Houdini ist schräg (aber das ist Phillis auch)

„Ich habe nachgedacht!"

Phillis hätte gerne gesagt, dass sie ihn hatte kommen hören, aber das hatte sie nicht und deswegen erschrak sie zugegeben ein wenig, schaffte es aber, sich relativ gefasst umzudrehen.

Houdini stand vor ihr und sah sie wie immer ernst an – Phillis fragte sich, ob er überhaupt lächeln konnte.

„Normalerweise würde ich jetzt darauf antworten, dass das kein gutes Zeichen ist, aber ich habe irgendwie das Gefühl – du musst etwas höher zielen, Hana – ja! Genau so! Sehr gut! – dass das bei dir überhaupt nicht zutrifft."

Phillis hatte gerade eine Bogenschießgruppe – ihre Geschwister und Hütte elf und es war ziemlich stressig, nachdem Hütte elf immer ziemlich voll war und zudem eher selten mit dem Bogen begabt waren – wenigstens konnten (normalerweise) ihre Geschwister helfen, aber Daphne und Amadeus halfen hauptsächlich Hana dabei, die gerade das erste Mal einen Bogen in der Hand hielt, aber schon besser war, als die meisten aus Hütte elf. Es war niedlich, wie begeistert sie davon war, aber Phillis musste ihre Geschwister im Auge behalten – sie hatte Daphne tuscheln gehört, dass sie als nächstes mit Wurfsternen üben würden und da sollte sie wohl lieber etwas vorsichtiger sein.

„Ganz im Gegenteil – wenn ich nachdenke, plane ich meistens den Untergang der Menschheit und frage mich, ob es wirklich so einfach wäre, die Weltherrschaft an mich zu reißen, wie ich es mir in meinem Kopf immer ausmale", gestand Houdini ohne auch nur annähernd amüsiert auszusehen, sodass Phillis nicht wusste, ob er es tatsächlich ernst meinte oder nur spaßte.

So oder so – seine Worte waren nicht sonderlich beunruhigend (Bobby war manchmal etwas beunruhigend und deswegen war er die Leiste für Phillis, um ungefähr die Norm einschätzen zu können, wie beunruhigend Jungen in diesem Alter sein durften, bevor man lieber einen Seelenklempner benachrichtigte) und Phillis lachte einfach nur.

„Hach, okay... was willst du, Houdini? Ich habe gerade – ups! Ähm... Hey, Amadeus, könntest du Cao einmal helfen, sie hat einen Pfeil im Arm – danke schön! – Ich habe gerade zu tun."

„Das sehe ich", sagte Houdini ernst, „Aber ich habe darüber nachgedacht, was du gesagt hast und ich habe mich gedacht, ich könnte dir einfach etwas schulden."

„Für was?"

Houdini sah sie nun genervt an – genervt, tot und müde – das waren wohl die drei Emotionen, zu denen Houdini in der Lage war und Phillis war sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt zu Emotionen zählten.

„Könntest du bitte mithalten ich hasse es, dass du offenbar genauso bist, wie alle anderen", bemerkte Houdini müde oder tot oder genervt – eines von den drei „Emotionen" fühlte er bestimmt im Moment.

Phillis begann zu grinsen. „Ohhh! Wie niedlich, du denkst, ich wäre klüger als wie alle anderen?"

„Du hast gerade „als wie" gesagt, also nein."

„Oh... stimmt..."

„Wie auch immer, ich wiederhole es noch einmal, also hör zu– hörst du zu?"

„Ja."

„Was habe ich gesagt?"

„Dass du...", Phillis zögerte und runzelte die Stirn, „Irgendetwas mit als wie?"

Houdini seufzte. „Nein! Konzentration!"

„Okay, okay!"

„Hör jetzt zu!"

„Okay!"

„Hörst du zu?"

„Nein."

Houdini sah sie müde an und Phillis kicherte.

„Klar höre ich dir –", sagte Phillis, wurde aber wieder unterbrochen, „Achtung! Nicht hierhin! Urg... warte einmal kurz, Giorgiana hat einen Pfeil in ihrem falschen Auge stecken."

„Jaah, das sehe ich... wie ist das denn passiert?"

„Sie ist die Tochter von Ate, der Göttin der Verblendung oder so", erklärte Phillis, während sie schon zu ihr eilte, „Ironisch, oder nicht? Und sie ist nicht sonderlich... du weißt schon..."

In diesem Moment versuchte Giorgiana sich selbst den Pfeil herauszuziehen und zog dabei ihr hölzernes Auge mit. Sie musterte es verwirrt, als hätte sie ganz vergessen, dass sie es hatte und Houdini verstand, worauf Phillis hinauswollte.

„Ah... ich verstehe... sie besitzt die intellektuellen Fähigkeiten einer gehirnamputierten Fliege."

Phillis warf ihm einen Blick zu, der sagte, dass sie es nicht besser hätte zusammenfassen können und half Giorgiana damit, ihr Auge von dem Pfeil zu befreien und dieses wieder einzusetzen.

Mit einem entschuldigenden Lächeln kam sie zu einem unbeeindruckt aussehenden Houdini zurück. „Okay, worüber haben wir gleich noch einmal gesprochen?"

„Das Angebot, dass du bei Erobere-die-Flagge in meinem Team bist?", half Houdini ihr genervt von ihrer Langsamkeit auf die Sprünge, „Ich habe mir überlegt, was ich die anbieten könnte und bin zu dem Schluss gekommen, dass du wohl am besten wissen solltest, was es dir wert ist – du sagst mir also deinen Preis und ich löse ihn ein. Eine Runde Baseball mit dir und deinen Geschwistern? Mein Nachtisch für den nächsten Monat? Eine öffentliche Entschuldigung bei Wie-war-gleich-noch-einmal-sein-Name und deiner Schwester – dann schuldest du mir aber noch eine Kleinigkeit, denn so eine Entschuldigung ist mehr wert, als ein Spiel!"

Houdini sprach wirklich schnell, aber Phillis fand das eine angenehme Abwechslung und sie konnte eigentlich noch gut mithalten, aber die Frage war, ob das bei anderen auch der Fall war.

Phillis lächelte amüsiert von Houdini – er hatte seinen Nachtisch angeboten, also war es ihm wirklich etwas wert, dass Phillis auf seiner Seite war, also hatte er Phillis schon so gut wie überzeugt. Wenn es Houdini wirklich so wichtig war und wenn er es sich so sehr in den Kopf gesetzt hatte, dann würde Phillis mitmachen – natürlich nicht, ohne einen Vorteil heraus zu holen, aber sie würde ihn nicht länger zabbeln lassen. Gerade wollte sie das Houdini sagen, als sie jemand bekanntes in der Ferne erblickte.

Es waren drei Personen, aber es war Marty, der ihr sofort ins Auge fiel, immerhin war er ein Unikat und so auffällig, dass man ihn wahrscheinlich sogar vom Mond aus genau auf der Erde ausmachen könnte. Wer sonst war so angezogen?

Er kam mit Laertes und – wie Phillis erst kurz darauf erkannte – Bobby, der sich seit letztem Sommer ziemlich verändert hatte.

Marty trug dieses Mal ein lockeres Hemd mit bunten Streifen, das er vorne nicht zugeknöpft hatte, sodass man seine gebräunte, perfekt rasierte Brust sehen konnte und das Sonnentattoo, das er sich direkt am Sternum hat tätowieren lassen. Dazu trug er noch kurze Hosen und Jesus-Sandalen. Seine langen Haare wurden mit einem grünen Batik-Stirnband an ihrer Stelle gehalten und dieses Mal waren die Gläser seiner Sonnenbrille gelb. Er grinste schon und winkte Phillis.

Laertes sah aus wie immer in orangen Camp-T-Shirt und kurzen Hosen sowie Sportschuhen – neben Marty wirkte er übertrieben normal aber für einen Sterblichen war er dennoch ungewöhnlich, denn an seiner Hüfte hing sein goldenes Schwert. In einer Hand ließ er einen Autoschlüssel kreisen – Marty und er waren wohl mit dem Auto gekommen.

Bobby hatte sich verändert. Phillis hatte nichts anderes erwartet, nachdem er letzten Sommer ein ziemliches Trauma durchlitten hatte, als eine riesige Ameise im Wald prompt seine halbe Hand abgebissen hatte. Zugegeben, es war für alle eine Überraschung gewesen, dass er überlebt hatte, denn obwohl die Verletzung nicht sonderlich lebensbedrohlich war, so waren in letzter Zeit doch viele Kinder des Apollo gestorben und alle hatten erwartet, dass Bobby der nächste sein würde. Er hatte aber überlebt, war aber einige Zeit lang ziemlich verbittert gewesen.

Klavierspielen war seine Bestimmung gewesen – das hatte er jedenfalls gesagt. Noch bevor er sprechen oder laufen konnte, hatte er schon auf dem Piano seiner Mutter geklimpert und er war – obwohl er gerade einmal neun Jahre alt gewesen war – ein besserer Klavierspieler gewesen, als Ruth (die sich eher auf Gitarre und auch andere Instrumente konzentriert hatte, dennoch aber eine außergewöhnliche Klavierspielerin gewesen war). In der Welt der Sterblichen galt er als Wunderkind – bis zu dem Unfall.

Letztes Jahr war Bobby noch ein munterer, immer glücklicher Junge gewesen. Nun waren seine Haare länger und er hatte seine kindliche Garderobe durch dunkle Stoffe eingetauscht. Phillis hoffte, er hatte das Trauma halbwegs überstanden und war nicht vorzeitig in seine emotionale, selbstmitleidige Teenager-Phase gefallen.

Aber als Phillis Marty und Laertes sah, fiel ihr ein, worum sie Houdini bitten könnte.

„Hey", sie wandte sich schnell an ihn und wisperte – sie musste schnell reden, bevor Marty und Laertes in Hörweite waren, aber Houdini kam trotzdem ohne Schwierigkeiten mit, „Wie gut bist du im Taschendiebstahl?"

„Hab ich noch nie probiert – warum?" Houdini musterte sie interessiert.

„Siehst du den Typen da hinten?"

„Den riesigen mit den Narben im Gesicht?"

„Ganz genau – du musst seinen Autoschlüssel stehlen!"

„Hast du mir nicht zugehört? Der RIESIGE mit den NARBEN im Gesicht?"

Phillis stockte einen Moment – seine Worte verwirrten sie kurz, aber sie beschloss, ihre Fragen zu diesem Thema auf später zu verschieben. „Ganz genau – das ist Laertes und er wird dir bestimmt den Hintern in der Arena versohlen, wenn du dich erwischen lässt, aber wenn du willst, dass Hütte sieben in deinem Team ist, stiehlst du für mich seinen Autoschlüssel."

Houdini blickte noch einmal zu Laertes und schien wohl seine Wahrscheinlichkeit das zu überleben auszurechnen (was Phillis bisher von Houdini mitbekommen hatte, machte er das vermutlich tatsächlich), bevor er nickte. „Abgemacht."

Phillis grinste. „Perfekt – ich lenke ihn ein wenig für dich ab, aber ich weiß nicht, ob es funktioniert."

„Hintern!", rief Marty quer über durch das Camp und Phillis seufzte – sie hatte verdrängt, dass Marty sie seit Neustem so nannte.

„Marty..." Phillis klang weniger begeistert, war aber mindestens genauso glücklich, ihren großen Bruder zu sehen. Marty breitete die Arme aus und rannte wie ein glücklicher Hund auf sie zu und bei ihr angekommen schlang er seine Arme um sie wie Lianen und drückte fest zu. Marty war größer als Phillis und hob sie mit seiner Umarmung in die Höhe.

„Schön, dich zu sehen!", freute Marty sich.

„Ich... bekomme... keine Luft", freute Phillis sich weniger, aber Dr. Marty (ausgebildeter Chirurg und Mediziner) drückte noch einen Moment länger Phillis die Luft ab, bevor er sie sicher wieder auf festen Boden abstellte und Phillis schnappte keuchend nach Luft. Ihre Brust fühlte sich so an, als könnte sie nie wieder frei atmen, aber dann ging es ihr auch schon besser.

„Freut mich auch, dich zu sehen", schnaubte Phillis und zog ihr T-Shirt (natürlich vom Camp) zurecht.

„Wie geht es dir, kleine Schwester? Wie ist es, Hüttenälteste zu sein?" Da war etwas Seltsames in Martys Blick und Phillis musterte ihn verwirrt. Er sah irgendwie besorgt aus und da war auch etwas Trauriges in seinen Augen. Es war dieser Blick, den bestimmt auch Phillis gehabt hatte, als sie geträumt hatte, wie Ruth gestorben war. Es war dieser Blick, der besagte, dass die Zukunft überhaupt nicht rosig aussah und einen Moment lang zog sich alles in Phillis zusammen, als sie daran dachte, wie sie naiver Weise gehofft hatte, nach dem Angriff von Niobe in Hogwarts etwas Ruhe verdient zu haben. Die Reise ins Camp war eigentlich schon genug Abenteuer für den Sommer gewesen, aber wenn man Martys Blick trauen konnte, dann wartete wohl noch etwas auf sie.

Die Frage war nur, wie weit in die Zukunft Marty geblickt hatte, aber das konnte er ihr sicher nicht sagen – sie durften sich nicht gegenseitig ihre Zukunft verraten, ansonsten hätte Phillis bestimmt Ruths Tod verhindern können.

Phillis tat so, als hätte sie das alles nicht allein durch Martys Blick erfahren – er war noch nie sonderlich gut darin gewesen, Geheimnisse zu haben und deswegen hatte er eigentlich auch keine (vor niemanden...). „Es ist... anstrengend", gestand Phillis, „aber erträglich – jetzt. Am Anfang ist es noch etwas ungewohnt gewesen, aber Birget hat mir sehr geholfen."

„Hey, Phil!" Bobby war ebenfalls nähergekommen. Im Moment war er Phillis jüngster Bruder (den sie kannte) und mit gerade einmal zehn Jahren war er eigentlich noch ziemlich klein, jung und kindlich für einen Demigott im Camp (meistens kamen sie im Teenageralter das erste Mal ins Camp) und nach Phillis hatte er schon die meisten Sommer im Camp verbracht, also wusste er schon länger als Daphne oder Amadeus, dass er ein Demigott war.

Es war zwar nicht das Auffälligste, aber zumindest das Seltsamste an Bobby: sein außergewöhnliche Fingeranzahl.

An seiner linken Hand hatte er einen zusätzlichen Finger und er hatte auch an der rechten sechs Finger gehabt, bis zu dem Unfall, bei dem er ein Stück seiner Hand mit drei Fingern verloren hatte, sodass er nun „nur noch" neun Finger insgesamt hatte – deswegen nannten sie ihn auch liebevoll Neun-Finger-Bobby.

Bobby hatte gedacht, sein Leben wäre vorbei, als er herausgefunden hatte, dass er nicht mehr außergewöhnlich gut Klavier spielen konnte (nachdem er es sein Leben lang mit zwölf Fingern gelernt hatte und es für ihn frustrierend gewesen war, sich nicht auf alle seine Finger verlassen zu können), aber offenbar hatte er noch die Kurve geschafft.

Er hatte sich aber verändert, wobei Phillis nun vermutete, dass es zum Positiven war.

Die schwarze Kleidung stellte sich als Black Sabbath T-Shirt, darüber eine Weste mit Aufnähern von verschiedenen Heavy-Metal-Bands und dazu noch einen richtigen Schottenrock – diese Idee hatte er bestimmt von Marty (wer sonst kam auf so eine Idee?). Er trug wirklich coole Springerstiefel, die wahrscheinlich etwas zu groß für ihn waren (wer hatte schon Springerstiefel für Kinder gesehen?) und trug im Arm eine Lederjacke mit einer Menge Nieten und Metallspitzen, die irgendwie so aussahen, als wären sie aus himmlischer Bronze, wie auch die Nieten an seinem Lederarmband, das ihm etwas zu groß war (also vermutlich wieder für Erwachsene).

Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, hatte Bobby sich wohl einen Ohrring stechen lassen und trug auch noch ein Fake-Lippenpiercing und er hatte seine blauen Augen mit schwarzem Kajal umrahmt.

Der kleine Bobby war zum Heavy-Metal-er geworden und Phillis war noch nie so stolz auf ihn gewesen.

„Siehst gut aus, Bobby!", staunte Phillis und umarmte ihren kleinen Bruder.

„Danke, Phil", grinste Bobby und Phillis war froh, dass er wieder so lächeln konnte – Phillis hatte schon gedacht, er würde nie wieder wie ein Kind lachen können. „Ich habe die Musiksammlung von meinem Onkel gefunden und jetzt habe ich Schubert und Mozart den Rücken zugekehrt!"

„Ich bin so stolz auf dich", Phillis wischte sich eine falsche Träne aus dem Augenwinkel, „Was hat deine Mum dazu gesagt?"

Bobby grinste nur schelmisch und das war schon Antwort genug.

„Sie ist umgekippt, als ich ihr gesagt habe, dass ich meine Haare wie Ozzy Osbourne wachsen lassen will", gestand Bobby, „aber sie hat sich mittlerweile mit dem Gedanken anfreunden können. Sie hofft, es ist nur eine Phase."

„Heavy-Metal ist niemals eine Phase!", prophezeite Marty ebenfalls breit grinsend und er sah Phillis vielsagend an – die Musik in Hütte sieben wird wohl interessant werden.

„Ich muss euch beiden noch jemanden vorstellen!", fiel es Phillis ein und sie zog ihre beiden Brüder an den Armen mit sich zu Daphne, Amadeus und Hana, die beisammenstanden und sie leise und kichernd unterhielten.

„Hana, das hier sind Marty und Bobby – Leute, das ist Hana – unsere Schwester", stellte Phillis sie vor und Hana blickte schüchtern zu ihren beiden anderen Geschwister – wenigstens hatte sie nicht alle zugleich kennengelernt, so hatte sie etwas Zeit gehabt, Daphne und Amadeus zu verarbeiten (wobei Phillis bezweifelte, dass man einen Bruder wie Marty überhaupt verarbeiten konnte).

„Hana! Freut mich, dich kennenzulernen, kleine Schwester!", freute Marty sich und breitete die Arme für eine Umarmung aus, aber Hana sah ihn nervös an und stammelte: „Ich...äh... bin kein so großer Fan von... Umarmungen..."

„Oh", machte Marty und ließ seine Arme schnell sinken, hob aber seine Hand, um die von Hana zu schütteln, „Kein Problem! Schüttelst du Hände?"

Hana lächelte und wurde etwas rot, als sie seine Hand schüttelte und seinem Blick auswich – sie war immer nervös, wenn es darum ging, neue Leute kennenzulernen.

„Hey", begrüßte sie auch Bobby und hielt ihr die rechte Hand hin, blickte auf seine drei übriggebliebenen Finger und ließ es dann wohl lieber. Er winkte Hana lieber mit der linken Hand und das war vermutlich schon einmal ein guter Anfang.

„Man gewöhnt sich an die beiden", versprach Phillis grinsend und Marty und Bobby beschwerten sich gleichzeitig mit einem „Hey!"

Nach dieser kurzen Vorstellungsrunde schloss sich Houdini wieder Phillis an und er flüsterte ihr ganz leise zu: „Auftrag ausgeführt. Was jetzt?"

„Warte auf weitere Anweisungen", wisperte Phillis zurück und sah zu Laertes, um zu sehen, ob ihm der Diebstahl seiner Autoschlüssel schon aufgefallen war, aber er stand mit vor der Brust verschränkten Armen etwas Abseits und schien sich nicht wohl zu fühlen.

Phillis runzelte die Stirn und sah Marty fragend an. „Ist mit Laertes alles in Ordnung?"

Marty blickte über seine Schulter zu seinem Ehemann und etwas in seinem Blick sagte Phillis, dass nicht alles in Ordnung war, aber er lächelte trotzdem und versprach: „Erzähle ich dir später. Wir haben übrigens ein Problem."

„Ein Problem?", wiederholte Phillis, „Wie groß?"

„Ich berufe einen Goldenen Raum ein", antwortete Marty nur – also war es ein sehr großes Problem. Phillis nickte ernst.

„Was ist ein Goldener Raum?", fragte Houdini neugierig nach.

„Erkläre ich dir später", versprach Phillis, „Daphne, du übernimmst die Gruppe, ich muss noch etwas erledigen."

Daphne grinste triumphierend und drehte sich zur Gruppe aus Hütte elf um, die noch immer fleißig Bogenschießen übten, während Phillis und Houdini verschwanden.

„Du hast die Schlüssel?", fragte Phillis nach und Houdini nickte.

„Klar, was haben wir vor?"

„Wir fahren in die Stadt und schmuggeln Süßigkeiten ins Camp natürlich!", verkündete Phillis, „Bist du bereit?"

„Sü- Sü- Süßigkeiten?", stammelte Houdini und Phillis konnte sich nicht erinnern, ihn schon einmal in so einem Zustand gesehen zu haben, obwohl er noch immer ernst aussah, „Ich... ich habe seit Monaten keine Süßigkeiten mehr gegessen!"

Phillis grinste. „Dann ist es höchste Zeit – hol deine Waffen, wir nehmen Laertes' Auto!"



Sie trafen sich auf dem Hügel vor Camp Half-Blood, direkt hinter der Grenze, die sie ein wenig vor Monstern beschützte. Sie war nicht unfehlbar und hin und wieder huschte ein Monster hinter die Grenzen, aber es war die stärkste Grenze, zu denen „die Götter in der Lage waren", was mehr oder weniger bedeutete, dass das alles war, was die Götter ihren Kindern geben wollten und alles andere wäre zu viel Aufwand für sie gewesen.

„Chiron hat gesagt, ein Blutopfer könnte die Grenze stärken", erzählte Houdini, als sie zusammen dicht hinter der Grenze standen – Phillis konnte Laertes' gelben Bulli zwischen den Bäumen sehen (diese Farbe konnte man bestimmt auch vom Mond aus sehen, was witzig war, denn das Auto hatte Marty ausgesucht und Laertes hatte ihm diesen Wunsch erfüllt) und sie würden zusammen direkt hingehen.

„Ein Blutopfer?", wiederholte Phillis und sah Houdini interessiert an – das hatte sie noch nicht gewusst, obwohl sie schon seit Jahren ins Camp ging und Houdini erst seit ein paar Monaten.

„Du weißt schon – die Lebenskraft eines Lebewesens könnte die Grenzen stärken, sodass überhaupt kein Monster mehr durchkommen könnte", erklärte Houdini genauer, „Ich habe natürlich sofort zugesagt –"

„Du wolltest dich selbst als Opfer für das ganze Camp hingeben?", fragte Phillis überrascht – das hatte sie von Houdini nicht erwartet.

„Natürlich nicht!", Houdini schüttelte den Kopf, „Nein, nein, ich wollte diesen einen Typen aus Hütte fünf Opfern, aber aus mir unbekannten Gründen ist Chiron gegen diese Idee gewesen..."

„Ich frage mich nur, warum", summte Phillis amüsiert, „Gehen wir?"

„Wartet!"

Phillis und Houdini drehten sich beide alarmiert um – immerhin waren sie gerade dabei, etwas eigentlich Illegales zu tun und dann wurden sie auch noch erwischt.

Phillis legte in weniger als einer Sekunde einen Pfeil an und Houdini zückte sein Schwert – einen Degen und Phillis fiel etwas Sonderbares auf, verschob das aber ebenfalls auf einen anderen Zeitpunkt, wie so viele Fragen an Houdini.

Sie beobachteten, wie noch jemand zwischen den Bäumen hervorstürzte – es war Pirro.

Phillis entspannte sich etwas – Pirro war ein Neuling und hatte damit noch wenig Erfahrung damit zu kämpfen und es war unwahrscheinlich, dass er die derzeitige Grenzwache war oder von Chiron/Mr D geschickt worden war, um sie aufzuhalten... oder Laertes... Oder Marty...

Er atmete schwer und an seinem Rücken hing ein Speer und schlug immer wieder gegen seine Unterschenkel, als er zu ihnen rannte und mit einem Blick beschlossen Houdini und Phillis, dass sie auf ihn warten würden.

„Wartet!", wiederholte Pirro noch einmal und kam endlich bei ihnen an, hob seine Hand, um sie zum Warten aufzufordern, während er sich an seinen Knien abstützte, um wieder zu Atem zu kommen. „Hach... ich... habe euch... noch eingeholt."

„Das sehen wir", bemerkte Phillis amüsiert davon, dass er von einem so kurzen Sprint schon so fertig war (das erinnerte sie an das Quidditch-Team am Anfang vom Jahr, aber selbst die waren beim letzten Spiel schon ziemlich sportlich gewesen), „Was brauchst du?"

„Ich... ihr geht raus, oder?", fragte Pirro und konnte sich endlich wieder aufrichten, aber seine gebräunte Haut war noch immer rot gefleckt und er atmete schwerer als sonst.

„Ja?" Houdini blickte zu Phillis, nachdem sie eindeutig die Anführerin dieser Operation war, „Na und?"

„Nehmt ihr mich mit?", fragte Pirro begierig, „Ich... ich habe das Gefühl, dass ich da raus muss."

„Jetzt schon?", fragte Phillis, „Du hast noch dein ganzes restliches Leben vor dir im Camp und du willst jetzt schon wieder gehen? Du bist gerade einmal einen Tag hier!"

„Nein, nein, ich will nicht direkt weg, ich... ich hoffe nur, dass meine Mom mich anerkennt, wenn ich... ihr wisst schon... etwas heldenhafteres mache, als einfach nur zu trainieren."

„Mein Dad hat mich anerkannt, als ich das erste Mal mit einem Bogen geschossen habe", erinnerte sich Phillis.

Pirro blickte zu Houdini, als würde er erwarten, dass nun auch Houdini seine Anerkennungs-Geschichte teilen würde, aber das passierte nicht. Houdini blickte ihn einfach nur ernst an und sagte nichts zu diesem Thema.

„Also... äh...", stammelte Pirro von Houdini verunsichert (Phillis war amüsiert davon), „Ich... ich habe einfach das Gefühl, es könnte das Richtige sein."

Houdini und Phillis sahen sich wieder an und es war zwar schwer, Houdinis Gefühle aus seinem Gesicht abzulesen (nachdem er im Moment einfach nur genervt aussah), aber sie konnte trotzdem irgendwie erraten, was er dachte – sie hatten eben eine solche Verbindung, die Houdini wahrscheinlich auch dazu brachte, mit Phillis mehr zu sprechen, als mit allen anderen im Camp und das war ein Wunder.

„Er könnte von Nike sein oder so", vermutete Phillis nachdenklich, „Die sind auch immer so."

„Dieser Ausflug ist deine Idee", Houdini zückte gleichgültig mit den Schultern, „Deine Entscheidung."

Phillis seufzte und musterte Pirro prüfend. „Das Ding da auf deinem Rücken –"

„Das hier?" Pirro zog den Speer hervor und Phillis erkannte, dass es nicht einfach nur ein Speer war, wie ihn Birget benutzte. Eigentlich war es mehr eine lange Harpune mit einer Spitze vorne und dazu noch zwei Haken auf der Seite mit Widerhaken, um eine wirklich große Wunde zu hinterlassen. Sie glänzte in der Sonne und es war eindeutig pure himmlische Bronze, die in dieser Waffe verarbeitet worden war – sogar der Griff. Es war eine wirklich aufregende und atemberaubende Waffe, wie Phillis fand und ihr kam in den Sinn, dass ihre Freunde in Hogwarts es wohl seltsam finden würden, könnten sie ihre Gedanken über diese wundervolle Waffe hören.

„Die war im Waffenlager – es hat sich irgendwie richtig angefühlt, sie zu benutzen", Pirro räusperte sich peinlich berührt, „Ich... sie ist noch etwas schwer, aber Eden hat gesagt, dass ich mich daran gewöhnen werde und ich... ich lerne noch, richtig mit ihr zu kämpfen."

„Wenn du stirbst, lassen wir deine Leiche zurück und du wirst hundert Jahre in der Lobby von den DOA Studios verbringen", warnte Phillis ernst.

„Was?", fragte Pirro – nicht erschrocken, sondern verwirrt. Als Anfänger wusste er bestimmt noch nicht, dass die Unterwelt in Los Angeles war.

Phillis gab ihm aber keine Antwort, sondern drehte sich (zu ihrer Überraschung) synchron mit Houdini um und ging zum Auto – Houdini warf ihr lässig die Schlüssel zu und Phillis fing sie auf, ohne hinzusehen. Sie waren in diesem Moment schon ziemlich cool.

Pirro zögerte noch einen Moment und folgte ihnen dann schnell.

Phillis fuhr natürlich, Houdini setzte sich als Beifahrer neben sie und Pirro musste sich mit seiner Harpune nach hinten setzen.

„Bist du überhaupt schon sechzehn?", fragte Pirro.

„Nein."

„Hast du einen Führerschein?"

„Nein."

„Du fährst trotzdem?"

„Ja."

Pirro nickte steif und Phillis startete den Motor. Sie kannte das Auto und war schon einmal damit gefahren, immerhin war Marty meistens zu faul, um selbst zu fahren.

„Okay, der Plan ist, dass wir nur zu diesem Laden am Stadtrand fahren, damit wir nicht in den Verkehr kommen und wir müssen zurück sein, bevor Laertes auf die Idee kommt, uns zu jagen."

„Bevor er bemerkt, dass ich seine Schlüssel gestohlen habe, oder?", fragte Houdini.

„Nein, er weiß das bestimmt schon", summte Phillis gedankenverloren, als sie den Wagen aus dem Wald hinausfuhr auf die Straße, die direkt am Camp vorbeiführte, „Er ist ein Sohn von Hermes – natürlich weiß er es schon."

„Wirklich? Ein Sohn von Hermes?", fragte Houdini.

„Jepp", bestätigte Phillis, „Du hast ihn noch nie gesehen? Früher hat er häufiger Schwertkampf trainiert."

„Ich habe ihn heute das erste Mal gesehen", gestand Houdini, „und ich würde mich an ihn erinnern."

„Jaah, er hat ein ziemlich einprägendes Gesicht", stimmte Phillis ihm nachdenklich zu.

„Und ich habe ein perfektes Gedächtnis und vergesse nie etwas – besonders nicht so wichtige Informationen, wie die Gesichter der Personen in meiner unmittelbaren Umgebung."

„Aber du vergisst ihre Namen", erinnerte Phillis ihn.

„Wenn ich verfolgt werde, ist es mir egal, wie er heißt, aber es ist wichtig, mir sein Gesicht zu merken, damit mir überhaupt auffällt, dass ich verfolgt werde", sagte Houdini ernst und Phillis lachte auf.

Innerlich dachte sie aber daran, dass es ungewöhnlich für Laertes war, dass er so selten im Camp war – selten genug, dass Houdini ihn noch nie gesehen hatte, also war es wohl schon zwei Monate her. Außerdem hatte er sich schon seit Ruths Begräbnis sehr seltsam benommen und Marty hatte auch anmerken lassen, dass etwas nicht stimmte.

„Ich bin übrigens Pirro!" Plötzlich schoss ein Arm von hinten nach vorne und Pirro hielt Houdini seine Hand hin, ein erwartungsvolles Grinsen im Gesicht. Houdini blickte nur einen Moment lang beinahe schon abwertend auf die Hand, bevor er seinen Blick wieder nach vorne wandte.

„Ich schüttle keine Hände."

„Tut er nie", bestätigte Phillis, obwohl sie Houdini auch erst seit ein paar Tagen kannte, aber sie hatte einfach das Gefühl, ihn schon ihr Leben lang zu kennen und dieses Gefühl hatte sie bisher nur mit Ruth gehabt.

„Oh", machte Pirro und zog seine Hand wieder zurück.

Kurz war es still im Auto.

„Das ist Houdini", stellte Phillis ihren Freund vor, nachdem Houdini nicht so wirkte, als würde er es in nächster Zeit selbst übernehmen.

„Ist dein Vorname wirklich Houdini?", fragte Pirro begeistert.

„Nein."

„Dein Nachname?"

„Nein."

„Mittelname?"

„Nein."

„Warum nennst du dich dann so?"

„Darum."

„Warum?"

„Darum."

„Warum darum?"

„Warum nicht darum?"

„Jetzt bin ich verwirrt."

„Siehst du? Darum!"

Phillis lachte – genau dasselbe Gespräch hatte sie auch mit Houdini geführt, als würde das tatsächlich immer und immer wieder passieren und jetzt verstand sie auch, warum Houdini sich entschieden hatte, sich so zu nennen. Houdini lachte nicht. Er lächelte nicht einmal, sondern sah immer noch ernst aus, obwohl Phillis meinte, dass er ziemlich amüsiert für seine Verhältnisse aussah, obwohl seine Mundwinkel nicht einmal annähernd nach oben zeigten.

„Ich verstehe", schnaubte Pirro beleidigt und lehnte sich schmollend zurück und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust, „Ich bin da wohl in eure Routine hineingeplatzt, oder?"

„Hm... nicht wirklich", gestand Houdini.

„Wir kennen uns eigentlich kaum", gestand Phillis, „Genau genommen kenne ich dich schon länger als Houdini."

„Dann seid ihr beide wohl füreinander geschaffen", schnaubte Pirro.

„Tatsächlich spricht – nach meinem derzeitigen Wissen – alles dafür, dass es ein festgeschriebenes, unabänderliches Schicksal gibt, das wir kaum abwenden können – ein Faden gesponnen von den drei Moiren, nur darauf wartend, durchschnitten zu werden um unseren Untergang zu besiegeln", begann Houdini einen Vortrag, als wäre er Professor und würde über sein Unterrichtsfach sprechen, „In der griechischen Antike gab es mehrere namentlich bekannte und einflussreiche Denker, die schon damals ohne dem Wissen, das ich von der heutigen Zeit besitze, davon ausgingen, dass das immer fortlaufende und scheinbar spontane und unvorhersehbare Leben von einem zwangsläufigen und vorgeschriebenen Schicksal – in diesem Fall von den Göttern – beeinflusst wird und der Mensch nur in diesem ewigen, mitreißenden Strom gefangen ist wie ein Papierschiffchen mitten auf dem Meer während eines Jahrhundertsturmes. Widerstand ist zwecklos – und genau genommen sogar infam – und man kann dem vorherbestimmten Schicksal genauso wenig entkommen, wie man einer reißenden Flutwelle – einem immerwährenden Tsunami – entkommen kann und das triste Überleben ist fremdgesteuert. Später ist diese Theorie von Denkern abgelehnt worden und die Menschen haben begonnen, sich selbst die unlösbare Aufgabe aufzuerlegen, ihr eigenes Schicksal zu beeinflussen aber bis hin zur Zeit der Aufklärung waren die Rollen im Leben von einer höheren Macht erwählt und so auch angenommen – von Herrschern und Beherrschten. Bis vor Kurzem fand ich auch nur die banale Vorstellung von so etwas wie einem Schicksal, wie man es in der Antike angenommen hatte, marginal und habe kaum einen Gedanken daran verschwendet, bis ich erfahren habe, dass die Götter in unserer Welt existieren und als zwar stupide, aber dennoch universelle Macht noch bis heute wirken. Zugegeben, das hat das meinen Glauben gegenüber dem vorbestimmten, unausweichlichen Schicksal – einer schicksalhaften Zukunft – wieder in den Vordergrund gerückt und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Schicksal in der Tat vorherbestimmt ist und man der Zukunft nicht entkommen kann, die schon festgeschrieben steht."

„Was?", fragte Pirro, aber Houdini und Phillis ignorierten ihn beide.

Phillis hatte es eigentlich sogar ziemlich gut geschafft, neben dem Autofahren dem Vortrag zu folgen.

„Du sagst also, dass man früher gedacht hat, dass man seine Zukunft nicht beeinflussen kann", fasste Phillis seine Worte zusammen, „und du denkst, dass das stimmt? Die Götter beeinflussen unser Leben bis ins kleinste Detail?"

„Ich wusste, du kannst mir folgen, Phillis!", lobte Houdini sie.

„Ich kann dir nicht folgen", gestand Pirro etwas verwirrt.

„Auch das habe ich erwartet."

„Hey!"

„Ich glaube, ich kann dir nicht zustimmen", gestand Phillis nach kurzem Überlegen und Houdini sah sie überrascht an (oder eigentlich neutral mit einem genervten Gesichtsausdruck, der aber weniger genervt war und eher überrascht-genervt). Wahrscheinlich war er es nicht gewohnt, dass seine Theorien infrage gestellt wurden.

„Tatsächlich? Kannst du das genauer erläutern?", fragte Houdini und lehnte sich interessiert vor.

„Nun, das Leben von uns Demigöttern richtet sich häufig nach Prophezeiungen und es scheint so, als könnten wir ihnen nicht entkommen selbst dann, wenn man es versucht."

„Und die Prophezeiungen sind göttlichen Ursprungs, oder nicht?", erinnerte sich Houdini, „Genau genommen kommen die Prophezeiungen im Camp von dem Orakel von Delphi, wenn ich das richtig verstanden habe – einem Orakel von deinem Vater?"

„Ganz genau", bestätigte Phillis, „und in der Geschichte der Götter finden sich häufig Helden, die versucht haben, Prophezeiungen zu entkommen und dadurch erst in die Falle der selbsterfüllenden Prophezeiung gestolpert sind und es dadurch so aussieht, als könnte man dem Schicksal nicht entkommen. Das Problem ist nur, dass ich eine Tochter von Apollo bin – dem Gott der Weissagungen. Wir haben regelmäßig Träume – kurz Einblicke in die Zukunft."

„Wirklich?", fragte Houdini gefesselt von dieser neuen Information, das er wohl noch nicht gewusst hatte, „Einfach so?"

„Einfach so", bestätigte Phillis nickend.

„Cool", staunte Pirro, „Dann kannst du mir die Lotto-Zahlen sagen?"

„Ich könnte es vielleicht – mit etwas Übung in diesem Gebiet", gestand Phillis, „aber ich dürfte sie dir nicht sagen."

„Was? Warum nicht?", fragte Pirro empört.

„Apollo verbietet es", erklärte Phillis, „Nur er darf aussuchen, welche Prophezeiungen der Öffentlichkeit preisgegeben werden und welche Schicksale verändert werden dürfen – ist so ein Götter-Komplex von ihm. Ihr wisst schon... totale Kontrolle über die Zukunft und Prophezeiungen..."

„Ihr rennt also alle mit diesem Wissen über die Zukunft herum und dürft es niemanden sagen?", fragte Pirro spöttisch, bemerkte dann aber, dass Phillis das auch wirklich so meinte und wurde ernster, „Oh... ähm... klingt hart."

„Und dafür haben wir den Goldenen Raum", erklärte Phillis weiter, „Wir versammeln uns alle in unserer Hütte und opfern Apollo, während wir unsere Träume besprechen. Apollo hat ein Auge auf uns und wenn wir etwas sagen wollen, das ihm nicht gefällt, schreitet er durch ein Zeichen ein."

„Wow", kommentierte Pirro, „Klingt ziemlich... Big Brother mäßig."

Big Daddy wolltest du wohl sagen!", schnaubte Phillis und runzelte die Stirn, als sie bemerkte, wie seltsam das klang, „Oh, warte... lasst mich das anders ausdrücken –"

„Wie widerlegst du damit meine Theorie?", fragte Houdini und klang ein bisschen wie ein trotziges Kind.

„Nun... wenn wir die Zukunft vorhersehen und es allen sagen würden, würden wir die Zukunft verändern. Das passt Apollo nicht und deswegen verbietet er es. Theoretisch hätten wir aber die Fähigkeit, das vorherbestimmte Schicksal zu umgehen – es hat im Laufe der Jahrhunderte auch einige Kinder von Apollo gegeben, die tatsächlich diese Regel gebrochen haben – meist um geliebte Menschen zu retten. Apollo hat sie bestraft, weil sie das Schicksal verändert haben."

„Warte, du willst mir damit sagen, dass ihr einfach so die Fähigkeit besitzt, Tode zu verhindern? Ihr seht sie voraus und verhindert sie?", wiederholte Pirro beeindruckt, „Passiert das oft?"

„Dass wir die Tode von Leuten vorhersehen? Jepp", bestätigte Phillis entspannt, obwohl sie innerlich sehr angespannt war – die Unterhaltung ging in eine Richtung, die ihr nicht gefiel, „Marty hat den Tod von JFK gesehen, Wochen bevor er passiert ist und Bobby hat für diesen Oktober –" Phillis verstummte abrupt. „Jedenfalls können wir das und es passiert die ganze Zeit. Wir können von Glück sprechen, wenn wir nicht in die Lage kommen, zu wissen, wann ein geliebter Mensch stirbt, das bringt dann immer Schuldgefühle und Konflikte mit sich."

„Ich glaube, wenn ich sehen würde, dass einer meiner Freunde stirbt, würde ihn den Tod verhindern", verkündete Pirro ernst, „Mir egal, was meine Mom dann machen würde – ich lasse doch nicht einen Freund sterben, wenn ich es verhindern kann!"

Houdini sagte nichts dazu und auch Phillis war ganz leise geworden.

Pirro sah besonders sie verwirrt an – von Houdini hatte er vermutlich keine Antwort erwartet.

„Warte... du doch auch, oder nicht, Phil?"

„Nein."

„Nein?"

„Nein", wiederholte Phillis ernst, „Ich habe den Tod meiner Schwester gesehen und nichts dagegen getan."

„Aber –"

„Überlege dir die nächsten Worte gut, ich weiß, wie ich das Auto gegen einen Baum fahren muss, dass nur du stirbst", drohte Phillis ihm, „Diese Unterhaltung ist beendet."

Pirro räusperte sich und fing zum Glück nicht noch einmal davon an und es wurde still im Auto. Eine Stille, die Phillis nicht lange aushielt und sie schaltete den Radio an und zu den Klängen von Harry Chapins Cat's in the Cradle fuhr sie in die Stadt.

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