufmuntern die Daumen nach oben zeigte, bevor sie schon aus dem Gemeinschaftsraum verschwanden.
„Okay, nicht vergessen, das ist einfach nur ein Essen, also nicht nervös sein", riet Lily ihr aufgeregt – aufgeregter, als Phillis es war, „Professor Slughorn mag mich wirklich. Wir sitzen nebeneinander, okay?"
„Ich glaube, ich schaff das, Lily", beruhigte Phillis sie, „Meine Mum hat nicht komplett bei meiner Erziehung versagt, wie ich hoffe."
„Klar doch, aber ich bin bei meinem ersten Essen auch etwas nervös gewesen", gestand Lily.
„Ich bin nicht nervös", überlegte Phillis, „Eigentlich fühle ich mich einfach nur unwohl – hätte ich nicht doch lieber Hosen und ein T-Shirt tragen können?"
„Professor Slughorn schätzt ordentliche Kleidung – einmal hat ein älterer Schüler vergessen eine Krawatte zu tragen – Slughorn hat ihn danach nicht mehr eingeladen."
„Ich weiß nicht, ob ich noch einmal eingeladen werden will...", gestand Phillis.
„Jetzt schau es dir erst einmal an", schlug Lily aufmunternd vor, „Vielleicht gefällt es dir ja!"
Phillis war da zugegeben weniger positiv eingestellt.
Bei Slughorns Büro klopfte Lily an der Tür und Slughorn öffnete ihnen, ein Glas Wein in der Hand und ein breites Lächeln im Gesicht. „Miss Evans und Miss Dolohow! Wie schön, dass Sie auch hergefunden haben, Sie sind die letzten."
„'Tschuldigung, ich wollte nicht kommen", murmelte Phillis leise – leise genug, dass Slughorn es nicht hörte, aber Lily tat es und sie stieß Phillis warnend in die Rippen.
In Slughorns Büro war ein großer Tisch aufgestellt und darauf viele Speisen, die nicht so vielfältig und beeindruckend waren, wie bei Festessen in Hogwarts, aber besser als an normalen Tagen. Es saßen dort am Tisch noch ein paar andere Schüler, die Phillis beinahe alle namentlich kannte, aber mit den wenigsten hatte sie mehr zu tun.
„Bestimmt kennen Sie alle Phillis Dolohow, eine neue Berühmtheit hier in Hogwarts, wenn ich das so behaupten darf", Slughorn lachte kurz, „nach ihrem legendären Sieg des Quidditch-Pokals letztes Jahr haben Sie sich bestimmt einen Namen gemacht. Und hier haben wir – bestimmt kennen Sie sich – Dirk Cresswell –"
Cresswell war ein Ravenclaw-Schüler in Phillis' Jahrgang, aber sie kannte ihn kaum und hatte noch nie mit ihm gesprochen.
„– er hat wirklich herausragende Noten – beinahe so gut wie Ihre Freundin Lily Evans hier. Clara Crockett –"
Es war eine Slytherin-Schülerin, aber Phillis konnte sich nicht daran erinnern, sie schon jemals gesehen zu haben.
„– ihre Eltern sind Inhaber einiger Zaubertrank-Geschäfte. Elsa Biggs – Sie sollten sich kennen, Miss Dolohow –"
Elsa kannte Phillis, immerhin waren sie beide Gryffindors und beide waren sie nun in der Sechsten. Elsa war eine der Mädchen in Phillis Schlafsaal, die nichts mit ihr zu tun haben wollten und als Elsa ihr zunickte, wirkte ihr Lächeln gequält und sehr gezwungen. Vielleicht verabscheute sie Phillis. Vielleicht bereute sie auch, immer ziemlich gemein zu Phillis gewesen zu sein. Phillis befürchtete, dass Ersteres stimmte.
„Miss Biggs' Vater war einer meiner Schüler. Ein berühmter Quidditch-Spieler, er spielt für England – er sendet mir noch immer Karten für alle seine Spiele. Dann natürlich Severus Snape – ein wirklich herausragender Zaubertrank-Meister."
Snape beachtete Phillis nicht einmal mit einem Blick.
„Und Alfred Avery, vielleicht sind Sie sich auch schon einmal begegnet. Mr Averys Vater arbeitet im Ministerium – ein wirklich bedeutender Mann. Und zum Schluss noch Regulus Black – sein Bruder Sirius ist natürlich im Quidditch-Team von Gryffindor."
Regulus Black. Er ging zwar in Phillis' Jahrgang, aber Phillis hatte nie sonderlich viel Kontakt mit Kindern ihres Alters gehabt und selbst jetzt war sie eigentlich nur mit älteren Schülern befreundet, die alle einer Gruppe angehörten und deswegen nun alle zusammen zu Phillis' Freundeskreis zählten. Sie hatte noch nie mit Regulus gesprochen oder sonderlich viel von ihm mitbekommen, aber sie wusste, dass er ein guter Schüler war und dass Sirius ihn nicht mochte. Sirius sprach generell nicht über sein Leben zu Hause – bevor er zu James gezogen war – also sprach Phillis es auch nie an.
„Setzen Sie sich – hier sind noch zwei Plätze frei", bot Slughorn an und deutete grob in die Richtung von zwei Stühlen, die zum Glück nebeneinander noch frei waren. Das einzige Problem – einer der beiden Stühle stand neben dem, auf dem Snape saß.
Lily musste Phillis nur einmal bittend ansehen und sie verstand schon. Snape wirkte überhaupt nicht glücklich, als sich Phillis statt Lily auf den Platz neben ihn setzte.
„Wein?", bot Slughorn an und Lily nickte, während Phillis höflich ablehnte.
„Lieber Wasser."
„Nicht so schüchtern – ein Gläschen Wein hat noch nie jemanden geschadet", drängte Slughorn.
Phillis sah verwirrt zu Lily.
„Äh... nein, danke, ich trinke keinen Alkohol."
„Niemals?", fragte Dirk Cresswell.
„Niemals", bestätigte Phillis.
„Na gut, dann eben Wasser", gab Slughorn auf, „Bedienen Sie sich wenigstens beim Essen – etwas Pork, Miss Crockett?"
Clara Crockett wollte wohl nicht ablehnen und sie bediente sich wie alle anderen am Tisch auch kräftig an den Speisen.
Phillis zögerte noch einen Moment länger, bevor sie sich ebenfalls zu essen nahm, aber alles in schüchternen Maßen.
Phillis fühlte sich ziemlich unwohl inmitten dieser Gesellschaft. Die Hälfte von ihnen konnte sie nicht leiden, ein paar andere kannte sie nicht und dann war da noch Lily, die einzige, der Phillis vertraute.
Auf dem Schlachtfeld fühlte Phillis sich wenigstens annähernd so, als hätte sie irgendetwas unter Kontrolle, aber hier, in einem solchen Ambiente war sie vollkommen schutzlos und unbewaffnet. Inmitten von gesellschaftlichen Gelagen war sie klotzig, unbeholfen und ungeschickt. Viel lieber hätte sie einen Bogen in der Hand gehalten und irgendetwas damit getötet.
„Wie geht es Ihrer Mutter, Miss Dolohow?", fragte Slughorn mit falscher Höflichkeit, bevor er sich auch gleich an seine anderen Gäste wandte, „Sie müssen wissen, dass ich sowohl Sara als auch Antonin Dolohow unterrichtet habe – Ihre Mutter und Ihr Onkel, Miss Dolohow?"
Phillis nickte nur unsicher – sie kaute gerade an einer Ofenkartoffel mit Paprika.
„Beide in Slytherin", erzählte Slughorn weiter, „Beide wirklich außergewöhnlich talentierte Schüler. Ich bin ehrlich überrascht gewesen, als der Sprechende Hut Sie nach Gryffindor geschickt hat, Miss Dolohow."
Phillis schluckte den Bissen. „Aha", machte Phillis nur. Was sollte sie schon darauf sagen?
„Was macht Ihre Mutter heute?", fragte Slughorn, „Arbeitet sie im Ministerium, wie ich es ihr geraten habe?"
„Nah, sie lebt auf Kosten des Familiennamens und kann sich dank dem Erbe leisten, nie zu arbeiten", sagte Phillis gerade heraus.
Kurz war es still am Tisch.
Lily seufzte neben Phillis leicht enttäuscht.
„Und Ihr Onkel Antonin?", fragte Slughorn weiter, als wäre nichts passiert, „Ich habe ja ein paar schlimme Gerüchte über ihn gehört, aber bestimmt ist das alles nicht wahr."
„Vermutlich schon", sagte Phillis wieder ohne Filter, „Wenn Sie die Gerüchte gehört haben, dass er ein professioneller Mörder und Serienkiller im Auftrag eines Wahnsinnigen ist, dann stimmt das vollkommen."
Avery stellte seinen Kelch mit Wein etwas zu grob auf dem Tisch ab. Regulus Black wurde seltsam steif und er schien sich sehr zu bemühen, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bekommen.
Phillis hatte Voldemort beleidigt und die beiden hatten das offenbar nicht so gerne. Snape glänzte als einziger durch seine Teilnahmslosigkeit.
„Sie haben also keinen Kontakt mehr?", fragte Slughorn trotzdem neugierig weiter, „Auch nicht Ihre Mutter."
„Seit ich sieben bin, ist er bei uns nicht mehr willkommen", erzählte Phillis tonlos, „Er wollte, dass Mum mich weggibt, weil ich eine Schande für den Familiennamen ist und Mum hat ihn nach draußen gehext. Ich glaube, sie hat ihm gedroht, ihn zu kastrieren, wenn er sich uns noch einmal nähert..."
Lily verschluckte sich an ihrem Wein.
Elsa Biggs wurde etwas rot.
„Und Ihr Vater?", fragte Slughorn interessiert und bei der Erwähnung von dem geheimnisvollen Mann, der Phillis' Vater war, horchten einige am Tisch interessiert auf.
„Glänzt durch Abwesenheit", sagte Phillis schlicht. Wenn Slughorn noch mehr erwartet hatte, wurde er enttäuscht.
Slughorn räusperte sich, als er das ebenfalls bemerkte. „Miss Dolohow, ich habe im letzten Schuljahr zugegeben nur Ihr letztes Spiel verfolgt, aber dafür haben Sie dort – wie offenbar bei jedem Ihrer Spiele – eine absolute Meisterleistung abgelegt, obwohl das Wetter gegen Sie war."
Phillis verzog bei der Erinnerung leicht das Gesicht. Eigentlich war nicht das Wetter an sich gegen sie gewesen, sondern Zeus, der König der Götter und Gott des Donners oder so etwas in der Art, der lächerlicher Weise gedacht hatte, er müsste Phillis einmal kurz das Leben noch mehr zur Hölle machen, als es sowieso schon war.
„Ich habe das Team zwar auf schlechtes Wetter vorbereitet, aber nicht auf so schlechtes Wetter", gestand Phillis, „Wir sind jetzt schon dabei, diese Schwachstelle auszubessern und zu korrigieren."
„Schwachstelle?", lachte Slughorn auf, offenbar zufrieden mit sich, dass er ausnahmsweise einmal eine etwas ausführlichere Antwort von Phillis bekam, „Miss Dolohow, bei einem Team wie diesem kann man das wohl kaum eine Schwachstelle nennen, immerhin trainieren Sie ja ein Schulteam und nicht für die Weltmeisterschaft."
„Ich verlange von meinem Team das, was es leisten kann – das Beste", sagte Phillis ernst, „Und wenn ich mehr Zeit hätte und die Schulstunden meiner Teamkameraden nicht wären, könnte ich sie so gut trainieren, dass wir genauso gut in der Weltmeisterschaft spielen könnten."
„Oho, gesprochen wie eine wahre Gryffindor, jetzt sehe ich doch, was der Sprechende Hut gemeint hat", bemerkte Slughorn.
„Wenn sie so gut sind, wie sie sagt, warum trauen sie sich dann nicht beim ersten Spiel zu spielen?", forderte Avery sie heraus, offenbar unzufrieden damit, wie viel Aufmerksamkeit Phillis genoss.
„Damit wir noch besser sind", konterte Phillis, ohne eine direkte Antwort zu geben.
„Mr Black, was sagen Sie dazu?", fragte Slughorn interessiert, „Sie, als Sucher vom Slytherin-Team?"
Regulus Black blickte auf, als hätte er gar nicht zugehört und blickte sich einen Moment lang orientierungslos um, bevor er die an ihn gerichtete Frage wohl verarbeitet hatte. „Hm... ich... ich weiß nicht..."
„Bestimmt haben Sie sich schon Gedanken zu dem Spiel-Stil von Miss Dolohow hier gemacht", lachte Slughorn amüsiert, „Nicht so schüchtern – so sind Sie ja doch nicht. Sie müssen nicht so eingeschüchtert von Miss Dolohows Anwesenheit sein."
Regulus wurde etwas rot. Phillis seufzte genervt. Sie wünschte sich langsam, dieses Essen wäre vorbei.
„Nun...", sagte Slughorn, als er bemerkte, dass er mit diesem Gesprächsthema wohl nicht weiterkommen würde und er wandte sich an jemand anderen, „Mr Cresswell – wie ist es Ihnen in Verwandlung ergangen, nachdem ich mit Professor McGonagall über Ihre spezielle Umstände gesprochen habe?"
Phillis war einfach nur erleichtert, dass sie nicht mehr im Mittelpunkt stand und sie brachte noch ein paar Bissen von dem Essen hinunter.
Nach dem Essen gingen Lily und Phillis zusammen zurück zum Gryffindor-Turm und unterhielten sich über das Essen.
„Ich weiß nicht, was du daran so toll findest", gestand Phillis seufzend, „Es war einfach nur... unangenehm und stressig. Ich kann kaum darauf warten, aus diesem Kleid zu kommen."
„Ich habe einfach das Gefühl, dass das nichts für dich ist", stimmte Lily ihr zu, „Ich kann Slughorn gut leiden und unterhalte mich gerne mit ihm, aber du... Glaubst du, er wird dich wieder einladen?"
„Hoffentlich nicht", schnaubte Phillis, „Ich bin lieber auf dem Spielfeld – das Reden kann gerne jemand anderer übernehmen."
„Du würdest auch nicht hingehen, wenn ich dich darum bitte?", fragte Lily und blinzelte Phillis grinsend an, „Bitte! Seit Severus und ich nicht mehr befreundet sind, waren diese Treffen auch für mich nur unangenehm!"
Phillis seufzte. „Aber nur, wenn ich dafür kein Quidditch-Training ausfallen lassen muss", verlangte sie streng, „Das ist es mir nicht wert."
„Danke", grinste Lily, „Du wirst es nicht bereuen!"
„Doch... vermutlich schon..."
„Ja... vermutlich..."
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